Wirtschaftskriege
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Wirtschaftskriege

Geschichte und Gegenwart

  1. 272 Seiten
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Wirtschaftskriege

Geschichte und Gegenwart

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Über dieses Buch

Shortlist des Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2019Unsere Wirtschaftswelt ist in keinem guten Zustand. Eskalationen und Konflikte nehmen zu. Bisherige Partner werden sich fremd. Einen der wichtigsten Krisenherde bilden die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen. Dieses Buch handelt von den Gründen dafür und zeigt, was sich tun lässt, damit es beim friedlichen Wettstreit bleibt.Nils Ole Oermann und Hans-Jürgen Wolff zeigen, wie Wirtschaftskriege einzuordnen sind und beschreiben die gravierenden Folgen. Sie erläutern, wie heutige Streitigkeiten mit der Globalisierung und mit internationalen Konflikten seit 1989 zusammenhängen. Sie legen außerdem dar, wie die westlichen Demokratien eine Verschärfung vermeiden und sich insbesondere im Wettbewerb mit China behaupten können.Krieg, Handel und PiraterieOb bewaffnete Kämpfe um Rohstoffe und Absatzgebiete, die Vernichtung von Produktionsanlagen durch Schadsoftware, Schutzzölle und nationaler Protektionismus oder Piraterie – um die eigenen wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen scheint jedes Mittel recht. Auch wenn Wirtschaftsbeziehungen intensiv sind, schützen sie nicht vor Krieg, sondern können sich zu dessen Auslöser auswachsen."Dieses Buch legt überzeugend dar, was uns im Umgang mit aufsteigenden Wirtschaftsmächten wie China helfen wird: Nicht Angst und Resignation, sondern ein kühler Kopf und die richtige Mischung aus Kooperation und entschlossener Verteidigung unserer Interessen." (Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts)"Die vorgelegte Analyse hat mich wirklich beeindruckt, weil sie weit über eine ökonomisch-ethische und völkerrechtliche Einordnung hinaus eine sehr aktuelle und bedenkenswerte Charakterisierung der weltpolitischen Herausforderungen vornimmt. So wünsche ich dem Buch nicht nur viele nachdenkliche Leser, sondern vor allem, dass es in den politischen Entscheidungsprozessen Beachtung findet." (Wolfgang Schäuble, Präsident des Deutschen Bundestages)

