Lesereise Persischer Golf
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Lesereise Persischer Golf

Tausend Meter über der Wüste

  1. 132 Seiten
  2. German
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Lesereise Persischer Golf

Tausend Meter über der Wüste

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Über dieses Buch

Mit Öl-Milliarden und mehr noch mit cleverem Marketing-Geschick gelang es den Scheichs in den Fürstentümern am Golf, binnen eines Jahrzehnts Ortschaften zu Metropolen zu machen. Sie schufen aus Beton, Glas und Teflon Skylines mit Wiedererkennungswert und lockten Investoren auf künstliche Palmeninseln und in die Wüste, Urlauber in Ski-Paradiese im Sand und Sieben-Sterne-Hotels am Meer. Helge Sobik berichtet Erstaunliches aus Dubai, Abu Dhabi, Umm al-Qaiwain und Ras al-Khaimah, aus Qatar und Oman und von der iranischen Überraschungs-Insel Kish.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783711754318

Ganz im Westen

Die Insel Kish: Milliarden ins Ungewisse für Persiens neues Dubai

Es gibt Geschichten, die müssten mit »Es war einmal« beginnen. Bei Märchen ist das so, bei Legenden. Und so war einmal ein Land, das von Mullahs mit harter Hand regiert wurde. Ein Land, dessen Bevölkerung statistisch immer jünger wurde und vorsichtig nach ein wenig mehr Offenheit und Freiheit verlangte. Und dann war da noch eine Insel im Persischen Golf, die sich als kleines Experimentierfeld eignete, wo sich recht diskret manches ausprobieren ließe, ohne es gleich an die große Glocke zu hängen. Und ganz nebenbei könnte diese Insel auch noch ausländische Touristen anziehen, mehr denn je dringend benötigte Devisen einspielen. Es war also einmal eine Insel, die hieß Kish und der war eine gewisse Karriere zugedacht.
Es sind immer die Augen, die im Iran zuerst von Kish erzählen, noch lange bevor ein erstes Wort gesprochen ist. Noch während die Lippen schweigen und das Hirn Sätze überlegt, die nichts kaputtmachen, nicht zu viel preisgeben und trotzdem angemessen schwärmen: als ob in Gedanken alle Traumstrände wieder auftauchten, türkisblaue Wellen, die Erinnerung an Partynächte, an Mädchen ohne Kopftuch und daran, Hand in Hand über den Sand ins Meer zu laufen.
»Keine Religion kann dir verbieten, eine Freundin zu haben«, sagt Abolhassan, vierundzwanzig Jahre alt, aus Teheran. Es ist der erste Satz, der ihm zu Kish einfällt. »Du kannst hier so sein wie sonst nur hinter deiner Haustür«, schwärmt auch Shirin, zweiundzwanzig, aus Bandar Abbas. »Kish ist Freiheit. Kish ist Jung-sein-Dürfen. Dein Kopftuch rutscht in den Nacken, mutiert fast zum Halstuch. Hier ist das möglich. Kish ist der Rest der Welt und trotzdem Iran.« Und Kish ist ein hochspekulatives Riesengeschäft – für Investoren zum Beispiel, die am nordöstlichen Zipfel mehr als eineinhalb Milliarden Euro ausgeben und ein luxuriöses Gegen-Dubai aus dem Sand emporwachsen lassen wollen.
Die Insel im Persischen Golf ist neunzig Quadratkilometer groß, annähernd oval, fünfzehn Kilometer lang, etwa neun breit, achtzehn Kilometer vom Festland entfernt. Und sie ist der Islamischen Republik Iran, zu deren Staatsgebiet sie gehört, ein paar Jahre voraus.
»Kish.« Das Wort ist mehr Augenausdruck als geografische Bezeichnung, steht gerade bei den jungen Leuten im Land für einen neuen, freieren Iran. Nach Kish – da wollen sie hin, dort ihre Ferien verbringen, an den Korallenriffs tauchen, in den Shoppingmalls bis abends um elf einkaufen. »Alles gibt es dort. Alles von Haribo bis Yves Saint Laurent«, sagt Abolhassan. Und wieder leuchten die Augen als ginge es um seine Freundin, mit der er sich endlich zeigen kann.
Zweimal war er dort, zweimal musste er lange dafür sparen. Kish ist Luxus für Iraner, unerschwinglich teuer für die meisten. Zwischen fünfunddreißig und sechzig US-Dollar kostet das Doppelzimmer in einem Vier-Sterne-Hotel, dreihundert Dollar sogar im besten Haus am Platz – bei einem durchschnittlichen monatlichen Pro-Kopf-Einkommen von rund hundertsiebzig Dollar.
