Zweite These:
Wir nehmen Flüchtlinge auf – unter diesen Bedingungen
Zwischen Auswanderung und Einwanderung besteht eine Asymmetrie, die aufgrund der deutsch-deutschen Erfahrungen leicht übersehen wird. Es ist ein Menschenrecht, dass jeder (straf- und schuldenfreie) Einwohner sein Heimatland verlassen darf. Es gibt aber kein Menschenrecht auf Einwanderung, schon gar nicht in das Land seiner Wahl.
Die Dinge liegen beim Staatsgebiet so ähnlich wie bei der Wohnung: Niemand darf mich in meiner Wohnung einschließen. Aber ohne meine Erlaubnis darf sich niemand in meiner Wohnung niederlassen, er darf sie nicht einmal ohne meine Zustimmung betreten – außer Polizei und Feuerwehr. Das wäre Hausfriedensbruch. Und wer auswärts übernachten möchte, kann das nicht als Recht einfordern, sondern muss bitten, auch wenn er bezahlt, und kann abgewiesen werden.
»Menschenrecht« heißt hier: Das Recht auszuwandern ist sozusagen jedem Menschen angeboren. Das Recht einzuwandern muss dagegen verliehen werden von den Vertretern der dortigen Staatsbürger. Sie wollen entscheiden, wer zu ihnen kommen darf. Deshalb verlangen sie auch, dass jeder, der kommt, sich korrekt ausweist. Es kann keinen Staat ohne Grenzen und Grenzregime, also die Gesamtheit aller Maßnahmen zur Grenzsicherung, geben. Wo zwischen Staaten die Aufhebung der Grenzkontrollen vereinbart wird, muss das Grenzregime an die gemeinsamen Außengrenzen verlagert werden.
Wem der Asyl- oder der Flüchtlingsstatus verliehen werden darf und wem er gewährt werden muss, ergibt sich aus dem nationalen Recht und aus dem Völkerrecht. Das alles ist inzwischen unübersichtlich kompliziert geworden und insofern wohl revisionsbedürftig, aber im Kern nicht verkehrt. Wir müssten nur unsere Rechtslage ernster nehmen.
Manche lehnen alle Zugangsrestriktionen an den Grenzen Europas oder Deutschlands als inhuman ab und reden mit Abscheu von der »Festung Europa«, die es zu vermeiden gelte. Denen muss entgegnet werden: Uneingeschränkt offene Grenzen und Sozialstaat schließen einander aus, da das unbegrenzte Ausgaben bei begrenzten Einnahmen zur Folge hätte. Aber auch die Rechtssicherheit kann nur von Institutionen gewährleistet werden, die für ein definiertes Gebiet zuständig sind. Man kann nicht gleichzeitig alle aufnehmen, die kommen wollen, und allen das Existenzminimum eines blühenden Wohlstandsstaats bieten, das ein Vielfaches des Durchschnittseinkommens vieler Herkunftsländer beträgt. Staatliche Leistungen können nur denjenigen Ausländern in Deutschland gewährt werden, die einen Aufenthaltstitel erlangt haben. Die Mindestvoraussetzung ist, dass sich die Person legal in Deutschland aufhält und nicht illegal.
Dagegen wird eingewendet: »Kein Mensch ist illegal.« Der Satz ist erstens richtig. Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben. Seine Existenz ist nie illegal. Zweitens aber vernebelt der Satz notwendige Unterscheidungen. Zweifellos können Menschen, die nicht illegal sind, Illegales tun und sich auch irgendwo illegal aufhalten, als Einbrecher etwa. Der illegale Grenzübertritt ist auch dann illegal, wenn dort nur Schilder stehen und kein Zaun oder gar eine Mauer mit Stacheldraht. Das deutsche Strafgesetzbuch sieht dafür bis zu drei Jahre Haft vor. Menschen, die vor einer Gefahr für Leib und Leben fliehen, sind zwar berechtigt, sich ohne Visum über eine Grenze in Sicherheit zu bringen, aber nicht berechtigt, weltweit visafrei zu reisen. In solch einem angrenzenden sicheren Land müssten sie ein Visum beantragen, das ist rechtlich klar geregelt. Für Menschen, die ohne gültiges Visum nach Deutschland kommen, ist diese Strafvorschrift allerdings derzeit unwirksam, wenn sie Asyl beantragen. Denn dann wird die Strafanzeige der Bundespolizei gelöscht und ein Asylantrag aufgesetzt, der ihnen bis zur Entscheidung ihres Antrags Aufenthaltsgestattung und Grundversorgung gewährt. Das könnte auch anders geregelt werden. Anträge auf Asyl könnten auch vor deutschen oder europäischen Vertretungen in sicheren Drittstaaten gestellt werden, die Migranten ohnehin durchqueren müssen. Bei Genehmigung würde ein Einreisevisum erteilt, das den Gebrauch sicherer Verkehrsmittel ohne kriminelle Schlepper ermöglichen würde.
