Schluss mit der Angst
eBook - ePub

Schluss mit der Angst

Wir können mehr als wir glauben

  1. 160 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Schluss mit der Angst

Wir können mehr als wir glauben

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Pessimismus, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit geben in unserem Land den Ton an – immer mehr Menschen kämpfen mit ihren Ängsten. Bestsellerautor Notker Wolf kehrt nach sechzehn Jahren in seine Heimat zurück und bezieht Stellung – klar, scharfsinnig und mutig. Ein brillantes Plädoyer für ein weltoffenes und erfolgreiches Deutschland. Ein Bekenntnis zur Heimat – kritisch und konstruktiv, mutig und meinungsstark. Denn sie geht wieder um, die »German Angst«. Und sie scheint tief in unsere Gesellschaft eingedrungen zu sein. Nicht erst seit der sogenannten Flüchtlingskrise haben sich Verlustängste, Angst vor dem sozialen Abstieg, Angst vor einer »Überfremdung« und »Islamisierung« Deutschlands breitgemacht. Hinzu gekommen ist die Angst vor terroristischen Übergriffen und Gewaltverbrechen. Ein diffuses Gefühl verunsichert die Gesellschaft und bringt Phänomene wie Wutbürger, AfD oder Pegida hervor. Notker Wolf setzt dem sein eigenes »Prinzip Hoffnung« entgegen, eine Hoffnung, die im christlichen Glauben gründet und die uns dazu befähigt, der Angst ihre Unbestimmtheit zu nehmen und die Aufgaben und Herausforderungen zu entdecken, die sich hinter ihr verbergen. Notker Wolf schreibt ein kämpferisches Buch, das Mut macht und uns dazu auffordert, Verantwortung zu übernehmen und das Grundvertrauen ins Leben nicht zu verlieren. »Wir dürfen Ängste haben, das ist ganz normal. Aber wir müssen uns ihnen stellen und dann weitermachen« (Notker Wolf)

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Schluss mit der Angst von Notker Wolf, Simon Biallowons, Simon Biallowons im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Theologie & Religion & Christentum. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2018
ISBN
9783451814303
Schluss mit der Angst
Wer Angst hat, macht dicht. Emotional, rational und oft auch rein physisch. Sicher, manchmal ist auch das Gegenteil der Fall, etwa wenn sich ein Kind voller Angst an die Mutter klammert oder zu den Eltern ins Bett krabbelt, und sei es nur ans Fußende. Aber vielleicht ist auch das nichts anderes als ein Zeichen des Dichtmachens, jedenfalls blockiert auch in diesem Fall die Angst – zumindest rational. Doch nicht nur unseren Verstand, auch unsere Herzen und Häuser machen wir aus lauter Angst dicht, wir verschließen unser Leben und unsere Länder. Wir schotten uns in jeglicher Hinsicht ab. Und so blockiert uns die Angst und hindert uns daran, etwas Neues zu erleben. Wenn ich mich zurückziehe, gibt es keine Entwicklung mehr. Dann bin ich bei einer Haltung angelangt, die in den Worten, die dem großen Kosmopoliten Alexander von Humboldt zugeschrieben werden, sich so gestaltet: »Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben.«
