B. Besonderer Teil Der Regress nach Anspruchsgrundlagen
I. Grundsatz
quae sit actio? (was ist die Anspruchsgrundlage?)
Aufgrund der Mannigfaltigkeit der möglichen Regresslebenssachverhalte ist naturgemäß eine Darstellung jedweder Regresskonstellation unmöglich.
Die in der Praxis häufig vorkommenden Tatbestände sollen an dieser Stelle aber besprochen werden.
Hierbei ist zunächst zu beachten, dass ein Sachverhalt gelegentlich nicht nur eine Anspruchsgrundlage, sondern mehrere eröffnet. Hier gilt es dann, die „günstigste“ auszuwählen.
„Günstiger“ kann eine Anspruchsgrundlage sein, weil sie im Verhältnis zu einer ebenfalls in Betracht kommenden Norm eine vorteilhaftere Beweislastverteilung, eine einfachere Zurechnung für das Verhalten Dritter, weitergehende Schadenspositionen, verschuldensunabhängigen Schadensersatz oder längere Verjährungsfristen aufweist.
Vertragliche Ansprüche bilden hierbei neben, bzw. nach selten gestreuten, verschuldensunabhängigen Anspruchsgrundlagen den ersten, zu prüfenden Normenkomplex.
Es hat sich nachfolgendes Schema der Anspruchsprüfung etabliert:
1. vertragliche Ansprüche aus…
…Individualvereinbarungen,
…gesetzlichen Anspruchsgrundlagen.
2. rechtsgeschäftliche und rechtsgeschäftsähnliche Ansprüche, z.B.…
…vorvertragliche Ansprüche,
…positive Forderungsverletzungen.
3. Pflichtverletzungen, §§ 280 ff. BGB.
4. Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 677 ff. BGB.
5. sachenrechtliche Ansprüche, z.B. …
…aus Eigentum, §§ 985 ff. BGB,
…aus Besitz, §§ 861, 862, 1007 BGB.
6. weitere dingliche Rechte, wie…
…Nießbrauch,
…(Grund-) Pfandrechte.
7. deliktische Ansprüche, §§ 823 ff. BGB.
8. (verschuldensunabhängige) Gefährdungshaftung.
9. ungerechtfertigte Bereicherung, §§ 812 ff. BGB.
Ist nun eine einschlägige Anspruchsgrundlage gefunden, sollte die Norm zusammen mit § 86 Abs. 1 VVG zitiert werden, um klarzustellen, dass vorliegend ein Regress geführt wird.
II. Anspruchsgrundlagen
1. aus Vertrag
Wie bereits ausgeführt, sind vertragliche Ansprüche stets bevorzugt zu prüfen und meist vorteilhaft.
In der Regresspraxis spielen v.a. der Kauf- (§§ 433 ff. BGB) und Werkvertrag (§ 631 ff. BGB) die wichtigste Rolle.
Diese werden daher nachfolgend dargestellt:
a) Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Kauf- und Werkvertrag
Die kauf- und werkvertraglichen Normen ähneln sich nicht nur stark im Aufbau und der rechtlichen Systematik, sondern auch hinsichtlich der jeweiligen Voraussetzungen des Schadenersatzes.
Unterschieden wird der Werkvertrag vom Kaufvertrag dadurch, dass der Auftragnehmer im Werkvertragsrecht nicht (nur) die Veräußerung einer mangelfreien Sache, sondern auch einen Erfolg schuldet. Dieser Erfolg besteht in der Herstellung eines mangelfreien Werkes.40
Dieser Unterschied wird durch die § 433 BGB und § 631 BGB deutlich.
§ 433 BGB
Vertragstypische Pflichten beim Kaufvertrag
(1) Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen. Der Verkäufer hat dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen.
(2) Der Käufer ist verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen.
§ 631 BGB
Vertragstypische Pflichten beim Werkvertrag
(1) Durch den Werkvertrag wird der Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes, der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.
(2) Gegenstand des Werkvertrags kann sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache als auch ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg sein.
Praxisrelevantestes Beispiel für einen Werkvertrag ist der Vertrag über die Errichtung eines Gebäudes.
Nicht immer ist die Abgrenzung zwischen Kauf- und Werkvertrag aber eindeutig und einfach.
So entschied der BGH,41 dass der Vertrag über die Errichtung einer Photovoltaikanlage in aller Regel nicht als Werkvertrag, sondern als sog. Werklieferungsvertrag anzusehen sei, mit der Folge, dass die kaufrechtlichen Normen zugrunde zulegen sind. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Gewährleistungs- und Verjährungszeiträume.
§ 651 BGB
Anwendung des Kaufrechts
Auf einen Vertrag, der die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen zum Gegenstand hat, finden die Vorschriften über den Kauf Anwendung. § 442 Abs. 1 Satz 1 findet bei diesen Verträgen auch Anwendung, wenn der Mangel auf den vom Besteller gelieferten Stoff zurückzuführen ist. Soweit es sich bei den herzustellenden oder zu erzeugenden beweglichen Sachen um nicht vertretbare Sachen handelt, sind auch die §§ 642, 643, 654, 649 und 650 mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle der Abnahme der nach den §§ 446 und 447 maßgebliche Zeitpunkt tritt.
Ist sodann der veräußerte Gegenstand oder das hergestellte Werk mangelhaft, stehen dem Käufer / Besteller eine Reihe von Ansprüchen zur Verfügung.
aa) Gewährleistungsrechte
Eine Sache oder ein Werk ist nach einer einfachen Faustformel mangelhaft, wenn die Ist- von der Sollbeschaffenheit abweicht.42 Im Übrigen ist auf die Legaldefinition in § 434 Abs. 1 S. 1 BGB und § 633 Abs. 2 S. 2 BGB hinzuweisen, wobei die geringfügige sprachliche Abweichung irrelevant ist und vom Gesetzgeber ein einheitlicher Mangelbegriff gewollt war.43
Liegt nunmehr ein Mangel vor, so ist danach zu unterscheiden, ob nur die Sache / das Werk an sich mangelhaft ist, oder ob der Mangel – was in der Praxis wichtig ist – weitere Schäden außerhalb der Sache / des Werkes verursacht hat (sog. Mangelfolgeschäden).
Verbleiben die Schäden innerhalb der Kaufsache / des Werkes, so sind die Gewährleistungsrechte der § 437 BGB und § 634 BGB heranzuziehen.
Demnach kann der Käufer / der Besteller
1. Nacherfüllung verlangen,
2. vom Vertrag zurücktreten oder den Kaufpreis mindern oder
3. Schadenersatz verlangen.
Diese Rechte bestehen zwar grds. unabhängig voneinander, jedoch gilt der sog. Vorrang der Nacherfüllung als Ausprägung des Rechts des Verkäufers / Unternehmers zur sog. zweiten Andienung. Bevor daher gemindert, zurückgetreten oder Schadenersatz beim Mangelschaden verlangt werden kann, ist die Möglichkeit zur Nachbesserung zu gewähren.44 Hierbei ist dem Gewährleistungsschuldner eine angemessene Frist zu setzen. Üblicherweise wird man – zumindest bei einfach gelagerten Sachmängeln – eine Frist von 14 Tagen als angemessen ansehen. Hier sind aber stets die Besonderheiten des Einzelfalles zu beachten. Bei komplexen Mängeln, Personalengpässen etc. ist oftmals eine längere Frist zu setzen.
Eine Fristsetzung ist nur entbehrlich, wenn der Schuldn...