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783451816208

1. Kapitel
Was ist Wirtschaftskrieg? Definitionen und Geschichte(n)

Enge Verbindung: Wirtschaft, Wettbewerb und Wettstreit

Es gibt zu viele, die vom Wohlstand durch Globalisierung schwärmen und achselzuckend an deren Opfern vorbeisehen; die den Freihandel loben und ihn zum eigenen Vorteil verhindern; die eine »regelbasierte internationale Ordnung« preisen, darin aber bloß Trittbrettfahrer sein wollen und die Instandhaltungskosten anderen überlassen. Oliver Cromwell verlangte von seinem Portraitmaler ein ungeschöntes Gemälde: Es solle ihn zeigen mit allen Unzulänglichkeiten, »warts and all«, Warzen inbegriffen. Solchem Realismus fühlen wir uns verpflichtet bei der Beschreibung der Zusammenhänge zwischen Wirtschaft, Wettstreit und Krieg.
Die meisten Menschen wollen mehr als nur leben – sie wollen gut leben. Dafür arbeiten sie, dafür arbeiten sie mit anderen zusammen, und dafür arbeiten sie gegen andere an. Schon im friedlichen Handel und Wandel steckt harter Wettkampf, ja strukturelle Gewalt: Wer bietet die beste Ware, produziert am günstigsten, macht den meisten Gewinn? Wer schlägt die Konkurrenten aus dem Feld? Was Ordnungshüter »die Fähigkeit zur Aggression« (»the gift of aggression«1) nennen, das kennzeichnet auch so manchen ehrbaren Unternehmer und sein Handeln; es hat zu Begriffen wie »schöpferische Zerstörung« (Joseph Schumpeter) geführt. Die Zerstörung alter Strukturen durch fähige Unternehmer erhöht meist die allgemeine Wohlfahrt. Die Spinning Jenny zum Beispiel, die weltweit erste Spinnmaschine für Baumwollfasern, vervielfachte die Produktivität bei der Herstellung von Webgarn. Sie machte dadurch für alle Tuch und Kleidung viel erschwinglicher, und sie half den Weg bahnen für die Exportmacht der englischen Textilindustrie. Aber Jenny und die ihr folgenden Textilmaschinen raubten in England, auf dem europäischen Festland und in Übersee auch ungezählten handwerklich arbeitenden Menschen Lohn und Brot, und die Betroffenen haben die Gewalt dieser Veränderung oft erlitten und empfunden wie ein Kapitalverbrechen. Gewiss, in der längeren Frist wurden die vorindustriellen Webersleute Europas frei, in neuen Berufen ein weniger karges Dasein zu fristen. Zuerst aber brachte ihnen der technische Fortschritt noch größeres Elend, und Hilfen auf dem Weg zu neuem Auskommen suchten sie meist vergebens. Die englische Textilindustrie wiederum wurde so produktiv und politisch einflussreich, dass England seinen Indienhandel entsprechend manipulierte: Das blühende indische Textilgewerbe wurde mit hohen Abwehrzöllen auf Distanz gehalten und ausgezehrt, die indischen Einfuhrzölle für Textillieferungen der britischen Kolonialherren minimiert, die indische Baumwolle nach England gebracht, die daraus gefertigte Ware zum großen Teil teuer den Indern verkauft, und Hunderttausende indische Weber hungerten, weil ihre Handspinnräder zum Stillstand gezwungen waren. Mahatma Gandhi hat darum das Spinnrad zum Symbol des Widerstands gegen Ungerechtigkeit gemacht. So gleitend kann er sein, der Übergang von unternehmerischem Fortschritt und allgemeinem Wohlfahrtsgewinn zu räuberischen internationalen Handelsbedingungen mit kriegsähnlicher Not im Gefolge.2
Selbst ein vollkommen friedlich und fair erreichter, großer volkswirtschaftlicher Erfolg entwickelt nicht selten ein Eigenleben und erzeugt immer weiter ausgreifende und angreifende Sachzwänge, die zu Konfliktursachen werden können: Je erfolgreicher ein Land sich industrialisiert, desto mehr Rohstoffe müssen her und desto größere Absatzgebiete, und immer längere Liefer- und Vertriebswege verlangen nach immer mehr Infrastruktur. Je weiter das entsprechende Netz von Handelsniederlassungen und Auslandsinvestitionen, von Schürf- und Transportrechten, Lieferverträgen und Wirtschaftsabkommen, Häfen und Kanälen, Eisenbahntrassen und Flugplätzen ausgebaut wird, desto mehr wird dieses Netz wie von selbst zu einem internationalen Einflussfaktor und gewinnt Freunde, Verbündete und Abhängige, und desto mehr erscheint das Erreichte seinen Erbauern schützenswert und schutzbedürftig – was nahelegt, spätestens jetzt auch militärische Macht zu projizieren. All das weckt nur zu leicht den Argwohn anderer. Die erblicken womöglich selbst in fairen Handels- und Finanzbeziehungen ein Austauschverhältnis, von dem sie relativ weniger als die Gegenseite profitieren – eine Leiter, auf der der Gegner von morgen ihnen über den Kopf steigt und die er umstößt, sobald er sich auf den »kommandierenden Höhen der Weltwirtschaft« festgesetzt hat, von denen schon Lenin sprach. Darum lautet ein Schlüsselbegriff zum Thema Wirtschaftskriege: Latenz. Latenz bedeutet das allmähliche, zuerst kaum wahrnehmbare Reifen von Entwicklungen, das sachte Heranrücken der Ereignisse, das langsame Erkennen der im Gegebenen schlummernden Möglichkeiten.3 Wenn sich täglich die Fläche der Seerosenblätter auf dem Teiche verdoppelt, dann mag das lange Zeit recht idyllisch und biodivers ausschauen, und das noch am vorletzten Tag – aber dann! Für die Latenz vor dem Umschlag haben Groß- und Hegemonialmächte meist empfindlichere Fühler und ein wacheres Bewusstsein als Klein- und Mittelmächte. Die neigen mangels Gestaltungsmacht eher dazu, sich in den Gegebenheiten einzurichten und zu hoffen: Meine Nische wird schon nicht verschwinden.
Bereits im friedlichen Handel und Wandel also stecken viel Druck und Stress, persönliches Leid und riskante internationale Dynamik. Oft bleibt es aber nicht friedlich, wo es um Handel, Rohstoffe und Märkte geht. Durch die Jahrhunderte wurden Zwischenhändler physisch ausgeschaltet, fremde Handelsstationen zerstört, Monopole aller Art errichtet, exklusive Wirtschafts- und Fischereizonen behauptet und mit Gewalt durchgesetzt, Länder okkupiert und Völker unterdrückt – alles für Machterhalt und weitere Expansion. Dabei wirken Staatsgewalt und Privatwirtschaft eng zusammen. Mal übernimmt die eine, mal die andere das operative Geschäft, und obendrein sind sie Gestaltwechsler: Hier verkappt sich der Staat als Unternehmen,4 dort übernehmen Firmen Hoheitsgewalt und stellen dafür ganze Armeen auf, wie es zum Beispiel die East India Company und ihr niederländisches Pendant getan haben.
Welche Akteure sind mit wirtschaftlichen Zielen oder Mitteln aggressiv, und was versprechen sie sich davon? Das hängt von der jeweiligen politischen Ordnung ab, vom Stand der Produktivkräfte und der volkswirtschaftlichen Erkenntnisse und Denkgewohnheiten, von den logistischen und militärischen Möglichkeiten, von der öffentlichen Meinung (falls zugelassen), von der relativen Stärke der beteiligten Staaten und vom Weltbild und den Erwartungen der Entscheider. Da liegt natürlich jeder historische Fall etwas anders, und die Faktoren der jeweiligen Willensbildung lassen sich im Nachhinein oft nur schwer rekonstruieren, gewichten und eindeutig bewerten. Doch lässt sich mit Blick auf Wirtschaftskriege immerhin eine wichtige geistesgeschichtliche Zäsur erkennen, und eine beliebte Theorie über den angeblichen Haupttreiber der meisten Konflikte lässt sich ausschließen.

