Das hohe C
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Das hohe C

Politik aus dem Christlichen Menschenbild

  1. 240 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfĂŒgbar
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Das hohe C

Politik aus dem Christlichen Menschenbild

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Wohin geht die CDU – und welche Bedeutung hat das "C" im Namen der Partei noch? Der ĂŒberzeugte Christ Volker Kauder stellt klar, dass die Partei mit einer von manchen geforderten "Konservativen Revolution" nichts gewinnt. Ihre StĂ€rke sieht er nicht im Ausschließen, sondern im Integrieren, nicht im Spalten, sondern im ZusammenfĂŒhren. Aus seinem Glauben heraus plĂ€diert Kauder nicht fĂŒr eine christliche Klientelpolitik, sondern fĂŒr eine Politik, die sich am Christlichen Menschenbild orientiert: Er nimmt den Menschen in seiner GrĂ¶ĂŸe und SchwĂ€che ernst, sieht die Welt nicht dĂŒsterer, als sie ist, und steht ein fĂŒr eine Politik, die dem Menschen dient.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783451821479
Kapitel 1:Christliches Menschenbild und sÀkulare Gesellschaft?
Pluralismus –​ Chance und Herausforderung
In unserer heutigen Zeit fĂŒr das Christliche Menschenbild als Kompass zu werben, ist keine SelbstverstĂ€ndlichkeit. Das Christentum und mit ihm die Werte, die es anbietet, sind lĂ€ngst eine Option unter vielen. Neben der Vielfalt an religiösen Weltanschauungen ist auch eine zunehmende SĂ€kularisierung unserer Gesellschaft zu beobachten. Derzeit sind etwa 55 Prozent der Deutschen Mitglied einer Kirche, ungefĂ€hr 36 Prozent sind –​ zumindest in formaler Hinsicht –​ konfessionslos. Eine von der evangelischen und katholischen Kirche geförderte Studie2 der UniversitĂ€t Freiburg ergab kĂŒrzlich, dass sich bis 2060 die Anzahl der Kirchenmitglieder in Deutschland halbieren wird. Statt der derzeitigen 44,8 Millionen wird es dann etwa 22,7 Millionen Christen in unserem Land geben. Der Hauptgrund hierfĂŒr wird darin gesehen, dass es fĂŒr Eltern immer weniger selbstverstĂ€ndlich ist, ihre Kinder taufen und so in das kirchliche Leben hineinwachsen zu lassen. Neben den christlichen Kirchen ist auch der Islam –​ als zweitgrĂ¶ĂŸte Religionsgemeinschaft in Deutschland –​ eine maßgebliche GrĂ¶ĂŸe innerhalb der zunehmenden weltanschaulichen Vielfalt Deutschlands. Die Abwendung von institutionellen Formen des Christentums nimmt nicht nur in organisierter Form zu, sondern in einer oft diffusen PrĂ€gung, die aber gleichwohl das öffentliche Leben mitbestimmt.
Doch derartige Pluralisierungsprozesse sind nicht nur im Hinblick auf Religionen und Weltanschauungen festzustellen. Vergleichbare Beobachtungen lassen sich auch in Bezug auf andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens machen: Wir können also von einer Pluralisierung der Lebensformen sprechen. Besonders deutlich wird dies bei den Familien: Zur klassischen Kernfamilie aus verheirateten Eltern und ihren leiblichen Kindern treten vielfĂ€ltige Beziehungs-​ und Familienkonstellationen hinzu.
Angesichts dieser Vielfalt stellt sich die Frage, welche Relevanz das Christliche Menschenbild ĂŒberhaupt noch fĂŒr sich beanspruchen kann. Ist es nicht vielmehr so, dass gerade die gesellschaftliche Pluralisierung und die Abnahme der Zahl von Kirchenmitgliedern als ein Relevanzverlust des Christlichen zu werten ist? Ist es ĂŒberhaupt noch angemessen, in der sĂ€kularen und pluralistischen Gesellschaft, in der wir leben, von einem Christlichen Menschenbild zu sprechen, geschweige denn es als Kompass politischen Handelns ins GesprĂ€ch zu bringen? Welche Rolle kann diesem Menschenbild angesichts des Plurals von Weltanschauungen und Lebensformen noch zukommen?
