Wissenschaftliches Schreiben
Konzept und Gliederung – diese Planungsschritte sind bereits integrale Bestandteile des Schreibprozesses. Sie stecken also mitten in Ihrem Schreibprojekt und haben bereits eine ziemlich gute Idee, wie Sie den Gipfel „Doktorarbeit“ erklimmen können. Wenn Sie sich jetzt auf den Weg machen und beginnen zu schreiben, dann laufen Sie nicht einfach darauf los. Formulieren Sie nicht ins Blaue hinein. Überlegen Sie bei jeder Schreibetappe zuerst, welcher Wegabschnitt vor Ihnen liegt. Das bedeutet: Planen Sie Ihre Absätze und Sätze. Anschließend schreiben Sie sie auf.
Absatzplanung
Anforderungen an einen wissenschaftlichen Absatz
Sie wissen bereits, dass ein Absatz nicht einfach nur eine Sammlung loser Informationen ist, sondern immer ein Thema, einen Aspekt oder einen Gedankengang behandeln sollte. Die zweite Anforderung: Ein Absatz ist eine Kommunikationseinheit, ein Glied einer längeren Argumentationskette. Denn Ihr Leser kann Ihr Wissen und Ihre Erkenntnisse nur Schritt für Schritt aufnehmen, also nur absatzweise verstehen.
Der Absatz sollte außerdem eine innere Struktur besitzen: Er beginnt mit einem Übersichtssatz, der den Leser auf das folgende Thema vorbereitet (Fachbegriff: TOPIC SENTENCE). Erst dann folgen die Details. Auf diese Weise kann der Leser die Informationen der folgenden Sätze leichter und besser verstehen. Bei etwas längeren Absätzen können Sie die verschiedenen Informationen außerdem am Ende des Absatzes noch einmal auf den Punkt bringen. Ein solcher zusammenfassender Schluss-Satz erhöht die Verständlichkeit Ihres Textes zusätzlich (Abb. 15).
Abbildung 15. Wissenschaftliche Absätze besitzen eine innere Struktur. Diese Struktur besteht aus zwei bis drei Elementen: einem einleitenden Übersichtssatz, den Informationen und Details sowie einem zusammenfassenden Satz am Ende. Dieser Schluss-Satz ist optional.
Die Übersicht im ersten Satz: Topic Sentence
Es lohnt sich, die Arbeit an einem Absatz mit dem Übersichtssatz zu beginnen. Denn ein solcher TOPIC SENTENCE unterstützt nicht nur die Kommunikation mit dem Leser, sondern hilft auch dem Autor oder der Autorin, sich beim Schreiben auf einen bestimmten Aspekt zu fokussieren. Es gibt nun in medizinischen Texten verschiedene Möglichkeiten, einen solchen Übersichtssatz zu formulieren. Wenn Sie sich die folgenden Beispiele ansehen, werden Sie schnell ein Gefühl dafür bekommen, was einen guten Übersichtssatz ausmacht. Die Beispiele nennen jeweils einen Übersichtssatz und die Erwartung des Lesers, die sich daraus für den anschließenden Absatz ergibt.
► | Übersichtssatz Erwartung | Die Hyperglykämie ist das Leitsymptom des Diabetes mellitus. Thema: Hyperglykämie; Symptome des Diabetes mellitus |
► | Übersichtssatz Erwartung | Die Therapieoptionen für das maligne Melanom sind limitiert. Begründung: Beispiele für Therapien und ihre Limitationen |
► | Übersichtssatz Erwartung | Dann wurde untersucht, ob die beiden Proteine interagieren. Bestätigung der Hypothese (Beantwortung der ob-Frage) |
► | Übersichtssatz Erwartung | Zur Charakterisierung der Reaktion wurde eine Optimumskurve erstellt. Analyse (deskriptive Befunde) |
► | Übersichtssatz Erwartung | Während der dreiwöchigen Studie stieg die mittlere Pulsfrequenz an. Ergebnisse: Ordnung der Details im Zeitverlauf |
► | Übersichtssatz Erwartung | XY reduzierte dosisabhängig die Pulsfrequenz der Teilnehmer. Ergebnisse: Ordnung der Details nach Wirkstoffkonzentrationen |
► | Übersichtssatz Erwartung | Es gibt drei Theorien, die die Entstehung der Erkrankung erklären können. Literaturdaten: drei Theorien |
► | Übersichtssatz Erwartung | Aus zwei Gründen sind die Studienergebnisse nur eingeschränkt generalisierbar. Diskussion: zwei Einschränkungen (Limitationen) |
Praxis-Tipp: Erst die Übersicht, dann die Details
Formulieren Sie zu Beginn des Schreibprozesses zuerst einen kurzen und prägnanten Übersichtssatz. Notieren Sie dann darunter all die Informationen in Stichpunkten, die Sie in diesem Absatz nennen wollen – achten Sie dabei auf eine sinnvolle und logische Reihenfolge. Sammeln und ordnen Sie zuerst diese Stichpunkte, bevor Sie anfangen, Sätze zu formulieren.
