Kapitel II: Versicherungsvertreter als Form des Handelsvertreters
A. Anknüpfung und Rechtsgrundlage
Wie im vorherigen Kapitel festgestellt, ist es innerhalb der Versicherungs- und Finanzbranche möglich einer erlaubnispflichtigen Tätigkeit in Form eines gewerblichen Versicherungsvermittlers nachzugehen (§ 34 d Abs. 1 GewO). Vermittler haben den höchsten personellen Anteil sowie Anteil am Neugeschäft (Produktvermittlung) innerhalb der Branche.37 Hierbei bildet der “Versicherungsvertreter“ (als Einzelunternehmer oder Gesellschaft) eine sich abgrenzende Unterform. Diesbezüglich existieren zum Beispiel folgende Groß- bzw. Finanzvertriebe (“Mittler“):
• | Bonnfinanz AG | • | Deutsche Vermögensberatung AG |
• | Global Finanz AG | • | OVB Vermögensberatung AG |
• | Swiss Life Select GmbH | • | RWS Vermögensplanung AG |
• | Tecis Finanzdienstleistungen AG | • | Telis Finanz AG.38 |
Deren Anzahl an Produktpartnern (d.h. Versicherungsunternehmen inkl. deren Produktangebote) variiert individuell und steht in Abhängigkeit zur Ausgestaltung der jeweiligen vertraglichen Zusammenarbeit. Fraglich ist, welche Rechtsgrundlage diesbezüglich Anwendung finden könnte?
Das Handelsrecht gilt gemeinhin als das Sonderprivatrecht der Kaufleute, wobei das HGB seine wichtigste Rechtsquelle ist.39 Da Versicherungsvertreter gemäß §§ 1-6 HGB grundsätzlich Kaufmänner sind, wird dieses folglich angewandt. Dementsprechend ist § 92 Abs. 1 HGB heranzuziehen, welcher den Versicherungs- und Bausparvertreter per Legaldefinition wie folgt normt: „Versicherungsvertreter ist, wer als Handelsvertreter damit betraut ist, Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen.“
Diesbezüglich wird ein Handelsvertreter (einst als “Agent“ bezeichnet) sowohl nach europäischem Recht, als auch nach deutschem Recht definiert als selbständiger Gewerbetreibender, welcher ständig damit betraut ist, für eine andere Person (Unternehmer) Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen.40 Dieser ist sowohl vom rechtsähnlichen Vertragshändler, als auch vom Handelsmakler (§ 93 ff. HGB) und Kommissionär (§ 383 ff. HGB) abzugrenzen.41 Gemäß § 92 Abs. 2 HGB gelten die Vorschriften für das Vertragsverhältnis zwischen dem Handelsvertreter und dem Unternehmer, bis auf wenige Vorbehalte, auch für das Vertragsverhältnis zwischen dem Versicherungsvertreter und dem Versicherer (d.h. Produktgeber). Somit ist der Versicherungsvertreter eine spezielle Form des Handelsvertreters, dessen Recht (§§ 84 ff. HGB) grundsätzlich Anwendung findet. Fraglich ist, welche Rechtsstellung sich daraus ergeben könnte?
B. Rechtsstellung
Diesbezüglich wird eingangs via § 84 Abs. 1 und 2 HGB ausdrücklich die Unterscheidung zwischen „sselbständigen“ und “unselbständigen“ Handelsvertretern fixiert. Diese Abgrenzung hat aufgrund der Weichenstellungsfunktion für die Anwendung von Handelsvertreter- oder Arbeitsrecht eine zentrale Bedeutung. Diese entspringt materiell-rechtlichen Gründen und aus prozessualer Relevanz, da mit der Zuordnung (im Streitfall) gemeinhin über den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten oder den Arbeitsgerichten entschieden wird. Dabei ist es keine spezifische Fragestellung aus dem Recht des Handelsvertreters, sondern eine allgemeine Abgrenzungsproblematik. Die hierbei entstehenden Rechtsfolgen haben außerdem Auswirkung auf andere Rechtsgebiete (z.B. Sozialversicherungsrecht, Steuerrecht).42
Zur Unterscheidung werden mehrere Beurteilungskriterien herangezogen, wobei einige Prinzipielle wie “Eingliederung in den Betrieb“, “Weisungsfreiheit“ und “Schutzbedürftigkeit“ bereits eingangs (siehe Kapitel I)43 thematisiert wurden. Neben weiteren formalen Kriterien und sozialversicherungsrechtlichen Normen gilt das Tragen des “Unternehmerrisikos“ als auch die wirtschaftliche “(Un-)Abhängigkeit“ als wichtige Zuordnungsindizien. Insbesondere bei Geschäftsmodellen von Groß-/ Finanzvertrieben (Mittler) ergeben sich aufgrund der spezifischen Geschäftsgebaren etwaige Fragestellungen.44 Diese entspringen sowohl aus den verbundenen rechtsvertraglichen Vereinbarungen als auch der hierarchisch-unterstrukturierten Organisation.45
Abb. 7 Exemplarische Darstellung: Strukturvertrieb und Anbindung (eigene Darstellung).46
Abgegrenzt von der möglichen Beschäftigung sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer (z.B. Angestellte im Vertrieb, Außendienst), kann sich eine Vertriebs-/ Mittlergesellschaft zur Erfüllung der vertraglich übernommenen Aufgaben (d.h. Rechtsbeziehung zum Produktgeber)47 auch der Mitarbeit von Untervertretern bedienen, dessen System u.a. als “Strukturvertrieb“ oder “Schnellballsystem“ betitelt wird.48 Fraglich ist, wie sich diese (UV) differenzieren könnten?
