Handbuch Rhythmik und Musik
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Handbuch Rhythmik und Musik

Theorie und Praxis für die Arbeit in der Kita

  1. 304 Seiten
  2. German
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Handbuch Rhythmik und Musik

Theorie und Praxis für die Arbeit in der Kita

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Musik und Rhythmik stellen in der frühen Kindheit entwicklungsrelevante Bildungsbereiche dar. Angebote mit Musik, Bewegung, Sprache und Materialien geben Impulse zur Entwicklung von vielfältigen Transferkompetenzen. Das, Handbuch Musik und Rhythmik' vermittelt in diesem Zusammenhang grundlegendes, differenziertes und weiterführendes Wissen in Theorie und Praxis für die Arbeit in der Kindertagesstätte. Es beschreibt, wie Musik und Rhythmik konzeptionell in die Kita integriert werden können. Grundlagenwissen in den Bereichen Entwicklungs- und Musikpsychologie, die Vorstellung von Musikkonzeptionen sowie der methodisch-didaktische Einsatz von Bildungsangeboten machen das Buch komplett.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783451819162

1 Musik – ein Medium mit vielen positiven »Nebenwirkungen«

Haben Sie das auch schon einmal erlebt: Sie hören eine Melodie und sind bis in Ihr Innerstes berührt? Sie kämpfen mit den Tränen und wissen nicht, ob es Tränen der Freude oder der Traurigkeit sind. Sie tauchen aus dieser Erfahrung ergriffen und gleichzeitig gelöst auf. Oder: Sie hören Musik und es hält Sie nicht auf dem Stuhl. Sie müssen sich zur Musik bewegen, um ihre Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Der ganze Körper ist wie von Zauberhand gepackt; Sie erleben und gestalten die Elemente der Musik durch rhythmisierte und differenzierte Bewegungsausführung. Der charakteristische Klang und Ausdruck der Musik wird tanzend zum Ausdruck gebracht. Individuelle innere Befindlichkeiten verknüpfen sich mit der emotionalen Botschaft der Musik und werden durch Bewegung zu einer sinnlichen Erfahrung.
Wie kann es sein, dass Musik solch eine Macht über Menschen haben kann? Der Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage findet sich zu Beginn unserer Existenz. Ob als Musik, Sound, Klang, Geräusch, rhythmisches Klopfen, Vibration – wahrgenommen hat ihn jeder Mensch von Anbeginn: den rhythmischen Herzschlag der Mutter. Musik begleitet uns schon vor der Geburt – und während unseres ganzen Lebens. Die individuelle Prägung des Musikgeschmacks beginnt schon im Mutterleib und ist nach der Geburt besonders stark von emotionalen Bezügen und Erlebnissen mit der sozialen Umwelt geprägt.
Musik ist im wahrsten Sinne des Wortes unfassbar! Sie kann, anders als ein Bild oder eine Statue, nicht betrachtet und berührt, jedoch im doppelten Wortsinn gefühlt werden. Musik ist physikalisch nichts anderes als Schwingung, und Schwingung ist Bewegung. Eine sich bewegende Saite versetzt die Luft in Schwingung, so dass wir sie nicht nur hören, sondern bei tiefen Tönen die Schallwellen auch spüren können. Musik ist ein Phänomen – ein nicht nur emotional berührendes, universell verbindendes und kulturstiftendes Medium der Menschheit.
Musik beeinflusst nicht nur die Emotionen, sondern ist eng mit der Sinneswahrnehmung, und hier vor allem natürlich mit der Hörwahrnehmung, verbunden. Hörereignisse geben uns vor allem in Kombination mit anderen Sinnen, wie zum Beispiel Sehen, Tasten, Spüren, Riechen, Informationen über die Beschaffenheit eines Gegenstandes, über die Größe von Räumlichkeiten, über Situationen (z. B. quietschende Reifen, Donner). Unbestritten ist, dass die auditive Wahrnehmung für das Überleben des Homo sapiens wichtig war und ist. Aus diesem Grund versucht das Gehirn, selbst aus einer beiläufigen Hörwahrnehmung (z. B. Naturgeräusche, Tierlaute) eine Regel oder ein Muster herauszufiltern – es könnte ja eine wichtige Information sein. Auch dort, wo Klänge und Geräusche ohne Absicht entstehen, wie beim Türenschlagen durch den Wind, lauscht der Mensch, und es ist beruhigend, wenn das Geräusch bekannt und vertraut ist. Besonders für Kinder sind Geräusche faszinierend und geheimnisvoll. Wer erinnert sich nicht an eine Situation aus der Kindheit, wie zum Beispiel die erste Übernachtung in einem Zelt, die schlafraubende Aufregung durch die ungewohnt nahen Naturgeräusche …

