Dunkirk
(GB, US, FR, NL 2017)
Regie: Christopher Nolan
Für viele der Film des Jahres. Für manche wohl eher kritisch zu betrachten. Prüfen wir einmal, was Dunkirk verspricht und was er hält.
Erst einmal die historische Einordnung. 1940, während des Zweiten Weltkriegs, fand im Mai und Juni die Schlacht von Dünkirchen statt. Dunkerque ist eine Hafenstadt an der französischen Nordseeküste, die von den Deutschen umzingelt wurde. Hier evakuierte sich das Britische Expeditionskorps, das in Frankreich und Belgien eingesetzt wurde. Die Verteidigung der britischen, belgischen und französischen Truppen erreichte unter dem Namen "Operation Dynamo" die Evakuierung von einem großen Teil der Soldaten (ca. 85 Prozent). Dies wurde als allgemein größte Rettungsoperation der Zeitgeschichte betrachtet.
Die genaueren Umstände, warum erstens die deutschen Panzer von Hitler gestoppt wurden und inwieweit diese geglückte Rettungsaktion für den Durchhaltewillen von Großbritannien und den Alliierten verantwortlich war, ist natürlich nicht ganz einfach zusammenzufassen. Ein gutes Buch hierzu ist das mit vielen Interviews von Überlebenden geschriebene The Mircale of Dunkirk von Walter Lord. Lord berichtet spannend und fundiert über die Zeitumstände und die historischen Daten. Zu erwähnen ist, dass Lord für James Cameron bei Titanic als Berater fungierte, da er wegen seines historischen Titanic-Standardwerks A Night to Remember ein zuverlässiger Experte hierfür war.
In Christopher Nolans Dunkirk geht es um genau diese historische Begebenheit, deren Übersicht in drei Erzählsträngen vereint wird. Zum Einen gibt es die Sicht von drei jungen Soldaten, die auf die rettenden Boote warten. Verwoben wird das mit der Perspektive von ein paar Zivilisten, die mit ihrem Privatboot die Soldaten nach Hause zu holen versuchen. Zuletzt gibt es aus der Vogelperspektive die Sicht der Piloten, die im Luftkampf mit den Deutschen sind.
Jeder, der Nolan kennt, weiß, dass seine Geschichten meist zwar eine einfache Handlung haben, aber extrem verkopft konstruiert sind. Die Geschichte mit den jungen Soldaten findet im Zeitraum von einer Woche statt, diejenige des Zivilistenbootes dauert einen Tag. In der Luft geht alles etwas schneller und dauert in der erzählten Zeit lediglich eine Stunde. Die Verknüpfung dieser Ebenen, das muss ich gleich bemerken, ist stellenweise extrem schwer nachzuvollziehen. Eine Parallele gibt es hierbei zu den verschiedenen Ebenen bei Inception. Aber insgesamt kann man der Geschichte schon gut folgen, da so viel nun auch nicht passiert. Wie sagt man heute so schön?
Storystatus: es ist kompliziert.
Der Stoff wurde bereits ein paar Mal verfilmt. Am bekanntesten ist wohl Dünkirchen von 1958 mit John Mills, Richard Attenborough und Bernarnd "M" Lee. Aber auch die Verfilmung des Romans Wochenend in Zuidcoote von Robert Merle ist bekannt. Der deutsche Titel lautet Dünkirchen, 2. Juni 1940 und wurde unter anderem von Henri Verneuil in Szene gesetzt. Verneuil führte Regie bei Der Clan der Sizilianer oder I wie Ikarus und galt als sehr erfolgreicher Regisseur im Frankreich seiner Zeit.
Jetzt hat sich also kein anderer als Christopher Nolan diesem Stoff angenommen. Nolan ist ja eher ein Regisseur, den man für seine psychologische Tiefe und Opulenz kennt, wie es die düstere Trilogie zu The Dark Knight zeigt. Sein Ausflug in die Science-Fiction mit Interstellar wurde zwar durchaus zwiespältig aufgenommen, tat aber keinen Abbruch daran, dass hier ein Regisseur mit einer Vision und einem eigenen Stil die Filmwelt aufwühlt. Hierzu muss gesagt werden, dass Nolan sich sehr um das Filmerbe einsetzt, was er mit seinem Kurzfilm Quay über die leider viel zu wenig bekannten Stop-Motion-Meister Quay Brothers von 2015 eindrücklich bewiesen hat.
Außerdem darf man bei aller Kritik an Nolan nicht vergessen, dass er einer der wenigen unabhängigen Autorenfilmer der Filmbranche von Hollywood ist, der seine Filme mit seiner Frau Emma Thomas zusammen produziert und in einem sehr homogenen Team jedes Mal einen Rundumschlag landet, dass die Stadt der Filmengel erzittert. Der Aufwand, den Nolan mit diesen Produktionen mittlerweile betreiben kann, ist und bleibt für viele Filmemacher wohl ein Traum. Mein persönlicher Liebling von ihm ist wohl sicherlich Inception, da er sich dort wirklich selbst übertroffen hat und in eine Richtung gegangen ist, die sein späteres Werk ungemein prägt und jeden neuen Film von ihm zu einem Spektakel sondergleichen macht.