In Kish gibt es Livemusik in Restaurants – verboten auf dem Festland. Und alles Geld für die teure Reise wert. Frauen dürfen hier immerhin mitwippen, mitswingen. In der Öffentlichkeit zu tanzen, ist ihnen im Iran verboten. Manchmal tun sie es dennoch, reizen den Toleranzspielraum der gottesfürchtigen Republik mehr als aus – und dürfen das auf Kish meistens folgenlos.
Die Insel will das Dubai Persiens werden: aufstrebend, vibrierend, schnell, ultramodern, frei, voller neuer Möglichkeiten. Sie ist Freihandelszone mit Sonderrechten, soll mit mehr Freiheiten ausländische Investoren locken, nebenbei viel Geld in die Staatskassen spülen. Von wessen Konto? Womit? Das ist fast egal. Auf Kish ist beinahe alles möglich.
Für diese Facette interessiert sich Abolhassan nicht: »Du liebst deine Freundin, du bist jung, du willst ihre Hand auch in der Öffentlichkeit halten.« Das ist es, was ihn bewegt. Soll doch jeder Geschäfte machen, mit wem er will. »Du willst mit ihr in Urlaub fahren, neben ihr im Sand liegen, mit ihr schwimmen gehen, ohne dass euch jemand in unterschiedliche Richtungen zerrt und bestraft. Im Iran ist das verboten – auch auf Kish.« Er streicht sich mit der rechten Hand durch den Dreitagebart. »Aber inoffiziell ist es hier möglich. Jeder weiß, dass keiner etwas sagen wird, wenn du dir hier einen stillen Strandabschnitt suchst. Und nachts kannst du im Sommer bei dreißig, fünfunddreißig Grad gemeinsam mit Freunden dort feiern, ihr könnt nebeneinander im Sand liegen, Wasserpfeife rauchen, Jennifer Lopez hören, sogar tanzen.«
Abolhassans ganzes Gesicht erzählt jetzt von der kleinen iranischen Insel im Persischen Golf, die nur gut dreißig Flugminuten von Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten entfernt ist, von fast allen Freiheiten, von allen Sünden. Tausendzweiundfünfzig Kilometer trennen sie von Teheran – Welten liegen dazwischen. Die Mundwinkel zucken, verziehen sich zu einem breiten, offenen Lächeln, die Zähne strahlen und die Augen scheinen von innen beleuchtet zu sein. »Auf Kish gibt es keine Pasdaran, keine Revolutionswächter.« Abolhassan faltet die Hände wie zum Gebet als dankte er Allah dafür, dass er die gefürchtete Sittenpolizei fernhalte. »Kish ist, als wärst du plötzlich nicht mehr im Iran. Kish ist wie Iran in zehn Jahren.« Jetzt wird seine Stimme leiser: »Vielleicht schon in fünf Jahren.«
Das Eiland ist die Experimentierküche der Revolution. »Hier testen die Mullahs mehr Freiheiten. Sie probieren im Kleinen Reaktionen auf etwas aus, was sie im Großen nicht mehr lange werden verhindern können,« sagt auch Reza, dreiundzwanzig, in dessen ganzem Leben es nur den Iran Khomeinis gegeben hat.
Vierzig Jahre liegt die Revolution zurück – der Schah, Soraya, Farah Diba, der gefürchtete kaiserliche Geheimdienst Savak, die anschließende Lynchjustiz und Massenhinrichtungen im Namen der Religion: All das war, bevor er seinen ersten Atemzug tat. Rund zwei Drittel der Iraner haben keine eigene Erinnerung an das Damals, siebzig Prozent sind jünger als dreißig Jahre. Fünfunddreißig Millionen der bald achtzig Millionen Einwohner Irans sind sogar unter zwanzig Jahre alt – und die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über vierzig Prozent.
Bevölkerung und Herrschende im Iran sind einander entfremdet – schon wieder. Die meisten Führer tragen graue Bärte und wollen die Gegenwart aussperren, Lebensfreude aus der Öffentlichkeit heraushalten und bestenfalls hinter Haus- und Wohnungstüren verbannen. Livemusik in Bars und Restaurants ist verboten. Sogar Billard war jahrelang als »unislamisch« verboten. Frauen müssen Schultern und Beine hinter mindestens knielangen und weit geschnittenen Mänteln verschwinden lassen, bei Strafandrohung Kopftuch tragen. Männer und Frauen dürfen im Iran der Revolution offiziell an keinem Strand gemeinsam baden – auch nicht, wenn sie verheiratet sind. Küsse in der Öffentlichkeit: undenkbar. Das Hotelzimmer teilen, ohne verheiratet zu sein: unmöglich. Vor- oder außerehelicher Geschlechtsverkehr: wird mit Steinigung bestraft.