Dem allen widersprach nur scheinbar die Erfahrung im geteilten Deutschland. Alle DDR-Bürger durften sich in der Bundesrepublik niederlassen. Das lag aber nicht an einem großzügigen Einwanderungsrecht, sondern daran, dass sie nach der Definition des Grundgesetzes (Art. 116) deutsche Staatsbürger waren, also keine Ausländer und deshalb auch keine Einwanderer.
Wichtig ist an dieser Stelle: Wir müssen grundsätzlich unterscheiden zwischen Flüchtlingen und Einwanderern. Flüchtlinge sind einer Gefahr für Leib und Leben oder einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihrer Menschenwürde entflohen. Oft haben sie Schreckliches erlebt und das Mitleid möchte ihnen schon deshalb ein Bleiberecht zuerkennen. Aber rechtlich gesehen sind nicht erlittene Qualen Gründe für Asyl und Flüchtlingsstatus, sondern nur drohende Qualen, zum Beispiel bei einer Rückkehr. Dieser Flüchtlingsstatus ist zunächst auf die Dauer der Gefahr begrenzt und gilt höchstens drei Jahre.
Einwanderer verlassen ihre Heimat dauerhaft oder auf Zeit, um an einem anderen Ort bessere Lebenschancen zu finden. Bei den Flüchtlingen entschied das Woher, jetzt entscheidet das Wohin. Für die Migranten selbst kann sich beides verbinden. Sie wollen etwa dem syrischen Bürgerkrieg entfliehen, aber unbedingt nach Deutschland, weil sie dort am kräftigsten unterstützt werden oder dort schon Verwandte sind. Einen Rechtsanspruch haben Flüchtlinge aber nur auf Schutz und nicht auf Glück. Und jedenfalls unterscheiden die aufnehmenden Staaten bei der Gewährung von Bleiberechten immer: Flüchtling oder Einwanderungswilliger?
Flüchtlingen schützenden Aufenthalt zu gewähren, ist eine Forderung der Humanität und das darf auch etwas kosten, oder: Es muss sich für uns nicht lohnen. Vorbedingungen wie Gesundheitsnachweis oder Sprachkenntnisse oder Qualifikationen werden selbstverständlich nicht gestellt. Wir finanzieren sie aus Steuergeldern, denn es geht ja um ihr Leben.
Bei Einwanderern dagegen dürfen wir unsere Interessen geltend machen. Einwanderung muss sich auch für uns lohnen. Jedenfalls darf sie auf lange Frist nicht defizitär sein. Einwanderer müssen für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen, also auf unserem Arbeitsmarkt Arbeit finden. Typische Einwanderungsländer machen die Einwanderung abhängig vom Nachweis, womit die Betreffenden ihr Leben bestreiten wollen, von einer finanziellen Mindestausstattung, einem Gesundheitsnachweis und dem Nachweis ihrer Sprachkenntnisse, die sie bereits zu Hause erworben haben müssen. Sie verlangen, dass Einwanderer der einheimischen Bevölkerung nicht zur Last fallen.
Allerdings gibt es auch bei der Anwerbung von Fachleuten aus ärmeren Ländern ethische Bedenken, zum Beispiel den brain drain: Bedeutet das nicht Talentschwund, Entzug von »Humankapital« zu unseren Gunsten? Hier müssen wir aufpassen, dass wir nicht der Logik einer Neo-Sklaverei verfallen und so tun, als wären jene Fachleute Staatseigentum. Herkunftsländer können Studenten Stipendien für Europa gewähren und die Verpflichtung zur Rückkehr zur Bedingung machen. Es sind auch befristete Arbeitsvisa denkbar. Im Übrigen gehen auch deutsche Spitzenkräfte ins Ausland. Wenn man etwas dagegen tun will, darf dies jedenfalls nicht freiheitswidrig sein.