Als ĂŒberzeugter Christdemokrat will ich das Christliche Menschenbild als Orientierungsangebot einbringen. Meine Überzeugung ist, dass es Orientierung in einer Zeit der Orientierungslosigkeit bieten kann. Zugleich sind die wachsende Vielfalt und die Tatsache, dass das Christentum lĂ€ngst eine Möglichkeit unter vielen geworden ist, nicht unbedingt Anlass zu Pessimismus. Vielmehr bietet die Pluralisierung große Chancen, weil sie zugleich auch eine Demokratisierung mit sich bringen kann. Mit anderen Worten: Angesichts der Vielfalt und der SelbstverstĂ€ndlichkeit, mit der wir diese akzeptieren, kann niemand –​ keine Weltanschauung, keine Religion, keine Ideologie –​ einen Alleinvertretungsanspruch fĂŒr die Werte und Regeln unserer Gesellschaft beanspruchen. Vielmehr sehen wir uns einem Markt der Weltanschauungen gegenĂŒber, auf dem das „C“ sich nicht (oder jedenfalls nicht mehr) durch Zwang, Konvention, Sitte oder Brauch durchsetzt, sondern durch authentische Überzeugungsarbeit, durch den –​ wie es Habermas vielfach formuliert hat –​ zwanglosen Zwang des besseren Argumentes. Gerade angesichts eines Plurals von Optionen kann hier eine bewusste Entscheidung ein Ausdruck echter Freiheit sein –​ ganz gleich, wie sie ausfallen mag. Auf einem solchen Markt der Weltanschauungen ist es jedermanns Pflicht, seine GrundĂŒberzeugungen deutlich zu machen und sich um einen guten Konsens in gesellschaftlichen und politischen Grundfragen zu bemĂŒhen.
Die Gefahr der SelbstvergleichgĂŒltigung
Der Fußballclub Real Madrid konnte 2014 die Nationalbank von Abu Dhabi als Sponsor gewinnen. Unaufgefordert entfernte der Verein in der Folge das kleine Kreuz aus dem Logo des Vereins, zumindest auf den Kreditkarten des neuen Sponsors. In diesem Zusammenhang brachte Bischof Wolfgang Huber den Begriff der SelbstvergleichgĂŒltigung ins GesprĂ€ch.3 Die Entfernung des Kreuzes geschah unaufgefordert. Mit anderen Worten: Real Madrid sprach dem Emirat Abu Dhabi –​ eigentlich fĂŒr seine Weltoffenheit bekannt –​ von vornherein die Toleranz gegenĂŒber einem christlichen Motiv ab. Das eigentliche Problem der SelbstvergleichgĂŒltigung besteht freilich nicht darin, wie Fußballvereine ihre Logos gestalten. Dennoch zeigt dieses plakative Beispiel, was mit SelbstvergleichgĂŒltigung gemeint ist: Aus einer offensichtlich ĂŒberambitionierten und falsch verstandenen Toleranz heraus das eigene, christlich geprĂ€gte Profil zu kaschieren, um Konfrontationen zu vermeiden. Doch das Problem einer solchen SelbstvergleichgĂŒltigung besteht gerade darin, dass sie dem Gesellschaftsmodell liberaler Demokratien und der Überzeugung entgegenlĂ€uft, dass alle Menschen wesentlich gleich sind und gleichermaßen ein Anrecht darauf haben, ihre Kultur und Weltanschauung sichtbar zu machen. Mit den Worten Wolfgang Hubers: „SelbstvergleichgĂŒltigung ist kein Beitrag zur Toleranz. Wo nur GleichgĂŒltigkeit herrscht, wird Toleranz unnötig.“4 Demokratische Ordnungen bilden ja gerade jenen Rahmen, innerhalb dessen eine Vielfalt von Kulturen und weltanschaulichen Positionen nebeneinander und miteinander bestehen kann. Sie ermöglichen darĂŒber hinaus aber auch die Anerkennung und das Aussprechen von echten Differenzen, ohne dass damit bereits schon eine Herabsetzung des GegenĂŒbers ausgesagt ist. Konkret bedeutet dies beispielsweise, dass wir dort, wo wir Konfliktpotenzial zwischen bestimmten AusprĂ€gungen des Islams und unseren im Grundgesetz festgeschriebenen Grundrechten, etwa der Gleichberechtigung von Mann und Frau, befĂŒrchten, dieses auch offen ansprechen mĂŒssen, ohne dass hier bereits Islamophobie unterstellt werden darf. Sich nicht selbst zu vergleichgĂŒltigen bedeutet, dass wir in einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft gerade nicht darauf verzichten, unsere Stimme zu erheben und darauf hinzuweisen, dass das Christliche Menschenbild etwas beizusteuern hat: nĂ€mlich dass es eine Ressource ist, deren Erhalt im Interesse aller ist und die fĂŒr aktuelle und zukĂŒnftige politische Herausforderungen Orientierung bieten kann. Der wichtigste Beitrag von Christen und denjenigen, die sich einer Politik auf der Grundlage des Christlichen Menschenbildes verpflichtet fĂŒhlen, besteht sicher nicht darin, sich selbst durch Schweigen und Selbstrelativierung unsichtbar zu machen, sondern fĂŒr die eigenen Überzeugungen einzustehen. Gerade in einer Gesellschaft, die zunehmend in allen Bereichen pluralistischer wird und in der andererseits IdentitĂ€t –​ also die Fragen „Wer bin ich?“ und „Wer sind wir?“ –​ zu einem bestimmenden politischen Grundthema wird, mĂŒssen wir sichtbar machen, wofĂŒr wir stehen. Das gilt fĂŒr die Kirchen, es gilt aber analog auch fĂŒr den politischen Bereich: Das „C“ sollten wir auch als politische OrientierungsgrĂ¶ĂŸe deutlich und grundsĂ€tzlich so zur Sprache bringen, dass Menschen sich hiermit identifizieren können.
