Kapitalismus - verstehen - abschaffen
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Kapitalismus - verstehen - abschaffen

Wo kommt dieses Biest her? Was richtet es permanent an? Wie können wir es erledigen?

  1. 432 Seiten
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Kapitalismus - verstehen - abschaffen

Wo kommt dieses Biest her? Was richtet es permanent an? Wie können wir es erledigen?

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Was ist los mit der Welt? Nach allgemeiner Auffassung entwickelt sich alles immer höher, besser und schneller. Es müsste folglich jedem Menschen beständig besser gehen. Aber wir fühlen im Innersten und finden es empirisch im Alltag bestätigt, dass das Gegenteil der Fall ist. Flüchtlingsströme, Kriege, Arbeitslosigkeit, Kaufkraftverlust, Selbstmordattentate, Rassenhass, Fundamental-Ideologien, Nationalismus... sind unsere beständigen Wegbegleiter. Weil die Welt inzwischen vollständig kapitalistisch globalisiert ist, gibt es keine wie auch immer geartete Erscheinung, die nicht ein original kapitalistisches Produkt wäre. Hier erfährst Du, woher der Kapitalismus kommt, was er auf seiner über 400 Jahre währenden Reise mit der Welt und vor allem mit uns Menschen gemacht hat. Und Du erhältst einen Einblick darin, was wir dieses kapitalistische System mit uns selbst machen ließen. Schließlich bekommst Du das Wissen, wie wir uns dieses Monster vom Hals schaffen können. Erwarte keine Rezepte; aber nach dieser Lektüre gehörst Du zu den Wissenden. Mach was draus!

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Information

Kapitalismus - verstehen - abschaffen
Was ist das? Kapitalismus? Es ist die letzte Fetisch-Gesellschaft in der menschlichen Entwicklung. Damit ist sie, wie Marx feststellte, die letzte Stufe der menschlichen Vorgeschichte.
Jeder Mensch weiß, dass er im Kapitalismus lebt aber kaum jemand von uns (vollkommen unabhängig von der Zugehörigkeit zu irgendeiner sozialen Schicht, also „oben“ oder „unten“) kann erklären, was Kapitalismus ist. Wir wissen nicht, wo er herkommt und warum er so ist, wie er ist. Aber wir haben das dumpfe Gefühl, dass das Leben auf unserer so schönen Erde beständig nur schlechter und schwerer wird. Wir fühlen es und viele erleben es täglich sogar durch die Vernichtung ihrer Existenz bzw. ihres nackten Lebens: Kapitalismus ist ein brutales Gewinner-Verlierer-Spiel, dessen totalitärer Charakter die pure soziale und selbst die physische Existenz als Einsatz nicht ausspart; und er hat von Anfang an mehr Verlierer als Gewinner hervorgebracht. Seine bisherige Gesamtbilanz ist nicht nur negativ, sondern verheerend. Dass der Kapitalismus einige wenige reich, die Masse aber bettelarm macht, ist eine historische Grunderfahrung.
Die Protagonisten des Systems, die überwiegend zur winzigen und immer weiter schrumpfenden Minderheit der (relativen) Gewinner und zu den zynischen Rechtfertigungs-Ideologen dieser absurden und antihumanen Gesellschaftsform gehören, erzählen uns von der „Alternativlosigkeit“ dieser „besten aller bisherigen Gesellschaftsformen“ und von ihrer „Wohlfahrtssteigerung“. Die Grausamkeiten seien nur politischen Fehlern geschuldet, die durch eine „richtige Politik“ und die „richtigen“ Leute vermieden werden können. Auffällig ist, dass es eine kapitalistische Geschichte offenbar nicht gibt. Es ist eben wie es ist, also basta. Aber es gibt sie eben doch, diese Geschichte des Kapitalismus, und sie entlarvt den Wahnsinn dieses Systems vollständig. Das ist natürlich einerseits von den Protagonisten nicht erwünscht und andererseits besteht in uns selbst eine systembedingte Erkenntnis-Schranke: denn wir wurden durch eine jahrhundertelange Domestizierung zu einem dem zynischen Realismus verfallenen Markt-menschen, der sich einbildet, das aufgeklärteste Wesen der Welt zu sein. Dabei lassen wir aber nahezu alles mit uns machen und nehmen die unglaublichsten Zumutungen fatalistischer hin als ein orientalischer Mystiker und lassen uns größeren Unsinn einreden als ein mittelalterlicher Bauer. Weil wir jeden Maßstab verloren haben, können wir weiß und schwarz nicht mehr unterscheiden; und ob uns etwas wehtut, müssen wir den Diagnosen von Experten oder der Statistik entnehmen. Erst dieser komplette, seiner kritischen Vernunft beraubte und entmündigte Idiot ist reif für eine flächendeckende Marktwirtschaft, an deren „Gesetze“ er glauben darf wie der feudale Hintersasse an die Realexistenz von Hölle und Fegefeuer.
