Die 12 Stationen der Odyssee - Hürden auf dem Weg zur Berufung
eBook - ePub

Die 12 Stationen der Odyssee - Hürden auf dem Weg zur Berufung

Ein mythologischer Beitrag zur Überwindung von Täuschung und Irrtum

  1. 360 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Die 12 Stationen der Odyssee - Hürden auf dem Weg zur Berufung

Ein mythologischer Beitrag zur Überwindung von Täuschung und Irrtum

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

In diesem Buch wird eine außergewöhnliche Verknüpfung hergestellt, die für unsere heutige Zeit von großem Nutzen sein kann: Die zwölf Stationen der Heimreise des Odysseus, so wie sie Homer erzählt, werden in Verbindung gebracht mit dem archetypischen Lebensweg eines jeden Menschen. Jede Station der Irrfahrt ist dabei eine Geschichte für sich, in der Homer uns von einem menschlichen Irrtum erzählt, dem eine Täuschung zugrunde liegt.Die hier erfolgte Deutung dieser zwölf Stationen ergibt einen deutlichen Hinweis, um welchen grundlegenden Irrtum es sich hierbei handelt.In der Erzählung von der heldenhaften Reise des Odysseus offenbart sich nicht nur der Irrtum, sondern auch der Weg heraus aus Irrtum und Täuschung. Wer bereit ist, sich auf die hier beschriebenen zwölf Stationen der Heimreise einzulassen, dem kann es gelingen - frei von Täuschung und Enttäuschung - in der Heimat seiner Seele anzukommen und seine Berufung zu erfüllen.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Die 12 Stationen der Odyssee - Hürden auf dem Weg zur Berufung von Johann Wolfgang Denzinger im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Philosophie & Philosophische Essays. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Verlag
tredition
Jahr
2019
ISBN
9783748257073
1. Station: Der Kampf mit den Kikonen
Als mit Trojas Fall der zehnjährige Krieg sein Ende findet, heißt es für die Sieger, nach Hause zurückzukehren. Auch Odysseus und seine Gefährten besteigen die Schiffe, um ihre Heimreise nach Ithaka anzutreten. Ein starker Wind lenkt zunächst die Flotte von 12 Schiffen nach Ismaros ins Land der Kikonen. Die Kikonen waren Verbündete der Trojaner, daher greifen Odysseus und seine Mannen die Kikonen ohne jegliche Vorwarnung an, zerstören die Stadt und töten die Männer. Dann verteilt Odysseus die erbeuteten Güter an alle zu gleichen Teilen und treibt die Gefährten an, das Land so schnell wie möglich zu verlassen. Doch jene hören nicht auf ihn, vielmehr lassen sie sich genüsslich nieder, sprechen dem wohlschmeckenden Wein zu und schlachten reichlich Schafe und Rinder. Währenddessen holen die entkommenen Kikonen Verstärkung. Überlegen an Zahl und Kampfeskraft eilen sie am anderen Morgen herbei, um nach Zeus Willen ein schlimmes Schicksal über die Heimreisenden zu bringen. Odysseus und seine Gefährten wehren sich anfangs zwar tapfer, doch gegen Abend nötigt sie die erdrückende Überlegenheit der Kikonen zur Flucht. Sechs Gefährten von jedem Schiff gehen im Kampf zugrunde, alle anderen entkommen dem bösen Verhängnis.
Betrübt über die Verluste und doch froh, dem Tod entronnen zu sein, segeln sie weiter - der Heimat entgegen. Ein stürmischer Nordwind jedoch, vom Wolkensammler Zeus erregt, treibt die Schiffe mit herabgedrücktem Bug wie Spielzeuge vor sich her, zerfetzt die Segel und zwingt alle festes Land anzusteuern. Zwei Tage und zwei Nächte hält sie der Sturm gefangen, dann - am dritten Tag - kündet Eos, die rosenfingrige Morgenröte, das Ende des schlechten Wetters und verheißt eine erfolgversprechende Weiterfahrt. Schnell sind die Segel gehisst und die Ruderbänke besetzt - die Reise nach Ithaka wird fortgesetzt. Und die glückliche Heimkehr wäre wohl gelungen, wenn nicht Strömung und Nordwind bei der Umrundung von Maleia Odysseus und seine Gefährten an Kythera vorbei aufs offene Meer hinausgetrieben hätten - fernen Ländern und unbekannten Abenteuern entgegen.
