Mobbing in der Schule - Vorbeugen, erkennen und beenden
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Mobbing in der Schule - Vorbeugen, erkennen und beenden

Beispiele aus der Praxis

  1. 160 Seiten
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Mobbing in der Schule - Vorbeugen, erkennen und beenden

Beispiele aus der Praxis

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Über dieses Buch

Was Kindern wirklich hilft, das zeigen drei erfahrene Schulpsychologinnen anhand von konkreten Fällen und Lösungen aus ihrer Praxis. Dabei geht es um die zentralen Fragen: Wie erkennen Eltern und Lehrer Mobbing-Fälle? Wie können sie sie lösen? Und wie können sie Mobbing vorbeugen? Die Autorinnen geben Eltern und Lehrern konkrete Anregungen - unmittelbar umsetzbar, alltagstauglich und machbar für alle Beteiligten.

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Information

Jahr
2013
ISBN
9783451345845

Mobbing in der Schule – Falldarstellungen und Lösungsmöglichkeiten

Gibt es ein »typisches« Mobbingopfer? Welche Signale werden möglicherweise seitens des Opfers gesendet? Wer sind die Täter? Wie gehen sie vor? Warum kann häufig erst so spät geholfen werden? Wann und wie sollten Eltern einschreiten? Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es, die Mobbing frühzeitig aufdecken und abschaffen?
Diese und viele weitere Fragen stellen sich Betroffene und ihre Angehörigen sowie verantwortliche Pädagogen, die Zeugen von Mobbing werden. Wird eine Schülerin oder ein Schüler über einen längeren Zeitraum hinweg den negativen Handlungen einer Gruppe von Mitschülern ausgesetzt, kann er oder sie aufgrund dessen als »gemobbt« gelten. Diese psychisch belastende Lebenssituation kann jeden jederzeit treffen und ist völlig unabhängig von Geschlecht, Alter oder sozialem Hintergrund. So kann man nur in einem sehr weit gefassten Sinn von einem »typischen« Opfer sprechen, da sich auch die Lebenssituationen der Betroffenen sehr voneinander unterscheiden können, wie die folgenden Fallbeschreibungen zeigen werden. Die Frage nach dem »typischen« Mobbingopfer erfragt aber nicht nur die Rahmenbedingungen, sondern auch die Ursache und Wirkung der Mobbingsituation an sich. Sie lässt die kritische und wissenschaftlich umstrittene Frage aufkommen, ob und was das Mobbingopfer selbst zu seiner Situation beigetragen hat und ob es so etwas wie Persönlichkeitsmerkmale oder Charaktereigenschaften gibt, die die Wahrscheinlichkeit, zum Mobbingopfer zu werden, erhöhen. Es soll in diesen Fallbeschreibungen keinesfalls darum gehen, eine Mitschuld der Kinder und Jugendlichen an ihrem Schicksal zu entdecken. Man kann aber gewisse Risikofaktoren festhalten, die zu Mobbingsituationen führen können.
Folgende Fälle, die selbstverständlich anonymisiert dargestellt sind, stehen exemplarisch für eine Vielzahl von Interventionen in der schulpsychologischen Praxis und sollen aufzeigen, welche Möglichkeiten es für die Beteiligten gibt, der Opferfalle möglichst schnell zu entkommen und sich aus Verstrickungen zu lösen.
Dass Mobbing kein aktuell zu verzeichnender Trend unserer Gesellschaft ist, auch wenn die Zahlen der Fälle in der Beratung sprunghaft ansteigen, zeigt der folgende Fall, der über 20 Jahre zurückliegt, aber nachhaltig im Gedächtnis geblieben ist.