Aber schauen wir uns dennoch und umso gründlicher an, wie das mit dem Kapitalismus losging und wie er sich bis heute entwickeln konnte. Und lassen wir es darauf ankommen, ob wir Idioten bleiben (wollen):
Irgendwann am Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts muss es irgendwo in einer südwestdeutschen Alchimistenküche einen gewaltigen Knall gegeben haben; eine unvorsichtig zusammengestellte Mischung aus Salpeter, Schwefel und anderen Chemikalien flog in die Luft. Der wissbegierige Mönch, der dieses Experiment veranstaltete, hieß, nach allem, was wir heute wissen, Bertold Schwarz. Genaueres wissen wir nicht von ihm. Aber jene Explosion ist wahrscheinlich der eigentliche Urknall der Moderne gewesen. Die Chinesen kannten das Schießpulver übrigens schon lange vorher und nutzten es außer für prachtvolle Feuerwerke gelegentlich auch militärisch. Aber sie kamen nicht auf die Idee, mit Hilfe dieses Explosivstoffes weittragende Distanzwaffen für Projektile herzustellen, deren Wirkung im wahrsten Sinne des Wortes durchschlagend war. Diese Anwendung blieb den frommen Christen Europas vorbehalten. Nachgewiesen ist der Einsatz eines Geschützes erstmals für das Jahr 1334, als Bischof Nikolaus I. von Konstanz damit die Stadt Meersburg verteidigen ließ. Damit war die „Feuerwaffe“ geboren, bis heute (2015) das allgemein gebräuchliche Mordwerkzeug. Diese Basisinnovation der Moderne zog zunächst jene „Militärische Revolution“ (Parker) nach sich, die den historischen Aufstieg des Westens kennzeichnen sollte. Schon im Mittelalter hatte man die Folgen von wirksamen Distanzwaffen für die traditionelle gesellschaftliche Ordnung geahnt. Einschlägige ideologische Vorbehalte wurden geltend gemacht, als um das Jahr 1000 aus dem Orient die Armbrust als neuartige Distanzwaffe auftauchte. Das zweite Lateranische Konzil verbot 1129 den Einsatz dieses Kriegsinstruments als „unritterliche Waffe“. Nicht umsonst wurde seither die Armbrust zur Hauptwaffe der Räuber, Outlaws und Rebellen.
Die Feuerwaffe machte das stolze Rittertum vollends militärisch lächerlich. Allerdings befanden sich die „Feuerrohre“ nicht mehr in den Händen von Außenseitern. Denn sobald sich die Möglichkeiten der neuen Waffentechnik abzeichneten, gab es kein Halten mehr. Aus Furcht, ins Hintertreffen zu geraten, rissen sich die großen und kleinen Herrscher um die explosiven Wunderwaffen. Da hätte kein Konzil mehr geholfen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich das know how der neuen Vernichtungsmaschinen. Besonders in den oberitalienischen Städten der Renaissance mit ihrer relativ fortgeschrittenen handwerklichen Kunstfertigkeit schritt auch die Technologie der Feuerwaffen rascher voran als anderswo. Alle Leistungen und Entdeckungen in dieser Geburtsepoche der modernen Welt wurden überlagert von der Kunst, Kanonen zu bauen und einzusetzen. Am Anfang des 16. Jahrhunderts beschreibt der Norditalienische Theoretiker Antonio Cornazano diese alles entscheidende Rolle der Feuerwaffen, er besingt die Kanone geradezu und bezeichnet sie recht persönlich als >Madama la bombarda, die zum Sohn das Gewehr hat. Diese teuflische Kunst hat alle anderen ausgeschaltet und öffnet den Feinden die befestigten Städte und macht mit ihrem Dröhnen ganze Armeen erzittern< (zit. nach: zur Lippe 1988, 37).