Bei den Kikonen
Jede Begegnung im Leben hat ihre Vergangenheit und wird - oft nachhaltig - von ihr beeinflusst. Alle Erlebnisse hinterlassen Eindrücke, sind die Erlebnisse besonders tiefgreifend, prägen sie uns und unseren Charakter. Im Laufe der Zeit formt sich so unsere „eigene Art“, jene Eigenart, mit der wir der Welt begegnen und auf sie reagieren. Was dabei für uns oft selbstverständlich ist - unser ganz normales Verhalten -, kann gleichwohl von Fremden als „eigenartig“ empfunden werden. Uns geht es dabei nicht anders, oft befremdet uns die Art der anderen - und nicht selten möchten wir den „Fremden“ aus unserem Lebensbereich verbannen.
Odysseus und seine Gefährten haben zehn schier endlos lange Jahre des Kampfes um Troja hinter sich - das würde jeden Menschen prägen. Kampf, Eroberung und Sieg sind zum erstarrten inneren Muster geworden, andere Möglichkeiten sind unbekannt, vergessen, im tiefsten Inneren vergraben. Sich allem zu bemächtigen, alles zu nehmen und an sich zu reißen, ist ebenso „normal“ wie Schwache und Wehrlose auf die Seite zu drängen oder gar aus dem Weg zu räumen.
„Es lebe der Kampf und der Sieg!“, so lautet das Motto.
In der ersten Station der Odyssee beschreibt Homer die Begegnung mit den Kikonen. Vor allem die kampferprobten Gefährten des Odysseus morden und plündern, ganz wie es ihnen gefällt. Was im Wege steht, wird niedergemacht, was Widerstand bietet, wird umgebracht, was nicht niet- und nagelfest ist, wird an sich gerissen. Auf die besonnenen Worte des klugen Odysseus, so schnell wie möglich abzuziehen und weiterzusegeln, hört niemand. So kommt es wie es kommen muss: Die Kikonen, ein mit den Trojanern verbündeter Volksstamm, setzen sich zur Wehr, sie holen Verstärkung und überwältigen die heimfahrenden Griechen. Mit Müh und Not entkommt Odysseus, verliert aber viele seiner Gefährten.
Danach treiben Stürme ihn ab, er verliert die Orientierung und die eigentliche Irrfahrt beginnt. Alle nachfolgenden elf Stationen, die auf ihn noch zukommen, sind ihm fremd - eine Zeitlang verweilt er dort und zieht irgendwann weiter, ohne wirklich zu wissen, wo sein geliebtes Ithaka liegt.
Odysseus und seine Gefährten
Hier bereits macht uns Homer den Zwiespalt zwischen Odysseus und seinen Gefährten deutlich. Klugheit und Besonnenheit - die Attribute der Göttin Athene - mahnen Odysseus, schnellstmöglich weiterzufahren, doch die Gefährten denken und handeln anders. Und Odysseus, der eigentlich nur Troja hinter sich lassen und auf dem schnellsten Wege in seine Heimat zurückkehren wollte, hört auf seine Gefährten und nicht auf Athenes Rat. Die Folgen kennen wir, doch auch die Niederlage hat ihr Gutes: Odysseus ist von seiner Unvernunft geheilt.
Lösen wir die Geschichte mit den Kikonen aus ihrer „Verpackung“, betrachten wir ihren Inhalt und übertragen wir sie auf unsere Zeit. Ist uns dieser Ablauf wirklich fremd: Irgendwohin kommen, sich soviel wie möglich aneignen oder in Besitz nehmen, den scheinbar „Schwächeren“ an die Wand drängen oder wenn möglich ganz aus dem Felde schlagen?
