Die Kunst des Lebens
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Die Kunst des Lebens

Zwischen Haben und Sein

  1. 160 Seiten
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Die Kunst des Lebens

Zwischen Haben und Sein

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"Viele spüren, dass ein Leben, das dem Erfolg, der Konkurrenz, der Ausbeutung dient, in Wirklichkeit ein Leben ist, das die Menschen unglücklich macht." (Erich Fromm)Die Weisheit eines glücklichen Lebens besteht darin, aufmerksam zu werden für das, was wirklich zählt. Erich Fromm lehrt uns das Leben neu zu lernen: Achtsamkeit zu entwicklen, aufmerksam für das Wesentliche zu werden, Wurzeln zu schlagen und doch frei zu sein. Eine lebenspraktisches Buch eines großen Psychoanalytikers über die Kunst, tiefer zu leben. Herausgegeben von Rainer Funk.Die Alternative "Haben oder Sein" dient als Schlüssel zum Verständnis dessen, woran man bewusst, halbbewusst oder unbewusst das Herz hängt und was man mit Leidenschaft im Leben verfolgt. Mit ihr lässt sich nicht nur begrifflich fassen und diagnostizieren, was in Wirklichkeit in jedem vor sich geht, sie ist zugleich eine konkretisierbare Leitidee zur Veränderung des Lebens. Diese Alternative als Grundausrichtung des leidenschaftlichen Strebens - des Charakters - hatte Erich Fromm über viele Jahre beschäftigt.