Immer bessere (!) Gewehre wurden gebaut und vor allem immer größere Kanonen, die immer weiter schießen konnten. Die größten Feldgeschütze bekamen sogar Eigennamen. Im Gegenzug entwickelte sich die Technik des Festungsbaus. So war der erste Schub der Modernisierung identisch mit einem Rüstungswettlauf und dieser Vorgang hat sich bis heute geradezu als Wesensmerkmal der Moderne periodisch wiederholt. Je größer und technologisch ausgereifter aber die Kanonen und Bollwerke wurden, desto deutlicher trat auch der gesellschaftsverändernde Charakter der „militärischen Revolution“ zutage.
Es stellte sich sehr schnell heraus, dass die Innovation der Feuerwaffen keineswegs nur auf eine Veränderung der militärischen Technologie beschränkt blieb. Die daraus folgende Umwälzung in der Organisation und Logistik des Krieges schnitt noch viel tiefer in die Verhältnisse ein. Bis dahin waren in fast allen agrarischen Gesellschaften die bürgerliche und die militärische Organisation der Gesellschaft weitgehend identisch gewesen. In der Regel war jeder freie Vollbürger auch eine kriegspflichtige Militärperson. Ein Heer sammelte sich nur, wenn die jeweilige oberste Instanz in Gestalt von Kaiser, König, Herzog, Konsul usw. die Männer (!) „zu den Waffen rief“, um einen Kriegszug zu führen. Zwischen diesen Gelegenheiten existierte normalerweise kein nennenswerter militärischer Apparat. Zwar hatten einige Großreiche wie das chinesische oder das spätrömische bereits mehr oder minder starke Armeen ständig unter Waffen. Aber so aufwändig diese militärische Dauerbelastung des Öfteren auch sein mochte, sie konnte doch die allgemeine Produktions- und Lebensweise nur äußerlich berühren. Der entscheidende Unterschied liegt im Problem der Ausrüstung. Der vormoderne Krieger brachte seine Waffen mit und trug sie auch im Alltag oder bewahrte sie zu Hause auf. Helm, Schild und Schwert konnten nahezu in jeder Dorfschmiede produziert werden. Und jeder Hirtenjunge wusste, wie man Pfeil und Bogen oder eine Schleuder herstellt. Auch die gesamte Logistik der Kriegführung konnte dezentral organisiert werden. Dies entsprach ganz den weitgehend dezentralen Verhältnissen in der agrarischen Hochkultur. Die Zentralgewalt, selbst die despotische, war hier immer nur begrenzt wirksam, und ihr Arm reichte kaum in das alltägliche Leben hinein.
Damit war es nun für immer vorbei. Musketen und vor allem Kanonen konnte man nicht mehr in jedem Dorf herstellen und zu Hause aufbewahren oder sie gar gewohnheitsmäßig bei sich tragen. Das Mordwerkzeug war plötzlich überdimensional geworden und überstieg den Rahmen der menschlichen Verhältnisse. In der Kanone finden wir also gewissermaßen den Archetypus der Moderne, nämlich das Werkzeug, das seinen Schöpfer zu beherrschen beginnt. Es entstand eine neuartige Rüstungs- und Todesindustrie, die das Urbild oder die Matrix der späteren Industrialisierung bildete und deren Leichengeruch die modernen Gesellschaften einschließlich der Weltmarktdemokratien unserer Tage nie mehr losgeworden sind.