Kommen wir zu Hans Zimmer, der selber ein Spektakelspezialist ist und berühmt-berüchtigt für seine Filmscorefabrik. Zimmer ist Gewinner eines Oscars für König der Löwen und wurde unzählige Male nominiert, z.B. für Rain Man, Gladiator oder Der schmale Grat. Für Nolan machte er bereits die Soundtracks zu Inception, Interstellar oder The Dark Knight. Eigentlich müsste man vielleicht fragen, für welche Filme Zimmer keine Musik geschrieben hat, dann würde man einen besseren Überblick bekommen. Als kleine Anmerkung am Rande sei gesagt, dass Zimmer John Carpenter ein Lob für den Soundtrack zu Assault On Precinct 13 ausgesprochen hat. Damm Dadadadamm! Für mich einer der hitverdächtigsten Soundtracks überhaupt. Der Mann hat also Ahnung!
Zimmer arbeitet zwar oft mit anderen Komponisten zusammen wie James Newton Howard (Im Auftrag des Teufels, Nightcrawler) oder Tom Holkenborg (Mad Max: Fury Road, Brimstone), für Dunkirk hat er sich aber (fast) alleine auf die musikalische Reise begeben. Die einzige Ausnahme ist das Stück "Variation 15 (Dunkirk)", das von Benjamin Wallfisch (A Cure For Wellness) nach einer der "Enigma-Variationen" des britischen Komponisten Edward Elgar komponiert wurde, die man unter anderem aus den Filmen Clubbed to Death oder Matrix kennen könnte. In diesem Stück zeigt sich sehr gut das Motiv der Heimkehr, das melancholisch-hoffnungsvoll in einem tragenden und wogenden Brummen den Zuschauer und Zuhörer emporhebt. Erinnerungen an Angelo Badalamentis Soundtracks kommen mir persönlich in den Sinn, wie zum Beispiel bei Fire Walk With Me, wo der Umschlag zwischen Leben und Tod beschworen wird. Zusammen mit Zimmers Komposition "Home" sind das die Höhepunkte der in Dunkirk gebotenen Filmmusik.
Zu Zimmers Soundtrack muss noch gesagt werden, dass er wirklich hervorragend zum Film passt, der sowieso nicht viel Wert auf das Reden, sondern mehr auf das Fühlen legt. Das wummernde Pochen des Scores hebt einen fast aus dem Kinosessel und man denkt, dass Nolan zusammen mit Zimmer das ganze Universum aus den Fugen heben will, wie das am Ende von Inception ja schon angedeutet wird. Die Gefahr des Krieges ist hierdurch überall spürbar. Man hält es oft fast nicht mehr aus und dann gibt es wieder eine Explosion.
Ein Hauptdarsteller im Soundtrack ist nämlich - wie das Totem aus Inception - eine Taschenuhr von Christopher Nolan persönlich, die Zimmer durch den Musikmixer gezogen hat und die eindrucksvoll Spannung, Nostalgie und Einheitlichkeit in einem tickenden Leitmotiv vermittelt. Insgesamt arbeitet Zimmers sehr harmonische Komposition (wie schon bei Prestige) mit der akustischen Wahrnehmungstäuschung der Shepard-Tonleiter, bei welcher man als Zuhörer meint, dass es mit den Tönen unendlich hoch oder runter geht. Diese einerseits bedrohliche und andererseits irgendwie auch haltende Atmosphäre erzeugt einen unglaublichen Druck, der perfekt zu dem Inferno des Krieges passt und einen tatsächlich körperlich spürbar in diese hoffnungslose Welt katapultiert.
Warten wir also ab, ob Zimmer hierfür seinen zweiten Oscar kriegt. Ich werde mir den Soundtrack definitiv auf Vinyl holen. Man kann vielleicht sogar sagen, dass Zimmer hier einen seiner wohl besten Soundtracks geschrieben hat. Ohne ihn wäre der Film nicht vollständig.
Was gibt es noch zu sagen? Die jungen Schauspieler sind dieses Mal eher unbekannt, aber keine unbeschriebenen Blätter, von denen sicher einigen eine große Karriere in Hollywood offen steht. Herausstechend sind die Leistungen von Cilian Murphy (28 Days Later) und Tom Hardy (Bronson), die man ja schon aus Nolans Filmen kennt. Wen man noch nicht aus Nolans Filmen kennt, ist Sir Kenneth Branagh (Gingerbread Man, Operation Walküre), der wie immer eine formidable Leistung abliefert und am Ende der stolze Kapitän ist, der das Schiff erst verlässt, wenn der letzte Soldat zu Hause ist. Es sei mir verziehen, dass ich hier nicht mehr nennen und nicht mehr zu ihnen sagen kann.