Schauen wir in die große Welt, dort wo „menschliche Haie und Raubtiere“ ihre Plätze eingenommen haben. Hier - im Außen - erkennen wir Homers Botschaft besser. Kampf und Krieg, Eroberung und Unterdrückung finden überall statt, sie sind nicht schwer auszumachen. Beängstigend ist jedoch ganz etwas anderes: Dass wir zustimmen und einverstanden sind. Niemand entdeckt darin etwas Ungehöriges. Wir sind davon überzeugt, dass die Welt so ist und schon immer so war, Kampf und Krieg gehören zu ihr wie Sturm und Hagel zum Wetter - und schon alleine deswegen ist dagegen nichts zu machen.
Es ist an der Zeit, sich an die Klugheit und Besonnenheit der jungfräulichen Athene anzuschließen. Die Bekämpfung eines Gegners, er mag heißen wie er will, ist ein untaugliches Mittel, weil sie sich gegen die Menschlichkeit und damit gegen die ganze Menschheit richtet. Hier ist eine wichtige Botschaft versteckt: Alles Unmenschliche ist immer gegen die Gesamtheit aller Menschen gerichtet. Deshalb lässt Homer am Ende alle Kikonen gegen Odysseus und seine Mannen ziehen. Ein Angriff auf einen einzelnen Kikonen wird dort empfunden als Angriff auf alle und ruft die gemeinsame Gegenwehr hervor.
Athene ist zwar als Göttin dem fairen Kampf zugetan, aber dem wilden Kämpfer Ares, dem Kriegsgott, tritt sie als erklärte Feindin gegenüber. Mehrfach bekommt Ares im Mythos auch Athenes Überlegenheit zu spüren. Sie steht an der Seite des Helden, der für das Große und das Gute kämpft, aber nicht an der Seite des Zankenden oder Streitsüchtigen, der seine Gegner zu Unterlegenen und Verlierern machen möchte. Ein solcher Sieg ginge auf Kosten eines anderen, Schwächeren und verletzt die Menschenwürde.
Auch Odysseus kämpft. Alle seine Kräfte, seine Klugheit, seinen Mut setzt er ein, um nachhause zu kommen. Das ist gut für alle Beteiligten, das ist gegen niemanden gerichtet. Solche Kämpfer liebt Athene, weil sie der Menschheit nützen und sie fördern - und die Entwicklung auf der Erde vorantreiben. Alle anderen Formen von Kampf dürfen enden, sie fügen Menschen in irgendeiner Form Schaden zu. Und wenn ein einziger Mensch zu Schaden kommt, kommt mit ihm auch ein „Teil der Menschheit“ zu Schaden, dies alleine rechtfertigt die Unterlassung des Kampfes. Deutlich spüren wir die Nähe zur christlichen Botschaft: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder antut, das habt ihr mir angetan!“.
In der ersten Station zeigt uns Homer einen grundlegenden Irrtum, der mit unserer „kämpferischen Natur“ zusammenhängt. Sicherlich können wir auf viele Lebenssituationen verweisen, in denen der Kampf gegen andere notwendig war und uns scheinbar weitergebracht hat. Wir haben uns durchgesetzt, wir haben gesiegt und waren dem Gegner überlegen. Doch die Schattenseite des Triumphes ist Verletzung, Kränkung und Herabsetzung. So sammelt sich gleichzeitig ein Potential an Abneigung, Feindschaft, ja vielleicht sogar an Hass an, das sich gegen uns richtet. Wir neigen dazu, dies als unumgängliche Begleiterscheinung abzutun. Wir zucken mit der Achsel und erklären, dass „das Leben eben so sei“. Eine unglaublich dreiste Formulierung setzt dem die Krone auf mit der Behauptung: „Schließlich kann man es nicht jedem recht machen“. Wieviel Unrecht ist wohl im Namen dieser Formel schon geschehen? Dem „Odysseus in uns“ ist dies bewusst, denn die Erfahrung hat ihm gezeigt, dass Feindschaft und Hass immer wieder auf ihn selbst zurückfallen.
