Herzensruhe
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Herzensruhe

Im Einklang mit sich selber sein

  1. 160 Seiten
  2. German
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Herzensruhe

Im Einklang mit sich selber sein

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Leistung und äußerer Wohlstand allein können dem Menschen nicht das geben, wonach er sich wirklich sehnt: innere Ruhe und Seelenfrieden. Ein moderner Seelenführer zu einem tieferen Leben.

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783451803208

II.

WEGE ZUR RUHE

Da das Thema der Ruhelosigkeit schon in der Bibel aktuell war, möchte ich im ersten Teil bewußt biblische Wege anschauen, die uns zur Ruhe führen könnten. Der rastlose Wanderer, der Frevler, der keine Ruhe findet, der ruhelos Umherirrende, das sind biblische Bilder für Menschen, die heute genauso zutreffen könnten wie damals. Und die biblische Verheißung, daß Gott selbst dem Menschen Ruhe verschaffen wird, ist nicht ein bloßes Wort. Auf dem Hintergrund der Analyse heutiger Ruhelosigkeit könnten gerade die biblischen Wege hochaktuell sein. Ich möchte mich dabei auf zwei biblische Impulse beschränken, auf Jesu Aufforderung, bei ihm Ruhe zu finden, und auf die Beschreibung der Sabbatruhe im Hebräerbrief. Und ich möchte mich auf die Anweisungen der Mönche stützen, wie die Ruhe in Gott gefunden werden kann. Den Mönchen, die seit dem 3. Jahrhundert die Wüste von Ägypten bevölkerten, war die damalige Welt der ausgehenden Antike zu laut und zu oberflächlich. Sie wollten einen Weg finden, wie sie ohne Zerstreuung beten könnten, wie sie an der Sabbatruhe Gottes teilhaben könnten. In Gott ganz präsent zu sein, mit Gott eins werden können, ohne von Gedanken und Gefühlen hin und her gerissen zu werden, das ist das Ziel des Mönchsweges, wie ihn vor allem Evagrius Ponticus beschrieben hat. Er gilt als der Psychologe unter den Mönchsschriftstellern. Seine Analyse der neun Logismoi und seine Beschreibung, wie wir zu einem Zustand des ungestörten Betens und Ruhens in Gott gelangen können, sind heute genauso aktuell wie damals. Cassian und Benedikt, seine gelehrigen Schüler, haben seine Lehre für die Mönche im Westen übersetzt. Die Bücher Cassians wurden im Mittelalter neben der Bibel am meisten gelesen. Und Benedikt wurde zum Lehrmeister des Abendlandes. Seine Regel hält auch für uns nach wie vor überraschende Einsichten bereit. Seine Zeit war von der Unruhe der Völkerwanderung geprägt und ähnelt in vielem der unsrigen. Daher glaube ich, daß er uns auch heute Wege zu einem gelingenden Leben weisen kann.