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Information

MERKMALE EINES LEBENS ZWISCHEN HABEN UND SEIN

Konsumieren (als Ausdruck von Angst und Depressivität) und Freude am Leben

Der Mensch ist dabei, ein homo consumens, ein totaler Konsument zu werden. Dieses Menschenbild hat fast den Charakter einer neuen religiösen Vision, in der der Himmel ein einziges großes Warenhaus ist, in dem sich jeder Mensch jeden Tag Neues kaufen kann, und zwar alles, was er will, und sogar noch ein bißchen mehr als sein Nachbar. Diese Vision des totalen Konsumenten ist in der Tat ein neues Menschenbild, das sich die Welt erobert, und zwar ganz ohne Unterschied bezüglich der politischen Organisation und Ideologie.
Zunächst möchte ich diesen homo consumens als psychologisches Phänomen beschreiben, als einen neuen Typ von Gesellschafts-Charakter, der seine eigene Dynamik hat. Diese Dynamik kann nur im Sinne der Freudschen Charakterdynamik verstanden werden, wenn man zwischen dem, was einem Menschen bewußt ist, und den unbewußten Kräften, die ihn treiben, unterscheidet. Der homo consumens ist jener Mensch, für den alles zum Konsumartikel wird: Zigaretten und Bier, Likör, Bücher, Liebe und Sexualität, Vorlesungen und Bildergalerien. Es gibt überhaupt nichts, was sich für diesen Menschen nicht zum Konsumartikel verwandeln könnte. Sogar gewisse Drogen, durch die man eine unmittelbare Erleuchtung bekommen kann, werden konsumiert.
Die Frage taucht auf: Ist der Mensch nicht seinem Wesen nach einer, der konsumieren muß, um sich am Leben zu erhalten? In der Tat muß der Mensch so wie jedes andere Lebewesen konsumieren. Das neue Phänomen besteht jedoch darin, daß sich hier eine Charakterstruktur entwickelt, für die auch das, was einmal in ganz anderer Weise angeeignet wurde, nämlich die reiche Welt der menschlichen Schöpfung und Kultur, ohne Ausnahme zum Konsumartikel wird.
Worin besteht – psychologisch gesehen – diese Haltung des Konsumierens [und was wird mit ihr kompensiert]? Unbewußt ist dieser neue Typus Mensch nämlich ein passiver, ein leerer, ein ängstlicher, ein isolierter Mensch, für den das Leben keinen Sinn hat und der zutiefst entfremdet und gelangweilt ist. Fragt man jene Menschen, die heute Schnaps, Reisen und Bücher konsumieren, ob sie sich unglücklich und gelangweilt fühlen, dann antworten sie: „Aber in keiner Weise, wir sind vollkommen glücklich. Wir reisen, wir trinken, wir essen, wir kaufen uns mehr und mehr und mehr, dabei ist man doch nicht gelangweilt!“
Bewußt sind also diese Menschen nicht gelangweilt. Man muß hier schon analytisch fragen, ob es möglich ist, daß diese Menschen vielleicht unbewußt leer, gelangweilt, entfremdet sind, daß sie unbewußt passive Menschen sind – der ewige Säugling, der nicht nur auf die Flasche wartet, sondern für den alles zur Flasche wird, der nie eine Selbstaktivität entwickelt.
Tatsächlich kompensiert der ängstliche, gelangweilte, entfremdete Mensch seine Angst durch zwanghaftes Konsumieren, das als allgemeine Krankheit, oder genauer als ein Symptom der „Pathologie der Normalität“, von niemandem als Krankheit empfunden wird. Der Begriff „Krankheit“ wird ja immer nur dann erlebt, wenn man kränker ist als die anderen. Wenn jedoch alle an derselben Krankheit leiden, dann taucht der Begriff Krankheit im Bewußtsein überhaupt nicht auf. Diese innere Leere, diese innere Angst wird also symbolisch durch zwanghaftes Konsumieren geheilt. Dieser Mechanismus hat sein Vorbild im Eßzwang. Erforscht man, warum gewisse Menschen unter Eßzwang leiden, dann findet man in der Tat, daß hinter diesem Eßzwang, der als solcher bewußt ist, etwas Unbewußtes steckt, nämlich Depression oder Angst. Der Mensch fühlt sich leer, und um diese Leere gleichsam symbolisch auszufüllen, füllt er sich an mit anderen Dingen, mit Dingen, die von außen kommen, um so das Gefühl der inneren Leere und der inneren Schwäche zu überwinden. Viele beobachten an sich selbst, daß sie, wenn sie ängstlich sind oder sich deprimiert fühlen, eine gewisse Neigung haben, sich etwas zu kaufen oder zum Eisschrank zu gehen und etwas mehr zu essen als gewöhnlich und daß sie sich dann etwas weniger deprimiert, etwas weniger ängstlich fühlen.
Der ängstliche, entfremdete Mensch muß auf der einen Seite zwanghaft konsumieren, weil er ängstlich ist. Auf der anderen Seite hängt das Problem sehr eng mit der ökonomischen Struktur der modernen westlichen Gesellschaft zusammen, die ökonomisch auf der Tatsache des vollendeten, absoluten und immer wachsenden Konsums beruht. Was die Wirtschaft zu ihrem eigenen Funktionieren braucht, ist vor allem, daß die Menschen kaufen, kaufen und wieder kaufen, denn sonst fehlt die ständig wachsende Nachfrage nach den Waren, die die Industrie produzieren kann und in immer steigendem Maße auch produzieren muß, wenn sie ihr Kapital selbst reproduzieren will. Darum nötigt die Industrie den Menschen mit allen Mitteln der Verführung, mehr zu konsumieren.