Der militärische Apparat begann, sich von der bürgerlichen Organisation der Gesellschaft loszulösen. Das Kriegshandwerk wurde zum spezialisierten Berufsstand und die Armee zu einer ständigen Einrichtung, die die übrige Gesellschaft zu dominieren begann, wie Geoffrey Parker in seiner Untersuchung zeigt: >Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung nahm die Größe der Armeen in ganz Europa zu, die bewaffneten Streitkräfte einiger Staaten wuchsen zwischen 1500 und 1700 um das Zehnfache, und die Strategien für den Einsatz dieser größeren Armeen wurden ambitionierter und komplexer {…} Schließlich führte die militärische Revolution dazu, dass sich die Auswirkungen des Krieges auf die Gesellschaft in dramatischer Weise verschärften: die Kosten stiegen, die Schäden mehrten sich und die größeren Armeen stellten höhere Anforderungen an die Verwaltung< (Parker 1990, 20).
Auf diese Weise wurden die gesellschaftlichen Ressourcen in einem nie dagewesenen Umfang für militärische Zwecke umgeleitet. Sicherlich hatte es auch früher schon gelegentlich eine Art Vergeudungsmilitarismus gegeben, aber niemals derart dauerhaft und mit einem so hohen Anteil am Sozialprodukt. Der neue Rüstungs- und Militärkomplex entwickelte sich rasch zum unersättlichen Moloch, der ungeheure Mittel verschlang und dem die besten gesellschaftlichen Möglichkeiten geopfert wurden. „Madama la bombarda“ verschlang aber nicht nur einen unverhältnismäßig großen Teil des gesellschaftlichen Produkts, sondern sie gab auch der bis dahin sehr begrenzten Geldwirtschaft den entscheidenden Schub. Vermittels der steigenden landwirtschaftlichen und handwerklichen Produktivität allein wäre dieser Durchbruch des Geldes zur beherrschenden anonymen Macht niemals möglich gewesen. Über die Jahrtausende hinweg hat es zwar immer wieder technische Neuerungen gegeben. Aber in der Regel zogen es die Menschen vor, den Produktivitätsgewinn für Mußezeit und sinnliches Wohlleben statt für die Akkumulation von Geldkapital zu verwenden. Eine derart verrückte Form der Entwicklung von Produktivkräften konnte nur zwangsweise von außen durchgesetzt werden. Und die aus der Gesellschaft herausgelöste neue Rüstungs- und Militärmaschine bot die besten Voraussetzungen dafür.
Weil die Produktion von Feuerwaffen nicht mehr dezentral im Rahmen der agrarischen Haus- und Naturalwirtschaft zu betreiben war, musste sie gesellschaftlich konzentriert werden. Dasselbe galt für die stehenden Heere und Militärapparate, deren Angehörige nunmehr hauptberufliche Auftragsmörder waren und sich aus keiner eigenen hauswirtschaftlichen Produktion mehr ernähren konnten. Das einzig mögliche Medium für die Reproduktion der herausgelösten Militärmaschine war das Geld. Der Abstraktion (Herauslösung) des Feuerwaffen-Apparates von den materiellen gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprach die Abstraktionsform Geld als adäquates Medium. Die permanente Rüstungsökonomie der Kanonen und strukturell verselbstständigten Großarmeen wurde also gesellschaftlich in eine entsprechende Ausdehnung der Geldvermittlung übersetzt. Sie speiste sich zwar aus verschiedenen Quellen, die aber allesamt den Konsequenzen der „militärischen Revolution“ entsprangen.
Und erst in dem Maße, wie Clans von Kaufleuten – z.B. die berüchtigten Fugger – zu Kriegsfinanziers der Feuerwaffenherrschaft aufstiegen, wurde das Interesse auf schiere Geldakkumulation umgeschaltet. Als Gläubiger der Fürsten waren diese Finanziers an einer möglichst exorbitanten, zu versilbernden Kriegsbeute interessiert. Dieses von allen gesellschaftlichen Bindungen losgelöste abstrakte Gewinnkalkül wiederholte sich bei den Söldnerführern. Die abstrakte Rationalität der modernen Betriebswirtschaft kam also aus den Gewehrläufen und Kanonenrohren von berufsmäßigen Mordbrennern, nicht aus dem Interesse an gesellschaftlicher Wohlfahrt.