Satellitenschüsseln stehen immer noch auf der Tabuliste – und trotzdem hat fast jede Familie eine, trotzdem fischen die jungen Leute damit Musikvideos vom Himmel. Die Geistlichkeit mag zumindest dagegen sicherheitshalber nichts mehr unternehmen. Es könnte der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen brächte. Und auch Alkohol, streng verboten, ist inzwischen verhältnismäßig leicht zu bekommen – weil Schmuggler zwar riskante, aber sehr gute Geschäfte damit machen und für steten Nachschub sorgen.
Das Land ist ein Wasserkessel, dessen Deckel zugeschweißt ist und unter dessen Boden die Herdplatte glüht. Kish – das sind die kleinen Ritzen in der Pfeife dieses Kessels. Kish ist, wo der Dampf entweicht – bis die Ritzen nicht mehr groß genug sind für all den Druck und der Kessel irgendwann platzen wird.
Rund fünfzig Hotels und Appartementanlagen mit insgesamt knapp neuntausend Betten gibt es zurzeit auf der Insel, die es damit auf gut eineinhalb Millionen Urlauber im Jahr und die höchste Hotelauslastungsrate des Landes bringt – fast ausschließlich Iraner. Zwei Tauchschulen gibt es, dazu die großen Einkaufszentren, von denen das exklusivste nahezu blasphemisch »Paradise II« heißt. Schaufensterpuppen tragen dort bereits, was niemand im Iran in der Öffentlichkeit herzeigen dürfte: enge Tops, knappe Minis.
Alice von Einem kam 1978 erstmals nach Kish, und in ihrem Fall war knappe Bekleidung durchaus erwünscht. Sie reiste mit ausgesucht schönen jungen Frauen im Gefolge und kam auf Einladung – und gegen Rechnung. Schon damals war Kish anders als der Rest des Landes. Die ursprünglich nur von ein paar Perlentauchern besiedelte Insel war Fluchtburg des Herrschers, Rückzugspunkt des mächtigen Schahs Mohammed Reza Pahlawi und seiner Günstlinge. Er hatte einen Palast an der Südostküste errichten, für sich und seine engsten Gefolgsleute vier Hotels und etliche Villen bauen lassen. Im Inneren des Casinos von einst dreht sich heute ein Kinderkarussell, und die Monitore von Videospielen flirren.
Ungesehen vom eigenen Volk spielte der Herrscher große Welt im Sand. Und kam ausnahmsweise die Familie mit in den Wochenendurlaub, dann reiste jedes der vier Kinder in einem eigenen Hubschrauber nach Kish – aus Sicherheitsgründen.
Vor allem aber mit Freunden traf sich der Schah hier – zum Poker-, in späteren Jahren zum Bridgespielen, hörte dabei mit Vorliebe Chopin, Liszt und die sanfte Brandung des Golfs. Oder er ließ sich zur Entspannung Filme vorführen. Glaubt man der deutschen Baronin von Einem, dann war der Mann auf dem Pfauenthron ein charmanter Gastgeber, der es leicht machte, für ihn zu arbeiten. Als »Madame Elle« stand sie einem hochexklusiven und entsprechend teuren Callgirl-Ring vor – und flog seinerzeit mit sechs käuflichen Mädchen nach Kish. Siebzigtausend Dollar durfte sie nach eigenen Angaben für den dreitägigen Ausflug vor über vier Jahrzehnten berechnen, die Spesen extra. Eingefädelt wurde das Geschäft, so Frau von Einem in ihrer Autobiografie, über einen Vertrauten des Herrschers.
Über die Insel schreibt sie dort wenig, einen Satz über die Wüstenlandschaft, ein paar Worte über die herrlichen hellen Strände, das Türkisblau des Golfs, den Garten des Palasts, den Pool des Kaisers, nichts über den heißen, ewigen Wind, der im Winter zur frischen Brise mutiert. Wahrscheinlich fehlte die Zeit, die Reize des Eilands zu ergründen. Vom Schah schwärmt sie umso ausführlicher. Und wiederkommen sollte sie. Daraus wurde nichts. Die Revolution kam dazwischen.