Im 19. Jahrhundert war es unmoralisch, etwas zu kaufen, wofür man das Geld nicht hatte. Im 20. Jahrhundert gilt es als unmoralisch, etwas nicht zu kaufen, wozu man nicht das Geld hat, denn man kauft und reist ja sogar auf Abzahlung. Mit einem ungeheuer raffinierten Reklameapparat verführt die Wirtschaft den Menschen dazu, immer mehr zu konsumieren.
Der Mensch wird ängstlich und entfremdet durch die Produktionsweise des kapitalistischen Systems: weil dieses System immer größere wirtschaftliche und bürokratische Giganten hervorbringt, denen gegenüber der einzelne Mensch sich klein und hilflos fühlt; weil der einzelne Mensch immer weniger aktiv an den Ereignissen der Gesellschaft teilnehmen kann; weil in weiten Schichten eine ungeheure Angst besteht, nicht aufzusteigen, die erreichte Position wieder zu verlieren, die Angst, daß man von der eigenen Frau und von den eigenen Freunden als „Versager“ eingestuft wird, wenn man nicht das erreicht, was die anderen erreichen.
In Wirklichkeit handelt es sich um einen circulus vitiosus: Der Mensch, der in diesem System ängstlich wird, konsumiert. Aber auch der Mensch, der zum Konsum verführt wird, wird ängstlich, weil er ein passiver Mensch wird, weil er immer nur aufnimmt, weil er nichts in der Welt aktiv erlebt. Je ängstlicher er wird, desto mehr muß er konsumieren, und je mehr er konsumiert, desto ängstlicher wird er. So kommt es zu jenem Kreislauf, in dem sich der Mensch um so ohnmächtiger fühlt, je mächtiger seine Maschinen werden, je mächtiger also das wird, was er produziert; und all das kompensiert er durch einen ständigen und nie aufhörenden Konsum.
Mit dem Problem des Konsums ist die Frage der Pseudofreiheit verbunden. Im 19. Jahrhundert war der Begriff der Freiheit ganz wesentlich verknüpft mit der Verfügung über das Eigentum und mit der Freiheit der kommerziellen Unternehmung. Heute gibt es in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern nur noch sehr wenig Privateigentum an den Produktionsmitteln. General Motors und Ford Company, die zwei größten Automobilgiganten in Amerika, sind zum Beispiel in den Händen einer sich selbst fortsetzenden Bürokratie, ohne daß die Hunderttausende von eigentlichen Eigentümern einen wesentlichen Einfluß auf das Unternehmen hätten. (Die Freiheit des Eigentums ist ein Begriff, der eigentlich nur im 19. Jahrhundert bedeutungsvoll war. Deshalb irrte Marx, wenn er glaubte, daß man durch die Sozialisierung der Produktionsmittel etwas Wesentliches ändert. Marx hat sich am Eigentumsbegriff des 19. Jahrhunderts orientiert und nicht vorausgesehen, daß im 20. Jahrhundert das Eigentum als Produktionsmittel gar keine zentrale Kategorie mehr ist.)
Die Pseudo-Freiheit von heute liegt in der Sphäre des Konsums. Der Konsument kommt in den Supermarkt und sieht zehn verschiedene Zigarettensorten, die schon im Radio, im Fernsehen und in den Zeitungen angepriesen wurden. Sie alle bewerben sich um seine Gunst, als wollten sie sagen: „Bitte, wähle mich!“ Im Grund weiß der Käufer zwar, daß dies eigentlich alles dieselben Marken sind, ob es sich nun um Zigaretten handelt oder um Seifen, die da mit hübschen Mädchen oder auch nur mit Mädchenbeinen angepriesen werden. Rein verstandesmäßig ist er sich darüber im klaren, daß das alles vollkommen irrational ist. Es gibt ihm trotzdem ein Gefühl der Freiheit, wählen zu können, was er will. So schenkt er seine Gunst den Chesterfield Zigaretten statt den Marlborough Zigaretten oder den Marlborough statt den Chesterfield.
Eben dadurch aber wird er zu einer Pseudo-Persönlichkeit. [Er bestimmt sein Sein vom Haben dieses Konsumartikels], wenn er sich dadurch definiert, daß er Marlborough raucht. Das ist sein Selbst, seine Persönlichkeit. Im Akt des Wählens erlebt er seine Macht, während er in Wirklichkeit unbewußt seine Ohnmacht erlebt, weil sein Wählen nur das Resultat von Beeinflussungen ist, die hinter seinem Rücken vor sich gehen. Er glaubt, bewußt seine Wahl zu treffen, während er in Wirklichkeit dazu veranlaßt wird, zwischen verschiedenen Produkten zu wählen, die ihm vorgeschlagen werden. Wichtig ist, daß die Menschen rauchen und im Akt dieser Wahl das Erlebnis der Freiheit und der Macht haben.
Probleme des Überflusses, S. 318–321.
