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Lustvoll älter werden

  1. 224 Seiten
  2. German
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Lustvoll älter werden

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

"Eigensein halte ich für die wichtigste Aufgabe schöpferischen Älterwerdens", sagt Irmtraud Tarr und lädt ein zum lustvollen, lebensfrohen Älterwerden: finden, was das Ureigene ist, eigene Grenzen abstecken, neue Aussichten wagen, pfiffig älter werden, sich vorwagen und den eigenen Raum einnehmen, den Herbst in die Seele nehmen, frei navigieren und reichlich Früchte ernten.Wer Irmtraud Tarrs Anregungen aufnimmt, erfährt: es ist schön, eigen zu sein und ungehemmter, als wir es vielleicht sein sollten. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, nicht tun zu müssen, was man nicht tun will, und sich von innen nach außen zu kehren, statt sich von außen nach innen bestimmen zu lassen. Auch auf Bäume klettern ist eine Möglichkeit...

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~

Was ist mir wichtig?

»Eigen sein« – das ist schnell gesagt. Fast alle wollen es. Aber was bedeutet es eigentlich? Eigen sein, das ist wie aufwachen. Bei sich sein, wach sein, berührbar sein, erschütterbar sein und trotzdem unbeirrbar bleiben. Es heißt, zwischen eigenen und fremden Gefühlen, zwischen eigenem und fremdem Wollen unterscheiden zu können. Sich selbst zu durchschauen und sich mit sich selbst immer besser auszukennen. Als Weg in diese Richtung schlage ich Ihnen zunächst eine Art Selbstbefragung vor, die Ihnen zumindest in groben Zügen Übersicht über sich selbst verschafft.
Fragen Sie sich: Was ist mir wichtig?
Die folgenden Punkte, die ich meinen Klientinnen verdanke, lesen Sie bitte lieber nicht. Sie könnten ja manipuliert werden:
Meine Freunde Sommer
Meine Familie Baden im Meer
Im Bett lesen Frisches Brot
Spaziergang im Wald Mein Café
Käsefondue Kirche
Gartenwirtschaften Kabarett
Abendessen mit einem Lieblingsmenschen Weintrinken mit Freunden
Mittagsschlaf Sonnenblumen
Meine Couch Komplimente
Sich kaputt lachen
Nun fragen Sie sich: Was mag ich nicht?
Früh aufstehen Abschminken
Steuererklärung Pflichteinladungen
Rechnungen Putzen
Dosenfutter Schlampige E-mails
Maschinengeräusche Sahnetorten
Wohnwagen Handy-Telefoniererei
Technik Kaugummikauer
Formulare Unsinns-Vehikel
Telefonumfragen Zahnarzt
Kleingedrucktes Billigtarife
Dresscode Zelten
Büstenhalter
Haben Sie doch weitergelesen? Vielleicht sind Sie ein wenig irritiert. Selbstverständlich haben Sie die Freiheit, diese Punkte zu lesen oder eben nicht. Mit dieser Einleitung wollte ich Reaktanz auslösen, wenn auch nur minimal. Sie wollten diese Ideen lesen, und nun schränke ich Sie von vornherein ein. Was ist wahrscheinlich geschehen? Sie werden noch motivierter gewesen sein, sie zu lesen, weil Sie selbst entscheiden möchten, was Sie machen oder was Sie wollen. Vielleicht gelang es Ihnen über diesen kleinen Umweg nun, selbst herauszufinden, was Ihre eigenen Ideen sind. Oder Sie werden vielleicht protestieren: »Passt mir nicht!« »Ist bei mir ganz anders!« »Ich lass mich nicht in irgendwelche Punkte stecken!« »Ich will selbst bestimmen!«
Damit sind wir mitten im Thema. Wird einem die Freiheit genommen oder ist sie bedroht, so entsteht der Drang zur Wiederherstellung der Freiheit – das nennt man Reaktanz. Reaktanz haben Sie gerade praktiziert, indem Sie trotz der Bitte, die einzelnen Punkte nicht zu lesen, wahrscheinlich weitergelesen haben. Sie haben sich vielleicht ein wenig geärgert, aber vielleicht gelang es Ihnen so leichter, auf eigene Ideen zu kommen. Denn Sie haben ganz recht. Es ist Ihre Entscheidung, zu machen, was Sie wollen. Egal, was andere sagen, meinen oder raten. Jede Anpassung, an was auch immer, ist pure Zeitverschwendung, vor allem wenn man erst einmal über sechzig ist.

Das lasse ich mir nicht gefallen!