SĂ€kularer Staat und Christliches Menschenbild
Aber ist nicht die Rede von einem Christlichen Menschenbild bereits ein Widerspruch zum sĂ€kularen SelbstverstĂ€ndnis unseres Staates? Sollten wir von Christen –​ und anderen religiösen Menschen –​ nicht vielmehr erwarten, dass sie sich im öffentlichen Raum an ein NeutralitĂ€tsgebot halten und daher ihre religiösen Ansichten in eine sĂ€kulare Sprache ĂŒbersetzen? Sollten Christen beispielsweise anstatt von Schöpfungsverantwortung in Talkshows und Parteiprogrammen nicht grundsĂ€tzlich von Nachhaltigkeit sprechen? Schließlich wĂ€re anzunehmen, dass der Begriff der Schöpfung fĂŒr die etwa 36 Prozent der Konfessionslosen in Deutschland wenig Überzeugungskraft entfaltet.
GrundsĂ€tzlich gilt: SĂ€kularer Staat und Christliches Menschenbild sind kein Widerspruch. In eleganter Deutlichkeit findet sich diese Einsicht im viel zitierten und im Grundsatz bleibend aktuellen Böckenförde-​Diktum, das besagt, dass der freiheitlich-​demokratische Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht zu garantieren vermag.5 Diese Beobachtung des Rechtsphilosophen Ernst-​Wolfgang Böckenförde beschreibt zunĂ€chst eine RealitĂ€t, sie ist also deskriptiv und betrifft den Ist-​Zustand, ohne eine Soll-​Aussage zu treffen. Böckenförde dachte bei seiner Aussage vor allem an das VerhĂ€ltnis zwischen dem Staat und den Kirchen. Aber genau dieser Zustand, dass der Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann, besteht unter verĂ€nderten Bedingungen weiter. Heute trifft das Diktum allerdings nicht nur fĂŒr die Kirchen, sondern auch andere weltanschauliche Gruppen zu. Die Tatsache, dass Religionen und GlaubensĂŒberzeugungen fĂŒr das gesellschaftliche Zusammenleben in einem Staat wichtige Ressourcen sind, bedeutet sodann auch, dass man als Politiker ein vitales Interesse daran haben muss, dass das „C“ prĂ€sent bleibt. Kein Politiker –​ egal welcher Couleur –​ kann ernsthaft wirklich wollen, dass sich das Christentum zurĂŒckzieht. So hat auch der Linken-​Politiker Gregor Gysi zu Recht geĂ€ußert, dass er in einer religionsfreien Gesellschaft nicht leben wolle, und ergĂ€nzt: „Ohne die Bergpredigt hĂ€tten wir ĂŒberhaupt keine allgemeinverbindliche Moral.“6
Religionen, GlaubensĂŒberzeugungen und Weltanschauungen bilden jenen Rahmen, innerhalb dessen der Einzelne entscheidet, was fĂŒr ein Mensch er sein möchte, wie er handeln will, wie er gut und böse, richtig und falsch unterscheidet, welche Maximen fĂŒr ihn in seinem Handeln leitend sind und wie er sich bei GĂŒterabwĂ€gungen verhalten will. Religionen können somit zum Handeln motivieren und beispielsweise zur FĂŒrsorge fĂŒr Mitmenschen antreiben. Das gilt nicht exklusiv –​ aber eben auch –​ fĂŒr Religionen. Eine Gesellschaft, die taub ist fĂŒr religiöse Stimmen, beraubt sich elementarer Ressourcen. Dass ein Staat einerseits weltanschaulich neutral ist und andererseits ein offenes und kooperatives VerhĂ€ltnis zu Religionsgemeinschaften, insbesondere auch dem Christentum, einnimmt, ist kein Widerspruch: Der Staat mag weltanschaulich neutral sein, aber er ist nicht wertneutral. Als Gesellschaft sind wir auf mehr als nur wirtschaftliche Erfolge, wissenschaftlichen Fortschritt, Wohlstand und politischen Frieden angewiesen: Unser