1. Wie viel Status braucht ein Kind? – Hast du was, bist du was!

Der Fall Simon – Eine Schulklasse als Straftäter

In einer siebten Klasse wird die Schulpsychologin während ihres Referendariats zum Halbjahr im Unterricht eingesetzt. Die Klasse wird vorab vom Klassenleiter als sehr schwierig, heterogen und unaufmerksam beschrieben. Es sei viel pädagogisches Geschick nötig, um den Unterrichtsstoff durchzubringen. In der Klasse gäbe es einige Rädelsführer, die das Klassenklima ungünstig beeinflussen würden. Die ersten Wochen verlaufen aber bei der Schulpsychologin diesbezüglich ganz unauffällig, die Klasse ist durchaus bemüht, sich anzustrengen und einen guten Eindruck zu machen.
Eher zufällig wird die Schulpsychologin Zeugin einer bedenklichen Situation, als sie noch während der Pause ins Klassenzimmer kommt, um dort Material für den Unterricht bereitzulegen. Die Tür zum Klassenzimmer ist zu. Drinnen ist die Klasse zu einem Kreis versammelt. Offensichtlich hatten alle die Pause dort verbracht. Durch das laute Gejohle wird die Schulpsychologin gar nicht wahrgenommen. So kann sie beobachten, wie ein Junge, der bisher unauffällig im Unterricht war und eher einen schüchternen Eindruck machte, in der Mitte des Kreises am Boden sitzt und mit den Tränen kämpft. Die meisten Mitschüler haben sich um ihn herum gruppiert. Aus einem geöffneten Federmäppchen werden dem Jungen, dessen Name Simon ist, Stifte gereicht, nachdem er einige Münzen aus seinem Geldbeutel geholt hat. Das »Spiel« wiederholt sich, das Bezahlen der Stifte wird mit großem Gejohle von den Mitschülern kommentiert. Offensichtlich befindet sich Simon in einer ausweglosen Situation, in der ihm niemand beisteht. Ein Junge gegen 31 Mitschüler!
Was war geschehen? Der Gong zum Pausenende beendet das Spiel, die Klasse bemerkt die Schulpsychologin und alle begeben sich schweigend auf ihre Plätze, legen Hefte und Bücher für den Unterricht bereit und tun so, als ob nichts gewesen sei. Nur der betroffene Junge sitzt teilnahmslos auf seinem Platz und versucht, seine Tränen verstohlen wegzuwischen.
Im anschließenden Unterricht lenkt die Schulpsychologin das Gespräch auf den Vorfall. Die Klasse reagiert zunächst schweigend, dann trauen sich Einzelne zu sagen, dass man Simon vor einigen Tagen das Federmäppchen weggenommen hatte und er nun seine eigenen Stifte mit einem bestimmten Betrag auslösen müsse. Das ziehe sich schon eine Weile hin, weil er nicht immer Geld dabei habe. Man hätte eigentlich die Sache schon längst beenden wollen.
Da ist wenig Einsicht und Verständnis bei der Klasse zu spüren, dass ihr Verhalten Simon gegenüber nicht in Ordnung ist, eher wird seine gelegentliche Zahlungsunfähigkeit noch kritisiert. Die Frage, warum man ihm sein Mäppchen weggenommen hat, bleibt unbeantwortet. Simon weint, macht einen verschämten Eindruck. Das Ganze ist ihm sichtlich peinlich. Niemand in der Klasse steht ihm bei.
In einem anschließenden Gespräch zwischen Simon und der Schulpsychologin erzählt der Junge sehr verschüchtert und sich immer wieder absichernd, dass er die Namen derer, die ihn mobben, nicht preisgeben muss. Er berichtet von mehreren Vorfällen, die von einem Jungen in der Klasse gesteuert werden, der eine große Clique um sich habe und so stark sei, dass niemand in der Klasse sich traue, ihm zu widersprechen. Insbesondere in den Pausen, vor und nach der Schule und im Sportunterricht sei er immer wieder Attacken ausgesetzt. Man beleidige und beschimpfe ihn, auch Schubsen und Treten käme vor. Er habe sich allmählich daran gewöhnt. Keiner in der Klasse sei sein Freund, er sei immer alleine. Auch sonst habe er keine Freunde, das sei schon in der Grundschule so gewesen.