Sicher kennen Sie solche Situationen, in denen jemand eine Gemeinsamkeit mit Ihnen hinausposaunt, ohne dass Sie vorher um Ihre Zustimmung gefragt wurden oder darum gebeten haben. Vielleicht ist es die Formel »Wir Frauen … wir als Familie … wir Lehrer … wir Nachbarn … wir Krebskranke … wir Jogger … wir Alten«. Sobald man selbst zur angesprochenen Gruppe gehört, stellt sich bei vielen eine Art Irritation ein. Selbst wenn wir dem Gesagten zustimmen, geraten wir in eine gewisse Trotzigkeit, weil wir nicht ungewollt vereinnahmt werden wollen. Wir wollen nicht, dass jemand über uns verfügt. Wir wollen nicht eingemeindet werden. Und schon gar nicht, dass Äußeres über unser Inneres gestülpt wird. Wie kommt der andere dazu, eine Gemeinsamkeit mit mir zu verkünden, ohne meine Zustimmung zu haben? Wir wollen gefragt werden und selbst beurteilen und entscheiden.
Nehmen wir das Beispiel Flugsicherheit. Im Prinzip ist wahrscheinlich jeder von uns dafür. Ich kenne jedenfalls niemanden, dem es gleichgültig ist, in die Luft gejagt oder gesprengt zu werden. Dennoch reagiert man gereizt, wenn man die Schuhe, den Gürtel oder die Jacke ausziehen soll. Selbst wenn man frisch deodoriert und normalgewichtig ist und auch sonst nichts zu verbergen hat, ist man genervt. Geradezu reflexartig gerät man in die Haltung: »Das geht zu weit. Das ist zu intim. Das geht euch nichts an.« Mit anderen Worten: Die Abneigung gegen diese Art Kontrolle hat nichts mit Querulantentum zu tun, sondern mit einer bestimmten Weltsicht, die sich nichts aufzwingen lassen möchte. Auch nicht die wohlmeinende Sorgfaltspflicht der Durchleuchtung des eigenen Körpers. Es geht um das rechte Maß und die Verhältnismäßigkeit im Respekt vor der Intimität des Einzelnen.
»Ich möchte mich nicht durchleuchten lassen, ich bin doch kein Koffer!« »Ich lasse mich nicht wiegen, ich bin doch kein Stück Fleisch oder Fisch.« Diese Art ästhetischer Widerwille gegen jegliche Form von Vereinnahmung zeigt, dass eben alles eine Frage des Maßes ist. Es muss Grenzen geben. Es muss Bremsen geben. Und vor allem: Es kommt auf die verträgliche Dosis an. Die Frage ist doch: Was ist der Situation und der menschlichen Würde angemessen? Eine Gesellschaft, in der alles auf Transparenz hinausläuft, macht Angst. Nicht, weil die einzelnen Maßnahmen ungerechtfertigt sind, sondern weil sie für etwas stehen, das uns widerstrebt. Wir wehren uns dagegen, dass uns eine bestimmte Lebensweise aufgezwungen wird. Insofern sollte eine wahrhaft demokratische Gesellschaft dieses »Nein!«, dieses »So nicht!« ermutigen. Wenn wir nicht motiviert werden, unsere Freiheit zu verteidigen, was bewahrt uns dann vor der Einheitsgesellschaft mit Einheitsmeinungen und damit vor dem Totalitarismus?
Im ersten Kapitel haben Sie es an sich selbst erfahren. Reaktanz nennt man in der Psychologie dieses Abwehrverhalten gegen jegliche Art der Freiheitsbeschneidung. Erfunden wurde der Name »Reaktanz« 1966 von dem Sozialpsychologen Jack W. Brehm. Reaktanz bedeutet, vereinfacht gesagt: Auf Einschränkungen, auf psychischen Druck oder auf Verbote reagieren wir mit genau dem Gegenteil von dem, was von uns erwartet wird. Reaktanz äußert sich durch Trotz, erhöhte Anstrengung, Widerspruch, Aggression oder demonstratives Ersatzverhalten. Die meisten, die ich befragte, wussten zwar, wie es sich anfühlt und was es heißt, sich gegen Verbote und Einschränkungen zu wehren, aber sie kannten den Begriff »Reaktanz« nicht, obwohl er ein wichtiger Sammelbegriff für ein Verhalten ist, das wir alle mehr oder weniger praktizieren. Im Unterschied zum Widerstand und zum Trotz, die mit Widerspenstigkeit oder Aufmüpfigkeit assoziiert werden und umfassender sind, ist Reaktanz eine positive, produktive Kraft, die zunächst einmal schlicht sagt: »Da muss ich reagieren«, »Nicht mit mir«, »Das lasse ich mir nicht gefallen«, »Das geht mir gegen den Strich«, »Das geht zu weit«. In diesen Sätzen schält sich das Eigene heraus. Man will etwas anderes als das, was gewollt wird. Man spricht für sich selbst, statt mitzumachen. Man verteidigt die bedrohte Freiheit und will selbst über das eigene Leben bestimmen. An dieser Stelle erwacht unser Ich.

Muss ich wirklich?