1.
AUFRUF ZUR SORGLOSIGKEIT

Nach Martin Heidegger ist der Mensch wesentlich einer, der sich sorgt. Das Dasein ist Sorge. In der Welt sein heißt: sich um sich und seine Existenz sorgen, besorgt sein um sich und für sich selbst sorgen. Die Sorge macht den Menschen unruhig und läßt ihn nirgends ausruhen. Heidegger zitiert die römische Fabel von der Sorge, der Cura:
„Als einst die ,Sorge‘ (Cura) über einen Fluß ging, sah sie tonhaltiges Erdreich: sinnend nahm sie davon ein Stück und begann es zu formen. Während sie bei sich darüber nachdenkt, was sie geschaffen, tritt Jupiter hinzu. Ihn bittet die ,Sorge‘, daß er dem geformten Stück Ton Geist verleihe. Das gewährt ihr Jupiter gern. Als sie aber ihrem Gebilde nun ihren Namen beilegen wollte, verbot das Jupiter und verlangte, daß ihm sein Name gegeben werden müßte. Während über den Namen die ,Sorge‘ und Jupiter stritten, erhob sich auch die Erde (Tellus) und begehrte, daß dem Gebilde ihr Name beigelegt werde, da sie ja doch ihm ein Stück ihres Leibes dargeboten habe. Die Streitenden nahmen Saturn zum Richter. Und ihnen erteilte Saturn folgende anscheinend gerechte Entscheidung: ,Du, Jupiter, weil du den Geist gegeben hast, sollst bei seinem Tode den Geist, du, Erde, weil du den Körper geschenkt hast, sollst den Körper empfangen. Weil aber die ›Sorge‹ dieses Wesen zuerst gebildet, so möge, solange es lebt, die ›Sorge‹ es besitzen. Weil aber über den Namen Streit besteht, so möge es ›homo‹ heißen, da es aus humus (Erde) gemacht ist.‘“
Der Mensch ist also wesentlich einer, der sich sorgt. Sein ganzes Dasein ist von der Sorge für sich selbst bestimmt. Solange er lebt, gehört er der Sorge. Erst im Tode hört die Sorge auf, über ihn zu herrschen. Dann wird er Jupiter bzw. der Erde gehören. Die Römer haben in dieser Fabel zum Ausdruck gebracht, daß alles, was wir tun, von der Sorge geprägt ist. Die Sorge treibt uns an, zu arbeiten, den Lebensunterhalt zu verdienen, die Zukunft abzusichern, den Besitz zu mehren, damit wir endlich einmal ruhig und sicher leben können.
Jesus versteht den Menschen anders. Der Mensch ist nicht zuerst einer, der sich sorgt, sondern einer, der vertraut, der sich im Vertrauen zum Vater, der für ihn sorgt, aufgehoben weiß. In der Bergpredigt fordert Jesus seine Jünger auf, sich nicht zu sorgen:
„Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, daß ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, daß ihr etwas anzuziehen habt . . . Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern?“ (Mt 6, 25.27).
Wohl kaum ein anderer Text hat soviel Kritik hervorgerufen wie das Lehrgedicht Jesu von der Sorge. Es sei unverantwortlich, nicht für das Morgen zu sorgen. Ernst Bloch meint, der Text zeige die ökonomische Naivität des Christentums. Die messalianischen Mönche haben diesen Text als Rechtfertigung für ihre Ablehnung der Arbeit genommen. Demgegenüber haben die Mönche in der Nachfolge des Antonios die Arbeit als wesentlichen Teil des geistlichen Lebens gesehen. Was will Jesus mit dieser Aufforderung, uns nicht zu sorgen, uns heute sagen? Rechtfertigt er den alternativen Lebensstil, der dem Bürgertum einen übertriebenen Arbeitsbegriff und eine falsche Rechtfertigung des Besitzes vorwirft? Wie Jesu Worte eine Antwort auf die unruhestiftende Sorge sein kann, die uns heute umtreibt, zeigt ein genauer Blick auf das, was dasteht.