Dann erzählt er schluchzend, dass er vor Kurzem nach Unterrichtsschluss von mehreren Mitschülern auf dem Weg nach Hause festgehalten worden war und man ihn in einen der großen Müllcontainer am Schulgelände geworfen hatte. Der Tonnendeckel war mit Steinen beschwert worden, so dass er sich von innen nicht mehr öffnen ließ. Sein Schreien blieb ungehört. Erst eine Stunde später hatten die Täter bei der Mutter von Simon angerufen, um ihr mitzuteilen, dass ihr Junge in einer Mülltonne eingesperrt sitze. Seine Mutter hatte sich schon Sorgen gemacht, weil er mittags nicht zur gewohnten Zeit nach Hause gekommen war. Noch ehe sie aber die Polizei rufen konnte, kam Simon nach Hause. Einige der sogenannten Mittäter hatten ihn noch vor dem Anruf bei der Mutter aus der Tonne befreit.
Simons prekäre Position des sozialen Außenseiters
Nach der zunächst bruchstückhaften Erzählung des Jungen, was passiert war, geschah – nichts. Keine Anzeige bei der Polizei, keine Mitteilung an die Schule!
Was zeigt dieses Fallbeispiel auf? Sicherlich handelt es sich um eines der drastischsten Beispiele aus der schulpsychologischen Beratung, zeugt es doch von einer enormen kriminellen Energie der jungen Menschen. Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Welche Handlungsoptionen hat man in einem so schwerwiegenden Fall?
An diesem Beispiel lassen sich mehrere Ebenen, nämlich Eltern-, Lehrer- und Mitschülerebene sehr gut aufzeigen. Insbesondere können hier auch Erziehungsstile abgefragt werden, sowohl im Elternhaus als auch in der Schule. Dabei wären Aspekte der Wertschätzung, des gegenseitigen Respekts und der Toleranz von immenser Bedeutung.
Dieser Vorfall war Anlass für eine ganze Reihe von Maßnahmen der Schulpsychologin: Gespräch mit der Mutter des gemobbten Jungen, mit der Schulleitung, den Lehrkräften, die in der Klasse unterrichten, mit den Eltern der Jungen, die als Rädelsführer galten, mit der Klasse, Anzeige bei der Polizei durch die Mutter des gemobbten Schülers. Nicht nur mit dem Opfer wurde nachfolgend gearbeitet, sondern auch speziell mit dem Jungen, der der »Drahtzieher« des Mobbings war.
Betrachtet man nun die Situation von Simon, so zeigt sich hier ein fast klassisches Beispiel sozialer Ungleichheit. In der Klasse kommt ein hoher Anteil an Kindern aus sozial privilegierten, überwiegend Akademikerfamilien. Simon selbst entstammt einer sozial schwachen Familie, seine Mutter ist alleinerziehend mit zwei Kindern und arbeitslos. Das Aufwachsen in eher bescheidenen Verhältnissen, die Geldsorgen der Mutter und die Kleidung aus Secondhand-Läden führten zu zunehmender Schüchternheit und sozialer Isolation des Jungen, der mit der materiellen Ausstattung seiner Mitschüler nicht mithalten kann. Während man sich am Montagmorgen in der Klasse über die diversen Wochenendaktivitäten bis hin zu Kurztrips nach Paris und London unterhält, sitzt Simon schweigend auf seinem Platz.
Was sollte er auch erzählen, vielleicht von der Fahrradtour mit seiner Mutter und seiner jüngeren Schwester? Das würde bei den meisten Mitschülern nur ein müdes Lächeln hervorrufen. Auch gegenseitige Einladungen, zum Beispiel zu Geburtstagspartys, gehen an ihm vorbei. Er selbst hat keine Möglichkeit, die Klassenkameraden einzuladen. Die beengten Wohnverhältnisse seiner Familie möchte er den anderen Mädchen und Jungen aus seiner Klasse nicht zeigen.