Die frühmodernen Söldnerführer (Condottieri) ebenso wie ihre Untergebenen, die einfachen Kanoniere und Musketiere, waren die ersten ganz aus der agrarischen naturalen Reproduktion freigesetzten und also bindungslos gewordenen Subjekte. Damit bildete ihre Daseinsform den Prototyp der Subjektform überhaupt, die erst in der Moderne als Abstraktion der Tätigkeit von den Bedürfnissen zum allgemeinen gesellschaftlichen Prinzip werden sollte. Die Betätigung der Musketen und Kanonen war gewissermaßen die Frühform der „abstrakten Arbeit“ (Marx). Vor diesem Ausdruck stutzen noch heute die meisten Menschen, obwohl nicht schwer zu begreifen ist, was er sagen will. „Abstrakte Arbeit“ ist eine Tätigkeit, die gegen Geld verrichtet wird und bei der das Geldinteresse entscheidend, also der Inhalt relativ gleichgültig geworden ist. In der Urform moderner Geldsubjektivität ging diese Gleichgültigkeit unmittelbar bis zur Vernichtung, wobei auch die eigene in Kauf genommen wurde. Die Objektivierung der Welt für eine gleichgültige Plusmacherei schloss die Selbstobjektivierung durch das Todesrisiko ein. Das identische Subjekt-Objekt der Geschichte waren prototypisch die Todesunternehmer und Todesarbeiter gleichermaßen, die Söldnerführer alias Manager ebenso wie die Soldaten alias Lohnarbeiter. Es ist gleichgültig, gegen wen und wofür man Krieg führt, in welchen Produktionszweig investiert wird, welche Art von Arbeit man verrichtet, Hauptsache die Kohle stimmt, mag darüber auch die eine oder andere Welt zugrunde gehen. Diese Vernichtungsmacht des Geldes verkleidete sich zuerst noch in Bilder des bäuerlichen Lebens. Vor der „Kohle“ war das „Heu“ der Slang- Ausdruck für das abstrakte Geldinteresse. „Geld wie Heu“ wollte man „machen“, sonst war alles egal.
Die einfachen Soldaten in den entstehenden Militärapparaten verrohten und wurden gleichzeitig mangels eigener Produktionsmittel sozial degradiert. Diese armen Schweine waren auch die Ersten, die arbeitslos werden konnten. Wenn kein Geld mehr in den Kassen der Kriegsherren war, schmolzen die Arbeitsplätze in den Armeen dahin. Viele Musketiere und Kanoniere wurden Opfer von Massenentlassungen; sie standen dann ohne jede Absicherung buchstäblich auf der Straße und waren gefürchtet als herumstromernde Bettler, Räuber und Gelegenheitstotschläger. Der Typus des entwurzelten und oft arbeitslosen Soldaten war eine Massenerscheinung.
Kriegsbeute und Verschuldung bei den handelskapitalistischen Kriegsfinanziers waren aber unzureichend, um die Militärmaschine am Laufen zu halten. In demselben Maße, wie diese Maschine gefüttert werden musste, wurde die gesamte gesellschaftliche Reproduktion für diesen Zweck abgeschöpft und eben deshalb gleichzeitig der Geldform unterworfen. Zunächst hieß es, die bisherigen naturalen Abgaben zu monetarisieren. War die naturalwirtschaftliche Steuer noch an den realen agrarischen Ertrag gebunden, so abstrahierte die Geldsteuer völlig von den natürlichen Bedingungen und übertrug damit die Logik des militärischen Apparates auf den lebensweltlichen Alltag. Der unersättliche Geldhunger der Feuerwaffenherrschaft wurde zum bestimmenden Moment. Nach neueren Berechnungen stieg die steuerliche Belastung zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert um nicht weniger als 2200 Prozent. Dieses Aufzwingen der Geldform demoralisierte die Menschen dieser Zeit vollkommen. Steuereintreiber bildeten nach den Kriegsfinanziers und Condottieri einen weiteren Prototypen des freien Unternehmertums, indem sie dem Staat gegen eine Pauschale das Recht zur Eintreibung des Geldes abkauften. Und wer nicht bezahlen konnte, dem wurde vom Gerichtsvollzieher notfalls die letzte Kuh oder das Handwerkzeug konfisziert, um daraus Geld zu machen. Aber auch die Verwandlung der Naturalleistungen in Geldsteuern und deren exorbitante Erhöhung konnte den Geldhunger der Kriegsmaschinen nicht befriedigen. Die Militärdespotien der sogenannten Modernisierung gingen dazu über, eigene Produktionsunternehmen außerhalb der Gilden und Zünfte zu gründen, deren Zweck nicht mehr Bedürfnisbefriedigung, sondern einzig und allein Geldbeschaffung war. Diese staatlichen Manufakturen und Plantagen produzierten erstmals für einen großräumigen anonymen Markt, der schließlich zur Voraussetzung der freien Konkurrenz werden sollte. Und weil sich niemand freiwillig für die billige Lohnarbeit hergab, setzte man Sträflinge, gefangen gehaltene Geisteskranke und in der Peripherie auch Sklaven ein. Es wurden sogar eigens Delikte erfunden, um massenhaft Zwangsarbeiter zu bekommen. Die Herren Direktoren der neuen Zucht- und Arbeitshäuser für den im Zuge der gesellschaftlichen Zwangsmonetarisierung entstehenden freien Markt vervollständigten die illustre Gesellschaft von Prototypen des freien Unternehmertums.