It’s not the capitalists, stupid!

Zu der geistesgeschichtlichen Zäsur: Im Frankreich der absoluten Könige diente noch alles Wirtschaften vor allem der Macht des Staates, verkörpert in der Person des Monarchen, und es erschien nach der herrschenden, merkantilistischen Wirtschaftslehre plausibel, möglichst viel ans Ausland zu verkaufen und möglichst wenig von dort einzukaufen. Außenpolitik und Außenhandel wurden als ein Nullsummenspiel um Macht und Reichtum betrachtet. Handel und Gewerbe hatten nicht vorrangig dem Wohlstand der Bürger zu dienen, sondern dem Staat und seinem Machtinstrument, der Armee. Handel galt quasi als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln – und umgekehrt.5 Der Merkantilismus wurde bis Ende des 18. Jahrhunderts in unterschiedlichen nationalen Spielarten praktiziert, aber seine Grundannahmen und Ziele waren überall die gleichen: Er war wirtschaftlicher Nationalismus, um einen wohlhabenden und mächtigen Staat zu bauen. Die Regierungen strebten danach, Wohlstand anzuhäufen, und nahmen an, dass sie das nur auf Kosten der anderen Staaten tun könnten. Man hielt das Volumen des internationalen Handels für begrenzt und nicht vermehrbar. Es ging also darum, ein möglichst großes Stück davon zu bekommen, und gemessen wurde der Erfolg am eigenen Handelsüberschuss und am Bestand an Gold und Silber in der Staatskasse. Um beides zu erreichen, arbeiteten die Eliten von Politik und Wirtschaft eng zusammen, und viele tummelten sich in beiden Sphären. Der Staat verlieh seinen Kaufleuten Monopolrechte und bevorzugte die heimische Wirtschaft, indem er sie vor auswärtiger Konkurrenz schützte und bei der Eroberung neuer Märkte subventionierte. Sie dankten es ihm durch Treue und Abgaben und dadurch, dass sie seine Flagge um die Welt trugen (und einrammten wo immer möglich).
Für merkantilistisch denkende Akteure hatten Wirtschaftskriege aller Hitzegrade eine viel größere Plausibilität und ökonomische Unbedenklichkeit als für Regierungen und Gesellschaften, die bereits mit dem Freihandelsgedanken nach Adam Smith und David Ricardo vertraut waren6 und deren Volkswirtschaften sich mit anderen in tausenderlei Zusammenhängen verzahnt hatten. Auch sie strebten nach Wohlstand und Einfluss für ihre Nation, nach Gold und Größe für das Vaterland. Diese Post-Merkantilisten erkannten aber zunehmend in Krieg und Wirtschaftskrieg eine Störung der internationalen Arbeitsteilung, die insgesamt zu Wohlstandseinbußen führt. Das hatte Folgen für die Faktoren und Interessengruppen, die bei der Entscheidung zum Kampf den Ausschlag gaben. Zwar gab es weiterhin mehr Protektionismus als Freihandel, und es wurden auch nach 1820 weiter Wirtschaftskriege geführt und Militärkriege mit wirtschaftlichen Zielen. Viele europäische Mächte verhielten sich auch militärisch in Einklang mit der Palmerston-Devise »it is the business of the Government to open and to secure the roads for the merchant« (es ist die Aufgabe der Regierung, dem Händler die Wege zu öffnen und zu sichern).7 Aber es findet sich (selbst in der Phase des Neoimperialismus8) kaum ein einziger Fall, in dem eine wirtschaftliche Interessen- und Lobbygruppe für die Entscheidung zum bewaffneten Konflikt ausschlaggebend war.
Eine Ausnahme ist vielleicht der »Salpeterkrieg« Chiles gegen Bolivien und Peru (1879–1884), der vor allem um Salpetervorkommen, ihren Abbau, ihre Besteuerung und um ein Abbauunternehmen geführt wurde, von dessen Anteilseignern einige auch Regierungsmitglieder waren. Selbst da schwangen jedoch in der Entscheidung für den Krieg hegemoniale Absichten und nationalistische Verfeindungen mit, und es wurmte die Erkenntnis, dass der Krieg eigene Investitionen in Feindesland gefährdete, dass also die eigene wirtschaftliche Interessenlage vielschichtig war. Dagegen ging es in den von der Central Intelligence Agency (CIA) mit eingefädelten Regierungsstürzen 1953 im Iran und 1954 in Guatemala zwar auch um Interessen der United Fruit Company bzw. der von Großbritannien geführten Anglo-Iranian Oil Company, aber zu allererst um die Eindämmung des Kommunismus und der Sowjetunion.9