Da bleibt er lieber im Hintergrund, lehnt anfängliche Einladungen ab und wird nach einiger Zeit auch nicht mehr gefragt. Schnell ist er ausgegrenzt und gilt als Außenseiter, keiner Clique in der Klasse zugehörig. Lediglich leistungsmäßig hat er einen gewissen Stellenwert innerhalb der Klasse, ist er doch der Beste im Fach Mathematik. Die Anerkennung diesbezüglich erfährt er gelegentlich darin, dass man gerne die Hausaufgaben von ihm abschreibt oder sich etwas erklären lässt. Bisher hat sich der Junge niemandem anvertraut, weder in der Schule noch zu Hause. Er hat Angst, dass dies seine Situation verschlimmern würde, deshalb schweigt er. Seine Mutter, zu der er ein sehr vertrauensvolles Verhältnis hat, möchte er mit seinen Problemen nicht belasten, da sie seiner Meinung nach schon genug ertragen muss. Er will ihr nicht noch seine Sorgen aufbürden.
Seine Strategie ist es, den Mobbern möglichst aus dem Weg zu gehen, sich auf keine Diskussion mit ihnen einzulassen. Diese Vermeidungshaltung ist für ihn schwierig, eigentlich würde er gerne mal allen die Meinung sagen. Gelegentlich habe er gehofft, dass einem Lehrer seine Notsituation auffällt.
Simon wirksam helfen – Aufgaben von Schule und Elternhaus
Aber die Mobbingattacken wurden bisher nur in den Pausen, zum Stundenwechsel, vor und nach der Schule ausgeübt, niemals vor Lehrkräften. So gesehen fällt dem Klassenlehrer auf, wie eingangs geschildert, dass es einen Rädelsführer gibt, der das Klassenklima ungünstig beeinflusst, konkrete Beispiele gibt es aber nicht. Dennoch hätte man als Lehrer im Vorfeld schon Möglichkeiten gehabt, ein Soziogramm zu erstellen, um sich mit gezielten Fragen ein Bild von der Klassensituation zu machen. Dabei wären Außenseiter, Alphapositionen und Mitläufer zu erkennen gewesen. Ein Gespräch mit der Klasse über die Ergebnisse aus dem Verfahren wäre sicher aufschlussreich gewesen. So kann man herausfinden, wer Unterstützung braucht und wie sich das Klima in der Klasse nachhaltig verbessern ließe.
Bis zum Zeitpunkt des geschilderten Vorfalls war aber nichts dergleichen geschehen. Sehr häufig spüren Lehrkräfte zwar, dass etwas in der Klasse nicht stimmt, stoßen aber auf wenig Kommunikationsbereitschaft bei den Schülern. Man schweigt aus Angst.
Dieses Verhalten setzt sich häufig auch auf der Elternebene fort. Eltern beobachten ihre Kinder in der Regel durchaus genau und bemerken Veränderungen auch, aber sie können sie oftmals an keiner konkreten Situation festmachen. Insbesondere im pubertären Alter werden Informationen an die Eltern im deutlich reduzierten Maße weitergegeben. Und auch wenn Eltern wissen, worum es geht, sei es von dem gemobbten Kind selbst oder von Mitschülern, die Beobachtungen aus der Klasse weitergeben, besteht häufig eine gewisse Scheu und Zurückhaltung, die Schule diesbezüglich in Kenntnis zu setzen. Oftmals schwingt auch die Angst mit, dass das eigene Kind weitere Repressalien durch die Mobber erfahren könnte, wenn die Eltern sich »einmischen«.
Gerade an dieser Stelle muss betont werden, wie wichtig eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus ist. Eltern müssen in der Schule Anlaufstellen haben, wo sie offene Gespräche führen können, ohne Gefahr zu laufen, dass es negative Auswirkungen auf das Kind haben könnte. Schulen sind dazu aufgerufen, die Kommunikation mit den Eltern zu fördern und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Nur so kann eine nachhaltige Verbesserung des Schulklimas erreicht werden.