Die Angst oder zumindest die Unsicherheit vor Reisen kann ich durchaus nachvollziehen. Es war 1979, als ich zum ersten Mal nach Kolumbien und Venezuela sowie Korea und die Philippinen gereist bin. Nicht ganz zwei Jahre zuvor war ich zum Erzabt der St. Ottilianer Kongregation gewählt worden, und die kanonische Visitation stand an. So nennt man die regelmäßigen Besuche des Abtprimas (oder auch anderer Ordensoberen oder Ordensmännern in Leitungsfunktionen) in bestimmten Gebieten. Dabei soll sich der Besuchende einerseits ein Bild von den Gemeinschaften, den Werken und der Arbeit vor Ort machen und andererseits die Besuchten die Möglichkeit haben, Dinge zu diskutieren, die ihnen unter den Nägeln brennen. Und natürlich soll damit die Verbindung zu der Gemeinschaft als Ganzes gestärkt und manchmal, gerade in Krisenzeiten, auch Trost oder Mut zugesprochen werden. Die Visitation in Kolumbien und Venezuela war von allem ein bisschen. Um mich auf die Reise vorzubereiten, lernte ich zuerst einmal Spanisch, ich wollte nicht komplett von einem Übersetzer abhängig sein. Dann stand die Reise an, und sie begann abenteuerlich genug. Ich hatte geplant, zuerst nach Seoul zu fliegen. In Korea wollte ich ebenfalls Mitbrüder besuchen, sie sollten nicht so lange auf meinen Besuch warten müssen, und auf den Philippinen wollte ich unseren historischen Spuren nachgehen, die heute nicht mehr zu finden sind. Der erste Abschnitt meiner Reise in Asien verlief problemlos. Nun sollte es von Seoul aus nach Bogota gehen, und zwar über Los Angeles und San Francisco. Flugverbindungen, Flughäfen und auch Flugzeuge: Das alles war eine ganz andere Welt als heute. Wir waren abreisebereit, doch in Seoul bekamen wir ein Problem: Man behauptete, ich würde für den Flug ein Visum für die USA brauchen. Ich meinte, das sei sicher nicht nötig, immerhin sei ich doch Deutscher. Wie recht die anderen hatten und wie unrecht ich, das erfuhr ich dann in Tokio. Dort wollte ich umsteigen, um weiter in die Staaten zu fliegen, doch man ließ mich nicht an Bord gehen. Stattdessen forderte man mich auf, ich solle mir gefälligst ein Visum besorgen. Doch wo und wie? Bis ins Zentrum von Tokio hätte das damals mehrere Stunden gedauert, einmal abgesehen davon, dass ich völlig orientierungs- und sprachlich hilflos war. Spanisch hatte ich gelernt. Japanisch aber nicht. Das ganze Procedere erschien mir einfach als völliger Quatsch.
Mitfliegen konnte ich trotzdem nicht, und so verbrachte ich die Nacht in einem Hotel am Flughafen, dem Holiday Inn, einem riesigen, grauen Betonklotz, in dem man auf dem Zimmer kein Fenster öffnen konnte und das mir erschien wie ein Gefängnis. Das passte nur zu gut zu meiner Stimmung und meiner Situation. Außerdem war es bitterkalt, anscheinend musste das Hotel Energie sparen. Und da ich nur mein Handgepäck dabei hatte und meine Unterlagen, fror ich wie ein Schlosshund. Am nächsten Morgen machte ich mich wieder zum Flughafen auf und sah plötzlich, dass Japan Airlines über Vancouver nach Mexiko fliegen würde. Von Mexiko wusste ich, dass ich dort als Deutscher kein Visum brauchen würde, diesmal war ich mir wirklich sicher. Aber einfach so dorthin fliegen, ohne zu wissen, wie es weitergehen würde? Ein kurzer Check im Internet wäre jetzt nicht schlecht gewesen, aber diese Möglichkeit lag noch Jahrzehnte in der Zukunft. Und im Flughafen wusste auch niemand Bescheid. Egal, dachte ich, und nahm die Maschine nach Mexiko. Um es kurz zu machen: Dort musste ich zwar noch einmal übernachten, aber immerhin konnte ich am nächsten Mittag weiter nach Bogota.