Dieser generelle Befund bedeutet: Marxistische Theorien über den Kapitalismus als Hauptkriegsursache und über Kapitalisten als die ausschlaggebenden Kriegstreiber verfehlen die Wirklichkeit.10 Gewiss, Kapitalisten wollen an allem verdienen, auch am Krieg; aber sie zetteln ihn nicht an, schon gar nicht mit historisch-materialistischer Gesetzmäßigkeit, und je mehr Kapitalisten es gibt und je breiter sie über die Branchen verteilt sind, desto mehr von ihnen haben durch Krieg viel zu verlieren, wissen das auch und sagen es laut (wenn sie dürfen).11 Besonders Bankiers verabscheuen Krieg geradezu,12 weil er unkalkulierbare Unsicherheit bedeutet. Darum trifft empirisch anscheinend eher das Gegenteil zu: Kapitalistische, demokratische und nicht protektionistisch eingestellte Staaten sind wohl weniger häufig in militärische Konflikte verwickelt als Nationen, die anders strukturiert und gestimmt sind.13
Nein, staatliche Entscheidungen zu Krieg und Wirtschaftskrieg haben andere Gründe als das schnöde Erwerbsinteresse kleiner interessierter Kreise. Entschieden wird meist aus Sorge um die künftige nationale Sicherheit, die immer auch auf Handelserwartungen und Versorgungssicherheit gebaut ist,14 aus Nationalismus und Sendungsbewusstsein, aus Furcht vor den möglicherweise bösen Absichten anderer Mächte und aus Furcht vor dem eigenen Abstieg im weltweiten Machtgefüge. Diese zeitlosen15 politischen Motive sind und bleiben virulent in den Staatenbeziehungen. Sie sorgen zugleich für eine zwischenstaatliche Grundspannung auch in Friedenszeiten, die einem rauhen Wettbewerbsklima in der Privatwirtschaft entspricht. Mit Recht stellt John A. C. Conybeare fest: »Warum haben wir nicht die ganze Zeit Wirtschaftskriege? Vielleicht ist die vernünftigste unmittelbare Antwort: Haben wir doch! (…) Es herrscht im System immer ein gewisses Maß an Wirtschaftskrieg, aber es befindet sich nicht immer auf sehr hohen Konfliktstufen.«16 Selbst in Organisationen, die der internationalen Zusammenarbeit dienen, wird unerbittlich um nationale Vorteile gerangelt.
Für die aufrichtigen Befürworter einer friedlich-kooperativen, vertrauensbasierten, an liberalen Werten orientierten Weltinnenpolitik ist das von unverständlicher Tragik. Noch dazu werden heutzutage ihre gutgemeinten Appelle in Asien und Afrika oft bloß als Zeichen des Niedergangs des Westens aufgenommen, oder als Ausdruck von dessen alter Scheinheiligkeit. Besonders befremdlich wirkt die (wett)kämpferische, agonale Dimension des Staatenlebens naturgemäß auf viele Menschen in postheroischen Gesellschaften wie der deutschen, die der Harmonie bedürfen, die Konflikte scheuen und diese nur als Ausdruck mangelnden guten Willens verstehen können, die am liebsten einfach nur mit allen Seiten Geschäfte machen möchten, und die damit ja bisher auch recht gut gefahren sind. Sie müssen dabei freilich mit kognitiven Dissonanzen zurechtkommen wie etwa der, sogar von befreundeten Staaten ausspioniert zu werden, oder der, durch »humanitäre Interventionen« vollends inhumane Verhältnisse anzurichten. Außerdem haben sie eigentlich schon erlebt und erfahren, wie schnell sich vermeintliche Evidenzen erledigen – in der Weltfinanzkrise nämlich, als das westliche Mantra zu Bruch ging, am besten lasse man den Banken und Finanzinstituten und ihrer Kreativität und Innovationskraft so viel Freiheit wie nur möglich, denn »der Markt« reguliere und stabilisiere sich von selbst.