Das Haus steht noch heute. Es soll in ein Museum für Natur und Geschichte verwandelt werden. Sprechen will Madjid Shayesteh darüber nicht. Überhaupt will er am liebsten gar nicht über Kish sprechen, nicht über künftige Projekte, erst recht nicht über die Vergangenheit seiner Insel. Der Mann war Chef der Freihandelszonenbehörde Kish Free Zone Organization, die das gesamte Eiland umfasst und den Sonderstatus überhaupt erst ermöglicht. Sein Augenausdruck ist völlig anders als der von Abolhassan, Shirin, Reza und all den jungen Iranern, für die Kish für neue Freiheiten steht.
Irgendwie gelangweilt, übervorsichtig wirkt er: ein kräftiger Mittvierziger mit gestutztem grau meliertem Vollbart, braunen Augen. Eher macht- als selbstbewusst wirkt er – keiner, der mit ausgestreckter Hand auf Leute zugeht. »Kish.« Bei ihm hat der Name plötzlich gar keinen Klang mehr. Weil seine Augen nicht leuchten, wenn er von seiner Insel spricht. Eine große Zukunft stehe ihr bevor, das sagt er pflichtbewusst und überzeugt zugleich. Mehr nicht. Warum? Was ist geplant? Wie will er die Zukunft formen? »Sie wird groß.« Er spart die Worte lieber, geizt mit Reaktion. Nur nicht in die Karten schauen lassen. Das hat bei Ostblockfunktionären jahrzehntelang funktioniert, und wer nicht zu sehr auffiel, hatte auch nach allen Umwälzungen noch einen guten Job, ohne mit allzu bohrenden Fragen nach dem Gestern konfrontiert worden zu sein. Madjid Shayesteh scheint auf diesen Moment warten zu wollen und sich allen Charme aufzuheben für eine Zeit, in der Drahtseilakte über Wellen, Sand und kleinen Freiheiten nicht mehr nötig sein werden. Er nestelt an seinem grauen Anzug aus teurem, knitterfreiem Tuch, an seinem weißen Hemd, rückt die nicht vorhandene Krawatte zurecht und versucht möglichst desinteressiert einen Luftballon mit dem missglückten Slogan »Iran, please« anzustarren.
Eines nur will er plötzlich unbedingt loswerden: dass nichts dran sei an dem Gerücht, wonach die Erben von Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, einstiger Präsident und danach Vorsitzender des mächtigen Wächterrats der Revolution und damit so etwas wie direkter Disziplinarvorgesetzter des iranischen Präsidenten, größte Grundbesitzer auf Kish seien. Rafsandschani war einer der reichsten Männer des Landes, und für das »Projekt Kish« wäre es die beste Lebensversicherung über jede politische Gemengelage hinweg, wenn gerade seine Familie hier finanzielle Interessen verfolgte und sich an täglich steigenden Quadratmeterpreisen für Bauland freuen könnte.
Madjid Shayesteh will diese Versicherung offenbar nicht – oder nicht preisgeben, dass er auf eine solche Universalpolice setzen konnte: »Herr Rafsandschani hat die Freihandelszone Kish während seiner Amtszeit als Präsident begründet. Er stand dem Projekt sehr aufgeschlossen gegenüber. Er war auch schon auf Kish, aber seine Familie besitzt bei uns kein Land« – sagt Herr Shayesteh und schaut lieber schnell wieder auf den gelben Luftballon. »Und keine Villa. Er hatte nicht einmal ein Haus bei uns.«
Er könnte von den ausländischen Investoren kaufen, die Großes auf Kish vorhaben. Sie wollen die Insel auf die touristische Weltkarte hebeln und dafür gemeinsam mit Partnern mehr als anderthalb Milliarden Euro investieren. Ihr Erschließungsgrundstück, das alles in allem zweihundertsiebenunddreißig Hektar ausmacht, soll einmal zwei Golfplätze, Luxusvillen mit jeweils bis zu tausendachthundert Quadratmetern Wohnfläche und Einkaufsarkaden in einem durchaus stilvollen Architekturmix aus »Unter den Linden« und »Champs-Elysées« ergänzt um persische Komponenten umfassen – gewürzt mit einem Hauch von Nizza und einer Prise Italien. Der computeranimierte Jachthafen erinnert unterdessen an Marbellas Puerto Banus. Für jeden Geschmack etwas.
