Hinübergehen
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Hinübergehen

Was beim Sterben geschieht. Annäherungen an letzte Wahrheiten unseres Lebens.

  1. 200 Seiten
  2. German
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Hinübergehen

Was beim Sterben geschieht. Annäherungen an letzte Wahrheiten unseres Lebens.

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Über dieses Buch

Monika Renz beschreibt klar und sensibel wie Schwerkranke ihr Sterben erleben: als Übergang und Schwelle hinüber in einen Zustand außerhalb von Schmerzen und Not. Sie weiß um die Angst im Davor, um ein Hindurch und um wunderbare Zustände im Danach. Sie spricht von Loslassen ebenso wie von Würde im Leiden. Im Zugehen auf den Tod vollzieht sich eine Wandlung der Wahrnehmungsweise. Diese aktualisierte und erweiterte Neuausgabe enthält einen ausführlichen Anhang und die neuesten wissenschaftlichen Studien zur Arbeit von Monika Renz. "Zu erkennen, was Sterbende wahrnehmen und fühlen, hilft auch den Angehörigen in ihrer oft schwierigen Gratwanderung zwischen Mitgehen und Loslassen. Ein Verstehen trägt auch dazu bei, dass Verzweiflung und Gefühle von Ohnmacht abnehmen zugunsten von seelischer Kompetenz und einem Staunen." (Monika Renz)

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783451814969
1.  Was geschieht im Sterbeprozess? – Eine These
Die Quintessenz meiner zwanzig Jahre Sterbebegleitung am Kantonsspital St. Gallen kann in nachfolgender These zusammen­gefasst werden. Ihr liegen phänomenologische Beobachtungen von Zuständen, Aussagen und nonverbalen Signalen Sterbender zu­grunde, auch von Reaktionen auf Interventionen, sowie deren wissenschaftliche Auswertung in vier Forschungsprojekten6.
Die These lautet: Sterbende durchlaufen eine Wahrnehmungsverschiebung (transformation of perception) und einen Übergang (transition). Im Zugehen auf den Tod tritt nicht nur das Ich, sondern auch die uns selbstverständliche subjekthafte, ich-bezogene Wahrnehmung (was ICH wollte, dachte, fühlte, alle Bedürfnisse im Ich, Ängste im Ich) in den Hintergrund. Dasselbe gilt für die Reaktionsmuster als ein Ich bis hin zu unseren Reflexen und Instinkten.
Eine andere Welt, ein anderer Bewusstseinszustand, an­dere Sinneserfahrungen und eine andere Erlebnisweise rü­cken in den Vordergrund und all dies unabhängig von Weltanschauung und Glaube. Die Wahrnehmungsverschiebung verändert auch unsere Erfahrung von Sein, von Beziehung und von Würde. Sterben ist ein Prozess.
Erläuterung: Der Tod als Tor hinein in einen Bereich, über den wir nichts wissen, scheint bereits im Vorfeld des Todes wirksam zu werden und eine fundamentale Wandlung der menschlichen Persönlichkeitsstruktur und des menschlichen Bewusstseins voranzutreiben. Das Geheimnis des Todes ist, den Reaktionen Sterbender zufolge, ebenso anziehend wie furchtauslösend und vor allem unumgänglich. Sterben beinhaltet mehr als ein körperliches Ableben, mehr auch als ein seelisch-geistiger Zerfall. Hier ereignet sich etwas, das sich dem Auge des Zuschauers entzieht.