Was ist eigentlich Musik? Eine Spurensuche

Musik unterscheidet sich von unwillkürlichen Geräuschen, Tönen und Klängen der Natur oder der uns umgebenden dinglichen Welt und kann als absichtsvolles Spiel von Klängen, Lauten und Geräuschen definiert werden. Aus diesem elementar anmutenden Blickwinkel betrachtet, ist das absichtsvolle Rasseln eines Kleinkindes ebenso Musik und zeigt das breite Spektrum, in dem sich das Medium Musik bewegt.
Hören wir als Westeuropäer allerdings Musik aus anderen Kulturen, wie zum Beispiel klassische indische Musik, müssen wir uns erst in die musikalischen Strukturen von Rhythmen und Melodieführung hineinhören, um sie nachvollziehen, das heißt wiedererkennen zu können, damit die Musik für unsere westlich geprägten Hörgewohnheiten in irgendeiner Weise verständlich wird. Ansonsten nehmen wir gewollt oder ungewollt Musik, die sich gänzlich von den musikalischen Konventionen der westlichen Musik unterscheidet, zuerst lediglich als eine Art von »Klangbrei« wahr. Unabhängig von der kulturellen Prägung gibt es individuelle Ausprägungen: Ob bestimmte Musik als Musik oder als Lärm wahrgenommen wird, ist bei jedem Menschen verschieden. Denn was für den einen eine angenehme Musik ist, empfindet ein anderer als Grenze zur Folter (vgl. Geisel 2010).
Musik ist in allen Kulturen ein wichtiger Bestandteil des individuellkulturellen Ausdrucks. Wiegenlieder, Kniereiter, Spiellieder gibt es in allen Ländern der Erde, und sie vermitteln den Kindern in ihrer jeweiligen Muttersprache einen individuellen kulturellen Schatz, der von Generation zu Generation weitergegeben wird und gleichzeitig identitätsstiftend wirkt.
Außerdem ist Musik besonders geeignet, bestimmten Anlässen »eine besondere Note« zu geben: sei es ein Fußball-Länderspiel, bei dem zu Beginn die Nationalhymnen der beteiligten Länder zu hören sind, oder die musikalische Gestaltung einer Vernissage, die das bildhafte ästhetische Erleben durch auditive Klangerfahrungen noch vertiefen soll, oder bei Hochzeiten, Beerdigungen, Stadtfesten … Diese Liste ließe sich beliebig weiterführen, zeigt jedoch, dass Musik das Gefühl von Zusammengehörigkeit vermittelt und Gemeinschaftserleben stärkt. Anthropologisch ausgedrückt: Sie hilft dem »Stamm«, also der Familie, der Stadt, der Nation, eine spezifische kulturelle Identität zu entwickeln und zu festigen (vgl. Altenmüller 2018, S. 60 ff., Kölsch 2019, S. 129 ff.).
Wie die individuelle musikalische Entwicklung beim Kind im neurowissenschaftlichen und im entwicklungspsychologischen Sinne verläuft, das wird im Folgenden beschrieben. Dabei wird deutlich, dass zur Betrachtung des Phänomens Musik und des Bildungsbereichs Musik aus verschiedenen Blickwinkeln unterschiedliche Vorgehensweisen notwendig sind. Der neurowissenschaftliche und neuropsychologische Blickwinkel stützt sich auf messbare naturwissenschaftliche Ergebnisse, wohingegen die allgemeine Psychologie und Pädagogik ihre Erkenntnisse empirisch und vergleichend gewinnen. Interessant ist, wie sich die Ergebnisse der angesprochenen Richtungen ergänzen und die Wirkung von Musik auf die Entwicklung von Kindern gegenseitig bestätigen.