Die Erfolgschancen eines solchen Projekts stehen nicht schlecht, zumal angeblich gut dreißig Prozent der ursprünglichen Hauskäufer auf Dubais erfolgreicher Luxuslandgewinnung »The Palm Jumeirah« begüterte Iraner seien, die auch in der Heimat investieren würden, sofern es ein adäquates Angebot gäbe. Für die Einreise nach Kish ist anders als fürs iranische Festland keinerlei Visum erforderlich. Auch Auslandsiraner – etwa solche, die während der Revolution mit ihrem Kapital in die USA oder nach Europa ausgewandert sind – könnten dort problemlos in Häuser auf Heimaterde investieren und dank der Sonderrechte für Freihandelszonen visumsfrei ein- und ausreisen, ohne nach ihrer Vergangenheit befragt zu werden.
Fünfzehn Jahre lang zahlen sie keine Einkommensteuer, alle Ewigkeit können sie auf der Insel zollfrei einkaufen. Und Freunde und Verwandte, die damals nicht gefolgt sind, können jederzeit zu Besuch kommen. Für sie ist es eine Inlandsreise, für die sie niemandem Rechenschaft ablegen müssen.
Die Flüge auf die etwa zwanzigtausend Einwohner starke Insel Kish sind halbwegs erschwinglich, das Netz der Verbindungen in die Großstädte Teheran, Shiraz und Mashad ist dicht gewoben. International ist Kish mit bis zu zwölf täglichen Flügen an das Drehkreuz Dubai angebunden. Dafür sorgt vor allem Kish Air – ein Unternehmen, das praktischerweise von der Kish Free Zone Organization gegründet wurde, um den Tourismus auf der Insel überhaupt zu ermöglichen.
Die Gesellschaft sorgte erst einmal für Schlagzeilen: als eine Fokker 50 im Februar 2004 beim Landeanflug auf Dubais Nachbaremirat Sharjah abstürzte und drei Kilometer von der Piste entfernt in Flammen aufging. Es gab dreiundvierzig Todesopfer. Inzwischen verhandelt die Freihandelszonenbehörde mit internationalen Airlines, hofft auf Pioniere über die eigene Kish Air hinaus.
Schon der Schah, selber begeisterter Pilot, hatte große Pläne mit der kleinen Insel. Noch 1978, im Jahr vor seiner Flucht ins Exil, ließ er den im Wesentlichen von ihm selber genutzten Insel-Airport so ausbauen, dass auf einer über dreieinhalb Kilometer langen Piste selbst die Concorde starten und landen konnte. Keine drei Stunden sollte der knapp über fünftausend Kilometer weite Flug nach und von Paris dauern. Einmal nur setzte der zeitlos schöne Überschallflieger hier auf, nie nahm die Concorde Kish in ihr Liniennetz auf. Ein gutes Vierteljahrhundert später aber hat Air France Geschäft gewittert und die Insel im Nirgendwo 2004 tatsächlich in den Flugplan gehoben, wollte Paris und Kish Island zweimal pro Woche nonstop miteinander verbinden und auf der Strecke einen Airbus in luxuriöser Sonderausstattung einsetzen. Zur offiziellen Ankündigung reichte der Tatendrang – doch der Durchhaltewille fehlte. Über Nacht verschwand die neue Strecke auf die unbekannte Insel wieder aus dem Flugplan. Wahrscheinlich kam sie ein paar Jahre zu früh. Aber gut war die Idee, denn die Kolonie reicher Auslandsiraner ist gerade in Paris groß. Die Bande zwischen Persien und Frankreich sind seit jeher besonders eng – vor allem, wenn es ums Luxusleben geht.
Rund neunzig US-Dollar kostet der dreiviertelstündige Oneway-Flug von Dubai nach Kish. Noch sind potenzielle Immobilienkäufer auf die iranischen Linienflieger angew...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Über den Autor
  4. Titel
  5. Inhalt
  6. Das Übermorgenland am Golf
  7. Aus dem Schatten
  8. Auf der Antilopen-Insel des Scheichs
  9. Der siebte Zwerg
  10. Die Augen nach innen gerichtet
  11. Atlantis im Persischen Golf
  12. Ganz im Westen
  13. Himmel über der Wüste
  14. Wie Sand am Meer
  15. Schneller als die Polizei erlaubt
  16. Schneeballschlacht in der Wüste
  17. Hoheit auf Patrouille
  18. Der Delfinflüsterer von Musandam
  19. Neue Gesichter auf Sperrholz
  20. Auf dem Sandplaneten Jakku
  21. Tausend Meter über der Wüste
  22. Die »verbotenen« Inseln vor Abu Dhabi