Gängige Absatzstrukturen in Wissenschaftstexten
Die einfachste Absatzstruktur haben Sie in der Abbildung 15 bereits kennengelernt: Übersichtssatz, Details, Schluss-Satz. Wenn Sie sich nun noch einmal die exemplarischen Übersichtssätze des letzten Abschnittes ansehen, werden Sie feststellen, dass der Übersichtssatz oft bereits eine komplexere innere Struktur des anschließenden Absatzes festlegt. Kündigt der Übersichtssatz drei Theorien bzw. zwei Limitationen an, dann werden die Informationen des Absatzes inhaltlich in drei bzw. zwei Themen gegliedert (Abb. 16, links). Im nächsten Abschnitt werden Sie erfahren, wie man diese innere Struktur dem Leser durch geeignete Satzanfänge verdeutlicht.
Eine Besonderheit stellen die Absätze des Ergebnisteils dar. Denn hier gibt es eine einheitliche Absatzstruktur, die Wissenschaftler gerne in ihren Übersichtsartikeln, Originalartikeln und Doktorarbeiten verwenden. Im Ergebnisteil beginnen die Absätze mit einem Übersichtssatz, der zunächst die Fragestellung oder Zielsetzung eines Experimentes nennt. Dann folgt ein kurzer Überblick über den methodischen Ansatz, mit dessen Hilfe die Frage beantwortet werden sollte. Der Leser muss einfach wissen, wie die Ergebnisse zustande kamen. Erst anschließend werden die eigentlichen Versuchsergebnisse erläutert. Am Ende des Absatzes steht dann die Antwort auf die eingangs gestellte Frage bzw. eine zusammenfassende Schlussfolgerung (Abb. 16, rechts).
Abbildung 16. Gängige Absatzstrukturen wissenschaftlicher Texte. Die Informationen eines Absatzes sollten inhaltlich strukturiert werden (grau). Der Übersichtssatz (weiß) kann diese Struktur ankündigen (links). Absätze des Ergebnisteils nennen meist die Fragestellung eines Experimentes, den methodischen Ansatz, die eigentlichen Versuchsergebnisse und eine Antwort bzw. Schlussfolgerung (rechts).
Vielleicht wundern Sie sich, dass im Ergebnisteil methodische Aspekte erneut aufgegriffen werden. Jedoch wiederholen Sie hier nicht einfach die Versuchsanleitungen des Kapitels Material und Methoden. Sie erläutern im Ergebnisteil nicht, wie eine bestimmte Methode im Detail durchgeführt wurde. Sie schreiben stattdessen nur, dass sie durchgeführt wurde:
Methodische Details Kapitel ‚Material & Methoden‘ | Methodischer Ansatz Kapitel ‚Ergebnisse‘ |
Es wurden 1,0 × 106 NIH3T3 Zellen mit einer Transfektionslösung aus Plasmid-DNA (2 µg in 50 µl Puffer B) und 150 µl Kaliumphosphatpuffer (0,05 M; pH 7,3) für zehn Minuten bei Raumtemperatur inkubiert und anschließend … | NIH3T3 Zellen wurden mit einer steigenden Menge des Expressionsplasmids für p21 transfiziert. |
Vier mögliche Satzanfänge
Verlassen wir nun den Übersichtssatz und die Absatzstruktur und wenden uns...