An der Kamera überzeugt Hoyte van Hoytema (Dame, König, As, Spion, Spectre) mit einer Professionalität und diesem eng-weitschweifenden Blick, den man schon bei Interstellar von ihm gesehen hat. Man fühlt sich bei den Bildern vom Meer und vom Himmel tatsächlich hineingesogen und umgeben von dieser unwirtlichen Welt.
Vielleicht ist es gerade dieses Spannungsverhältnis zwischen dem unendlich Großen und Kleinen, das Nolan so sehr von anderen Regisseuren unterscheidet. Nolans Filme übersteigen definitiv die Realität. Und doch hat er sich hier von einer historischen Begebenheit inspirieren lassen, was mich zuerst etwas enttäuscht hat. Aber keine Angst, Dunkirk ist nicht nur die Rekonstruktion der Geschichte, sondern die Überhöhung dieses Ereignisses in etwas Universelles, an dessen Ende ein unbedingt humanistischer Grundpfeiler steht.
Ob die Geschichte von Nutzen oder Nachteil für so eine Inszenierung ist, weiß ich nicht ganz zu sagen. Bei Nolans anderen Filmen musste ich oft denken, dass er Filme macht, die irgendwie jenseits des Menschen liegen. Da dominieren mächtige Fahrzeuge, Städte, Landschaften (das Meer, Bergkämme, endlose Himmel) und ebenfalls beengte Räume, Labyrinthe und Treppen, die auf jeder Seite wieder ineinanderlaufen. Bei Dunkirk herrscht der pure Horror des Krieges. Der umzingelte Kessel von Dunkirk, wo das Meer mit seinen knapp 50 Kilometern eine unüberwindbare Schneise wird, bietet fast keine Erlösung. England ist zwar in Sicht, aber doch so unendlich weit weg.
Die Soldatenmassen haben einfach keine Chance. Deshalb ist die Geschichte der jungen Soldaten eigentlich recht unspektakulär, was das Beziehungstechnische anbelangt. Sie sind reines Kanonenfutter, die sich im Strom einer größeren Macht nur treiben lassen können. Jeder rettende Schiffsanker wird gleich wieder gesprengt. Es gibt keine Sicherheit. Selbst das Meer bietet ein flammendes Inferno, das entweder den Tod durch Ertrinken oder Verbrennen bedeutet.
In Dunkirk kommt kein einziger deutscher Soldat in normaler Aufnahme vor. Die Nazis sind das Böse schlechthin, das jederzeit seine Bomben fallen lässt. Das Dröhnen des Krieges ist auf das zurückzuführen. Was Nolan hier macht, ist schon sehr spannend und doch fällt die Spannung leider oft ab. Wie gesagt, manchmal fehlt es an einer einheitlichen Handlung, manchmal wünscht man sich, dass die Figuren sich wenigstens einen Schwank aus ihrer Jugend erzählen, damit man irgendetwas psychologisch verbindendes mit ihnen teilen kann, das vielleicht einmal schön war. Diese ständige Gefahr macht einen während des Films wirklich fertig. Aber so soll es wohl sein.
Die drei miteinander verwobenen Ebenen können beim ersten Mal schauen kaum nachvollzogen werden. Zumindest war das meine Erfahrung. Das sorgt dafür, dass man sich selbst etwas treiben lässt. Man muss sich stellenweise an Stereotypen festhalten. So behandelt Cilan Murphys Charakter die posttraumatische Belastungsstörung des Krieges, die damals Shell Shock genannt wurde. Murphy spielt das wirklich grandios und er vermittelt einem das Trauma des Krieges sehr deutlich. Der große Held, der am Ende etwas Mad-Max-mäßig da steht ist natürlich Tom Hardy, der wirklich eine grandiose und triumphale Leistung liefert.
Man kann Dunkirk also mit drei Typen etwas zusammenfassen. Die Jungsoldaten, die reines Kanonenfutter sind, ohne Chance und nur mit dem Glück des Zufalls für das Überleben ausgestattet. Cilian Murphys Charakter ist das Trauma, derjenige, der nie wieder aus dem Höllenloch herauskommen wird und dessen Leben für immer zerstört bleibt. Und zuletzt Tom Hardy. Er ist der übergroße und tragische Held.
Wie gesagt, Dunkirk ist sicher kein einfacher Film. Er ist stellenweise langweilig, unaushaltbar und verwirrend. Aber er reißt einen auch mit. Ich muss am Ende resümieren, dass ich sehr froh bin, dass es jenseits des sonstigen Mülls Filme wie diesen gibt. Außerdem glaube ich, dass er Zeit braucht. Denn um Zeit geht es ganz zentral in diesem Werk. Was Nolan damit aber genau ausdrücken will, das hat sich mir noch nicht erschlossen. Macht aber ja nix.
Dunkirk ist jedenfalls ein gelungener Film, der definitiv noch Luft nach oben hat.
Wie sagte Sigmund Freud?
"Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg."
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(Prega il morto e ammazza il vivo)
(IT 1971)
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