1.1 Sozial-emotionale und sprachliche Entwicklungsförderung durch Musik

In einem Vortrag zum Thema »Musik und kindliche Bildung« konstatierte der Hirnforscher und Psychiater Manfred Spitzer, »… dass Musik einen wesentlichen Beitrag zur Erziehung des kleinen Kindes geben kann« (Spitzer 2005). Was dies im Einzelnen für die Bezugspersonen und pädagogische Fachkräfte bedeutet, und welche Wirkungsebenen vor allem im Hinblick auf eine positive Entwicklung im sozialemotionalen und sprachlichen Bereich dabei angesprochen werden, wird nachfolgend vorgestellt.

1.1.1 »Bindungsverstärker« Musik

Vom ersten Tag reagieren Säuglinge auf soziale Stimuli wie das Gesicht der Mutter und menschliche Stimmen, insbesondere wenn sie positive Emotionen vermitteln. Interessanterweise ist die non-verbale Kommunikation zwischen Betreuungspersonen und dem Säugling durch zahlreiche rhythmische Handlungen bestimmt. Papougek (1996) stellte in ihren Untersuchungen fest, dass tätscheln, streicheln, kitzeln und wiegen fünfzig Prozent der Interaktionen zwischen Müttern und ihren drei Monate alten Säuglingen ausmachen. Diese intuitive Kommunikation zwischen Eltern, Bezugspersonen (»intuitive parenting« nach Papougek & Papougek 1981) mit Babys und Kleinkindern ist geprägt von der Fürsorge der Eltern und ihrer Kommunikationsfähigkeit entsprechend dem Entwicklungsstand ihres Kindes. Sie unterstützen den Entwicklungs- und Reifungsprozess ihres Kindes vor allem mit den Mitteln kindgerechter Musik und Sprache (→ in diesem Kapitel »Kindgerechtes Singen und Sprechen«, S. 17).
Lieder, die den Inhalt durch Berührungen und Gesten spür- und sichtbar machen, wirken dabei wie ein emotionaler Botenstoff, der beiden Seiten – Kind und Eltern – Freude bereitet. Dabei sei dahingestellt, dass bei den Eltern die Freude an diesen Spielformen oftmals erst durch die ansteckende Begeisterung ihres Kindes entsteht. In der Tat geht die moderne Entwicklungspsychologie davon aus, »… dass Individuen nicht nur durch ihre Entwicklungsumwelt beeinflusst werden, sondern ihrerseits Einfluss auf ihre Umwelt nehmen bzw. die passende Umwelt suchen und sich somit ihre Entwicklungsbedingungen partiell selbst schaffen oder wählen« (Oerter & Montada 2002, S. 5).
Vordergründiges Ziel dieser Art der Kommunikation ist es, das Baby oder Kleinkind zum Lächeln und zum Lachen zu bringen und dadurch die Bindung zu ihm zu stärken.
Aus dieser Form von Interaktion zwischen Eltern und Kind entwickeln sich sogenannte »sicher gebundene Kinder«. Eine sichere Bin- dung kann sich nur dann entwickeln, wenn Eltern ihre Kinder während des Baby-, Klein- und Kindergartenalters in ihrem Bewegungsdrang und ihrer Neugierde unterstützen. So entwickelt sich bei den Kindern gleichsam »automatisch« ein positives Selbstwertgefühl, wenn sie sich von klein auf in ihren Aktivitäten, in ihrem »Forscherdrang«, unterstützt fühlen und Selbstwirksamkeit – »Ich kann etwas bewegen!« – erleben.
Diese Selbstwirksamkeitserfahrungen sind ein grundlegender Baustein für eine positive Entwicklung der Persönlichkeit. Denn das Erleben von Selbstwirksamkeit motiviert die Kinder, stärkt das Selbstbewusstsein und fördert die Entwicklung von Autonomie.
Sicher gebundene Kinder entwickeln sich im Vergleich mit unsicher gebundenen Kindern besser. Sie entwickeln gute Problemlösefähigkeiten, die Kinder können sich in der Regel besser konzentrieren, besitzen mehr Ausdauer und haben eine längere Aufmerksamkeitsspanne. Die Kinder sind sozial aufgeschlossener und in ihren Handlungen flexibler und haben genügend Selbstvertrauen, um zum Beispiel Hilfe zu erbitten (vgl. Hirler 2010b, S. 42 f.; vgl Hirler 2018, S. 10). Altersentsprechende Musikspiele und Spiellieder helfen besonders effektiv, eine sichere Bindung bei Kindern zu entwickeln (→ Kapitel 5.5 und → Kapitel 6.2.3).

