Teil I: Problemorientiertes Lernen – Lerntheoretischer Begründungsrahmen und Umsetzungsmöglichkeiten einer Unterrichtsform
Einleitung
Problemorientiertes Lernen im Sinne des Problem-based Learning-Konzepts ist ein Ansatz, der seit vielen Jahren, ausgehend von der McMaster University im kanadischen Hamiliton/Ontario, international in der Hochschulausbildung etabliert ist. Seine Wurzeln hat das Problem-based-Learning-Konzept im Medizinstudium, wo es entwickelt wurde, um isoliertes, disziplinäres Wissen in eine interdisziplinäre Ausbildung zu integrieren, die Lernenden in selbstständiges Problemlösen einzuführen und gleichzeitig die Anwendung von Wissen und Können bereits im Lernprozess zu fördern (vgl. Klauser 1998, S. 273–274). Als erste europäische Universität übernahm die Medizinische Fakultät der Rijksuniversiteit Limburg in Maastricht 1979 das Konzept als zentrale Lernform.
Wie zahlreiche Veröffentlichungen zeigen, hat das Problem-based-Learning-Konzept auch in die pädagogische Diskussion hierzulande Einzug gehalten. Als Ansatz, dessen Grundannahmen, Zielformulierungen und Gestaltungsgrundsätze sowohl große Nähe zu aktuellen Themen der Berufsausbildung wie Kompetenzentwicklung, Schlüsselqualifizierung und Handlungsorientierung als auch zum Ansatz des konstruktivistischen Wissenserwerbs haben, scheint das Problem-based-Learning-Konzept eine Antwort auf vielfältige Probleme von Bildung und Ausbildung zu bieten (vgl. Klauser 1998, S. 275 und Kohler 1998, S. 10–18).
Traditionell gestaltete Lernumgebungen mit strukturorientiertem Vorgehen, strengen Fächergrenzen und Lernen als vorwiegend rezeptivem Prozess werden offensichtlich nicht mehr als geeignet angesehen, um Auszubildende auf eine Arbeitswelt vorzubereiten, in der die Halbwertszeit von Wissen stetig abnimmt und ein ständiger Wandel der situativen Herausforderungen stattfindet. Gefragt ist neben Kreativität, Flexibilität und Problemlösungsfähigkeit vor allem die Entwicklung von persönlichen und sozialen Kompetenzen. Diese Kompetenzen, davon wird ausgegangen, entwickeln sich im Besonderen durch problembezogenes, reflektierendes Lernen. Zudem fördert die selbstständige und multiperspektivische Auseinandersetzung mit Inhalten sowohl das Prinzip des lebenslangen Lernens als Voraussetzung, sich ein Berufsleben lang situativ auf die jeweils aktuellen Erfordernisse einzustellen, als auch die Fähigkeit zu Transferleistungen (vgl. Dohmen 1996, S. 3–4, Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2000, S. 3–8).
Diese Ziele von Lernen und beruflicher Bildung sind in besonderem Maße auch für die Pflege von Bedeutung. Im Gesundheitswesen spiegeln sich die gesellschaftlichen Entwicklungen mit den Grenzen der Finanzierbarkeit des sozialen Systems und einer »zunehmende[n] Verdrängung gemeinwesenbezogener Werteorientierung« (Dohmen 1996, S. 2) besonders eindrücklich wider.
Auch die berufliche Pflege kann sich diesen Veränderungen nicht entziehen und gibt mit dem Bestreben, das pflegerische Handeln als einen eigenständigen Beitrag der Gesundheitsversorgung zu gestalten, Denkanstöße für eine Neuorientierung der Pflegeausbildung. Die Umstrukturierungen im Gesundheitswesen, der medizinische Fortschritt und die Weiterentwicklung der Pflegewissenschaft – hierzulande eingeleitet durch die Akademisierung der Pflege zu Beginn der 90er-Jahre – erfordern Pflegepersonen, die fähig sind, diese Veränderungen verantwortlich mitzugestalten. Dazu sind Kompetenzen, wie vorher beschrieben, und die Fähigkeit erforderlich, sich selbst Wissen anzueignen und dieses situationsbezogen einzusetzen (vgl. Bögemann-Großheim u. a. 1999, S. 4). Auch wenn der beruflichen Fort- und Weiterbildung im Sinne des lebenslangen Lernens hier ein hoher Stellenwert zukommt; die Grundlage dazu muss bereits in der Ausbildung geschaffen werden.
Teil I: Theoretische Grundlagen und Praxisprojekt
»Problemorientiertes Lernen in Theorie und Praxis« besteht aus drei Teilen.
Teil I geht zunächst auf verschiedene Umsetzungsvarianten des problemorientierten Lernens im Sinne des Problem-based-Learning-Konzepts ein. Gestaltungsmöglichkeiten aus den Niederlanden, England, Australien sowie ein Implementierungsprojekt aus Deutschland werden vorgestellt und miteinander verglichen. Nachfolgend wird der Ansatz des problemorientierten Lernens in seinen lerntheoretischen und didaktischen Begründungsrahmen eingeordnet. Hierzu werden konstruktivistische Ansätze, handlungsorientierter Unterricht sowie Konzepte zur Kompetenzentwicklung und Schlüsselqualifizierung dargestellt und diskutiert. Im Anschluss an die theoretischen Vorüberlegungen erfolgt die Beschreibung eines POL-Projektes, welches im Rahmen der Diplomarbeit 2001 durchgeführt wurde. Das Projekt mit dem Thema »POL im Fach Hygiene und medizinische Mikrobiologie« wird in Vorbereitung, Durchführung und Evaluation dargestellt.
Teil II: Umsetzung des POL in der generalistischen Pflegeausbildung
Teil II des Buches analysiert zunächst die Rahmenbedingungen für problemorientiertes Lernen innerhalb der hiesigen Pflegeausbildung und im Kontext der Rahmenlehrpläne nach § 53 Pflegeberufegesetz. Nachfolgend wird dargestellt, wie POL unter den aktuellen Voraussetzungen an Pflegeschulen implementiert, geplant, umgesetzt und evaluiert werden kann.
Teil III: Praxiserprobte Fallbeispiele
Teil III ermöglicht es dem Leser, den Ansatz des problemorientierten Lernens in der eigenen Einrichtung auszuprobieren und umzusetzen. Er besteht aus 12 problemorientierten Unterrichtseinheiten, die an den Rahmenlehrplänen orientiert sind. Die POL-Lerneinheiten beinhalten größtenteils bereits praxiserprobte, aber nun an die generalistische Pflegeausbildung adaptierte Fallbeispiele, verbunden mit zu bearbeitenden Pflegediagnosen, erwarteten Lernergebnissen sowie Angaben zu Zeitmanagement und zu Zusatzelementen wie praktischen Übungen und Exkursionen.
Für die Fallbeispiele wurden Situationen mit zu pflegenden Menschen verschiedenster Altersgruppen und in unterschiedlichen Pflegesettings ausgewählt und in ihrer Komplexität an die jeweilige Ausbildungsphase angepasst.
1 Problemorientiertes Lernen in der Berufsausbildung
1.1 Problemorientiertes Lernen als didaktische Grundorientierung
Problem als Ausgangspunkt für Lernen
Der Begriff »problemorientiertes« oder »problemlösendes Lernen« wird international für unterschiedliche methodische Ansätze verwendet. Allen gemeinsam ist, dass der Ausgangspunkt für das Lernen ein Problem ist, welches von den Lernenden in Gruppen- und/oder selbstständiger Arbeit bearbeitet wird. Das jeweilige zu bearbeiten...