Ich frage mich heute, ob ich damals Angst hatte. Angst sicher nicht. Aber womöglich befiel mich etwas Unsicherheit, und ganz bestimmt breitete sich bei mir eine Ungewissheit aus. Das ist auch normal. Was mir half, waren scheinbar kleine Dinge, an denen ich mich festhalten konnte. Meine vier Pfeifen zum Beispiel. Das klingt komisch, doch gewohnte Dinge oder Rituale helfen in solchen Situationen enorm. Deshalb ist es für uns heute so wichtig, Dinge zu haben, an denen wir uns festklammern können. Vielleicht nicht so panisch wie das kleine Kind an der Mutter. Aber der gelegentliche Griff an etwas, das einem lieb und teuer ist, hilft. Egal, ob es das Foto eines geliebten Menschen ist, ein Rosenkranz in der Tasche oder die Halskette der Großmutter. Genauso ist es mit Ritualen. Es kommt nicht von ungefähr, dass in unserer heutigen Zeit der Globalisierung Rituale und Traditionen wieder im Trend stehen. Das mag verschiedene Ursachen haben und nicht zuletzt den cleveren Vermarktungsideen von Werbeexperten geschuldet sein. Doch sicherlich ist auch eine Sehnsucht nach dem Althergebrachten, nach dem Bewährten damit verbunden. Das Pilzesammeln und Marmeladeeinkochen, das Maibaumaufstellen und der Leonhardiritt, das ist im übertragenen Sinne für Teile unserer Gesellschaft das, was meine vier Pfeifen für mich waren. Vielleicht sogar, ohne einen tieferen Sinne darin zu finden, aber zumindest Ablenkung, Zerstreuung oder auch Beruhigung – und in meinem Fall war sogar etwas Wärmendes in der Hand.
Meine Reise zu meinen Mitbrüdern war damit aber noch nicht zu Ende. Denn nun war ich zwar in Bogota angelangt, aber noch lange nicht im Kloster. Kolumbien war damals, im Jahr 1979, ein Land, in dem die bewaffneten Konflikte sich zuzuspitzen begannen, wieder einmal. Bis Mitte der Sechzigerjahre hatte die Violencia mehr als zweihunderttausend Zivilisten das Leben gekostet. Paramilitärs sorgten trotz Amnestie und verschiedener Friedensbemühungen für Angst und Schrecken, die FARC, heute die größte und einflussreichste Guerillagruppe Südamerikas, begann stärker zu werden. Und: Der Handel mit Rauschgift, befeuert durch den rasant ansteigenden Konsum in Amerika, wurde immer ausgedehnter und brutaler. Kurz: Kolumbien war Ende der Siebzigerjahre alles andere als ein sicherer Platz. Auch wirtschaftlich und technisch war das Land mit mitteleuropäischen Standards nicht vergleichbar. Das bedeutete zum Beispiel, dass es in unserem Kloster, das außerhalb Bogotas lag, kein Telefon gab. Und damit gab es auch keine Möglichkeit, anzurufen, meine Verspätung zu erklären oder gar eine Abholmöglichkeit zu organisieren. Ich hatte zwar aus Mexiko ein Telegramm ins Kloster geschickt, so weit hatte ich schon vorausgedacht. Allerdings ist das Telegramm dort nie angekommen, bis heute nicht. So befand ich mich nun zwar in Bogota am Flughafen, doch was jetzt? Inzwischen war es neun Uhr am Abend, ich hatte meinen Koffer immer noch nicht zurückbekommen – man sollte ihn irgendwann später auf Hawaii finden –, und ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich zu meinen Mitbrüdern kommen sollte. Das Einzige, was ich hatte, war die Adresse des Klosters und meine rudimentären Spanischkenntnisse. Mit beidem ging ich zu einem Polizisten, der mir tatsächlich half, ein Taxi zu finden, dessen Fahrer bereit war, mich zu fahren. Ich dankte dem Polizisten, stieg ein, und es ging los.
Aber nach einigen Minuten bemerkte ich, dass sich der Fahrer immer wieder zu mir umdrehte. Ständig. Plötzlich fuhr er von der Straße ab, hielt bei einer kleinen Polizeistation, stieg aus und kam nach einigen Minuten zurück. Weiter ging es – mit dem Weg und den verstohlenen Blicken. War es wirklich klug gewesen, bei Nacht rauszufahren? Hatte das sein müssen? Hätte ich nicht noch eine Nacht am Flughafen in Bogota bleiben können? Viel mehr Ahnung, wie ich zu Kloster kommen könnte, hätte ich am Morgen auch nicht gehabt. Aber das Tageslicht macht die Ahnungslosigkeit etwas erträglicher.