Das griechische Wort für Sorge „merimna“ meint das sorgende oder besorgende Sichkümmern um etwas, das Aussein auf etwas, die bange Erwartung von etwas, die Angst vor etwas. Oft hat es auch die Färbung von Bekümmernis, Leid über etwas. Die Griechen sprechen von den quälenden und plagenden Sorgen, denen der Mensch unterworfen ist. Seine Sorge hat immer mit der Angst zu tun. Sie ist Handeln aus Angst, „praktizierte Angst ums Dasein“ (Ulrich Luz). Dieses ängstliche Sichsorgen hat Jesus in seinem Lehrgedicht im Sinn. Und er gibt mit zwei Bildern eine Antwort. Mit dem Bild der Vögel, die nicht säen und ernten, hat er die Arbeit des Mannes im Blick. Mit dem Bild der Feldblumen, die nicht spinnen, antwortet er auf die typische Arbeit der Frauen. Beide Arbeiten sind gut. Aber der Mensch kann sich in seine Arbeit hineinsteigern. Statt im Vertrauen auf Gottes Fürsorge zu arbeiten, meint der Mensch voller Angst, alles hänge von ihm ab. Es ist letztlich die Angst, zu kurz zu kommen, nicht genügend zu haben, die ihn umtreibt. Diese Angst verfälscht seine Arbeit. Sie hindert ihn daran, Freude an seiner Arbeit zu haben, voller Lust kreativ zu sein. Arbeit wird dann nur noch zum Ausdruck von Sorge und Angst. Sie treibt den Menschen um und hält ihn in dauernder Unruhe.
Es ist verständlich, daß der Mensch sich ängstlich um sein Leben und seine Zukunft sorgt. Denn sein Dasein in dieser Welt ist gefährdet. Aber die Ungesichertheit seiner Existenz soll ihn nicht in die ängstliche Sorge treiben, sondern in das Vertrauen darauf, daß Gott selbst für ihn sorgt. Jesus mag diese Worte an seine Jünger gerichtet haben, die die Arbeit aufgegeben haben und nun als Wanderprediger ihr Vertrauen auf Gott setzen sollen. Aber schon Matthäus übersetzt diese Worte in die Situation der Gemeinde. Es sind Worte, die uns heute genauso gelten wie damals. Auch für uns gilt der Grundsatz: „Euch aber muß es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben“ (Mt 6, 33). Es geht nicht darum, meine irdische Existenz nicht sinnvoll und verantwortungsvoll zu planen und auch eine gewisse Vorsorge und Absicherung zu schaffen. Aber die Frage ist, worum es mir im Letzten geht. Wenn ich nur um mich und meine Angst kreise, wird mein ganzes Leben von der Sorge aufgefressen, und ich werde voller Unruhe nach immer neuen Wegen der Absicherung Ausschau halten. Der Blick auf das Reich Gottes relativiert meine Sorge. Ich kann mich noch so gegen Diebstahl versichern. Ich kann ihn damit doch nicht verhindern. Ich kann noch soviel in die Lebensversicherung einzahlen. Ich kann damit mein Leben nicht verlängern. Ich habe keine Garantie auf ein gesundes Leben und hohes Alter. Ich bin in Gottes Hand. Das Entscheidende ist, daß Gottes Reich kommt, daß Gott auch in mir herrscht. Wenn Gott in mir herrscht, dann werde ich frei von quälender Sorge, dann befreit mich Gott von den Götzen dieser Welt, an die ich mich ängstlich klammere und die nie Ruhe geben, bis ich ihnen ganz gehöre.
Ängstliches Sorgen verdunkelt den Geist. Ich werde zwar für meine Zukunft sorgen. Aber ich werde nicht vernünftig handeln. Die Angst wird mich zu unsinnigen Ausgaben und Absicherungen treiben. Jesus will uns von der ängstlichen Sorge befreien, damit wir vernünftig die Verantwortung für uns und unsere Familie wahrnehmen. Die Kunst besteht darin, für die Zukunft zu sorgen und zugleich die Sorge immer wieder loszulassen. Ich soll das tun, was in meiner Hand ist, und mich dann vertrauensvoll Gott überlassen. Als Cellerar weiß ich, daß ich eine solide Basis für die finanzielle Situation des Klosters und seiner vielen Arbeitnehmer schaffen muß. Aber wenn mich die Absicherung bis ins Gebet hinein verfolgt, dann stimmt meine Sorge nicht mehr, dann geht es mir nur mehr um mich und nicht mehr um Gott und sein Reich, dann geht es mir nur noch um meine Rechtfertigung vor den Menschen, daß ich gut vor ihnen dastehe, und nicht mehr um Gottes Gerechtigkeit, nicht mehr um das Vertrauen, daß Gott alles recht machen wird.