Genauer betrachtet, scheint ein Ich-Tod (Begriff von Stanislav Grof) dem eigentlichen Tod vorauszugehen. Mit Ich-Tod ist der Untergang im Ich gemeint: Nicht nur geht das Ich verloren, sondern auch alles, was an dieses Ich gebunden war und zu diesem Ich gehörte. Alles Wahrnehmen bezogen auf ein Ich (ich sehe, ich höre), alles Empfinden als ein Ich (ich habe Angst, Freude, Hunger), alles Senden und Differenzieren als ein Ich (ich spreche, ich unterscheide, ich will) kommen an ein Ende. Das kann man sich nicht umfassend genug vorstellen: Das Ich als Subjekt aller Wahrnehmung und allen Denkens, als zentrale Steuerungsinstanz im Menschen, wird unwesentlich. Stattdessen taucht der auf sein Sterben zugehende Mensch ein in Zusammenhänge und Wahrnehmungen von ganz anderer, ganzheitlicher Art. Das Wort »ganzheitlich« darf dabei nicht verkürzt – etwa reduziert auf das Ganze von Körper, Geist und Seele – begriffen werden, sondern meint das Ganze schlechthin, welches Materie und Energie, Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf umfasst. Ein anderer Begriff für das Ganze ist das Göttliche. Die Annäherung der Sterbenden ans Ganze geschieht nicht kontinuierlich, sondern – wie aller seelisch-geistige Prozess – sprunghaft, meist in mehrfachem Hin und Her, Vor und Zurück. Der Prozess führt durch Krisen hindurch (krisis, griechisch, bedeutet »Meinung, im Sinne von: eine mit einer problematischen Umwendung verbundene Entscheidung«). Es geht manchmal nicht an einer eigentlichen Katastrophe vorbei. Doch der Sterbeprozess bleibt nicht am Tiefpunkt stehen, gerade nicht, sondern führt von innen heraus in ein Neues, Künftiges. Das entspricht dem ursprünglichen Wortsinn: Katastrophe meint eine radikale »Hindurchwendung«, Umwendung (kata, griechisch, heißt: herab, nieder, völlig, über, hindurch).
Genau die Sterbenden vermitteln uns eine Ahnung darüber, was jenseits dieser unsichtbaren Bewusstseinsschwelle und außerhalb der Zone des Ichs geschieht – ja, dass da überhaupt etwas geschieht. Einige künden staunend von etwas Unbeschreibbarem: »Ohhh«. Andere formulieren oder bestätigen kognitive Worte wie »Durchgang«, Dritte erleben in Bildern wie etwa »Ich falle« oder in apokalyptischen Dimensionen: »Das Schwarz frisst mich auf« und später: »Jetzt wird das Schwarz von den Engeln besiegt«. Viele Sterbende werden irgendwann – unverstehbar – einfach friedlich. Bisweilen geht ein inneres Leuchten von ihnen aus. Ich spreche in all dem von einer spirituellen Öffnung (vgl. Renz, 2008).
Was in solchermaßen ich-fernen Zuständen geschieht, so mein Fazit, hat am ehesten zu tun mit dem Phänomen Wahrnehmung. Etwa können sich die Dimensionen von Zeit und Raum/Ort so stark verändern, dass das Ich nicht folgen noch verstehen kann. So gibt es Erfahrungen von Gleichzeitigkeit und Zeitlosigkeit, von der Überwindung aller räumlichen Begrenzung und zeitlichen Ein­engung. Dann erfahren Menschen eine eigentümliche Freiheit, einen überpersonalen Sinn, ein Licht oder eine Atmosphäre von Liebe, Friede und Ehrfurcht (vgl. Moody, 1988; Parnia, 2006). Kurz davor und danach aber ist es, wie wenn das Neue noch nicht da und das Alte schon weit weg wäre. Der Grenzbereich hat seine eigenen Gesetzmäßigkeiten und typischen Erlebnisweisen (vgl. Renz, 2014, Kap. 2). Menschen erfahren sich dann etwa als in engen bis verzerrten Räumen gefangen oder in der Monotonie verloren. Das löst existenzielle Angst und Verwirrung aus (vgl. Greyson und Busch, 1992). »Unverständlich!«, kommentiert ein Sterbender seinen Versuch, dies zu beschreiben. »Hier wird geschossen!«, schreit ein anderer. Ein Dritter zeigt auf die tickende Uhr und ruft: »Das da … bringt mich um.« Eine Patientin träumte: »Hier bleibt dir nur so viel Platz, wie dein Körper braucht, kein Zentimeter mehr.«
Wenn die Sterbenden dann aber innerlich eintreten in den Bereich des Heiligen, ändert sich die Atmosphäre. »Unsäglich schön«, stammeln einige. Geht es gar um eine Begegnung mit dem zutiefst Ehrfurchtgebietenden, hören Patienten im Traum etwa die Worte: »Hier musst du deine Augen schließen«, »hier musst du dein Gewand ablegen«, »du erhältst die heilige Rolle (Schriftenrolle)«. Man ist erinnert an die heiligen Schriften des Alten Testamentes: Mose wird geboten, die Schuhe auszuziehen (Ex 3,4–6). Elija verhüllt das Gesicht (1 Kön 19,13). Bei der Sendung des Ezechiel wird dem Propheten gesagt: »Du aber Menschensohn, höre, was ich zu dir sage … iss, was du vor dir hast. Iss diese Rolle« (Ez 2,8–3,3).