Irgendwann, nach gut zwei Stunden, ruckelten wir durch einen kleinen Ort. Ein verlassenes Nest, das angeblich mein Ziel sein sollte. Hier? Alles war still und dunkel, niemand war zu sehen. Und hier sollte das Kloster sein? Wir fuhren weiter, eine Anhöhe hinauf, und ich hörte einen Hund bellen. Vor Hunden hatte ich schon immer Angst, das ist bis heute so. Na wunderbar, dachte ich. Und sagte: »Hier steige ich auf keinen Fall aus. Das kann es nicht sein.« Der Fahrer wollte mich aber loswerden und forderte mich wieder und wieder auf, endlich auszusteigen. Ich weigerte mich. Er drängte. Ich weigerte mich. Schließlich gab er nach, zuckelte wieder etwas weiter, bis wir plötzlich vor einem großen, schwarzen Etwas standen. Ich konnte grob Bögen erkennen: der Rohbau des Gästetrakts? Ich meinte, mich schwach daran zu erinnern, ich hatte sie in den Bauplänen gesehen. Doch da war keine Anschrift, nichts. Aber ein kleines Tor. Wir rollten langsam durch, und ich starrte in die Dunkelheit. Bis ich es sah, klein und rot: das Ewige Licht. Wir waren tatsächlich am Ziel. Ich ging auf das Kloster zu, und der Taxifahrer verschwand wieder in der Nacht. Geschafft. Dachte ich.
Ich klingelte, einmal, zweimal, und dachte mir: Das gibt’s doch nicht. Endlich öffnete man mir, die Mitbrüder hatten schon alle geschlafen. Mir war es egal, ich war nur erleichtert, endlich und sicher angekommen zu sein. Später erzählte ich die Geschichte von meinem verdächtigen Fahrer, und meine Mitbrüder schmunzelten. Denn es stellte sich heraus, dass der Fahrer eine Genehmigung hatte holen müssen, um überhaupt nachts aufs Land fahren zu dürfen. Und der Grund, weshalb er sich immer umgedreht hatte, war ein ganz einfacher: Er hatte Angst gehabt. Vor mir! Er hatte gedacht, dass ich ihn überfallen wollte, dass ich zu den Rebellen gehörte oder etwas Böses im Schilde führen würde. Ich wiederum hatte so ziemlich das Gleiche befürchtet und deshalb die gesamte Fahrt über dieses flaue Gefühl im Magen gehabt.
Im Nachhinein kann ich darüber lachen. Aber dieses Abenteuer macht auch sehr deutlich, wie irrational Angst sein kann. In diesem Fall haben sich beide Seiten vor dem anderen gefürchtet oder sich zumindest unwohl gefühlt. Zur selben Zeit und ohne echten Grund. Das zeigt in meinen Augen, wie schnell sich die Angst hochschaukeln kann. Weil wir dem anderen nicht vertrauen, verhalten wir uns womöglich gerade so, dass uns der andere verdächtig findet. So wie ich wieder und wieder darauf beharrt habe, dass wir weiterfahren müssen, immer tiefer ins Hinterland hinein und damit ins Unbekannte und scheinbar Gefährliche. Kein Wunder, dass der Mann dachte, ich wollte ihn sonst wohin locken, und ein genaues Auge auf mich haben wollte. Ich wiederum fand sein ständiges Umdrehen und Nachgucken alarmierend, weil mir ja nie in den Sinn gekommen wäre, dass es der Taxifahrer war, der sich fürchtete. Diesen Teufelskreis der Angst zu durchbrechen, ist in meinen Augen eine der wichtigsten Aufgaben, egal ob in einer persönlichen Beziehung, und dauere sie nur so lang wie eine Taxifahrt, oder auf politischer und sozialer Ebene.