Bezogen auf den geschilderten Fall wird die Mutter des gemobbten Jungen zum Gespräch mit der Schulpsychologin und der Schulleitung eingeladen. Wichtig ist hierbei, die elterliche Position zu hören und ernst zu nehmen. Dabei können die Wahrnehmungen der Beteiligten durchaus sehr unterschiedlich sein. Es gilt, die Rahmenbedingungen, in denen sich ein Kind befindet, abzuklären.
Welche Freiheiten, welche Grenzen gibt es im elterlichen Erziehungsverhalten für das Kind? Dabei geht es nicht um Kritik am Erziehungsstil, sondern um das Verständnis für besondere oder schwierige Situationen, mit denen eine Familie zurechtkommen muss. Im Fall von Simon erscheint die Mutter hilflos und überfordert mit der Situation, was man an der Handlungsunfähigkeit erkennt. Nichts war unternommen worden, nachdem sich der Junge offenbart hatte. Hier braucht die Mutter das unterstützende Angebot der Schule.
Wichtig ist, dass die Mutter die Erfahrung macht, dass ihr Sohn und sie dabei ernst genommen werden und als Gesprächspartner in den ganzen Prozess involviert sind. Der regelmäßige Meinungsaustausch ist bedeutsam! Als Präventivmaßnahme hätte man bereits nach wenigen Schulwochen vonseiten der Klassenleitung zu einem Gesprächsabend mit den Eltern einladen können, um bereits erste Auffälligkeiten der Kinder zu besprechen. Diese Form von Elternabenden baut auf beiden Seiten Hemmungen ab, miteinander zu kommunizieren. Eltern können durchaus auch selbst oder über den Elternbeirat zu diesen Gesprächsabenden anregen, wenn sie spüren, dass in der Klasse etwas los ist, oder wenn Kinder offen über diverse Probleme mit Mitschülern sprechen und signalisieren, dass Mobbing stattfindet.
In diesem Fall nun wird die Mutter Anzeige bei der Polizei erstatten, da die Eskalation des Mobbings durch die »Mülltonnenaktion« geahndet werden muss. Auf schulischer Seite bleibt zum einen die Aufklärung des Falls und zum anderen die Entwicklung von vertrauensbildenden Maßnahmen und Handlungsalternativen innerhalb der Klasse. Das geschieht nicht von heute auf morgen, sondern muss gut überlegt sein und braucht Zeit.
Außerdem müssen alle Lehrkräfte, die in der Klasse unterrichten, über den Mobbingfall informiert werden, damit man gemeinsam die nächsten Schritte überlegen kann. Nur wenn alle Lehrkräfte beteiligt sind, kann ein so schwieriges Problem gelöst werden. Die Klasse muss spüren, dass die Lehrer in der Gemeinschaft handeln und sich strikt an getroffene Maßnahmen halten.
Das bereits vorab thematisierte Soziogramm wird in der Klasse von der Schulpsychologin durchgeführt, um die einzelnen Positionen zu erkennen. Dabei geht es in erster Linie darum, eingefahrene Strukturen, Mitläufertum etc. aufzudecken, nicht um Stigmatisierung und Sanktionen. Angelehnt an das Verfahren des »No Blame Approachs« werden die Namen der Mobber und Mitläufer nicht offen benannt, sondern man entwickelt gemeinsam Strategien. Man lernt miteinander umzugehen und überlegt, welche Unterstützung der Gemobbte braucht, um in der Klasse seine Position zu finden. Dabei sind gruppendynamische Maßnahmen immens wichtig, um den Schülern Möglichkeiten zu bieten, alternative Handlungsmuster zu trainieren und sich auszuprobieren.
