Antithesis über kulturindustrielle Unfreiheit
In der Kulturindustrie gibt es keine Freiheit . Alles geschieht nach materiellen Gesetzmäßigkeiten der Produktionsverhältnisse; der perfekten Waren-Wertform; der Tauschabstraktion . Sie machen Kulturindustrie zu reiner Identität, indem sie ein Denken in abstrakter Allgemeinheit, einen positivistischen Erfahrungsmodus hervorbringen .
Unfreiheit und das Identische
Ich behaupte, dass sich die wichtigen Kategorien weniger im Kapitel »Kulturindustrie« in Dialektik der Aufklärung befinden, das von Adorno verfasst und von Horkheimer überarbeitet wurde. (Horkheimer und Adorno 1944) Auch nicht in Adornos postum publizierter Fortsetzung Das Schema der Massenkultur. (Adorno 1942, publ. 1981) Auch nicht im Résumé über Kulturindustrie. (Adorno 1967a) Die relevanten Kategorien sind:
1. Identisches und Nichtidentisches. Sie sind Teil von Adornos Auseinandersetzung mit Identitätslogik und Ontologie, Kant und Heidegger, in einer Vorlesung (1960/61) und vor allem in Negative Dialektik (1966a, S. 147 ff.).
2. Vergesellschaftung durch Tauschabstraktion. Sie übernahm Adorno von den Theorien des Warenwerts bei Marx und der Tauschabstraktion bei Sohn-Rethel. Die Tauschabstraktions-These ist verstreut. Sie wurde von Adorno in dramatischen Sätzen präsentiert:
»Das Gesetz, nach dem die Fatalität der Menschheit abrollt, ist das des Tausches. Das aber wiederum ist keine bloße Unmittelbarkeit, sondern begrifflich: der Tauschakt impliziert die Reduktion der gegeneinander zu tauschenden Güter auf ein ihnen Äquivalentes, Abstraktes, keineswegs, nach herkömmlicher Rede, Materielles.« (1957, S. 94)
(Adorno über Tauschabstraktion: Adorno 1955a, S. 21; 1957, S. 94; 1962b, S. 502 ff.; 1963a, S. 169; 1966b, S. 13 ff.; 1968b, S. 57 ff.; 1969b, S. 21; 1969c, S. 12 ff.; 1986, Bd. 8, S. 209)
Unter Medienwissenschaftlern gilt »Identität« als etwas, das wir mittels Medien finden. »Identität finden« ist die Formel, mit der vor allem Cultural Studies-Wissenschaftler glauben, alles erklären zu können: »Identitätsfindung« geschehe »aktiv«, das Publikum bestehe aus »reflexiven Subjekten«, es ermächtige sich selbst, daher sei sein Handeln Ergebnis »selbstverantwortlicher Willensäußerungen«. (Fiske 2000b; Grossberg 2000; Hall 1980; Winter 1995) Die Cultural Studies-Wissenschaftler scheinen den Blick frei zu haben für kreative, lebendige Identitätsfindung. Immer wieder wird betont, dass der flexible Mensch beim Medienkonsum Spaß und Vergnügen habe, sogar ein Lebenskünstler sein könne. So schreiben Göttlich und Winter:
»In allen diesen Prozessen gewinnen die Medien zusehends eine die Welt erschließende Funktion. Die Symbole und Mythen der Gegenwart dienen als Ressource für Sinn, Identität und Stilisierung der eigenen Existenz. So impliziert etwa die Präferenz für eine Musikrichtung einen spezifischen Lebensstil, die Markierung einer Differenz zu anderen und vor allen Dingen das Gefühl, einer Gemeinschaft anzugehören. Eine wichtige Rolle spielen dabei die lustvollen, bisweilen ekstatischen Erlebnisse und das Vergnügen, die bei der Medienrezeption, der Teilnahme an Events oder beim Warenkonsum entstehen.« (2000, S. 9)
Wunderbar! Nur: Sieht man genauer hin, merkt man, dass »Identität« für Cultural Studies ein subjektivistischer Begriff ist: Es geht immer nur 1. um Stimmungen und emotionale Meinungen von Befragten; 2. um eine gefühlsmäßige Präferenz für bestimmte Medienprodukte; 3. um subkulturelle Identifikation, also darum, dass man »Identität« nur in der Gemeinschaft findet.