Was war denn der Kalte Krieg vor allem? Wie lautete sein Prinzip? Abschreckung, so nennt man es häufig. Das klingt nach einer aktiven Politik, und natürlich wurde immer wieder sehr aktiv aufgerüstet und sogar um die Wette gerüstet. Doch eigentlich war die Blockpolitik in ihrem Kern furchtbar passiv. In dem Sinne, dass eigentlich immer nur auf eine Angst reagiert wurde, auf die Angst vor einem Angriff oder vermutlich eher noch auf die Angst davor, ins Hintertreffen zu geraten, sei es in der Wirtschaft oder Wissenschaft, vor allem aber in der strategischen Verteilung der Welt. Der Kalte Krieg ist, politisch gesehen, ein wunderbares Beispiel dafür, was Angst bewirkt: Sie lässt uns erstarren. Wir stehen uns in Blöcken gegenüber, in menschlichen Eisblöcken auf der kleineren Ebene, und wir belauern und beäugen uns. Vorwärts geht nichts und rückwärts auch nicht, weil einerseits keiner seine Angst zugeben will, weil andererseits aber auch keiner mutig genug ist, einen Schritt vorwärts zu gehen. Im Falle des Kalten Kriegs dürfte dies noch unser Glück gewesen sein, die Grundmalaise bleibt allerdings.
Das Bild des Blocks und der Blockade bringt es für mich auf den Punkt. Eine Gesellschaft, die völlig verängstigt ist, ist wie paralysiert, eben blockiert. Das gilt auf jeder Ebene unseres Daseins. So wie es die politischen Blöcke zwischen Ost und West gab, so gibt es Blöcke im Büro, im Verein, in der Familie und in der Beziehung. Es gibt sogar Blöcke und Blockaden in uns selbst, in unserer Persönlichkeit. Das kann, auf objektiver Ebene, sehr unspektakulär sein. Auf subjektiver Ebene hingegen, für den Betroffenen selbst, ist solch eine Angst zumindest etwas Unangenehmes, Lähmendes. Ich selbst habe zum Beispiel noch immer vor jedem Vortrag Lampenfieber. Ich weiß nicht, wie viele Vorträge ich schon gehalten habe, aber das ändert nichts daran, dass ich auch heute noch innerlich zittere, bevor es losgeht. Oft mache ich dann etwas ganz Einfaches: Ich konzentriere mich, atme tief ein und spreche ein kurzes Gebet, um die rechten Worte zu finden. Wenige Augenblicke nur, aber das beruhigt und entkrampft. Das Gebet wirkt in dem Augenblick wie eine kleine Beruhigungspille. Es macht mir klar, dass eigentlich nichts schiefgehen kann. Und wenn doch, dann ist das auch nicht so schlimm. Das reicht meistens schon, um etwas ruhiger zu werden. Und wenn ich dann die ersten Worte gesprochen habe, wenn ich die Reaktionen der Menschen sehe, dann ist das Lampenfieber weg. Ähnlich ist es, wenn ich als Musiker auftrete. So oft schon stand ich auf der Bühne, und trotzdem gibt es noch immer diese leichte Anspannung. Auch in dieser Situation reicht häufig ein kurzes Gebet, und sei es nur ein Stoßgebet aus wenigen Worten, und ich bin erleichtert und ruhiger. Das ist etwas, was ich gelernt habe: Wenn man kurz innehält, sich nicht von der Angst einfangen lässt, kann das manchmal schon reichen. Zumindest, um etwas Abstand zu bekommen. Denn das ist das Schlimmste an der Angst: Sie lässt uns den Überblick verlieren. Wir verhalten uns wirklich wie das berühmte Kaninchen vor der Schlange und sehen nur noch das, was uns Angst macht, und nicht mehr die Lösungen. Einen Schritt zurückzutreten, sei es mental oder wie bei mir im Gebet, hilft oft schon. Dann sieht man die Konturen des Problems genauer, und oft fällt einem auf, dass das Problem so groß doch gar nicht ist.