Drei Arten von Wirtschaftskrieg

Alan Milward schreibt in seiner Geschichte der Weltwirtschaft im Zweiten Weltkrieg, der Ausdruck Wirtschaftskrieg (»economic warfare«) impliziere »kurioserweise (…), daß es auch eine Art von Krieg gebe, die mit Wirtschaft nichts zu tun habe«.17 Tatsächlich hat natürlich jeder bewaffnete Konflikt eine wirtschaftliche Dimension: Es braucht Vorinvestitionen, um ihn zu beginnen, es braucht Nachschub und Bezahlung, um ihn zu unterhalten, und er hat vielfältige wirtschaftliche Nebenfolgen und Opportunitätskosten. Kriege sind immer neben dem militärischen Kräftemessen auch ein Abgleich der wirtschaftlichen und finanziellen Macht. Um ein Extrembeispiel zu nennen: Die USA haben in den Jahren 1940 bis 1945 rund 297.000 Militärflugzeuge, 86.000 Panzer, 17,4 Millionen Handfeuerwaffen, 64.500 Landungsboote und 5.200 größere Schiffe mit insgesamt fast 53 Millionen Bruttoregistertonnen gebaut.18 Wer gegen ein solches Produktionspotential in den Krieg ziehen wollte, ging ein sehr hohes Risiko ein, und entsprechend gedrückt war vor Pearl Harbor die Stimmung im japanischen Kriegsrat.19
Auch »Die neuen Kriege« (Herfried Münkler) unserer Tage haben ihre »Ökonomie der Gewalt«. Das Neue an ihnen ist 1. die Entstaatlichung und Privatisierung dank relativ geringer Kosten, 2. die Ungleichartigkeit der Gegner (Milizen / Partisanen / Terroristen gegen staatliches Militär und / oder gegen die Zivilbevölkerung) und 3. die Autonomisierung der Akteure und ein Verschwimmen von Politik und organisierter Kriminalität. Ihre Ökonomie der...

Inhaltsverzeichnis

  1. Wirtschaftskriege
  2. Impressum
  3. Einleitung »Krieg, Handel und Piraterie«
  4. 1. Kapitel Was ist Wirtschaftskrieg? Definitionen und Geschichte(n)
  5. 2. Kapitel Wie lassen sich Wirtschaftskriege verstehen? Wissenschaftliche Perspektiven
  6. 3. Kapitel Was prägt Wirtschaftskriege heute? – Die Entwicklung seit 1989
  7. 4. Kapitel Die chinesische Herausforderung und der gespaltene Westen
  8. 5. Kapitel Was tun? Acht Empfehlungen
  9. Anmerkungen
  10. Personenverzeichnis
  11. Stichwortverzeichnis
  12. Über die Autoren