Kapitel 1:
Der Religionsverkünder Mohammed
Die vorislamische Zeit
Mohammed, mit vollem Namen Abul Kasim Muhammad Ibn Abd Allah, wurde um 570 n.Chr. in der Oasenstadt Mekka auf der Arabischen Halbinsel geboren. Wegen des felsigen Bodens in der größten zusammenhängenden Wüste der Welt war Ackerbau in dieser Region kaum möglich, aber die Stadt entwickelte sich zu einem reichen Handelsplatz. Mekka kontrollierte große Teile des Handels im arabischen Raum. Im Zentrum der Stadt steht die Kaaba, ein würfelförmiges Gebäude, der Überlieferung nach das älteste Gotteshaus der Welt. Abraham und Ismael gelten als ihre Erbauer.
Die Kaaba war auch in vorislamischer Zeit ein Heiligtum verschiedener Gottheiten. Der geweihte Ort brachte wirtschaftliche Vorteile und Schutz vor Blutrache. Damals wie heute spielten Sippen eine wichtige Rolle. Mohammeds Familie gehörte zu der hochangesehenen Sippe der Haschemiten vom Stamme Quraish. Seine Eltern zählten zu den Ärmeren. Sie starben früh. Mohammeds Erziehung und Ausbildung als Kaufmann übernahmen sein Großvater und später sein Onkel.
Mit 25 Jahren heiratete er die um 15 Jahre ältere und reiche Kaufmannswitwe Khadija kennen. Khadija (Chadīdscha bint Chuwailid) blieb bis zu ihrem Tod 25 Jahre lang Mohammeds einzige Ehefrau. Sie trat als erste Anhängerin Mohammeds zum Islam über und wird deshalb auch als „Mutter der Gläubigen“ bezeichnet. Unter ihrer Leitung wurde Mohammed Karawanenführer. Nach ihrem Tod führte er die Handelsgeschäfte erfolgreich weiter. Mit ihr hatte Mohammed vier Töchter und zwei Söhne. Von seinen Kindern blieb nur Fatima am Leben. Sie heiratete später Ali, mit vollem Namen Ali Ibn Abi Talib, der in der Geschichte des Islam noch eine große Rolle spielen sollte.
Fatima lebte etwa von 606 bis 632. Sie setzte sich mit all ihrer Kraft für ihren Mann Ali ein. In der islamischen Welt genießt sie höchstes Ansehen. Die Begründer Kairos leiten ihre Abstammung von ihr ab. Sie nannten sich Fatimiden. Brauchtum und Volksfrömmigkeit haben Fatima verklärt. So soll die Hand der Fatima als Amulett oder Kette vor Bösem schützen. Nach islamischer Überlieferung ist sie „die Mutter der Frauen der Welten“. Ihr Name bedeutet, dass ihre Anhänger vom Bösen und der Hölle ferngehalten werden.
Ihr Ehemann Ali Ibn Abi Talib lebte etwa von 600 bis 661. Er war einer der hingebungsvollsten Anhänger Mohammeds. Er hatte mit Fatima zwei Söhne, Hasan und Husain. Ali bewarb sich um die Nachfolge Mohammeds, verlor aber gegen drei Rivalen. Zu seinen heftigsten Widersachern gehörte auch Aischa, die Witwe Mohammeds. Die Sippe Othmans aus dem Stamm der Umayaden warf ihm die Unterstützung der Mörder des dritten Kalifen, Utham, vor. Sie etablierte einen Gegenkalifen. Die kriegerischen Auseinandersetzungen führten zur Ermordung Alis in Kufa. In Nadschaf (Irak) steht Alis Mausoleum. Es gehört zu den wichtigsten islamischen Heiligtümern.
Die Offenbarung
Mohammed setzte sich mit jüdischem und christlichem Gedankengut sowie der Vielgötterei auseinander. Nach langem Meditieren in einer einsamen Wüstenhöhle erschien ihm der Überlieferung zufolge im Jahre 610 der Engel Gabriel. Dieser zeigte ihm ein beschriebenes Tuch und befahl ihm: „Lies!“ Mit dieser Aufforderung begannen die Offenbarungen.
Bis zum Jahr 632 wurden Mohammed 114 Suren (Kapitel) of fenbart, die in 6348 Verse aufgeteilt sind. Sie gelten als unmittelbare Worte Gottes und sind auf Veranlassung des Propheten im Koran gesammelt und niedergeschrieben worden. Die Reihenfolge der Suren hat mit der ursprünglichen Offenbarung nichts zu tun. In der Regel sind sie nach der Länge geordnet. Vielfach wird angenommen, dass die Suren 112–114 zu den frühesten gehören. Die heutige Fassung stammt von dem Kalifen Othman (auch Uthman oder Osman genannt) aus dem Jahr 653.