Wenn ich hier davon spreche, wie man sich von Ängsten befreit, dann meine ich keine Angststörungen. Ich bin weder Psychologe noch Psychiater, und ich bleibe bei meinen Leisten. Ich meine die kleinen und großen Ängste, die uns individuell oder kollektiv in der Gesellschaft prägen und von denen wir loskommen können und müssen. Manchmal allein und durch eigene Kraft, manchmal durch Hilfe anderer. Wie gesagt: Ich bin kein Psychologe. Doch an einem Schlüsselbegriff, der für unseren Umgang mit der Angst wichtig ist, kommt man nicht vorbei, er lautet: Resilienz. Der Begriff erlebte in den letzten Jahren eine gewisse Konjunktur, und das hat sicherlich auch damit zu tun, dass die Gesellschaft immer ängstlicher wird. Grob gesagt meint man mit Resilienz die Widerstandskraft, die einem Menschen innewohnt. Wie geht er mit Hindernissen um und wie mit Veränderungen? Wie nimmt jemand Krisen an, und wie stellt er sich Herausforderungen? Ist er angesichts von Problemen eher ängstlich-abwartend oder mutig-zupackend? Das gilt im übertragenen Sinne auch für die Gesellschaft. Wir brauchen heute eine neue, stärkere und größere Gesellschaftsresilienz, um mit den Herausforderungen fertig zu werden.
Dazu gehört ganz wesentlich ein Bewusstsein dafür, dass man diese innere Kraft überhaupt hat. Wer sich selbst für zu schwach hält, der schwächt sich. Der Glaube daran, über diese innere Kraft zu verfügen, hat jedoch nichts mit einer Überschätzung der eigenen Stärke zu tun. Vielmehr mit einem gesunden Selbstbewusstsein und der Überzeugung: Ich packe das. Das Fundament dieses Selbstbewusstseins wird oft schon in der Kindheit gelegt. Und zwar dadurch, dass das Kind mit Situationen konfrontiert wird, in denen es sich diese innere Kraft beweisen kann. Wer immer warm und kuschelig in Watte gepackt wurde, der wird es unter Umständen später schwer haben, wenn es mal rauer und kälter zugeht. Wer dagegen erlebt hat, wie es schwierig und eng wurde und er es trotzdem geschafft hat, und sei es mit Unterstützung der Eltern oder guter Freude, der baut kontinuierlich ein Selbstbewusstsein auf. Ich selbst bin ja von Natur aus kein besonders kräftig gebauter Mensch oder sehr athletisch. Aber ich habe eine gewisse Zähigkeit ererbt und ausgebildet, die mich durchhalten lässt. Zugleich habe ich in meinem Leben sehr viel Zuspruch und Zusammenhalt erfahren, was mich innerlich hat wachsen lassen. Zum Beispiel erinnere ich mich gut an meine Abiturzeit. Ich habe damals zwei meiner Mitschüler auf die Prüfungen vorbereitet. Die beiden waren eher schwach, und ich weiß nicht, ob sie es ohne Hilfe gepackt hätten. Doch wir als Klasse hatten den Stolz, alle aus unserer Klasse durchzubringen. Das war unser Selbstverständnis und unser Selbstbewusstsein. Ich habe also die beiden in Griechisch vorbereitet, was aber dazu führte, dass ich für meine eigene Vorbereitung keine Zeit mehr hatte. Toll, dachte ich. Und jetzt? Im Abitur kam genau der Griechischtext dran, den wir übersetzt hatten – beide sind durchgekommen und ich auch. Oder: Zu meiner Zeit gab es in unserem Schulbau noch keine Warmwasserheizung. Vor dem Abitur wurde bei uns mit einigen Bauarbeiten begonnen, was zu einigen Löchern in den Decken und Wänden führte. Und die haben wir natürlich genutzt und mit Ferngläsern die Lateinaufgaben ausgespäht. Auf einmal fiel so ein kleines Steinchen runter, und die Lehrer waren alarmiert. Wir haben uns schnell verdrückt und die Jüngeren hochgeschickt. Als die Lehrer hochkamen, fanden sie nur die Kleinen – und haben nichts geahnt. Am Ende waren wir alle gut vorbereitet, und, noch wichtiger: Wir haben erfahren, wie weit man gemeinsam kommt. Dass man gemeinsam wirklich stärker ist.
