Kapitel 1: Job weg – eine Kündigung kann viele Gesichter haben
Die Wahrscheinlichkeit, im Lauf des Berufslebens den eigenen Job aufzugeben oder zu verlieren, ist hoch. Der Weg dorthin verläuft sehr individuell. Generell gibt es verschiedene Auslöser und Umstände, die dazu führen:
● Der Mitarbeiter kündigt selbst. Er verlässt seinen Arbeitsplatz freiwillig, um den nächsten Karriereschritt zu gehen oder weil er generell mit der Arbeitsstelle unzufrieden ist und einen Schlussstrich ziehen möchte.
● Die berufliche Phase hat ein natürliches Ende. In diesem Fall endet der Vertrag, weil zum Beispiel die Ausbildung abgeschlossen ist, die Befristung ausläuft oder der Eintritt in die Rente vollzogen wird.
● Die beteiligten Parteien finden eine einvernehmliche Lösung in Form eines Aufhebungsvertrags. Die Initiative zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geht entweder vom Arbeitgeber oder vom Arbeitnehmer aus.
● Der Arbeitgeber spricht die Kündigung aus.
Erste Hinweise darauf, welche Gründe eine Rolle spielen können, liefert das Arbeitsrecht. Eine Kündigung kann ordentlich oder außerordentlich (= fristlos) erfolgen. Gemäß § 1 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) wird bei den ordentlichen Kündigungen nach betriebs-, personen- oder verhaltensbedingten unterschieden. Eine außerordentliche Kündigung erfolgt gemäß § 626 BGB bei schwerwiegendem Fehlverhalten.
Die im Folgenden vorgestellten Zahlen basieren auf der Kündigungsstudie der Firma One Logic. Sie untersuchte 785 Kündigungsfälle von Arbeitnehmern aus Deutschland im Jahr 2018. In die Auswertung wurden gekündigte Arbeitnehmer einbezogen, die über eine Rechtsschutzversicherung verfügten und die Rechtsanwaltskanzlei Ratis beauftragt hatten. Die vorliegenden Daten liefern wertvolle Hinweise, auch wenn sie, gemessen an der Anzahl aller Arbeitnehmer in Deutschland, statistisch als nicht signifikante Stichprobe eingestuft werden.2 Im Jahr 2018 wurden 86 Prozent der Arbeitnehmer ordentlich gekündigt, nur 14 Prozent nach einem schweren Verstoß fristlos entlassen. Ordentliche Kündigungen erfolgen meist betriebsbedingt. Das entspricht insgesamt 68 Prozent der Arbeitnehmer. 23 Prozent haben aus personenbedingten und lediglich neun Prozent aus verhaltensbedingten Gründen eine Kündigung erhalten.
Zu abweichenden Ergebnissen kommt eine Studie der Münchner Wirtschaftskanzlei Heisse Kursawe Eversheds von 2014. Sie wertete die Daten zu 512 Kündigungsschutzverfahren aus, für die sie 380 Unternehmen beauftragt hatten. Bei ihrer Analyse wurden Fälle aus verschiedenen Branchen berücksichtigt, die zwischen dem 1.4.2012 und dem 30.9.2013 angelegt und bis zum 30.5.2014 abgeschlossen worden waren. Zusätzlich flossen die Ergebnisse aus 30 qualitativen Einzelinterviews mit zehn Rechtsanwälten für Arbeitsrecht und 20 Personalchefs oder Geschäftsführern von Unternehmen ein. Die Studie erfasste nur arbeitgeberseitige Kündigungen, da Kündigungsschutzverfahren lediglich in solchen Fällen möglich sind. Demnach hatten 73 Prozent aller Kündigungen durch den Arbeitgeber „betriebsbedingte“ Gründe, 24 Prozent der Kündigungen waren verhaltensbedingt, 2,4 Prozent personenbedingt; die restlichen Gründe wurden nicht offengelegt.3
Auch wenn die zwei Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist eines auffällig: Bei sieben von zehn Kündigungen zieht der Arbeitgeber aus betriebsbedingten Gründen die Reißleine. Hier ist der Verlust des Arbeitsplatzes nicht selbstverschuldet, der Mitarbeiter hat nicht gegen Firmenregeln verstoßen oder sich anderweitig unangemessen verhalten. Dies bedeutet, dass der Jobverlust oft eben nichts mit dem Individuum an sich zu tun hat, also nicht verhaltens- oder personenbedingt ist.