Die »people« wehren sich gegen die »hegemoniale Kultur«, indem sie sich an Subkulturen anschließen und gegen andere abgrenzen. Das wird als »Anschlussund Orientierungs-Funktion« gefeiert. Auch hier haben wir das schon erörterte Problem, dass derart im Kollektiv keine Identität sein kann, jedenfalls keine mündiger Bürger. Die Cultural Studies-Wissenschaftler ignorieren mit ihren formalistischen Kategorien, dass eine autonome Persönlichkeitsstruktur – »das Subjekt« – sich von einer autoritären – oder narzisstischen – Person unterscheidet, die im Kollektiv mittels »Ermächtigung« und Abgrenzung ihr Vergnügen hat. Das kann man nicht ignorieren. Adorno sagte:
»Dass es bloßes Spiel sei, hilft stets zur Rationalisierung [d. h. Rechtfertigung] des Schlimmsten.« (1952a, S. 17, [ ] hinzugefügt)
Die Vergnügungs-Wissenschaftler setzen voraus, dass Identität leicht zustande kommt, als hätte Anpassung keinen Preis. Sie ignorieren, dass Medien-Aneignung kein reines Vergnügen ist. Es sind oft Szenen des Leidens, der Erniedrigung, der Opfer, die da betrachtet werden. (Prokop 2000, S. 31 ff., 41 ff., 114 ff.) Leute, die sonst keine Arbeit finden, werden in einen Container eingesperrt, und wir beobachten sie mit der Infrarotkamera, wie sie unter der Decke ein bisschen Sex haben. Die Vergnügungs-Wissenschaftler finden das toll: In derartigen Spielshows, so behaupten Lothar Mikos et al., würden die Teilnehmer
»gerade ihre Subjektivität entfalten, sich im Rahmen der Inszenierung mit ihrer Persönlichkeit präsentieren. […] Denn gerade in dieser Entfaltung ihrer Subjektivität und Persönlichkeit liegt ein wesentlicher Reiz solcher verhaltens- und persönlichkeitsorientierter Spielshows. Die Show lebt also gerade davon, dass die teilnehmenden Menschen nicht zu Objekten degradiert werden.« (2000, S. 187)
Das Absingen von »Big Brother ist OK« als Entfaltung von Subjektivität und Persönlichkeit? Gerade?
(Ausführlichere Kritik der Cultural Studies: Prokop 2002a, S. 84 ff.)
So wie die positivistischen Soziologen mit dem Begriff der »Individualisierung« beschönigen, dass den Marketing-Strategen die Individuierung der Menschen egal ist, so beschönigen die positivistischen Cultural Studies mit ihrem Begriff der »Identität«, dass die Manipulateure das Subjekt ignorieren. Der Identitätsbegriff der Cultural Studies beschönigt den Konformismus.
Wenn man negativ-dialektisch vorgeht, geht es zunächst nicht um Persönlichkeitsstrukturen, sondern um Prinzipielleres: die Kritik an jenem Erfahrungsund Erkenntnismodus, der Identität herstellt.
»Identität« ist ein Merkmal des Subjekts: die Übereinstimmung einer Person mit bestimmten Merkmalen, körperlichen und biografischen.
»Identität« ist zugleich Denken in abstrakter Allgemeinheit. Ohne jenes gäbe es keine Subjekt-Identität,
»[…] weil sonst kein Vergangenes in einem Gegenwärtigen, damit überhaupt nichts als Gleiches festgehalten würde. Das Kantische ›Ich denke‹, das individuelle Einheitsmoment, erfordert immer auch das überindividuelle Allgemeine. […] Dass ein individuelles Bewusstsein Eines sei, gilt nur unter der logischen Voraussetzung vom ausgeschlossenen Dritten: dass es nicht ein Anderes soll sein können. Keines der beiden Momente hat Priorität vorm anderen.« (Adorno 1966a, S. 144, Fußn.)
»Identität im Denken«, darunter muss man sich allgemeine Begriffe und Kategorien vorstellen, die das Objekt der Erfahrung und Erkenntnis identifizieren, es erfassen – meist mit dem Interesse, es zu beherrschen. Hegel nannte das »identifizierendes Denken«, oder »Verstand«. (1802, S. 307 ff., 312 ff.; Brunkhorst 1990, S. 10) Allgemeine Begriffe und Kategorien sind ein notwendiges Erkenntnismittel. Gerhard Schweppenhäuser schreibt:
»Der menschliche Geist kann nicht anders, als seine Objekte nach übereinstimmenden und abweichenden Merkmalen, je nach den Kriterien von Identität und Nichtidentität, zu klassifizieren. Wo es zu dieser Leistung noch gar nicht kommt, ist kein Subjekt, und wo sie verabschiedet wird, da droht die Dissoziation des Subjekts. Die Klassifikation aber ist Subsumtion von Diffusem, Abweichendem, Singulärem unter ein jeweiliges Erkenntnisschema. Das muss sich erstens selbst identisch durchhalten als kognitive Struktur des Subjekts, und es muss zweitens die Objekte ihrer Besonderheit entkleiden, um sie zu identischen Erkenntnisdingen zu machen, die den allgemeinen Strukturen unserer Wahrnehmung und Begriffsbildung kompatibel sind. Dabei geschieht es indessen zwangsläufig, dass die eigene Identität der Objekte des Denkens gebrochen und diese dem Identitätsprinzip des Vernunftsubjekts untergeordnet werden.« (1996, S. 57 f.)