Dass es Situationen im Leben gibt, in denen Menschen Unrecht und Leid zugefügt wird, ist unbestritten. Wir müssen es als Tatsache hinnehmen. Dass wir diesen Zustand aber als Rechtfertigung für weiteres Unrecht nützen, ja weiteres Unrecht damit geradezu sanktionieren, genau das hat mit dem Irrtum zu tun, den Homer uns in der ersten Station der Irrfahrt vor Augen führt. Odysseus und seine Gefährten haben während des Trojanischen Krieges eine seltsame Art von „Rechtsauffassung“ entwickelt, die sich aus höherer Sicht eher als „Unrechtsauffassung“ entpuppt - und keiner ist sich dieses Geschehens bewusst. Deshalb tritt Athene an die Seite des Odysseus, um ihn aufzufordern, das Land der Kikonen sofort zu verlassen. Die Göttin will Unrecht verhüten, aber das Denken des Odysseus ist noch gebunden an die Zeit des Trojanischen Krieges. Uns Leser lässt Homer dies unmittelbar spüren. Wir schütteln den Kopf, wenn wir hören, dass Odysseus bei den Kikonen landet, Städte zerstört, Menschen tötet und Güter raubt - und das einfach so, ohne Grund. Manchmal sagen wir, der „Feind sitzt im Denken“. Selten jedoch wird uns die Richtigkeit dieser Aussage so klar vorgeführt: Der Krieg um Troja ist vorbei, der Kampf gewonnen - aber die Feinde bleiben. Wir selbst erhalten sie am Leben, in uns, in der Art und Weise unseres Denkens.
Gerade wenn wir gesiegt haben wie Odysseus, durch List und Tücke, durch Täuschung und Betrug, bleibt in uns ein „Unrechtsbewusstsein“ wie eine Art schlechtes Gewissen. Eine undefinierbare Angst entsteht, dass eines Tages der Betrogene sich rächt oder der Betrug ans Licht kommt. Diese Angst besetzt das Denken und erzeugt Feindbilder gegen jedermann, der - wenn auch nur entfernt - mit dem Betrogenen verbunden zu sein scheint. Die Kikonen sind Verbündete der Trojaner, hier muss selbst Odysseus denken, dass sie gegen ihn und seine Gefährten eingestellt sind - Feindbild und Feind sind immer noch fest in ihm verankert.
Dieser Zusammenhang muss Odysseus plötzlich gekommen sein, als Athene an seine Seite tritt. Im Land der Kikonen darf und soll er die alten Feindbilder und mit ihnen sein „altes Denken“ zurücklassen. Doch einfach ist es nicht, zu sehr hat es sich im Kopf eingenistet. So folgt er den Gefährten und entfernt sich von Athene. Irren ist eben menschlich, daran ist nicht zu rütteln.
Genau besehen geht es aber nicht um unsere begangenen Irrtümer, sondern um unsere künftige Befreiung. Sicherlich müssen wir zuerst unsere weltlichen Siege davontragen und des Kämpfens müde werden wie Odysseus, dann kann die Heimreise beginnen. Wer aber heimkehren und ankommen will, braucht neue Kräfte und andere Fähigkeiten. Kämpfe verwickeln, trüben den Blick, schaffen Feinde und Widerstand, all das verzögert, anstatt zu fördern. Noch haben die „Gefährten in uns“ die Übermacht, sie müssen erst untergehen, ehe wir nach grundsätzlich anderen Wegen suchen.
In der ersten Station der Irrfahrt geht es um eine grundlegende Einsicht: Alles, was wir für richtig halten, könnte auch falsch sein, und alles, was wir bisher getan haben, könnten wir in Zukunft auch anders handhaben. Diese Einsicht will uns öffnen für eine neue Betrachtung und eine neue Beziehung zur Welt. Es geht weder um die Verurteilung der Vergangenheit noch um einen Blick zurück, der ohnehin unfruchtbar wäre, sondern es geht um eine völlige Neuorientierung mit dem Blick nach vorne. Das kann aber nur stattfinden, wenn wir unsere alten Glaubenssätze herausnehmen aus jeglicher Bewertung von „gut oder böse“. Unsere Art zu denken und die daraus resultierenden Glaubenssätze sind nämlich weder gut noch böse. Sie haben uns dorthin gebracht, wo wir uns heute befinden - und das ist gut so.