Die Offenbarungen stehen nicht in Widerspruch zu den zwei bestehenden monotheistischen Religionen Judentum und Christentum. Der Urvater dieser Religionen und des Islams ist Abraham, im Koran Ibrahim genannt. Über Abraham führt eine direkte Linie über Isaak und Jesus zu Mohammed. Der Jesus im Koran stimmt jedoch nicht mit der Jesusvorstellung des Christentums überein. So ist Jesus im Christentum Gottes Sohn, nach der Lehre des Islams aber ein Prophet. Nach Auffassung des Islams ist Mohammed der Gesandte Gottes und der letzte Prophet. Er besiegelt Gottes Wort, weil es nach ihm keinen Propheten und damit keine Offenbarung mehr geben wird. Ein Scheich aus dem 12. Jahrhundert beschrieb die Bedeutung Mohammeds bildhaft: „Es war einmal ein Rosenstock. Man hatte ihn mit Sorgfalt gepflanzt, seine Wurzeln reichten tief in den Boden, den man für ihn vorbereitet hatte.Seine Wurzeln waren Abraham. Eine Rose begann zu wachsen, und es wurde notwendig, ihr ein Veredelungsreis aufzupfropfen, denn sie sollte nicht verwildern, sondern dem entsprechen, was der Gärtner von ihr erwartete. Die Stütze, die gute Erde und das Pfropfreis waren verlässlich. Diese Stütze war Moses. Eines Tages bildete sich eine Knospe der vollkommensten roten Rose, die man je gesehen hatte. Diese Knospe war Jesus. Dann entfaltete sich diese Knospe, und ihre Blüte war Mohammed.“
(Geneviéve Chauvel, Ich Saladin, Bergisch-Gladbach 1992, S. 92)
Es kann kaum Zweifel geben, dass Mohammed die Grundlagen der jüdischen und christlichen Religion kannte. „Fünfundzwanzig Mal taucht Jesus als ‚Issa‘ im Koran auf. Er tritt als ‚Gottes Sohn‘ auf, so gar als Messias und ‚kalima min Allah‘ (Wort von Allah). Das Evangelium wird zwölf Mal erwähnt und als ‚Licht der Religion‘ gelobt. Sure 19 dreht sich vor allem um Maria und ihren Sohn“ (Der Spiegel 13/2013).
Das Wunder der Auferstehung wird im Koran allerdings nicht bestätigt. In Sure 19, Vers 88 - 93 wird auch die christliche Trinitätslehre scharf verworfen: „Und sie (die Christen) sagen: ‚Der Erbarmer hat sich ein Kind genommen.‘ Ihr habt da eine ungeheuerliche Sache begangen. Die Himmel brechen bald auseinander, und die Erde spaltet sich, und die Berge stürzen in Trümmern darüber, dass sie den Erbarmern ein Kind zuschreiben. Es ziehmt doch den Erbarmer nicht, sich ein Kind zu nehmen. Niemand in den Himmeln und auf der Erde wird zum Erbarmer anders als denn als Diener kommen können. ...“ (vgl. auch Martin Bauschke, Der Sohn Marias, Jesus im Koran, Darmstadt 2013, S. 168 ff)
Mohammed in Medina: Schiedsrichter und Prophet
Mohammeds Aufforderung, nur einem Gott (Allah) zu dienen, stand den religiösen und wirtschaftlichen Interessen der Stämme in seiner Heimatstadt Mekka entgegen. Mohammed beklagte das übermäßige Gewinnstreben der Händler und setzte sich für Arme und Sklaven ein. Die meisten Stammesfürsten standen ihm feindlich gegenüber. Sein Leben war bedroht.
Inzwischen hatte Mohammed in Mekka und Medina Anhänger gefunden: Die islamische Urgemeinde war entstanden. Im Jahr 622 wurde die Lage in Mekka für Mohammed immer bedrohlicher. Seine Handelspartner gerieten unter Druck. Sein Haus wurde durch Exkremente und Abfall beschmutzt. Deshalb wanderte der Prophet nach Medina (früher Yathrib genannt) aus. Schon vorher hatten ihn dort ansässige Stämme um Hilfe gebeten.
Diese Auswanderung bzw. Flucht wird Hidschra genannt. Mit ihr beginnt die islamische Zeitrechnung. In Medina sollte Mohammed Kraft seiner religiösen Ausstrahlung Streitigkeiten schlichten. Rechts-, Erbschafts-, Sippen- und Handelsfragen behinderten die Gemeinschaft. Nach der Überlieferung empfing Mohammed in dieser Zeit die meisten Offenbarungen. Mohammed war Schiedsrichter und Prophet für die Menschen von Medina. Er kaufte Land und ein Haus, das als erste Moschee angesehen wirtd. Moschee ist der „Ort, an dem man vor Gott zum Gebet niederfällt“.
