Eine Woche Mama, eine Woche Papa
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Eine Woche Mama, eine Woche Papa

Wie Kinder getrennter Eltern gut leben

  1. 180 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Eine Woche Mama, eine Woche Papa

Wie Kinder getrennter Eltern gut leben

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Über dieses Buch

Zwei Zuhause: Kinder können nach einer Trennung der Eltern bei beiden Elternteilen gleichberechtigt leben. Und zwar gut. Die Autorinnen stellen das Wechselmodell durch kurze Berichte aus dem Alltag dar. Zu diesen stellen ein Kinderpsychologe, ein Familientherapeut ihre Sicht und Erfahrungen dar. Das Buch für Eltern, die den tiefen inneren Wunsch ihrer Kinder, weder auf Mama noch auf Papa verzichten zu müssen, ernst nehmen und praxisnahe Orientierung suchen. Mehr Information: eine-woche-mama-eine-woche-papa.de

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Information

Jahr
2012
ISBN
9783451346477

1. Die Trennung: Eine heile Kinderwelt zerbricht. Etwas Neues entsteht

Jeden Sonntag gegen 18 Uhr macht sich Lisa auf den Weg. Mal an der Hand ihrer Mama, mal an der Hand ihres Papas. Je nachdem, zu wem sie gerade zieht. Lisa ist acht Jahre alt. Seit einem Jahr leben ihre Eltern getrennt in unterschiedlichen Wohnungen. Die liegen so nah beieinander, dass Lisa immer zu Fuß umzieht. Sie trägt dann ihren Schultornister mit den Delphinen auf dem Rücken, das Kuschelschwein Bärbelchen daran festgeschnallt. Diesmal trägt die Mutter die Sporttasche mit dem Hockeyschläger und die Tasche mit dem großen Zeichenblock. Wenn ihr Vater Lisa dann am nächsten Sonntag wieder zurückbringt, ist das genauso. Fast. Ihr Vater trägt nur die Sporttasche, weil sie beide immer den Zeichenblock vergessen. Den muss Lisa dann am nächsten Tag nach der Schule holen, oder aber der Vater legt ihn vor Mamas Haustür.

Eine Woche Mama, eine Woche Papa:
Für Lisa ist das inzwischen ganz normal geworden