Doch ab jetzt, ab sofort dürfen wir die Welt neu sehen. Der Kampf ist endgültig vorüber, auch in uns. Wir erkennen die Niederlage des Odysseus nicht als Versagen, sondern als glückliche Fügung. Sicherlich werden wir auf irgendeine Art und Weise weiterkämpfen, doch dort, wo der Widerstand überhandnimmt und der Kampf unfruchtbar wird, werden wir uns an Odysseus und die Kikonen erinnern - wir geben nach und ziehen weiter. Widerstand und Gegenwehr werden so für uns richtungsweisend, bis wir eines Tages zu der Erkenntnis kommen, dass jeglicher äußere Widerstand korrespondiert mit einem inneren „Nein“. Wollen wir eines Tages diesen Widersacher in uns überwinden, bedarf es der inneren Wandlung, denn der Widerstand sitzt in unserem Denken, nicht in der Hand unseres Gegners. Doch der Vollzug dieser Wandlung zählt nicht mehr zu den Irrfahrten, sondern bereits zu den Heldentaten des Menschen.
Täuschung und Irrtum
Jedem Irrtum liegt eine Täuschung zugrunde. Wir wollen versuchen, zur Täuschung vorzudringen. Bei der ersten Station der Irrfahrt, bei den Kikonen, geht es um Kampf und Eroberung - und um die „Geister der Vergangenheit“. Suchen wir also nach dem, was uns immer wieder in die Gegensätze verstrickt, in Kämpfe hineinzieht und in uns Feindbilder entstehen lässt.
Wo liegt die Wurzel des Übels? Um diese Frage zu klären, bedarf es einiger Selbsterkenntnis. Es ist dabei notwendig, unsere Art zu denken genau zu beobachten. Als Menschen befinden wir uns auf dem Weg der Erkenntnis von Gut und Böse. Wir werden, so versprach uns die biblische Schlange, „erkennend wie Gott gut und böse“.
So blicken wir in die Welt hinaus, sehen Gutes und Böses. Da in uns das Göttliche wohnt und mit ihm der Drang zum Guten, kommt es nun zu einer fatalen Täuschung: Wir wollen „wie Gott sein“ und selbst das Gute in die Welt bringen. An sich eine noble Absicht, sie scheitert nur daran, dass wir nicht Gott sind. Vielleicht erfassen wir eines Tages den ganzen Schöpfungsplan, erkennen die Gedanken des Schöpfers und wissen, was wirklich „gut“ ist. Dann können wir auch das Gute in die Welt bringen. Doch solange dieser Erkenntnisprozess nicht abgeschlossen ist, sollten wir lieber die Finger davon lassen und erst unserem Auftrag als Menschen nachgehen, nämlich die dafür erforderliche Selbsterkenntnis zu gewinnen. Wir wissen ja selbst aus unserem eigenen Leben, dass alles, was wir „gut“ nennen, einem starken Wandel unterliegt.
Verfolgen wir einmal weiter, was geschieht, wenn wir dennoch das Gute in die Welt bringen möchten. Nehmen wir dazu als Beispiel den Frieden. Sicherlich sind wir alle fest davon überzeugt, dass Frieden für alle Menschen gut ist, Tatsache ist aber gleichzeitig, dass nirgendwo wirklicher Friede herrscht. Also ist es „gut“, alles für den Frieden zu tun. Nun scheiden sich aber die Geister, denn je nach Wahrnehmung und Entwicklungsstand halten wir unterschiedliche Maßnahmen dafür geeignet, den Frieden zu bringen. Und jede von der einen Seite begrüßte Maßnahme, schafft Gegner auf der anderen Seite. Es kommt zu Auseinandersetzung und Kampf. Siegt die eine Seite, stellt sich bald heraus, dass der Frieden Illusion war, schließlich gibt es ja die andere Seite, die - weil unzufrieden - den Frieden sabotiert. Da wir nicht wissen, was für alle „gut“ ist, spaltet die Absicht, Gutes zu tun in mindestens zwei Lager - von nun an steht dem „Für“ ein „Wider“ entgegen.