Gemeinwesen braucht ein geteiltes Wertefundament, auf dem wir als BĂŒrger Vertrauen zueinander bilden können. Wir können dieses Vertrauen als „soziales Kapital“ betrachten. Weil mit dem Christlichen Menschenbild Werte zum Ausdruck gebracht werden, haben diese auch im sĂ€kularen Staat einen festen Platz, da wir aus ihnen ebendieses soziale Kapital schöpfen können, das unsere Zivilgesellschaft zusammenhĂ€lt. Dass der freiheitlich-​demokratische Staat gerade nicht wertneutral ist und auf Wertehaltungen angewiesen ist, die er selbst nicht einfach schaffen kann, bringt Volker Ladenthin dabei wie folgt auf den Punkt: „Der Staat kann das christliche Menschenbild nicht setzen, er kann es aber voraussetzen.“7
Wir hatten eingangs gefragt, ob in einem sĂ€kularen Staat nicht erwartet werden darf, dass religiöse BĂŒrger ihre Positionen in eine sĂ€kulare Sprache ĂŒbersetzen, wenn sie sich an öffentlichen Diskursen beteiligen. Diese Frage ist mit einem deutlichen „Jein“ zu beantworten. Denn gerade weil der Staat seinen BĂŒrgern Religionsfreiheit einrĂ€umt, darf er von ihnen nicht grundsĂ€tzlich verlangen, dass sie alle ihre religiösen Überzeugungen in eine sĂ€kulare Sprache ĂŒbersetzen (wenn das ĂŒberhaupt möglich wĂ€re). Der sĂ€kulare, weltanschaulich neutrale Staat darf von seinen BĂŒrgern nicht erwarten, dass sie selbst in ihrer persönlichen LebensfĂŒhrung ebenfalls sĂ€kular sind. Religion und mit ihr eine religiös geprĂ€gte Sprache dĂŒrfen nicht einfach aus dem Bereich der Öffentlichkeit verbannt oder gar tabuisiert werden: Eine solche Erwartungshaltung wĂ€re ein Verstoß gegen die weltanschauliche NeutralitĂ€t, die auch bedeutet, dass der Staat areligiöse und sĂ€kulare Weltanschauungen nicht prinzipiell bevorzugen darf. Es wĂ€re eine Aushöhlung des Grundrechts auf Religionsfreiheit, wenn man es auf die negative Religionsfreiheit reduzieren wĂŒrde. Religionsfreiheit bedeutet auch, dass jeder BĂŒrger das Recht hat, die GrĂŒnde zu nennen, die fĂŒr ihn in moralischen oder politischen Fragen leitend sind. AktualitĂ€t und Relevanz des Christlichen Menschenbildes leben davon, dass wir uns einerseits seiner normativen Leitvorstellungen bewusst sind, und es andererseits schaffen, diese so zur Sprache zu bringen, dass sie auch dort nachvollziehbar sind, wo Menschen anderen weltanschaulichen Kontexten entstammen.
Allerdings gibt es einen Bereich, in dem diese Übersetzungsleistung tatsĂ€chlich erbracht sein muss: im Parlament. Abgeordnete sind keine Interessenvertretungen fĂŒr bestimmte Gruppen, sondern vertreten das ganze Volk, sĂ€kulare wie religiöse BĂŒrger, und mĂŒssen daher ihre Positionen so zur Sprache bringen, dass sie fĂŒr jeden prinzipiell verstĂ€ndlich und zustimmungsfĂ€hig sind. Konkret: Wer im Parlament beispielsweise gegen eine Liberalisierung im Hinblick auf SchwangerschaftsabbrĂŒche oder die assistierte Selbsttötung argumentieren will, kann sich dabei nicht auf Bibelzitate oder die AutoritĂ€t pĂ€pstlicher Enzykliken beziehen, sondern muss fĂŒr die eigene Überzeugung rational eintreten. Hier gilt allerdings auch: Abgeordnete vertreten zwar das ganze Volk, aber –​ so formuliert es das Grundgesetz in Artikel 38 –​ sie sind nicht an AuftrĂ€ge oder Weisungen gebunden und allein ihrem Gewissen unterworfen.