Am Anfang war das nicht so, da war gar nichts normal. Am Anfang war die ganze Trennung für Lisa ein Schrecken. Nicht mehr mit Mama und Papa gemeinsam wohnen? Mama hat eine andere Wohnung als Papa? Die beiden haben sich nicht mehr lieb? Aber beide haben sie, Lisa, weiter lieb? Wie sollte Lisa sich das vorstellen?
Die Mutter nahm damals ihre Tochter mit in die neue Wohnung, nur ein paar hundert Meter entfernt von der des Vaters. Aber die Wohnung war noch nicht fertig, überall ragten Leitungen aus der Wand, Lisas Füße machten Abdrücke auf der Staubschicht des Bodens. Die Mutter zeigte Lisa ihr neues Zimmer. Groß war es und hell und an der Decke hatte es ein Loch. Da konnte Lisa die Dämmung des Daches sehen. »Gefällt es dir?«, fragte die Mutter. Lisa nickte ein bisschen.
Wieder zu Hause, in Papas Wohnung, wo ja Mama auch noch wohnte, warf Lisa sich weinend auf das Sofa im Wohnzimmer. Wenn so das neue Leben aussehen sollte – ein Kinderzimmer mit Loch und alles dreckig und kaputt und nirgends etwas schön –, dann sollten ihr die zwei Zuhause gestohlen bleiben.
Vor Kurzem hat Sylvia, Lisas Mutter, ihre Tochter auf diesen Moment angesprochen. Lisa konnte sich nicht mehr daran erinnern. Sylvia schon. Die unbändige Trauer ihrer Tochter, dieses jammervolle Schluchzen auf dem Sofa, hat sich tief in sie eingebrannt. Diese Trauer über die verlorene Einheit der Familie, die Angst vor dem, was kommt.
Das Kinderzimmer wurde schließlich fertig, mit hellblauen Wänden, wie Lisa es sich wünschte. Lisa half beim Einräumen. Und half auch in der Papa-Wohnung beim Umräumen. Der Vater änderte die Zimmer-Aufteilung. Lisa bekam das frühere Eltern-Schlafzimmer. Ihre Mutter weiß nicht, wie Lisas neues Zuhause beim Vater aussieht. Wie ihre Tochter eine Woche lang wohnt, wenn sie nicht bei ihr ist.
Sylvia kann das mittlerweile aushalten – das Nicht-mehr-alles-Wissen vom Leben ihrer kleinen Tochter. Denn Sylvia hält ihren Ex-Mann für einen guten Vater. Selbst wenn sie wütend war über ihn hat Sylvia daran nie gezweifelt. Sie hat das Wechselmodell immer favorisiert als Familienmodell der Trennungsfamilie: Lisa sollte ihren Vater nicht nur alle zwei Wochen am Wochenende sehen dürfen.
Und deshalb zieht Lisa jede Woche um, einmal zu Mama, einmal zu Papa. Denn der gehört zu ihrem Leben dazu wie die Mama auch. Das ist doch völlig normal, findet Lisa.
Was Lisa als »völlig normal« empfindet, nämlich zwei Zuhause zu haben, wird von Wissenschaftlern als Forschungsbereich gerade erst entdeckt – und bestätigt. Da heißt das Wechselmodell, etwas komplizierter »multilokales Familienleben«, etwa in der aktuellsten Studie zu diesem Thema, durchgeführt vom renommierten Deutschen Jugendinstitut in München. Dessen Expertinnen kommen in der Untersuchung »Wenn Eltern sich trennen – Familienleben an mehreren Orten« nach Interviews mit Kindern und Eltern zu folgendem Ergebnis: »Auch wenn eine Trennung oder Scheidung der Eltern für die Kinder ein einschneidendes Ereignis ist, werden der Alltag an zwei Orten sowie das Pendeln zwischen diesen für sie nach einiger Zeit zur Normalität.« (vgl. www.dji.de/presse/medieninfo/2011/2011_12_15.pdf) Außerdem, so das Deutsche Jugendinstitut weiter, seien die Kinder in der Lage, sich an beiden Orten, also sowohl in der Wohnung des Vaters als auch in der Wohnung der Mutter, zu Hause zu fühlen. Sie »betrachten Mutter und Vater weiterhin als Teil ihrer Familie« (vgl. www.dji.de/presse/medieninfo/2011/2011_12_15.pdf).

Das Wechselmodell: Väter gegen Mütter?