Obwohl das Identifizieren notwendig ist, richtete sich Horkheimers und Adornos Kritik darauf, dass es dem Interesse an Naturbeherrschung und an Herrschaft gehorcht. Das war das Thema der Dialektik der Aufklärung:
»Die Allgemeinheit der Gedanken, wie die diskursive Logik sie entwickelt, die Herrschaft in der Sphäre des Begriffs, erhebt sich auf dem Fundament der Herrschaft in der Wirklichkeit. In der Ablösung des magischen Erbes, der alten diffusen Vorstellungen, durch die begriffliche Einheit drückt sich die durch Befehl gegliederte, von den Freien bestimmte Verfassung des Lebens aus. Das Selbst, das die Ordnung und Unterordnung an der Unterwerfung der Welt lernte, hat bald Wahrheit überhaupt mit dem disponierenden Denken ineinsgesetzt, ohne dessen feste Unterscheidungen sie nicht bestehen kann. Es hat mit dem mimetischen [nachahmenden] Zauber die Erkenntnis tabuiert, die den Gegenstand wirklich trifft. Sein Hass gilt dem Bild der überwundenen Vorwelt und ihrem imaginären Glück.« (Horkheimer und Adorno 1944, S. 25, Kursivierung und [ ] hinzugefügt)
Kritik von – falscher – Identität ist der Kernpunkt von Horkheimers und Adornos Kulturindustrie-Kritik: »Alle Massenkultur unterm Monopol ist identisch.« (1944, S. 144 f.) Die Folge wird thematisiert als
»die Erfassung der Kultur durchs Monopol, die das Unerfasste verbietet«. (1942, S. 302 f., Kursivierung hinzugefügt.
Anmerkung: »Massenkultur« ist dasselbe wie Kulturindustrie. Mit »Monopol« waren die Filmkonzerne Hollywoods gemeint, die in den 30er und 40er Jahren ein illegales Monopol besaßen.)
Hier könnte man fragen: Wozu brauchen wir das? Was haben wir davon, wenn wir feststellen, Kulturindustrie sei das Identische? Wen kümmert das?
Antwort: Erst wenn man die Dialektik von Identität und Nichtidentität zur Kenntnis nimmt, kommt man von der Warenkritik weg, die »die Ware«, »den Warencharakter« als das Böse versteht.
Frage: Warenkritik? Wer kritisiert heute noch den Warencharakter? Was wäre, wenn wir die Waren als Teil unseres Lebens akzeptierten – oder die vielfältige Warenwelt einfach gut finden?
Antwort: Ob wir »den Warencharakter« für das Böse halten oder »die vielfältige Warenwelt« gut finden, ist ziemlich egal. In beiden Fällen würden wir die gesellschaftlichen Konflikte ignorieren, die es in der Kulturindustrie gibt: die Auseinandersetzung zwischen Erfahrungsweisen in den Produktstrukturen, die eine falsche Identität herstellen und jenen, die das Nichtidentische, also etwas Lebendiges mit artikulieren. Oder die Auseinandersetzung zwischen den Waren, die die Waren-Identität besonders verkörpern und jenen Waren, die das nicht so effektiv tun, jedoch Überlebens-Strategien entwickeln. Wir würden lebendige Prozesse ignorieren, die sich allerdings erst durch das Identische – und zugleich stets von jenem bedroht – entwickeln. So kompliziert ist das.
Zum Nichtidentischen komme ich in der Thesis über kulturindustrielle Freiheit. Hier bleibe ich bei der Antithesis über kulturindustrielle Unfreiheit und frage, wie sich »Identität im Denken« in der Kulturindustrie herstellt. Der Weg führt uns mitten in jene Landschaft, die Adorno mit Benjamin die »Eiswüste der Abstraktion« nannte. (Adorno 1966a, S. 7) Es ist die Eiswüste der Tauschabstraktion.
Abstraktion im Denken und im Tausch
»Abstraktion« ist ein notwendiges Element des Denkens, das Identität herstellt indem es das Allgemeine vom Besonderen trennt, das Formale vom Inhaltlichen, das Quantitative vom Qualitativen, das Symbol vom Referenten, das Geistige vom Fleischlichen. Das ist es, was Unfreiheit ebenso konstituiert wie Momente von Freiheit.
Nach idealistischer Auffassung ist Abstraktion eine Leistung des Geistes, sie entsteht aus Urteilen, die a priori getroffen werden, also nicht a posteriori aus der Realität kommen können: Wie an sich beschaffen ist, was draußen in der Welt ist, können wir nicht erfahren. Alles hängt davon ab, wie wir aus dem unqualifizierten Material die objektive Welt aufbauen, oder, wie die Konstruktivisten heute sagen, von der Konstruktion, die wir uns von der Welt machen. Entscheidend für alle Erkenntnis sind wir als konstruierende Subjekte – nach Meinung mancher Hypertextualisten ist es allerdings die »unbewusste Medientechnik«, die in unseren neuronalen Netzen herumkonstruiert. (Maresch und Werber 1999) Bei Kant ist es die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption, das transzendentale Subjekt, der zu rationalem Denken fähige Geist.
Adorno argumentierte dagegen, die abstrakt-rationalen Beziehungen, das reine Denken, hätten ihr Modell im Tausch:
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