Mit großer Autorität schlichtete Mohammed Streitigkeiten. Grundlagen waren stets seine prophetischen Eingebungen. Sie enthielten praktische Regelungen für das Zusammenleben seiner Anhänger. Auch seine persönlichen Belange wurden durch Offenbarungen geregelt: Als seine Lieblingsfrau Aischa des Ehebruchs bezichtigt wurde und große Schwierigkeiten bei ihren Eltern und in der Sippe hatte, rettete eine Offenbarung die Ehre, wenn nicht gar das Leben von Aischa, die er auf keinen Fall als Lieblingsfrau verlieren wollte. (Sure 24) Auch die Bestrafung der Verleumder wurde festgelegt (Sure 24,4):
„Diejenigen, die den unter Schutz gestellten Frauen (ehrbare Frauen) Untreue vorwerfen und hierbei nicht vier Zeugen beibringen, die sollt ihr mit 80 Hieben geiseln. Nehmt von ihnen nie mehr Zeugenaussagen an.“
Der Islam wird Gesetzesreligion
Religion und Politik
Muhammed Ibn Ishaq (geboren etwa 704 in Medina, gestorben um 768 in Bagdad), gilt bis heute als einer der bedeutendsten Chronisten Mohammeds und arabischer Historiker. Vor allem ihm verdankt die Nachwelt die älteste Biografie Mohammeds. Er hat eine vierbändige Abhandlung geschrieben, in der es um die Erschaffung der Welt, das Leben des Propheten und seine Nachfolger geht. Der erste und der vierte Band sind verloren gegangen. Doch der wichtigste ist erhalten geblieben: „Die Sendung und die Kämpfe des Propheten“. Ibn Ishaqs Darstellung gilt vielen Moslems als klassische Lebensbeschreibung des Propheten. Sie ist weniger von Legenden verklärt als viele der romanhaft ausgeschmückten späteren Darstellungen über Mohammed.
Ibn Ishag berichtet auch von folgendem Ereignis: Wie üblich ließ Mohammed das Los entscheiden, welche seiner Frauen ihn auf einem Feldzug begleiten sollte. In einer geschlossenen Sänfte, auf ein Kamel geschnürt, durfte Aischa seine Begleiterin sein. Auf dem Rückweg in der Nähe von Medina wurde eine Rast eingelegt. Aischa entfernte sich von der Karawane, um ihre Notdurft zu verrichten. Auf dem Weg zurück stellte sie fest, dass sie ihre Halskette verloren hatte. Sie suchte in der Wüste nach ihr. In dem Glauben, Aischa befände sich in der Sänfte, zog die Karawane weiter. Ein zurückgebliebener Kamelreiter fand Aischa allein und einsam in der nächtlichen Wüste. Trotz aller Bemühungen konnten die beiden die Karawane nicht vor dem hellen Morgen erreichen. Dies war Anlass, in Medina über Aischa und ihren Retter Gerüchte zu verbreiten. Sie habe ihren Mann Mohammed betrogen und damit die Ehre des Propheten besudelt. Selbst Mohammed schien gewisse Zweifel zu haben. Am heftigsten reagierte Mohammeds Neffe Ali. Er riet Aischa aus dem Haus zu entfernen. Aischa hat Ali diese Reaktion nie verziehen.
In vielen Darstellungen wird Aischa (etwa 614 bis 678) die Lieblingsfrau Mohammeds genannt. Sie kam im achten Lebensjahr in das Haus des Propheten. Aischa war die Tochter von Abu Bakr. Dieser war ein früher und ergebener Anhänger des Propheten und sein erster Nachfolger.
Aischa wird von den Sunniten „Mutter der Gläubigen“ genannt. Die letzten Tage seines Lebens soll Mohammed in ihrer Kammer verbracht haben. Geprägt durch die Nachfolgekämpfe, besonders nach dem Tod ihres Vaters Abu Bakr, schloss sie sich dem Kampf gegen den vierten Kalifen Ali an. Ali war ein Vetter Mohammeds, der ihm in vielen Schlachten gedient hat. Oft wird er auch neben Mohammeds erster Frau Khadija als sein frühester Anhänger gesehen. Ali schlug bei Basra einen Aufstand nieder. Er ließ Aischa leben, begnadigte sie und schickte sie nach Medina zurück. Dort starb sie im Jahr 678.
Die Schiiten - entstanden aus den Wörtern Schiat-Ali, der Partei Alis - sehen in Aischa eine boshafte und rachsüchtige Gegnerin Alis. Ali, verheiratet mit Mohammeds Tochter Fatima, ist in ihren Augen der einzig rechtmäßige Nachfolger des Propheten. Für die Schiiten ist Aischa eine Feindin Gottes. Die Sunniten sehen hingegen in Aischa ein Vorbild. Sie gilt bei ihnen als wichtige Zeugin des Korans. Vor allem sehen die Sunniten Aischa als zuverlässige Übermittlerin der Aussprüche und der beispielhaften Taten Mohammeds an. Diese sind gesammelt und werden Hadith genannt.
Nach Mohammeds Bestimmung zum Stadtoberhaupt wurde der Islam zur Gesetzesreligion. Alle Regelungen, die der Prophet als Führer aller Stämme zu treffen hatte, galten als heilig. Sie wurden so zu ewig gültig...