Was für ein schöner Anreiz für das Wechselmodell. Jedenfalls, wenn alles, oder besser: vieles, glattläuft. Denn diese Lebensform nach einer Trennung stellt Bedingungen an die Eltern. Nur wenn diese erfüllt werden, können die Kinder diese schöne Normalität erleben. Wir werden auf diese Bedingungen zu sprechen kommen. Sie sind nicht unerfüllbar oder bleischwer. Nein, die wichtigsten haben etwas zu tun mit Achtung und einem Mindestmaß an Gesprächsbereitschaft. Beides für sich mag zu Beginn einer Trennung schwer genug fallen. Doch wenn die Bereitschaft für das Wechselmodell da ist oder eine Zeit damit gelebt wird, rücken die Ex-Paar-Auseinandersetzungen in den Hintergrund, verlieren dem Kind zuliebe an Schärfe. Wir haben mit zahlreichen Familien bundesweit gesprochen, die das Wechselmodell leben. Väter und Mütter haben uns erzählt, manchmal selbst überrascht, dass die großen Konflikte, die zur Trennung führten, im neuen Familienalltag keine besonders große Rolle mehr spielten. Und auch die Kinder sprechen, nach dem Umgang der Eltern untereinander befragt, nicht mehr von großen Streits zwischen Mama und Papa.
Kommen wir noch einmal zurück auf Lisas Mutter Sylvia. Sie ist eine typische und zugleich untypische Mutter. Typisch, weil sie vor, während und nach der Trennung oft ziemlich sauer war auf ihren Ex-Mann. Weil sie Angst hat um das Seelenheil ihrer kleinen Tochter während der aufreibenden Trennungszeit der Eltern. Weil sie, die Mutter, Lisa immer gerne um sich haben möchte.
Untypisch ist Sylvia, weil sie das Wechselmodell von Anfang an als praktikable Möglichkeit für die getrennte Familie betrachtete, schon während der Trennungsphase. Sylvia ließ sich von Anfang an darauf ein, ihre Tochter zumindest tageweise nicht zu sehen. Zugunsten ihrer Tochter und auch, ja, zugunsten des Vaters. Untypisch für viele Frauen ist Sylvia vielleicht auch, weil es ihr sehr früh gelang, die Elternbasis zu trennen von der Ebene wütender, gescheiterter Eheleute.
Wenn man durch die Trennungsforen surft – derer gibt es ja zuhauf im Internet –, wird man zumeist Väter finden, die das Wechselmodell favorisieren. Und die von ellenlangen Auseinandersetzungen mit ihren Ex-Frauen berichten, die dieses Modell boykottierten. Und wenn man diese Foren-Einträge liest, spürt man geradezu den Hass, den frühere Lebens- und Liebespartner übereinander ausschütten. Geldfragen, Erziehungsansätze und Misstrauen gegeneinander verquicken sich zur unerfreulichen Melange. Böse Mütter kontra gute Väter? Oder umgekehrt. Muss das sein?
Das Wechselmodell verdient es, nicht in der Schmuddel-Ecke wütender Ex-Paare zertreten zu werden. Es bietet – wenn die Regelfamilie schon nicht mehr existiert – vor allem Vorteile für die Kinder. Aber auch für Mütter und Väter.

Väter wollen keine Freizeitpapis mehr sein

Schauen wir auf die Statistik: In fast 90 Prozent aller Scheidungen bleiben die Kinder bislang bei den Müttern. So stellt es das Statistische Bundesamt fest. Die Väter haben den sogenannten Regelumgang mit ihren Kindern. Das bedeutet: Die Kinder besuchen den Vater jedes zweite Wochenende und eventuell einen Nachmittag in der Woche. Die Folge dieses Umgangsmodells, das in Deutschland zum Standard gesetzt wurde: Nach ein bis zwei Jahren hat ein Fünftel dieser Väter den Kontakt zu Söhnen und Töchtern verloren. Viele Trennungskinder in Deutschland wachsen also ganz ohne Vater auf. Die meisten anderen erleben ihn höchstens als Freizeitpapa, der ordentlich was losmacht am Besuchswochenende. Und gegenüber der gestressten Mutter gut gelaunt auftrumpfen kann, weil er mit Erziehungsfragen und Tagesstreitereien wenig am Hut hat.
Solche Geschichten kennt Ralf Stallbaum zur Genüge. Er ist Trennungsberater bei der Diakonie in Wuppertal. Täglich hört er von Ängsten, Sorgen und Wut. Er weiß um die Beschwerden von Müttern, die sonntagabends, nach dem eventgeprägten Besuchswochenende, aufgedrehte Kinder beruhigen und am nächsten Morgen in den Kindergartenoder Schulalltag schicken müssen. Ralf Stallbaum weiß aber auch um den Rückzug der Väter, die – einmal vom Leben ihrer Kinder ausgeschlossen – irgendwann oft genug freiwillig draußen bleiben. Sich mit der Rolle des Wochenend-Papas zufriedengeben. Mit welchen Folgen für das Kind?
Da ist Ralf Stallbaum sehr klar: »Ich verstümmele ein Kind, wenn ich den Vater entferne«, sagt er ohne Wenn und Aber. »Kinder, die Väter und Mütter haben, denen geht es besser als Kindern, die nur eine Fantasie haben von einem Elternteil, der nicht da ist.« Diese Kinder überhöhten den fehlenden Elternteil, meist den Vater. Im Leben der Kinder habe das oft Konsequenzen: Mädchen etwa suchten womöglich eine Vaterfigur als Partner, Jungen fehle das männliche Vorbild.