Es liegt etwas Krankhaftes in diesem Drang zu immer größerem Konsum, und es besteht die Gefahr, daß jemand, der ganz von diesem Konsumbedürfnis erfüllt ist, damit das Problem seiner inneren Passivität, seiner inneren Leere, seiner Angst und Depression nicht löst, weil nämlich sein Leben keinen Sinn hat. Das Alte Testament sagt, es sei die schlimmste Sünde der Hebräer gewesen, daß sie inmitten der Fülle ohne Freude lebten. (Vgl. Dtn 28, 47.) Ich fürchte, auch die Kritiker unserer Gesellschaft könnten sagen, daß wir zwar viele Vergnügungen und viele aufregende Dinge erleben, daß wir aber inmitten all dieses Amüsements nur wenig Freude empfinden.
Probleme des Alterns, S. 427–428.
Mit dem Konsum ist auch der Begriff des Glücks verknüpft. Wenn man dieses Thema philosophisch behandeln würde, müßte man auf das Wesen und auf die Psychologie der Aufklärung zurückgehen. Fragt man jedoch heute die Menschen, was sie denn eigentlich glücklich macht, dann lautet die Antwort, daß sie sich all das leisten können, wonach sie begehren. Das ist der populäre Glücksbegriff, den heute wahrscheinlich die meisten Menschen haben: daß im Konsum nicht nur die Freiheit begründet liegt, sondern auch das Glück und daß das einzige, was die Freiheit und das Glück hindern, darin besteht, nicht genug Geld zu haben, um alles das zu konsumieren, was man konsumieren möchte.
Probleme des Überflusses, S. 321.
Konsumieren aber macht nicht glücklich, auch wenn die meisten Menschen glauben, sie wären glücklicher, wenn ihr Konsumtionsniveau höher wäre. Viele Untersuchungen und auch der einfache Augenschein zeigen, daß das nicht so ist. Glücklich wird der Mensch durch die Betätigung seiner eigenen Kräfte; dadurch, daß er sich selbst aktiv in der Welt erlebt. Das Glück für den Menschen liegt in der Liebe zum Leben, und das ist etwas sehr Aktives: in der Freude an einer Pflanze, in der Freude an einer Landschaft, in der Freude an Musik, in all dem, in dem der Mensch seine ihm eingegebenen Fähigkeiten, die teilweise natürlicher und teilweise kultureller Art sind, benutzen kann, etwas zu schaffen. Wenn er das nicht kann, dann ist – soweit ich sehen kann – sein Glücksgefühl ein Irrtum. Er redet sich ein, und es wird ihm eingeredet, daß er glücklich ist.
Interview Lodemann, S. 67–68.
Nur die innere Produktivität wird von Freude begleitet. Die äußere Produktivität, daß also jemand etwas schafft, bereitet keine Freude, im Gegenteil; das ist ja die Tragik, daß der Mensch vieles schafft – Waren, Maschinen –, dabei aber gar keine Freude empfindet, sondern sich ganz im Gegenteil als Gefangener fühlt.
Interview Reif 1977, S. 35.
Freude ist eine Begleiterscheinung produktiven Tätigseins. Sie ist kein „Gipfelerlebnis“, das kulminiert und abrupt endet, sondern eher ein Plateau, ein emotionaler Zustand, der die produktive Entfaltung der dem Menschen eigenen Fähigkeiten begleitet. Freude ist nicht die Ekstase, das Feuer des Augenblicks, sondern die Glut, die dem Sein innewohnt. Vergnügungen und Nervenkitzel hinterlassen ein Gefühl der Traurigkeit, wenn der Höhepunkt überschritten ist. Denn die Erregung wurde ausgekostet, aber das Gefäß ist nicht gewachsen. Die inneren Kräfte haben nicht zugenommen.
Wie zu erwarten, spielt Freude in jenen religiösen und philosophischen Systemen, die im Sein den Sinn des Lebens sehen, eine zentrale Rolle. Das Alte Testament und die spätere jüdische Tradition warnen zwar vor der Lust, die mit der Befriedigung von Begierden verbunden ist, sehen aber in der Freude die Grundstimmung, die das Sein begleitet. Das Buch der Psalmen endet mit der Folge von fünfzehn Gesängen, die ein einziger Hymnus an die Freude sind. Der Sabbat ist der Tag der Freude, und in der Messianischen Zeit wird in der ganzen Welt Freude herrschen. Die prophetische Literatur ist überreich an Verkündigungen der Freude. Freude wird als so wichtig angesehen, daß nach talmudischem Gesetz die Trauer um einen nahen Verwandten, dessen Tod weniger als eine Woche zurückliegt, durch die Freude des Sabbat unterbrochen werden muß. Die chassidische Bewegung, deren Motto der Vers aus den Psalmen „Dienet dem Herrn mit Freuden“ (Ps 100, 2) war, schuf einen Lebensstil, in dem Freude ein wesentliches Element war. Traurigkeit und Niedergeschlagenheit galten als Anzeichen spiritueller Verwirrung, wenn nicht gar als Sünde.
Im Christentum weist schon die Bezeichnung „Evangelium“ – Frohe Botschaft – auf die zentrale Bedeutung der Freude hin. Im Neuen Testament wird mit Freude belohnt, wer dem Haben entsagt, während Traurigkeit das Los desjenigen ist, der an seinem Besitz festhält (vgl. Mt 13, 44 und 19, 22). Aus vielen Aussprüchen Jesu erhellt, daß für ihn Freude eine Begleiterscheinung des Lebens in der Existenzweise des Seins war. In seiner letzten Rede an die Apostel spricht Jesus über die Freude in ihrer letzten Bedeutung: „Dies habe ich zu euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird“ (Jo 15, 11). – Freude also ist es, was wir auf unserem Weg hin zum Ziel der Selbstverwirklichung erleben.
Haben oder Sein, S. 117–199 passim.