Dabei kommt ein weiterer Aspekt der Eigenart parlamentarischen Handelns zum Tragen. Denn wĂ€hrend Kirchen bei der Formulierung ihrer Positionen nicht auf Mehrheiten oder die Zustimmung anderer angewiesen sind, stehen politische VerantwortungstrĂ€ger, vor allem Abgeordnete, oft vor einem Dilemma: Gesetzgebungsprozesse sind auf Mehrheiten angewiesen. Dieses SpannungsverhĂ€ltnis zwischen Wahrheit und Mehrheit lĂ€sst sich nur durch das Aushandeln von Kompromissen ĂŒberwinden. Solche Kompromisse sind auf eine gemeinsame VerstĂ€ndigungsbasis angewiesen, die gerade auch jenseits konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Differenzen tragen muss. Auch deswegen ist es notwendig, rational und ohne religiöse Vorannahmen fĂŒr den eigenen Standpunkt zu werben. Abgeordnete stehen vor dem Dilemma, einerseits Kompromisse eingehen und sich so teilweise auch von der eigenen Position entfernen zu mĂŒssen, und andererseits auch nicht einfach nichts tun zu können. Auch der Verzicht zu handeln ist eine Handlung, die einer moralischen Rechtfertigung bedarf. Wo politische VerantwortungstrĂ€ger sich aus idealistischen oder ideologischen ErwĂ€gungen heraus grundsĂ€tzlich einer Kompromissfindung verweigern, darf gefragt werden, ob sie der ihnen ĂŒbertragenen Verantwortung gerecht werden.
Christliche Politik?
Parteien, die das „C“ im Namen fĂŒhren, mĂŒssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie denn christliche Politik machen. Hier ist mit Nachdruck zu betonen: CDU und CSU machen keine christliche Politik, sondern Politik auf der Grundlage des Christlichen Menschenbildes. Christliche Politik könnte so zu verstehen sein, dass die C-​Parteien der verlĂ€ngerte Arm der Kirchen sind. Dabei muss klar gesagt werden: CDU und CSU sind nicht AusfĂŒhrungsorgan der Kirchen. Sie sind gleichwohl auf die Kirchen als orientierungsgebende GesprĂ€chspartner angewiesen. Das VerhĂ€ltnis zwischen Kirchen und Parteien, die sich an dem Christlichen Menschenbild ausrichten, ist geprĂ€gt von einer produktiven Distanz. Kirchen geben Politik nicht einfach vor, sind aber ein wichtiger GesprĂ€chspartner fĂŒr Parteien. Die Stellung der Kirchen ist dabei allerdings nicht exklusiv: Auch andere Religions-​ und Weltanschauungsgemeinschaften können ein wichtiger GesprĂ€chspartner der Politik sein.
Christliche Politik hingegen kann es nicht geben, sondern nur eine Politik aus dem Geist christlicher Verantwortung fĂŒr Gesellschaft und Staat. Aus dieser Verantwortung heraus machen Christen Politik und orientieren sich dabei am Christlichen Menschenbild. „Christliche Politik“ hat zudem einen exklusivistischen Beigeschmack, als ob sie nur von und fĂŒr Christen betrieben wĂŒrde. Das SelbstverstĂ€ndnis der CDU hingegen war stets inklusiv: Nicht nur Katholiken und Protestanten sollten in ihr eine politische Heimat finden, sondern auch jene, die religiös und weltanschaulich nicht im Christentum beheimatet sind. Der entscheidende Punkt ist: Eine exklusivistisch verstandene „christliche“ Politik wĂ€re ihrerseits ganz und gar nicht christlich. Denn es gehört maßgeblich zum Christlichen Menschenbild, gerade keine Unterschiede zwischen Menschen –​ etwa aufgrund ihrer Religio...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Danksagung
  6. Einleitung
  7. Kapitel 1: Christliches ‹Menschenbild und sĂ€kulare Gesellschaft?
  8. Kapitel 2: Grundlinien eines Christlichen Menschenbildes
  9. Kapitel 3: Leitideen fĂŒr eine Politik, die sich am „C“ orientiert
  10. Kapitel 4: Das Christliche Menschenbild in der Politik
  11. Kapitel 5: Neue Herausforderungen, neue Chancen
  12. Schluss
  13. Anmerkungen
  14. Über den Autor