Das Argument des brain drain darf vor allem nicht darüber hinwegtäuschen: Unsortierte Zuwanderung ist die unrentabelste Art, fehlende Arbeitskräfte zu gewinnen. Viele Migranten sind Analphabeten, viele haben keine abgeschlossene Berufsausbildung und sind nur angelernt, andere, wie Kleinbauern, können ihren Beruf hier gar nicht ausüben. Sie wollen größtenteils hier auch keine Berufsausbildung absolvieren, obwohl derzeit massenhaft Ausbildungsplätze unbesetzt sind. Oft fehlen die sprachlichen und fachlichen Voraussetzungen für einen hiesigen Ausbildungsplatz. Zudem suchen sie oft das schnelle Geld, um ihre Schulden bei den Schleppern zu bezahlen oder ihren Großfamilien das erwartete Geld zu überweisen. Im vergangenen Oktober brachte die ARD dazu in Plusminus einen Beitrag; eine Mitarbeiterin von jobs4refugees wurde dazu so zitiert: »Er (Bezug wurde genommen auf einen syrischen Flüchtling, Anm. d. Autors) ist alleine nach Deutschland gekommen, musste dafür sehr viel Geld ausgeben und seine Familie ist zuhause und braucht dort Unterstützung. Das heißt, er hat die Verpflichtung, oder er hat den Wunsch, Geld zu verdienen. Und das Geld, das er in einer Ausbildung verdienen würde, würde den Bedarf nicht abdecken.« Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge von 2015/16 hat ihren Sprach- und Integrationskurs ergebnislos abgebrochen und von denen, die bis zuletzt blieben, hat die Hälfte nicht bestanden. Lothar Semper, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer München und Oberbayern, beispielsweise sprach von 70 Prozent, während die durchschnittliche Abbruchquote bei 25 Prozent liegt. Die Erwartung, viele Flüchtlinge würden ein Studium aufnehmen, hat sich bisher nicht erfüllt. Schätzungen über die Kosten dieser Migranten divergieren stark. Manche rechnen mit 100 bis 400 Milliarden, verteilt auf die Jahre bis zu ihrem Eintritt ins Erwerbsleben. Von 30 Milliarden jährlich sprechen andere, eine Summe, mit der man, wie es heißt, den Hunger in der Welt beenden könnte.
Manche fechten die oben getroffene Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und Einwanderern an mit dem Argument: Auch diejenigen, die vor Hunger und Armut fliehen, sind Flüchtlinge, nämlich Armuts- oder Wirtschaftsflüchtlinge. Sie müssen, wird gesagt, den Flüchtlingen gemäß der Genfer Konvention gleichgestellt werden, denn Hunger und Bomben töten gleichermaßen. Bomben rechtfertigen aber gar nicht jenen Flüchtlingsstatus, denn der gilt nur für individuell Verfolgte. Sie rechtfertigen lediglich den minderen Status des subsidiären Schutzes. Jener Gleichsetzung von Hunger und Bomben liegt zudem ein fundamentales Fehlurteil zugrunde. Es kommen oft gar nicht die Ärmsten zu uns, sondern überwiegend diejenigen, die die Tausende Euro aufbringen können, die die Schlepper kassieren, oft mit Unterstützung der Großfamilie. Zu Hause gehören sie meist der Mittelschicht an. Über die Rolle der Großfamilien in diesem Zusammenhang ist nicht nur Gutes zu berichten. Sie zwingen manchmal Mitglieder, sich auf die Reise nach Europa zu begeben und verstoßen sie, wenn sie zurückkommen. Denn ihre Reisekosten waren doch eine Investition, die sich lohnen sollte. Der Irrtum, zu uns kämen die Ärmsten, hat fatale Folgen. Denn dann übersehen wir die wirklich Ärmsten, die gar nicht reisen können. Ihnen kann nur vor Ort geholfen werden. Zudem gibt es viele wohlerprobte Strategien gegen Hunger vor Ort: Bildung vor allem, Mikrokredite, Öffnung unserer Märkte für Produkte aus armen Ländern. Die Aufnahme von »Wirtschaftsflüchtlingen« aus fernen Ländern ist auch kein effektiver Beitrag zur Armutsbekämpfung dort oder zum Ausgleich des Gefälles zwischen Nord und Süd. Denn nur wenn sie in unseren Arbeitsmarkt passen, können sie Geld nach Hause überweisen.