1.1.2 Musik und Sprachentwicklung

Der aufrechte Gang und die sich dadurch verändernde Lebensweise der Urmenschen vor rund zweieinhalb Millionen Jahren soll den Impuls zur Entwicklung der Sprache gegeben haben. Anthropologen und Sprachwissenschaftler gehen davon aus, dass die Sprache sich als effektives Instrument im Kontext der sozialen Pflege von Beziehungen entwickelte. Ging man früher davon aus, dass die Wissensvermittlung der ausschlaggebende Impuls für die Entwicklung der menschlichen Sprache war, so geht die Wissenschaft heute davon aus, dass der Beziehungsaspekt im Vordergrund stand (vgl. Mithen 2006).
Ausgangspunkt der neuen sprachevolutionären Erkenntnisse ist eine sich verändernde Mutter-Kind-Beziehung. Durch den aufrechten Gang und die geringer werdende Körperbehaarung zum Festhalten ließen sich die Babys nicht mehr so effektiv tragen. Die Nahrungssuche wurde dadurch für die Mütter wesentlich beschwerlicher. Lautierender Sing-sang und verbalgesangliche Frage-und-Antwort-Spiele sollen so wie auch heute noch die Babys beruhigt haben. Der verbalgesangliche Dialog machte es den Müttern schon vor Hunderttausenden Jahren möglich, ohne ihr Kind zum Beispiel auf Bäume zu klettern, um Früchte zu pflücken – und auf die heutige Zeit übertragen gibt er den Eltern einen Spielraum, um den Kinderwagen in das Auto zu laden oder das Essen zu kochen.
Aus Gestik, Mimik, den Gebärden und Lautäußerungen soll sich nach und nach »Sprache« entwickelt haben (vgl. Falk 2004). Diese As...

Inhaltsverzeichnis

  1. Inhaltsverzeichnis
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. 1 Musik – ein Medium mit vielen positiven »Nebenwirkungen«
  7. 2 Die Entwicklungsgeschichte frühkindlicher Musikpädagogik und Rhythmik
  8. 3 Musikalische Bildung in der Frühen Kindheit
  9. 4 Institutionelle und didaktische Rahmenbedingungen
  10. 5 Singen mit Kindern
  11. 6 Rhythmisch-musikalische Erziehung: Wirkungsfelder und Methoden
  12. 7 Zur Didaktik der Rhythmik – Grundlagen pädagogischen Handelns
  13. 8 Musik- und Rhythmikangebote in der Praxis
  14. Literatur
  15. Personen- und Sachregister