Die Condottieri, die sich und ihre Privatarmeen an den meistbietenden Stadt- oder Landesherrn verkauften, waren nur eine Übergangserscheinung. Bald nahmen die zunächst nur als Auftraggeber in Erscheinung tretenden fürstlichen Administrationen die Sache selbst in die Hand. Was später zum Entwicklungsgesetz der modernen Ökonomie werden sollte, setzte sich zuerst auf der Ebene der mit Feuerwaffen Krieg führenden Mächte durch; die großen Fische fraßen die kleinen.
Einmal durch die selbst tragende Dynamik der „militärischen Revolution“ in Gang gesetzt, prallten die frisch gebackenen frühmodernen Staatsgebilde in einer Expansionsbewegung aufeinander. In bis dahin beispiellosen Blutbädern maßen sie ihre erstmals großtechnologisch fundierten Kräfte, um die Vorherrschaft in Europa neu auszukämpfen. Zutreffend hat der liberalkonservative Schweizer Historiker Jacob Burckhard vom „Staatsbildungskrieg“ der frühen Neuzeit gesprochen, denn damals entstanden die Grundstrukturen der heute noch gültigen Machtgebilde und dessen, was wir – als Kehrseite der monetarisierten Reproduktion – Politik nennen. Hier wollen wir festhalten, dass Politik grundsätzlich lediglich eine Handlungsform ist, um nach außen abzugrenzen und eigene Machtansprüche dorthin gegebenenfalls gewaltsam durchzusetzen und nach innen den irrealen Selbstzweck des „Geldmachens“ zu sichern also das Menschenmaterial dafür zu domestizieren und zu verwalten. Politik ist folglich immer Gewalt, auch wenn wir Marktidioten alles mit uns freiwillig machen lassen. Zugleich ist Politik ein Produkt der Staatsbildung und so an den Staat gebunden. Den Staat gibt es nur im Plural. Das Ende des Staates bedeutet das Ende der Politik. Wir werden später sehen, worin hier die Bedeutung liegt.
Die damals mit der „militärischen Revolution“ erreichte Dynamik wurde durch die Entdeckung Amerikas noch beschleunigt. In demselben Maße, wie die moderne Kriegstechnik ins Rollen kam, entwickelte sich aus dem Geldhunger der Militärmaschinen auch die koloniale Expansion in beide Teile Amerikas, die ohne Feuerwaffen undenkbar gewesen wäre. Bekanntlich metzelten Abenteurer wie Pizarro mit ein paar Kanonen und einer Hand voll Musketiere ganze Indianervölker nieder. Rüstungsökonomie und Kolonialismus schaukelten sich gegenseitig hoch. Der permanente Transit über den Atlantik erforderte riesige Flottenprogramme, die wiederum nur mit abstrakter Geldökonomie bewerkstelligt werden konnten. Der „Staatsbildungskrieg“ nahm transkontinentale Dimensionen an. Hinter der Logik der Kanonen lauerte die Hybris der Weltherrschaft. Denn ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelblatt
  3. Urheberrecht
  4. Einleitung
  5. Kapitalismus - verstehen - abschaffen
  6. Literatur