Aktivsein (als Ausdruck von Passivität) und produktives Tätigsein

[Daß Aktivität ein Merkmal der Orientierung am Sein und Passivität ein Merkmal der Orientierung am Haben sein soll,] ist für modernes Denken verwirrend, weil Aktivität in unserem Sprachgebrauch gewöhnlich als ein Verhalten definiert wird, welches durch den Einsatz von Energie eine Veränderung in einer bestehenden Situation herbeiführt. Sie ist dann gleichbedeutend mit „Geschäftigkeit“. Im Gegensatz dazu pflegt man einen Menschen als passiv zu bezeichnen, wenn er unfähig ist, durch Energieeinsatz eine bestehende Situation zu ändern oder offensichtlich zu beeinflussen, und wenn er sich von Kräften außerhalb seiner selbst beeinflussen läßt. Diese übliche Auffassung von Aktivität berücksichtigt nur den tatsächlichen Energieeinsatz und die durch ihn bewirkte Veränderung. Sie unterscheidet nicht zwischen den zugrunde liegenden psychischen Bedingungen, welche den Aktivitäten die Richtung geben.
Ein – wenngleich extremes – Beispiel ist die Aktivität eines Menschen unter Hypnose. Wer sich in einem tiefen hypnotischen Trancezustand befindet, kann die Augen offen haben, kann umhergehen, reden und alles mögliche tun, kurz, er kann „agieren“. Die heute allgemein übliche Definition der Aktivität würde auf ihn zutreffen, da er Energie einsetzt und irgendwelche Veränderungen bewirkt. Wenn wir jedoch den besonderen Charakter und die spezielle Qualität dieser Aktivität in Betracht ziehen, so erkennen wir, daß der „Akteur“ in Wirklichkeit nicht der Hypnotisierte, sondern der Hypnotiseur ist, der mittels seiner Suggestionen durch ihn agiert. Der hypnotische Zustand ist zwar ein künstlicher Zustand und ein extremes, aber dennoch charakteristisches Beispiel für eine Situation, in welcher der Betreffende aktiv und doch nicht der Akteur ist, da seine Aktivität von Kräften stammt, deren Zwang er unterliegt und die er nicht unter Kontrolle hat.
Mexikanisches Dorf, S. 312–313.
Aktivität im modernen Sinn bezieht sich nur auf Verhalten, nicht auf die Person, die sich in einer bestimmten Weise verhält. Es wird nicht differenziert, ob ein Mensch aktiv ist, weil er wie ein Sklave durch äußere Mächte dazu gezwungen wird, oder weil er wie ein von Angst getriebener Mensch unter innerem Zwang steht. Es ist gleichgültig, ob er an seiner Arbeit interessiert ist wie ein Zimmermann oder ein kreativer Schriftsteller, ein Wissenschaftler oder ein Gärtner, oder ob er keine innere Beziehung zu seiner Tätigkeit hat und keine Befriedigung durch sie erfährt wie der Arbeiter am Fließband und der Postangestellte.
Aktivität im modernen Sinn unterscheidet nicht zwischen Tätigsein und bloßer Geschäftigkeit. Es gibt aber einen grundlegenden Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Aktivität, der dem ähnelt, den man zwischen „entfremdeter“ und „nicht-entfremdeter“ Tätigkeit machen würde. In der entfremdeten Aktivität erlebe ich mich nicht als das tätige Subjekt meines Handelns, sondern erfahre das Resultat meiner Tätigkeit, und zwar als etwas „da drüben“, das von mir getrennt ist und über mir bzw. gegen mich steht. Im Grunde handle nicht ich; innere oder äußere Kräfte handeln durch mich. Ich bin vom Ergebnis meines Tätigseins getrennt worden. Der deutlichste Fall entfremdeter Aktivität ist im psychopathologischen Bereich die zwangsneurotische Persönlichkeit. Sie steht unter dem inneren Drang, etwas ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Die Kunst des Lebens
  2. Impressum
  3. Einleitung
  4. Von der Kunst des Lebens
  5. Die Entfremdung des heutigen Menschen
  6. Ursprünge der Orientierung am Haben
  7. Haben oder Sein
  8. Merkmale eines Lebens zwischen Haben und Sein
  9. Schritte zum Sein
  10. Literaturnachweise
  11. Quellennachweise
  12. Über den Autor