Beim Wechselmodell gehen die Väter nicht verloren

So sieht es der Trennungsberater: »Das Wechselmodell ist die Chance, dass Kinder nach einer Trennung ihre Väter nicht verlieren.« Und deshalb die Möglichkeit haben, im Wortsinn vollständiger aufzuwachsen.
Seit der Kindschaftsrechtsreform von 1998 ist in Deutschland die gemeinschaftliche Sorge der Eltern nach der Trennung der Normalfall. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass der Kontakt zu beiden Elternteilen am ehesten dem Kindeswohl entspricht. Und doch ist das abwechselnde Für-das-Kind-Sorgen immer noch ungewöhnlich. Für Ralf Stallbaum ist das nur aus der Tradition geboren, nicht aus einer kinderpsychologischen Notwendigkeit.
»Was kann schlimm daran sein«, fragt er provokativ, »was kann schlimm daran sein, wenn ein Kind erlebt: Mein Vater holt mich von der Schule ab, bei meinem Vater mache ich Hausaufgaben, bei meinem Vater gehe ich duschen, mein Vater bringt mich ins Bett? Wo steht, dass es schädlich ist für ein Kind, wenn der Vater das Essen macht?«
Aber können die Väter das überhaupt? Ihr Kind versorgen? Viele von ihnen haben doch während des Zusammenlebens als »normale« Familie wenig zu tun gehabt mit Haushalt, Einkauf, Fürsorge. Als Hauptverdiener kommen sie schließlich oft erst von der Arbeit nach Hause, wenn die kleineren Kinder schon im Bett liegen oder bald hinein müssen. Berufstätige Väter in deutschen Regelfamilien verbringen im Schnitt gerade mal 37 Minuten am Tag mit ihren Kindern. So sagt es eine aktuelle Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD.
»Viele Väter entwickeln erst durch die Trennung ein eigenes, enges Verhältnis zu ihren Kindern.«, sagt dazu Ralf Stallbaum. Das Wechselmodell müsse ja nicht zwingend halbe-halbe laufen, erst recht nicht zu Beginn, sagt Stallbaum. Väter, die den Kontakt erst aufbauten zu ihrem vielleicht noch kleineren Kind – die sollten mit Tageskontakten anfangen. Doch Väter lernten schnell, für ihre Kinder zu sorgen. Wenn die Mütter das zuließen. Jeder zusätzliche Kontakt zum Vater sei besser als die starre, von vorgeschriebenen Stunden gegängelte Umgangsregelung.
Eine weitere Frage: Wollen die Väter das überhaupt – das Kümmern ums Kind? »Viele Väter unbedingt.« Ralf Stallbaum beobachtet seit einigen Jahren, dass sich Väter nach einer Trennung mehr einbringen wollen. Sie möchten ihre Kinder nicht verlieren, sie beanspruchen Verantwortung für ihre Söhne und Töchter. Etliche Väter stecken sogar beruflich zurück, damit sie mehr Zeit haben für die Kinderbetreuung. Für viele Mütter ist das eine Herausforderung. In finanzieller Hinsicht – wie wir später sehen werden. Aber auch in emotionaler. Denn sie müssen ihre Kinder loslassen in der Zeit, in der sie beim Vater sind. Sie müssen ertragen lernen, ihre Kinder zu vermissen. Das Gefühl aufwerten, ihren Kindern etwas Gutes zu tun, indem sie bei ihren Vätern sein dürfen.