Man kann die beiden Begriffe „Reich Gottes und seine Gerechtigkeit“ auch noch anders verstehen, und zwar als innere Bilder. Es geht dann darum, daß Gott in meinem Herzen herrscht, daß er mein Herz ausfüllt und es richtig macht. Matthäus bringt das Lehrgedicht über die Sorge im Rahmen der Bergpredigt. Wenn man die Bergpredigt bei Matthäus mit der Feldrede bei Lukas vergleicht, so sieht man, daß Matthäus zwischen die Sätze von der Vollkommenheit bzw. Barmherzigkeit, die uns Gott ähnlich macht, und der Aufforderung, nicht zu richten, das 6. Kapitel setzt. In ihm beschreibt er die drei Ausdrucksformen der jüdischen Frömmigkeit: das Almosengeben, das Beten und das Fasten. Jesus übernimmt diese drei Weisen der Frömmigkeit, aber er verinnerlicht sie. Es geht nicht darum, mit seinen Almosen, mit seinem Beten und mit dem Fasten vor den Menschen gut dazustehen. Das Ziel des Betens ist, die innere Kammer in sich zu entdecken und dort allein mit Gott zu sein. Das Fasten ist keine Bußleistung, sondern es soll in die innere Freude und in die Sorglosigkeit, in das Vertrauen auf Gottes Fürsorge führen. Matthäus entfaltet sein Verständnis des Fastens durch das Gedicht über die Sorge und Sorglosigkeit. Fasten und Beten bilden dabei eine innere Einheit. Das Fasten soll den Beter befreien von allen Sorgen, die ihm den Zutritt zur Kammer seines Herzens verwehren, in der er im Verborgenen zu seinem Vater beten soll. In uns ist ein Raum der Stille, in dem Gott wohnt, in dem Gott herrscht. Das ist das Reich Gottes, das in uns ist. Fasten will uns in diesen inneren Raum führen. Wenn wir in Berührung sind mit diesem Raum der Stille, dann wird unser Leben richtig, dann werden wir gerecht leben, unserem Wesen entsprechend, dann werden wir aufgerichtet, aufrecht. In diesem inneren Raum der Stille hören die Sorgen auf. Da haben sie keinen Zutritt. Wenn ich durch Fasten und Beten in den inneren Raum der Stille, in das „Reich Gottes in mir“ gelangt bin, dann kann ich wirklich mit Teresa von Avila sagen: „Gott allein genügt.“ Dann mache ich die Erfahrung, daß ich mich um nichts mehr sorgen muß. Dann muß ich mich nicht mehr darum kümmern, ob ich die Erwartungen und Ansprüche der Menschen erfülle. Denn die Menschen mit ihren Erwartungen und Urteilen haben zu diesem Raum keinen Zutritt. In diese innere Kammer kann auch die Angst nicht eindringen. Da kann ich einen Augenblick lang die Erfahrung machen, daß ich alles habe, was ich zum Leben brauche. Da hört die Angst um meine wirtschaftliche Zukunft auf. Das heißt nicht, daß ich nicht verantwortungsvoll mit meinen Finanzen umgehe. Aber es gibt in mir einen Raum, der davon unberührt bleibt. Das gibt mir wahre Freiheit und Ruhe. In diesem inneren Raum quält mich keine Sorge. Ganz gleich, was mit mir geschehen wird, ich weiß: Gott ist in mir. Und wo Gott, das Geheimnis, in mir wohnt, da kann ich daheim sein, da bin ich mitten in der Ungeborgenheit und Ungesichertheit der Welt trotzdem getragen und geborgen. Gott ist die eigentliche Befreiung von der Sorge des Menschen.
Wenn ich befreit bin von meinen Sorgen, dann finde ich wahrhaft Ruhe. Denn die Sorge ist wohl der größte Feind der Ruhe. Wenn wir ruhelose Menschen beobachten, so kommen sie deshalb nicht zur Ruhe, weil sie ständig in Sorge sind. Und es sind genau die Sorgen, die Matthäus beschreibt, die Sorge um Essen und Trinken, um das vitale Leben, die Sorge, ob ihre Bedürfnisse auch erfüllt werden. Es ist die Angst, zu kurz zu kommen, nicht genügend Beachtung und Zuwendung zu erfahren, die Angst, nicht genügend bestätigt und anerkannt zu werden. Und es ist die Sorge um die Kleidung. Sie bezieht sich nicht nur auf die Kleider, die man kaufen kann, sondern auch auf das Aussehen, ob ich den Erwartungen heutiger Mode entspreche, ob mein Leib den Idealbildern gerecht wird, wie man heute auszusehen hat. Und es ist die Sorge um mein Prestige, um meinen Ruf, meinen Posten, meine Karriere. Es gibt Menschen, die nie zufrieden sind mit dem, was sie erreicht haben. Ständig schauen sie auf das, was andere geschafft haben. Sie vergleichen sich unablässig mit andern. Das Sichvergleichen läßt sie nie zur Ruhe kommen. Erst wenn wir diese Sorgen lassen und uns um das Reich Gottes sorgen, finden wir in uns den Raum, in dem Gott in uns herrscht. Und dort, wo Gott in uns herrscht, dort ist Friede, dort ist Sorglosigkeit, dort ist Heimat, Geborgenheit, Ruhe.