Die sich verändernde Wahrnehmung, der Übergang vom Ich zum Sein, von der Ich-Befindlichkeit zu einem umfassenden Angeschlossen-Sein, von der Eigenmacht zur Teilhabe ist der primäre seelisch-geistige Prozess im Sterben. Alle tiefere Kraft der Sterbenden scheint unsichtbar auf das Bestehen dieser Herausforderung fokussiert zu sein. Andere Aspekte von Sterben wie Abschiednehmen, Wortfindung, Angst und Verzweiflung sind als »Darauf-hin oder Davon-her« zu begreifen. Sie sind wichtig und doch irgendwann erstaunlich sekundär (vgl. Kap. 6).
Das Übergangsgeschehen kann kaum vorsichtig genug ins Wort gebracht werden. Worte sind stets Metaphern. Wir können uns hier – so nahe beim Geheimnis – kaum respektvoll genug ausdrücken. Zurückhaltung ist aber auch angebracht angesichts der bleibenden Individualität jedes Menschen. Sterben ist individuell, das Geheimnis jeder Person und – nicht minder – ihre ureigene An­näherung ans letzte Geheimnis.
2. Davor – Hindurch – Danach:
drei Stadien der Wahrnehmungs­verschiebung, dreierlei Erfahrungen von Würde
2.1 Wandlung ist mehr als Weg
E. Kübler-Ross, Pionierin im Bereich Sterbebegleitung, spricht von fünf Sterbephasen: Nicht-wahrhaben-wollen, Zorn, Feilschen, Depression, Zustimmung. Der Sterbeprozess scheint nach Kübler-Ross wie der Trauerprozess ein Durchgang durch Aufbäumung und Gefühlsintensität zu sein, bis schließlich so etwas wie Einwilligung geschieht. So viel kann ich aus meinen Erfahrungen bestätigen. Darin – wie auch im Mut, mit Sterbenden zu kommunizieren – erkenne ich bleibenden Wert in den Werken von Kübler-Ross. Dennoch bleibt eine solche Sicht für mich hinter dem Geheimnis des Sterbens zurück. Kritiker betrachten den Ansatz von Kübler-Ross als zu linear und pathologisierend (Samarel, 1995). Kübler-Ross beschreibt mit diesen Phasen nicht das, was spezifisch auf das Sterben hin geschieht, sondern den inneren Weg bis zur Einwilligung, wie er nach jedem Diagnoseschock, schwerwiegenden Verlust und Schicksalsschlag ansteht.