2. Trennung muss man lernen:
Vom Abschied und Wiedersehen

Das Wechselmodell ist geprägt von vielen kleinen Abschieden, aber auch von der Wiedersehensfreude. Nicht nur Mütter, sondern auch Väter müssen sich regelmäßig vom Kind verabschieden. Wenn das Kind zum anderen geht, dann kann Angst beim zurückbleibenden Elternteil entstehen, Angst, das Kind zu verlieren, Angst, es könnte sich beim anderen wohler fühlen, den anderen mehr lieben. Die Kinder verabschieden sich dagegen von dem einen Elternteil meist mit einem guten Gefühl. Sie sind voller Vorfreude, jetzt den anderen geliebten Elternteil wiederzusehen. Sie verlassen ein Zuhause, um in das andere zu wechseln. Vielleicht hat ein Elternteil wieder einen neuen Partner, vielleicht hat der wiederum Kinder aus einer anderen Beziehung mitgebracht, oder vielleicht sind ja sogar Geschwisterkinder geboren worden. Vielleicht lebt ein Elternteil allein, oder auch beide. Bei all den Möglichkeiten steht fest: Das Kind, das wechselt, erlebt zwei unterschiedliche Realitäten. Während sich das Kind von der einen Realität verabschiedet, freut es sich auf die andere. Die Eltern müssen dafür sorgen, dass das Kind dies ohne Loyalitätskonflikte managen kann. Ein empfindlicher Moment im Wechselmodell: die Übergabe der Kinder an den anderen Elternteil.

Glücklich: Simon freut sich auf seine Mama

Thorsten ist seit zwölf Jahren von seiner Frau getrennt. Er hat zwei Söhne mit ihr, die inzwischen erwachsen sind. Von Anfang an sind die Kinder zwischen ihm und seiner Ex-Frau gependelt. Das war zu Beginn vor allem Thorstens Wunsch. Denn seit seine Kinder auf der Welt sind, kümmert er sich mit um sie. Ihm war es von Anfang an wichtig, eine eigene Beziehung zu seinen Söhnen zu haben. Auch nach der Trennung von seiner Frau wollte er auf jeden Fall mit ihnen weiter Alltag erleben: Schulbrote schmieren, Hausaufgaben nachsehen, blutige Kniee verpflastern, Essen kochen, Kinderpullis waschen. Seine Frau war anfangs nicht so überzeugt, doch schließlich ließ sie sich auf das Wechselmodell ein. Thorsten und seine Ex-Frau machten sich viele Gedanken darüber, wie sie das neue Familienleben im Wechselmodell gestalten sollten. Wichtig war beiden, dass ihren Kindern, damals acht und zehn Jahre alt, der ständige Wechsel nicht schwerfallen sollte. Der Anspruch der Eltern: Kein Stress bei der Übergabe! Schließlich einigten sich Thorsten und seine Ex-Frau, dass die Kinder jeweils von dem anderen abgeholt werden sollen. »Denn abgeholt zu werden ist vielleicht ein schöneres Gefühl für die Kinder, als weggebracht zu werden«, sagt Thorsten. »Die Kinder sollen nicht denken, oh, jetzt bringt mich der Papa weg, jetzt schiebt er mich ab zur Mama.«
Dabei erinnert sich Thorsten an eine ganz besondere Übergabe.
Die Kinder sind bei ihm. Der Wechsel zur Mutter steht bevor. Die Taschen sind gepackt im Flur, die Mutter wird in wenigen Minuten kommen, um die Jungen abzuholen. Der kleinere Sohn, Simon, damals acht Jahre alt, hockt im Flur, zieht sich die Schuhe an. Als er sich die Schleife zubindet, hält er plötzlich inne, schaut hoch zu seinem Vater, nachdenklich und ein bisschen unsicher.
Kann ich dem Papa das jetzt sagen? Diese Frage ist in seinem Gesicht zu lesen. Aber das Gefühl in seinem Bauch, es ist so stark, dass er gar nicht anders kann. Er sagt es. Er sagt seinem Vater:
»Ich freu mich auf Mama!«
Mehr nicht. Nur »Ich freu mich auf Mama.« Simon schaut seinen Vater gespannt an. Was wird der tun? Sagen? Wird er jetzt traurig sein? Oder wütend?
Thorsten ist in dem Moment klar, was Simon jetzt braucht. Er nimmt ihn in den Arm, drückt ihn fest an sich. »Simon, das sollst du auch. Du sollst dich auf Mama freuen! Ich hab dich lieb«, sagt er zu ihm. Als es wenige Augenblicke später an der Haustür klingelt, springt Simon lachend seiner Mutter entgegen.
Thorsten erinnert sich, dass er damals froh und zugleich betroffen war. Froh, dass sich Simon getraut hatte zu sagen: Ich freu mich auf Mama; betroffen, weil er spürte, in welchem Konflikt Simon steckte. Simon wollte in diesem Moment vor allem wissen: Ist es in Ordnung für Papa, wenn ich die Mama auch lieb habe?