2.
EINLADUNG ZUR RUHE

In der Mitte des Matthäusevangeliums steht ein eigenartiger Text, über den sich die Ausleger seit jeher gestritten haben. Es ist der sog. Jubelruf Jesu (Mt 11, 25–30). Nach dem positiven Urteil des Johannes über Jesus und nach dem Weheruf über die galiläischen Städte, die Jesus abgelehnt haben, preist Jesus Gott dafür, daß er den Unmündigen geoffenbart hat, wer er in Wirklichkeit ist, der Sohn des Vaters. Auf diesen Lobpreis folgt ein Einladungswort Jesu an alle, die sich plagen und unter der Last ihres Lebens stöhnen: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht“ (Mt 11, 28–30).
Nachdem Jesus im Jubelruf ausgesagt hat, wer er ist, spricht er hier über das Heil, das er denen schenkt, die zu ihm kommen. Dieses Heil beschreibt er im Bild der Ruhe. Jesus übernimmt die Einladung zur Ruhe von Jesus Sirach, der die Unwissenden in sein Lehrhaus einlädt, damit sie dort Ruhe finden (vgl. Sir 51, 23–27). Wer sich unter das Joch der Weisheit stellt, der wird Ruhe finden. Und Jesus spricht mit den Worten Gottes, dem der Prophet Jeremia folgenden Ausspruch in den Mund legt: „So spricht der Herr: Stellt euch an die Wege, und haltet Ausschau, fragt nach den Pfaden der Vorzeit, fragt, wo der Weg zum Guten liegt; geht auf ihm, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele“ (Jer 6, 16). In Jesus ist also die Weisheit Gottes verkörpert. Er weist uns einen Weg zum wahren Leben, zur Freude, zum Frieden und zur Ruhe. Jesus versteht sein Wirken als ein Ruhe-Schenken für die sich sorgenden und sich abmühenden Menschen. Die Ruhe erinnert wohl an die Sabbatruhe Gottes. Jesus gibt den Menschen Anteil an Gott, seinem Vater, und an dem, was Gott auszeichnet, an der ungestörten Ruhe, am Ausruhen aus Freude darüber, daß alles gut ist.
Jesus lädt alle ein. Keiner ist ausgeschlossen von der Ruhe, die er uns schenken möchte. Die Eingeladenen werden charakterisiert als Menschen, die sich in körperlicher oder geistiger Arbeit mühen und die Lasten zu tragen haben. Bei der Last denkt Matthäus vermutlich an das jüdische Gesetz, wie es die Pharisäer interpretiert haben. In der Auslegungsgeschichte dieses Textes wurde aber die Last vielfältig gesehen, als Hunger, Armut, Schande, als Last des ausgebeuteten Volkes. Wenn wir die beiden Worte „sich mühen“ und „Lasten tragen“ auf unsere Situation hin auslegen, so könnten da Menschen gemeint sein, die sich plagen, ohne daß etwas dabei herauskommt. Sie arbeiten und arbeiten, aber sie können die Arbeit nicht mehr genießen. Sie gehen auf in ihrer Arbeit. Sie stehen unter einem inneren und äußeren Druck, immer etwas tun zu müssen. Vielleicht ist es ihr schlechtes Gewissen, das sie so unter Druck setzt. Vielleicht ist es die Erziehung. Da haben sie die Worte der Eltern verinnerlicht, daß man sich sein Leben verdienen müsse, daß man immer arbeiten müsse. Vielleicht steckt die Angst dahinter, als faul und untüchtig abgestempelt zu werden. Wenn sie als Kinder einmal nur spielen wollten, so wurden sie als Taugenichtse tituliert. Das sitzt bei manchen so tief, daß sie sich immer etwas zu schaffen machen. Bei andern meint das Sichabmühen die ständige Überforderung. Sie fühlen sich den Anforderungen, die an sie