Kapitel 1: Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG)
Vorbemerkung
18 Der Zielsetzung dieses Buches entsprechend werden allein die Vorschriften zitiert und erläutert, die für die Durchführung von Streitbeilegungsverfahren bei anerkannten privaten sowie bei behördlichen Verbraucherschlichtungsstellen von Bedeutung sind. Somit bleiben folgende (Teil-)Bereiche des VSBG unberücksichtigt:
•Anerkennung privater Verbraucherschlichtungsstellen (§§ 25 bis 27),
•mangels (derzeitiger) praktischer Relevanz: Universalschlichtungsstellen der Länder (§§ 29 bis 31),
•Mitteilungspflichten der zuständigen Behörden und Aufsichtsbehörden (§ 32 Absätze 2 bis 5 sowie §§ 34 und 35),
•Verordnungsermächtigung (§ 42) und
•Projektförderung, Forschungsvorhaben, Bericht (§ 43).
Zu diesen Vorschriften wird z. B. auf die im Verlag C. H. Beck erschienene Kommentierung des VSBG von Roder/Röthemeyer/Braun verwiesen.
1. Allgemeine Vorschriften
§ 1 Anwendungsbereich
(1) Dieses Gesetz gilt für die außergerichtliche Beilegung von Streitigkeiten durch eine nach diesem Gesetz anerkannte private Verbraucherschlichtungsstelle oder durch eine nach diesem Gesetz eingerichtete behördliche Verbraucherschlichtungsstelle unabhängig von dem angewendeten Konfliktbeilegungsverfahren. Dieses Gesetz gilt auch für Verbraucherschlichtungsstellen, die auf Grund anderer Rechtsvorschriften anerkannt, beauftragt oder eingerichtet wurden, soweit diese anderen Rechtsvorschriften keine abweichende Regelung treffen; von den §§ 2 und 41 darf nicht abgewichen werden.
(2) Dieses Gesetz ist nicht anwendbar auf Kundenbeschwerdestellen oder auf sonstige Einrichtungen zur Beilegung von Streitigkeiten, die nur von einem einzigen Unternehmer oder von mit ihm verbundenen Unternehmen getragen oder finanziert werden oder die nur im Auftrag eines solchen Unternehmers oder von mit ihm verbundenen Unternehmen getragen werden.
Erläuterungen:
Zu Absatz 1
19 Mit dieser Vorschrift wird klargestellt, dass das VSBG kein generelles Streitbeilegungsgesetz ist und auch nicht allgemein die Zulässigkeit außergerichtlicher Streitbeilegung im Verbraucherbereich regelt.
20 Das VSBG gilt ausschließlich für die außergerichtliche Streitbeilegung. Folglich sind etwa Bemühungen eines Richters im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zur einvernehmlichen Beilegung eines rechtshängigen Prozesses z. B. in Form eines Vergleichsvorschlags nicht erfasst. Auch auf unmittelbare Verhandlungen zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer über eine gütliche Einigung ist das VSBG nicht anwendbar.
21 Über den Bereich der vertraglichen Streitigkeiten hinaus kann eine Verbraucherschlichtungsstelle (Definition siehe § 2 Absatz 1) ihre Zuständigkeit auch auf Ansprüche aus gesetzlichen Streitigkeiten erstrecken; dies gilt aber nur, wenn sie mindestens für vertragliche Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmern zuständig ist.
22 Wer Verbraucher ist, bestimmt § 13 BGB. Dabei handelt es sich – unabhängig von der Staatsangehörigkeit – um jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Darüber hinaus gilt auch eine Wohnungseigentümergemeinschaft als Verbraucher, wenn ihr wenigstens ein Verbraucher angehört und der Vertrag, wegen dem es zum Streit kommt, der privaten Vermögensverwaltung dient, wie z. B. ein Energieversorgungsvertrag. Keine Rolle spielt, ob die Eigentümergemeinschaft von einem gewerblichen Verwalter vertreten wird (BGH, VIII ZR 243/13 vom 25.3.2015).
23 Bei Rechtsgeschäften, die sowohl zu gewerblichen als auch zu privaten Zwecken geschlossen werden, kommt es auf den maßgeblichen Zweck an. Entscheidend ist dann nicht der innere Wille des Handelnden, sondern der durch Auslegung zu ermittelnde Inhalt des Rechtsgeschäfts (BGH, NJW 2008 S. 435 Randnr. 7). Im Übrigen gilt: Wer sich auf seine Verbraucher-Eigenschaft beruft, muss im Zweifel darlegen und beweisen, dass er mit dem Geschäft tatsächlich objektiv einen privaten Zweck verfolgt hat; andernfalls sind Schutzvorschriften des Verbraucherrechts nicht anwendbar (BGH, NJW 2007 S. 2619 Randnr. 13).
24 Nach § 14 BGB ist Unternehmer jede natürliche oder juristische Person, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. „Unternehmer“ ist der Gegenbegriff zum Verbraucher. Der Unternehmer-Begriff ersetzt im Verbraucherrecht den Begriff des Kaufmanns sowie des Gewerbebetriebs.
25 Unternehmer bieten am Markt planmäßig und dauerhaft Leistungen gegen Entgelt an. Dazu gehören auch Freiberufler wie etwa Rechtsanwälte, sowie Handwerker, Landwirte und nicht im Handelsregister eingetragene Kleingewerbetreibende, selbst wenn sie nur nebenberuflich tätig sind. Darüber hinaus zählen zu den Unternehmern nach § 14 Abs. 2 BGB rechtsfähige Personengesellschaften, wenn sie Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen können, wie z. B. Offene Handelsgesellschaften (OHG) und Kommanditgesellschaften (KG).
26 Das VSBG schreibt kein bestimmtes Streitbeilegungsverfahren vor. So kann die Verbraucherschlichtungsstelle einen Vorschlag zur Beilegung des Streits machen, eine verbindliche Entscheidung für die Streitparteien treffen oder diese mit dem Ziel einer gütlichen Einigung zusammenbringen. Neben dem Schlichtungsverfahren kommt z. B. auch eine Mediation (siehe Kapitel 4) in Betracht; außerdem ist eine Kombination von Verfahren mit Schlichtungs- und Mediationselementen möglich.
27 Nach anderen Rechtsvorschriften als nach denen des VSBG anerkannte, beauftragte oder eingerichtete Verbraucherschlichtungsstellen müssen zumindest die Standards des VSBG erfüllen, dürfen aber über dessen Anforderungen hinausgehen. Zu diesen Schlichtungsstellen im Einzelnen siehe Kapitel 2.
28 Den Vorrang der auf spezialgesetzlicher Grundlage tätigen Schlichtungsstellen vor privaten oder behördlichen Verbraucherschlichtungsstellen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 bestimmt § 4 Absatz 2 Satz 2 Nr. 2.
Zu Absatz 2
29 Diese Vorschrift schließt Kundenbeschwerdestellen und sonstige Einrichtungen, die faktisch nur einem einzigen Unternehmen zuzurechnen sind, vom Anwendungsbereich des VSBG aus. Der Begriff des „verbundenen Unternehmens“ entspricht demjenigen des § 15 des Aktiengesetzes (AktG). Dabei handelt es sich um rechtlich selbständige Unternehmen, die
•im Verhältnis zueinander in Mehrheitsbesitz stehende oder mit Mehrheit beteiligte Unternehmen (§ 16 AktG),
•abhängige und herrschende Unternehmen (§ 17 AktG),
•wechselseitig beteiligte Unternehmen (§ 19 AktG) oder
•Vertragsteile eines Unternehmens (§§ 291, 292 AktG)
sind.
30 Beschwe...