Unsicher: Simon hat Schuldgefühle

Die Psychologin Katharina Grünewald coacht in ihrer Kölner Praxis Trennungsfamilien. Die geschilderte Situation von Thorsten und Simon findet sie spannend und typisch zugleich: Ein Kind, dessen Eltern sich getrennt haben, will wieder eine Einheit finden. Und Simon hat dabei richtig was riskiert.
»Wenn der Papa die Mama nicht mehr liebt, weil er die vielleicht doof findet, dann tu ich ihm damit schon weh, wenn ich ihm sage: ›Ich hab die Mama lieb‹«, sagt sie. »Deshalb hat das Kind erst einmal Schuldgefühle, wenn es sagt: ›Ich hab die Mama lieb.‹ Der Vater von Simon hat das klasse gemacht«, sagt Katharina Grünewald.
Denn Thorsten habe sehr schnell registriert, in welcher Not sein kleiner Sohn steckte, deshalb habe er ihm da heraus geholfen. Er habe ihm die Last von den Schultern genommen, indem er als Vater den Sohn ausdrücklich dazu aufgefordert habe, sich auf die Mutter zu freuen. Zur Bestätigung habe Thorsten den Achtjährigen noch in die Arme geschlossen. »Das war ganz wichtig für Simon«, lobt Katharina Grünewald, »denn Kinder sind nach der Trennung der Eltern auf der Suche nach einem neuen Elternh...

Inhaltsverzeichnis

  1. [Titelinformation]
  2. [Impressum]
  3. Vorwort Zwei Zuhause: Wie Kinder nach einer Trennung bei beiden Elternteilen leben. Gleichberechtigt und gut.
  4. 1. Die Trennung: Eine heile Kinderwelt zerbricht. Etwas Neues entsteht
  5. 2. Trennung muss man lernen: Vom Abschied und Wiedersehen
  6. 3. Alltagsstress im Wechselmodell: Vom Organisieren und Vergessen
  7. 4. Die schwierigen Feste: Weihnachten, Konfirmation oder Geburtstage
  8. 5. Die Blicke der anderen
  9. 6. Das Finanzielle
  10. 7. Das Rechtliche
  11. 8. Miteinander leben im Wechselmodell: Vom Streiten und Loslassen
  12. 9. Neue Partner, neue Geschwister – Patchwork im Wechselmodell
  13. 10. Kinderfreie Tage – Zeit für Beruf und Hobbys
  14. 11. Knackpunkte im Wechselmodell: Wenn einer aufhören möchte
  15. 12. Eine Woche Mama, eine Woche Papa: Plädoyer und Fazit
  16. Unsere Experten
  17. Quellen und Links
  18. Kontakt zu den Autorinnen