gestellt werden, nicht gewachsen. Sie haben Angst, ausgemustert, ausgestellt zu werden. So mühen sie sich ab und plagen sich. Das Wort „Plage“ kommt vom lateinischen Wort „plaga“ = Schlag, Streich, Wunde, Strafe des Himmels. Die Plagerei oder Plackerei wird als ein Schlag erlebt. Der Himmel schlägt mich, daß ich mich so abmühen muß. Das Wort Plage hängt auch mit „Fluch“ zusammen. Viele erleben die Plackerei ihres Lebens als Fluch, der über ihnen liegt. So hat es schon das Alte Testament gesehen, wenn Gott bei der Vertreibung aus dem Paradies zu Adam spricht: „So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens“ (Gen 3, 17).
Die Last, die wir heute zu tragen haben, ist heute weniger die Last des jüdischen oder kirchlichen Gesetzes. Es ist die Last, die man selbst mitschleppt, die Last seiner Erziehung, die Last, die man sich selbst auferlegt. Manchmal ist es die Last der Selbstbestrafung, die man auf sich nimmt, um den quälenden Schuldgefühlen zu entgehen. Manchmal ist es die Last des eigenen Über-Ichs, das einen anhält, immer zu arbeiten. Dieses Über-Ich verbietet einem das Ausruhen, das Nichtstun. Es läßt einen nie in Ruhe. Es gibt ständig einen Kommentar zu allem, was man tut. Und es ist nie zufrieden mit dem, was ist. Es nörgelt an uns herum, so wie damals die unzufriedenen Eltern an uns herumkritisiert haben. Die Last drückt uns nieder. Sie bedrückt und erdrückt uns. Sie raubt uns den inneren Frieden.
All denen, die zur Ruhe unfähig geworden sind, bietet Jesus einen Weg an, Ruhe zu finden. Er gebraucht dabei das Wort „anapauso“: aufhören lassen, unterbrechen, Ruhe verschaffen, erquicken, und „anapausis“: Unterbrechung, Ruhe, Ruheplatz. Unser deutsches Wort Pause kommt davon. Bei den Griechen bedeutet „anapausis“ nicht nur Arbeitsruhe, sondern auch die notwendigen Ruhezeiten, die die inneren Organe des Menschen brauchen, die der Sportler braucht, und die Ruhe vom Kriegsdienst. Im religiösen Sinn kann „anapausis“ auch Erlösung von allen Übeln bedeuten. Die Ruhe ist für die Griechen etwas Heiliges und ein Heilsgut, um das man die Götter bittet. Das Alte Testament sieht es ähnlich. Da sehnt sich der Fromme nach der Sabbatruhe, die Gott ihm zugedacht hat. Die Ruhelosigkeit ist ein Fluch. So muß Kain ruhelos umherirren: „Rastlos und ruhelos wirst du auf der Erde sein“ (Gen 4, 12). Dieser Fluch, der auf Kain lastet, prägt auch heute das Verhalten vieler Menschen. Ruhelos irren sie herum. Sie mühen sich ab, ohne daß es sich wirklich lohnt. Denn ihre Arbeit trägt keine Frucht (vgl. Gen 4, 12). Bei Kain ist der tiefste Grund der Ruhelosigkeit die Schuld, die er durch die Ermordung seines Bruders Abel auf sich geladen hat. Die Schuldgefühle quälen ihn und lassen ihn ruhelos umherirren. Dieses Bild des ruhelosen Wanderers ist in der Gestalt Ahaswers in die Überlieferung der Völker eingegangen. In vielen Märchen gibt es auch die ruhelosen Menschen, die durch die Wälde...

Inhaltsverzeichnis

  1. [Titelinformationen]
  2. [Impressum]
  3. Dem Schatten nicht davonlaufen Einleitung
  4. I. URSACHEN DER RUHELOSIGKEIT HEUTE
  5. II. WEGE ZUR RUHE
  6. IM SCHATTEN SEINES BAUMES SCHLUSS
  7. LITERATUR
  8. [Informationen zum Buch]
  9. [Informationen zum Autor]