Außerschulische Trainingsangebote können hier ebenfalls gut genutzt werden. Die Schüler sollen merken, wie sie ihr Lernklima innerhalb der Klasse positiv verändern können, wenn sie nur wollen. Hinzu kommt auch das Aufbauen der Empathiefähigkeit. Wer bereit ist, Gefühle zuzulassen, der kann sich auch in andere hineinversetzen und spüren, wenn jemand Unterstützung braucht.
Selbstverständlich kann eine Schule auch sanktionierende Maßnahmen ergreifen, von der Anhörung eines Mobbers vor dem Disziplinarausschuss bis hin zur Konsequenz des Schulverweises.
Schüler sensibilisieren
Unabhängig von allen Bestrafungsmöglichkeiten geht es jedoch um die Bewusstmachung von Prozessen, die beim Mobben ablaufen, und das Erkennen der eigenen Rolle darin. Als »Gemobbter« braucht man ein Handlungsrepertoire, wie man mit Anfeindungen, ob in physischer, psychischer oder verbaler Hinsicht, umgehen kann. Die Stärkung der eigenen Ressourcen ist hier von entscheidender Bedeutung, ebenso das Aufbauen einer Lobby für den gemobbten Schüler innerhalb der Klasse. Wer steht hinter ihm, wer kann ihn hilfreich unterstützen? Auf wen kann er sich verlassen? Jemand, der gemobbt wird, hat das Gefühl allein gelassen zu werden, niemanden zu haben, der einem beisteht.
In der Regel gibt es aber in jeder Klasse Schüler, die sehr wohl erkennen, dass ein Schüler Probleme durch andere hat, die aber nichts unternehmen und sich nicht um ihn kümmern. Das kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Oftmals wollen Schüler nur ihre Ruhe haben und sich »bequem« aus der Sache raushalten. Manchmal schwingt auch die Angst mit, selbst zum Mobbingopfer zu werden, wenn man sich für einen Außenseiter einsetzt. Diese sogenannten Mitläufer in einem Mobbingprozess muss man ansprechen und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Rolle dahingehend zu verändern, dass sie eine Gegenposition zu den Mobbern einnehmen. Durch diese klare Stellungnahme der Mitschüler gelingt es, den gemobbten Jungen zu unterstützen. Sobald ein Unterstützungssystem innerhalb der Klasse aufgebaut ist, wird die Position des Mobbers deutlich geschwächt.
Im Fall Simon haben sich recht schnell Unterstützer gefunden, zu denen er allmählich Vertrauen fassen konnte. Sehr wichtig ist es dabei, Schritt für Schritt vorzugehen, um beide Gruppen innerhalb der Klasse nicht zu überfordern. Man muss dem Mobbingopfer die Chance geben, den eigenen Standpunkt zu klären und mitzuentscheiden, in welcher Form er Hilfestellung annehmen kann.
Für Simon war diese Vorgehensweise entscheidend, hatte er doch über einen längeren Zeitraum jede Menge Beleidigungen und Demütigungen hinnehmen müssen. Zu verstehen, dass nun Mitschüler plötzlich Verständnis für ihn und seine Lage zeigen und ihm künftig zur Seite stehen wollen, braucht Zeit. Seine Rolle in der Klasse muss neu definiert werden und Akzeptanz finden.
Auch für Simons Mutter war es bedeutsam zu merken, dass es an der Schule ihres Sohnes Lehrkräfte gab, die sich für sie Zeit nahmen und an einer gemeinsamen Lösung der Mobbingsituation arbeiten wollten. Vertrauensbildende Maßnahmen sind für alle Beteiligten von immenser Wichtigkeit!
Ebenso war es entscheidend, ruhige und sachliche Gespräche mit den Eltern des bisher...

Inhaltsverzeichnis

  1. [Titelinformationen]
  2. [Impressum]
  3. Vorwort
  4. Wann ist es Mobbing?
  5. Mobbing in der Schule – Falldarstellungen und Lösungsmöglichkeiten
  6. Ursachen für Mobbing
  7. Präventionsmaßnahmen
  8. Abschließende Worte
  9. Empfehlungen zur Lektüre