I. “Unechte“ und “echte“ Untervertreter
Wird ein Vertrag unmittelbar zwischen einem Untervertreter (UV) und einem Produktgeber geschlossen (z.B. einer Versicherung), welche von einer Vertriebs-/ Mittlergesellschaft (z.B. GmbH, AG als Versicherungs-/ Handelsvertreter)49 vertreten wird, so handelt es sich um einen sogenannten “unechten“ UV-Vertrag. Der UV ist dann unmittelbar gegenüber dem vertretenen Produktgeber berechtigt und verpflichtet. Dabei kann der Vertrag Bestimmungen enthalten, durch welche die Mittlergesellschaft (als Hauptvertreter) gegenüber dem UV organisatorisch übergeordnet und weisungsberechtigt ist. Zudem kann der Produktgeber den Mittler dazu bevollmächtigen, die UV-Verträge im Namen des Produktgebers abzuschließen. Jedoch kommen auch in solchen Fällen die Rechtsbeziehungen nur zwischen dem Produktgeber und dem UV zustande.50
Von einem “echten“ UV-Vertrag wird hingegen gesprochen, wenn eine Mittlergesellschaft (z.B. GmbH, AG als Versicherungs-/ Handelsvertreter) im eigenen Namen mit einem oder mehreren Untervertretern (selbständige Versicherungs-/ Handelsvertreter) einen Vertrag zur Vertriebsunterstützung schließt. Hierbei bestehen keine Vertragsbeziehungen zwischen den UV und dem durch die Gesellschaft (als Hauptvertreter) vertretenen Produktgeber. Ein UV hat dabei ausschließlich Vergütungsansprüche gegenüber der Vertriebs-/ Mittlergesellschaft, welche zur Zahlung einer Untervertretervergütung verpflichtet ist.51 Folglich handelt es sich hier um ein mehrstufiges Handelsvertreterverhältnis, in welchem die Gesellschaft als Vertragspartner des vertretenen Unternehmers (Produktgeber) gleichzeitig Unternehmer im Verhältnis zum Untervertreter ist. Fraglich ist, inwiefern sich diesbezüglich eine Schnittstelle zum Arbeitsrecht ergeben könnte?
II. Arbeitnehmerähnliche Selbständige
Insbesondere bei Mittlern, die als Einfirmenvertreter52 füngieren, als auch bei unechten und echten Untervertretern, die vertraglich nur für einen (d.h. Produktgeber oder Vertriebs-/ Mittlergesellschaft) bzw. nicht für weitere Unternehmer tätig werden dürfen (i.e. Wettbewerbsverbot), können sich Konsequenzen gemäß § 92a HGB ergeben.53 Zwar soll ein Versicherungsvertreter-/Handelsvertreter(vertrag) regelmäßig als selbständige Tätigkeit forciert werden, jedoch können diese im Einzelfall wirtschaftlich und sozial wie arbeitnehmerähnliche Selbständige gestellt sein. In der Folge würden sowohl einzelne arbeitsrechtliche Normen zum Schutz der Vertreter anwendbar werden, als auch die Zuständigkeit im Rechtsstreit den Arbeitsgerichten unterliegen.54
Beschäftigt zum Beispiel ein Untervertreter keinen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer hat dies i.d.R. zur Folge, dass dieser in vollem Umfang rentenversicherungspflichtig wird, d. h. ohne Beteiligung seines (Partner-)Unternehmers. Sofern diesbezüglich keine Befreiungsmöglichkeit besteh...