Das Unwissen über diesen Zusammenhang führt uns unmittelbar in die entsprechende Täuschung hinein: Indem wir uns einbilden, zu wissen, was gut ist, richten wir unsere Intension auf die Bekämpfung der Widersacher. Was sich unserer Einsichtsebene entzieht, ist die Tatsache, dass wir durch unser „Dafür“ den Widersacher selbst hervorgebracht haben. Täuschung und dazugehöriger Irrtum sind fest in uns verankert, nur wenigen ist es bis heute gelungen, das „Land der Kikonen“ ganz zu verlassen. Wir werden nicht müde, immer wieder das Beste zu wollen, und sind bereit, alles dafür zu tun. Aber am Ende landen wir beim Kampf gegen diejenigen, die das scheinbar Beste verhindern wollen. Dies gipfelt, um bei dem Beispiel zu bleiben, darin, dass die „Friedensbewegung“ militant wird und gegen die sogenannten „Kriegstreiber“ schon mal gewalttätig vorgeht. So verstärkt die Friedensbewegung den Unfrieden, auch wenn sie das erklärtermaßen nicht will.
Was kann uns aus diesem schier ausweglosen Labyrinth befreien, wenn nicht die Klugheit von Athene. Für uns bedeutet dies, genau hinzuschauen. Wofür setzen wir uns ein - und wogegen kämpfen wir. So winzig dieser Unterschied anfangs aussehen mag, so kolossal ist später seine Auswirkung. Sich für etwas einsetzen bedeutet nämlich keinesfalls, dass wir dabei andere bekämpfen müssen. Diese Verknüpfung entsteht erst in unserem Denken, und zwar aufgrund unserer vergangenen Erfahrungen. Und diese unselige Verknüpfung will aufgehoben werden. Ein sich Einsetzen für das Gute ist keinesfalls ein Kampf gegen das Böse. Wenn dem so wäre, würde ja jeder „humanitäre Einsatz“ stets zum Kampf gegen das Böse ausarten.
Für den einzelnen Menschen wie für die ganze Menschheit folgt daraus, dass vor jedem Einsatz von Kräften die Frage zu stellen wäre, ob diese Kraft wirklich auf die Förderung des Guten ausgelegt ist. Und es ist zu prüfen, ob nicht doch jene Kraft auf die Beseitigung des Bösen abzielt und damit sinnlos vergeudet wird. Ja, vergeudet ist das richtige Wort, weil diese Energie niemals dem Guten dienen kann, mögen wir auch noch so „einleuchtende Gründe“ anführen. Diese Gründe gehören zur selben Täuschung wie die daraus abgeleitete Rechtfertigung.
Befinden wir uns im Irrtum, so ist alles, was darauf aufbaut, ebenfalls Irrtum - auch ein Irrtum hat seine folgerichtige Logik.
Athene, Odysseus und der Mensch
Was die alten Griechen unter der „Klugheit der Göttin Athene“ verstanden haben, hat mit unserem Intellekt und mit dem daraus ermittelten Intelligenzquotienten wenig zu tun. Klugheit ist das Wissen, das ein Mensch gewinnt, wenn er gelernt hat, über den „Dingen“ zu stehen, ohne von den „Dingen“ abgetrennt zu sein. Sich selbst also in Beziehung zu allem, was ist, wis...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelblatt
  3. Urheberrecht
  4. Widmung
  5. Inhalt
  6. Vorwort
  7. Einfuhrung
  8. 1. Station: Bei den Kikonen
  9. 2. Station: Die Lotophagen
  10. 3. Station: Bei den Kyklopen
  11. 4. Station: Bei Aiolos, dem König der Winde
  12. 5. Station: Im Land der Laistygonen
  13. 6. Station: Bei Kirke
  14. 7. Station: Im Reich der toten Seelen
  15. 8. Station: Rückkehr zu Kirke
  16. 9. Station: Die Sirenen
  17. 10. Station: Zwischen Skylla und Charybdis
  18. 11. Station: Die Rinder des Helios
  19. 12. Station: Bei Kalypso
  20. Der Kampf gegen das Böse
  21. Der Blick zurück als Blick nach vorne
  22. Der sich schließende Kreis
  23. Autor