Das hört sich trivial an, ist aber eine der wichtigsten Erkenntnisse in meinem Leben. Wenn wir vor lauter Angst zu Einzelkämpfern werden, verlieren wir. Das beginnt bei der Erziehung. Es soll ja Kinder geben, die von Natur aus ängstlich sind. So nennen wir das wenigstens. Doch ich bin der festen Überzeugung, dass das nicht stimmt. Selbstbewusstsein, innere Stärke, Mut – all das hat viel mit Erziehung zu tun. Interessanterweise entwickeln manche Frauen und Männer auf ihrem Weg zum Dasein als Mutter oder Vater auf einmal bestimmte Ängste, obwohl sie vorher niemals ängstlich waren. Mit Sicherheit spielt hier die Biologie eine wichtige Rolle und die Tatsache, dass Angst auch ein Schutzmechanismus der Natur ist. Dass wir uns um unseren Nachwuchs sorgen, ist völlig normal. Wir müssen nur darauf achten, dass sich diese Sorge nicht in echte Angst verwandelt und sich, noch wichtiger, auf den Nachwuchs überträgt. Ich habe in meiner Zeit als Lehrer und Erzabt und sogar als Abtprimas immer wieder junge Leute erlebt, die mehr von den Ängsten und Sorgen ihrer Eltern geprägt waren als von den eigenen. Das hat mit verschiedenen Faktoren zu tun. Mit eigenen Erfahrungen, ganz oft. Mit Desinformation, auch nicht selten. Und, vor allem: mit Vertrauen und Zutrauen. Darüber möchte ich später noch mehr sagen. Doch hier schon einmal so viel: Wir müssen nicht nur Vertrauen in unsere eigene innere Stärke haben, sondern auch in die unserer Kinder, Freunde, Mitarbeiter und Mitbürger. Wenn ich selbst schlechte Erfahrungen gemacht habe, heißt das noch lange nicht, dass meinem Sohn etwas Ähnliches passiert. Wenn ich mich zum Beispiel in einem bestimmten Sport mehrmals verletzt habe, bedeutet das nicht zwingend, dass mein Sohn das gleiche Pech hat und dass es deshalb besser ist, wenn er nicht Tennis spielt oder Ski fährt. Weil ich bei der Aufnahmeprüfung für die Musikschule abgewiesen wurde oder auf dem Gymnasium durchgefallen bin, muss das noch gar nichts für meine Tochter bedeuten. Trauen wir unseren Kindern mehr zu! Das ist essenziell dafür, dass sie später nicht unsere Ängste auf sich laden. Sie werden schon genug mit ihren eigenen zu tun haben. Da brauchen sie nicht auch noch unsere. Prof. Dr. Silvia Schneider, Kinder- und Jugendpsychologin der Ruhr-Universität Bochum, vertritt dazu eine ganz interessante Meinung: »Lange Zeit haben Psychologen sich allein um die Ängste von Kindern gesorgt. Doch nun geraten auch die Mütter und Väter in den Blick. Inzwischen wissen wir: Viele psychische Störunge...

Inhaltsverzeichnis

  1. Schluss mit der Angst – Wir können mehr als wir glauben!
  2. Impressum
  3. Inhaltsverzeichnis
  4. Vorwort
  5. Die Stunde der Populisten
  6. Ängste müssen wir ernst nehmen – aber nicht zu ernst
  7. Schluss mit der Angst
  8. Mutbürger statt Wutbürger
  9. Das Boot ist nicht voll
  10. Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser
  11. Lasst uns Hoffnungsträger sein
  12. Wir können es doch
  13. Gottvertrauen statt Heidenangst
  14. Gott lässt sich nicht lumpen
  15. Fürchtet euch nicht
  16. Über die Autoren