Deutschland hat sich nun ein Spezialproblem geschaffen, indem es jedem, der ankommt und Asyl beantragt, bis zum Entscheid eine Aufenthaltsgestattung und die Lebenshaltungskosten gewährt, was offenbar einen mächtigen Anreiz zum Kommen darstellt, auch bei völlig aussichtslosen Asylanträgen. Aber unsere Einwanderungsbedingungen sind restriktiv. Deshalb beantragen diejenigen, die eigentlich einwandern wollen, Asyl. Daran haben wir uns so gewöhnt, dass wir bei Flüchtlingen ganz selbstverständlich annehmen, sie kommen, um zu bleiben. Nach dem Ende des Bosnienkrieges sind aber die meisten Flüchtlinge zurückgegangen, es kann im Fall Syrien auch so sein. Es muss sogar so sein!
Für die Frage, wem wann und weshalb Asyl gewährt wird, ist eine Unterscheidung wichtig, die knapp gefasst, so lautet: Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling. Asyl wird in Deutschland aufgrund von Art. 16 des Grundgesetzes jeder Person gewährt, die politisch verfolgt wird. Verfolger können definitionsgemäß staatliche Maßnahmen sein oder die von Dritten, insofern sie dem Staat zuzurechnen sind. Diese Maßnahmen sind Rechtsverletzungen, sie verletzen die Menschenwürde, grenzen den Verfolgten aus und bringen ihn in eine ausweglose Lage. Anlass für die Verfolgung sind Religion, politische Überzeugung oder andere Gründe. Diese Definition stammt aus einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juli 1989. Das Recht auf Asyl ist zudem im Grundgesetz als Grundrecht deklariert und deshalb in seinem Wesensgehalt geschützt (Art. 19 [2]). Es handelt sich dabei um ein individuelles Grundrecht für alle, die die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzen, aber irgendwo auf der Welt politisch verfolgt werden. Das dürfte einzigartig in der Welt sein. Grundrechte gelten sonst uneingeschränkt nur für die Staatsbürger. Diese Besonderheit ist wie das ebenfalls in Art. 16 ausgesprochene Verbot der Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft unmittelbar aus den Erfahrungen der Nazizeit hervorgegangen, in der jüdischen Deutschen die Staatsbürgerschaft entzogen und oft Asyl in erreichbaren Ländern verwehrt wurde. Manche möchten das Asylrecht aus dem Grundrechtsteil des Grundgesetzes streichen, um den Flüchtlingsstrom leichter begrenzen zu können. Das wäre falsch, ein Trugschluss steckt dahinter. Denn weil notwendige Bedingung für die Gewährung von Asyl die individuelle Verfolgung durch den (Heimat-) Staat ist, lag die Zahl derer, die aufgrund von Art. 16 GG ein Aufenthaltsrecht bekamen, in den zurückliegenden Jahren immer unter zwei Prozent derer, die Asyl beantragten. Das hängt auch mit den 1993 beschlossenen Erweiterungen des Artikels 16 zusammen, die durch den Flüchtlingsstrom aus dem zerfallenden Jugoslawien veranlasst worden sind. Damals wurde festgelegt, dass in Deutschland niemand Asyl beantragen dürfe, der aus einem sicheren Land nach Deutschland einreist und dass diese Personen für ihre Antragstellung in das Land der EU zurückgeführt würden, das sie zuerst betreten haben. Außerdem wurde festgelegt, dass bei Ländern, die durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, als sichere Herkunftsländer erklärt worden sind, eine Beweisumkehr stattfindet. »Sicheres Herkunftsland« bedeutet also keineswegs automatische Abschiebung, sondern der Antragsteller muss beweisen, dass er dort politisch verfolgt wurde oder bei Rückkehr schweren Schaden befürchten muss. Ein Beispiel: In vielen nordafrikanischen Ländern ist Homosexualität strafbar. Deshalb fordern manche, solche Staaten dürften nicht zu sicheren Herkunftsländern ...