Weg und Wandlung sind zweierlei. Vor dem Sterben ereignet sich größtmögliche Wandlung, auch Bewusstseinsveränderung. Derweil ein Weg für das Ich nachvollziehbar und vom Ich mehr oder minder aktiv »begehbar« ist (linear), ist das Ich in eine Wandlung hineingenommen, passiv. Davor und mittendrin stößt das Ich in solchem Ausmaß an Grenzen, dass es aufhören muss zu denken, zu verstehen, zu erwarten. Es muss sich selbst preisgeben. Die Wandlung vor/im Sterben führt in ungeahnte Dimensionen hinein, in der Metapher gesprochen vom Linearen des Lebens ins Runde des Seins. Auch weitere wichtige Sterbemodelle, die etwa auf Wege von Reifung (Wittkowski, 2004) oder auf Copingstrategien und Einstellungen (Corr, 1991–1992) fokussiert sind,7 be­schreiben eher »Wege« als »Wandlung«. Das sich verändernde Be­wusstsein und das Phänomen Wahrnehmungsverschiebung sind nicht thematisiert. Da wie dort ist das Akzeptierenkönnen wichtig (Kübler-Ross, 1974; Kast, 1982; Tomer, Eliason und Wong, 2008; Wittkowski, 2004; Corr, 1991–1992), was in sich schon äußerste und wiederkehrende Herausforderung ist. Der vorliegende Ansatz aber bringt die Frage der Einwilligung in ein Verhältnis zum inneren Wandlungsprozess, zur noch fundamentaleren Wahrnehmungsverschiebung: Für Sterbende ist eine der zentralen Herausforderungen, in ein komplettes Loslassen (und damit in Wandlung) einzuwilligen. Bejahung ist sowohl Bedingung, damit »es« geschieht, als auch Ausdruck des Ereignisses (vgl. Kap. 6.3). Bejahung wird hier als Faktor im Prozess, aber nicht als Oberthema betrachtet (vgl. Figur 1, Anhang).
Das Prioritäre ist die Wandlung vom Ich zum Sein, und dies in jener Radikalität, die dem Ende unseres Daseins als Ich innewohnt. Der Körper als Verkörperung (auch Verdichtung, Verstofflichung) dieses ich-bezogenen Subjekts stirbt! Mit diesem Sterben – und dieses auch einleitend – verliert sich die Wahrnehmung im Ich und das Erleben als ein Ich. Dieses Buch betrachtet diese Wahrnehmungs- und Bewusstseinsveränderung in der Todesnähe. Es ist darin Annäherung ans ewige Geheimnis und dies genau in der Doppelgesichtigkeit zwischen dem radikalen Ernst-nehmen der Zeugnisse Sterbender sowie den metaphorischen Aussagen von Religionen über Eschatologie (Lehre von den letzten Dingen) einerseits und dem Wissen, dass ich nichts weiß, andererseits. Die Aufrechterhaltung dieser Spannung scheint mir für einen würdigen Umgang mit Sterbenden und ihren letzten Fragen wichtig zu sein.
2.2 Würde inmitten von Leid – dreierlei Erfahrungsweisen
Würde, ein Kulturbegriff, ist ein tief humaner Wert – auch dort, wo er sinngemäß auf Tiere und Pflanzen erweitert wird. Würde appelliert an artgerechtes, wertschätzendes Verhalten. Gibt es eine Würde inmitten von Leiden? So zu fragen, ist provokant: Ist Leiden würdevoll? Immer nur im Konkreten ist ein Ja auf diese Frage möglich. Doch genau im Leid zeigt sich, dass Würde mehr beinhaltet als die leidvollen Umstände. Würde muss erfahren werden und auch emotional beim Menschen – auch beim leidenden Menschen – ankommen. Patienten lehrten mich, dass es drei Weisen gibt, Würde inmitten von Leid zu erfahren:
Würde im Leiden wird erfahren und erwächst
1) aus dem Gefühl heraus, ernst genommen und würdig behandelt zu werden
2) aus der ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Hinübergehen
  2. Impressum
  3. Inhalt
  4. Einleitung zur Neuauflage
  5. 1. Was geschieht im Sterbeprozess? – Eine These
  6. 2. Davor – Hindurch – Danach: drei Stadien der Wahrnehmungs­verschiebung, dreierlei Erfahrungen von Würde
  7. 3. Was ist Urangst? »Das Ich stirbt in ein ›Du‹ hinein«
  8. 4. Anderes Hören: akustische und schwingungsmäßige Sensibilität Sterbender
  9. 5. Symbolsprache: häufige Metaphern Sterbender
  10. 6. Was hindert, was fördert das Sterben-Können? Schauplätze, in denen die Wahrnehmungs­verschiebung sichtbar wird
  11. 7. Folgerungen betreffend Sterbebegleitung und würdiges Sterben
  12. 8. Mein Menschenbild: eine grafische Darstellung
  13. 9. Lehrbuch Sterbebegleitung: Übungen und Fragen zur Sensibilisierung
  14. Literaturverzeichnis
  15. Anhang
  16. Anmerkungen
  17. Über die Autorin