Dieses Buch konzentriert sich im Folgenden auf das Feld der betriebsbedingten Kündigungen, einvernehmliche Trennungen sowie auf Fälle, in denen der Arbeitnehmer selbstbestimmt entscheidet, das Unternehmen zu verlassen.4 Auslöser für betriebsbedingte Kündigungen gibt es viele:
● Strategische und unternehmenspolitische Maßnahmen, die zum Beispiel in renditegetriebenen Unternehmen dazu dienen, die Profitabilität zu verbessern
● Stilllegungen, Insolvenzen, Betriebsverlagerungen ins Ausland
● Restrukturierungen, Sanierungen
● Fusionen, Übernahmen
● Kostensenkungsprogramme oder Budgetkürzungen
● Effektivere Geschäftsprozesse
● Absatzschwierigkeiten, Auftrags- und/oder Umsatzrückgang
● Einführung neuer technischer Arbeitsmethoden oder veränderter Fertigungsverfahren
● Fremdvergabe von Arbeiten (Outsourcing)
● Wegfall von Drittmitteln zur Finanzierung von Stellen
● Witterungsbedingungen, die bestimmte Tätigkeiten für einen längeren Zeitraum unmöglich machen5
Im folgenden Kapitel geht es nun darum zu untersuchen, welche äußeren Markt- und Rahmenbedingungen auf Unternehmen und ihr Handeln einwirken.
Kapitel 2: Das Marktumfeld – Wirtschaft und Gesellschaft
Im Blickfeld stehen an dieser Stelle externe Einflüsse, die dazu führen, dass Unternehmen in eine Schieflage geraten und sich letztendlich von ihren Mitarbeitern trennen (müssen). Dazu zählen unter anderem Veränderungen im Marktumfeld, neue technische Entwicklungen, gesellschaftliche Trends und Megatrends, politisch-rechtliche Rahmenbedingungen, ökologische Aspekte oder auch außergewöhnliche Phänomene wie das Auftreten von Covid-19 und die Corona-Pandemie.
Unser Wirtschaftssystem basiert nach wie vor auf dem Leistungs- und Schaffensprinzip mit dem Ziel, möglichst viel Gewinn zu erwirtschaften. Das ist vor allem in börsennotierten Firmen oberste Maxime. Der Wettkampf um die Spitzenplätze in den Märkten und Branchen nimmt immer mehr zu. Der Druck, schneller und besser als die Konkurrenz zu sein, steigt von Jahr zu Jahr. Im letzten Jahrzehnt war die wirtschaftliche Lage in Deutschland sehr gut, für viele Unternehmen ging es immer weiter nach oben. Doch inzwischen sind viele Märkte gesättigt, der Wettbewerb ist hart. Manche Geschäftsmodelle haben sich überholt. Betriebe müssen flexibel und ständig zur Veränderung bereit sein, um am Markt bestehen zu können. Nur wer sich differenziert und von anderen abhebt, hat die Nase vorn und überlebt langfristig.
Bietet ein Unternehmen keine klar erkennbaren Wettbewerbsvorteile, entscheidet bei den Kaufangeboten der Preis, das führt zu Kostendruck. Der wiederum bewirkt, dass Prozesse und Abläufe permanent optimiert werden, um ganze Kostenblöcke, etwa für Personal, schlank zu halten. Um der Kostenfalle und dem Preiskampf zu entgehen, setzen schlagkräftige Firmen auf Produktinnovationen. So wollen sie sich eine komfortable Marktposition sichern. Produktzyklen werden kürzer, der Druck, ständig nachzulegen und mitzuhalten, lastet auf den Unternehmen. Wer nicht Schritt hält, läuft Gefahr, am Markt verdrängt zu werden. Die Mitarbeiter werden dabei oft nur noch als eine Ressource, als Kostenfaktor gesehen – nicht mehr als individuelle Menschen.
Arbeiten in der modernen Welt
Gleichzeitig stehen wir am Anfang einer neuen industriellen Revolution hin zur Industrie 4.0. Die Entwicklungen bei Digitalisierung, Automatisierung und künstlicher Intelligenz werden unsere Art zu leben und zu denken sowie unseren Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren komplett auf den Kopf stellen. Und das Tempo dieser Veränderungen ist rasant.
Zukünftig werden wir uns mit Themen wie Demografie, Klimawandel und Fachkräftemangel verstärkt auseinandersetzen müssen. Laut Statistischem Bundesamt werden 2024 die Bevölkerungszahlen in Deutschland erstmals zurückgehen. Das wird unsere Wirtschaft und Gesellschaft radikal verändern. Konkret soll die Zahl der Beschäftigten bis 2030 um 3,4 Millionen sinken. Gleichzeitig gehen drei Millionen Menschen mehr in Rente. Auch die Alterung der Bevölkerung wird sich stark auf den Arbeitsmarkt auswirken.6
Die sich wandelnden politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen zwingen die Unternehmen ebenfalls dazu, ihre Geschäfts- und Betriebsmodelle zu überdenken und anzupassen. Das gilt national und...