Bin ich nun verantwortungslos, wenn ich mich in meinem Alter diesen Appellen, ich solle meine »inneren Werte« messen lassen, entziehe? Muss ich wirklich ständig wissen, wie meine Knochendichte, meine Lungenkapazität, mein Blutdruck, meine Blutwerte, mein Kalorienverbrauch, mein BMI beschaffen sind? Natürlich muss man sie nicht ständig wissen, aber dennoch sind diese immer wieder zu hörenden Fragen und Bedenken ernst zu nehmen, weil in ihnen die Ursache von Krankheit als persönlicher Schuld wieder anklingt. Vor allem im Alter werden wir heute durch Angebote und Anreize motiviert, uns mehr denn je um unsere Gesundheit zu kümmern. Und messen lässt sich ja mittlerweile ziemlich viel, und zwar nicht nur präventiv, sondern einfach aus Neugier oder Interesse für den eigenen Körper. Aber wehe, wir kümmern uns nicht genügend oder nur nach Bedarf, dann dürfen wir uns auch nicht beschweren! Dann sind wir ja selbst schuld, weil wir nicht genügend Selbstsorge und Selbstvermessung geleistet haben. Der oft zitierte Spruch, dass jeder seiner Gesundheit Schmied sei, bedeutet ja nicht nur, dass jeder selbst zu seinem Wohlbefinden beitragen soll, sondern verrät auch zwischen den Zeilen: »Selbst schuld, wenn du nicht regelmäßig ins Fitness-Studio gehst, täglich Obst isst, meditierst und viel joggst.«
Was wir alle tun sollen ist schließlich das, was uns allen fehlt. Wenn man also Gesundbleiben in Form von ständiger, anstrengender Aktivität verordnet, so führt dies genau zu dem, was eigentlich bekämpft werden soll: Bevormundung der Einzelnen im Gewand der verordneten Eigenverantwortung. Und das erzeugt Abwehr, Trotz oder Widerstand. Eine Lehrerin, die kurz vor ihrer Pensionierung stand, fragte, ob sie ein Trotzkopf sei, da ihr diese Propaganda »Fit im Alter«, »Unruhestand«, »Immer aktiv« heftig gegen den Strich ging. Sie befürchtete, dass die Schulpflicht in neuem Gewand einfach weitergehen würde: kulturell interessiert, sportlich, gepflegt und adrett gekleidet, sexuell aktiv, ehrenamtlich tätig, unternehmungslustig. Sie hasste dieses Getue: »Seit ich pensioniert bin, habe ich gar keine Zeit mehr … habe ich mehr denn je zu tun … ist mein Terminkalender voller denn je.« Ob sie ein Trotzkopf ist, lässt sich nicht eindeutig beantworten, zumal es kein objektives Maß gibt, wann Treue sich selbst gegenüber zu kindischem Trotz wird und wann persönliche Vorlieben zur nervenden Plage für andere werden. Ihr Gefühl, etwas anderes zu wollen als das, was angepriesen wird, ist hingegen durchaus nachfühlbar, denn diese grassierende Fitnesspropaganda erzeugt Überdruss. Was wir ständig hören gähnt uns irgendwann an und macht schläfrig.
Was aber ist die Alternative? Ab Beginn der Pensionierung schlagartig desinteressiert, faul, hässlich, fett, asexuell, lethargisch und unbeweglich zu werden? Oder sollte sie ihre Erfahrungen aus der Schulzeit ab sofort Haushalt und Familie zur Verfügung stellen? All das verspricht ja nicht gerade einen entspannten, vergnüglichen Lebensabend. Es gab ihr zu denken, dass sie ihre eigene »Alters-Kür« erfinden könne. Sich für Neues befreien. Zu fragen: Was ist für mich stimmig? Das konnte sie akzeptieren. Immerhin wusste sie, was sie nicht wollte. Ihr Unbehagen zeigte ihr, was für sie nicht in Frage kam. Es war der Anfang hin zu etwas Neuem.
»Muss ich mir das wirklich anhören?«, fragte eine Krankenschwester, die selbst Patientin in ihrem Krankenhaus wurde. Natürlich wusste sie, dass sie sämtliche Risikofaktoren pflegte: zu wenig Schlaf, Ziehharmonikakost – entweder zu viel oder zu wenig –, rauchen. Dennoch kränkte es sie, als ihre Kolleginnen meinten: »Du bist doch selbst schuld!« Dass ihr diese Schuldzuweisung keine Ruhe ließ beziehungsweise sie verletzte und trotzig machte, ist nicht verwunderlich. Eine solche Aussage ist in der Tat rücksichtslos und herzlos, selbst wenn sie der Sache nach stimmen mag. Was angebracht wäre, ist Mitgefühl oder Mitleid und nicht Schadenfreude getarnt als Belehrung oder Besserwisserei. Außerdem steckt in dieser kollegialen Schuldzuweisung eine Entwertung, als sei Krankheit vermeidbar, wenn man sich nur richtig verhält. Dahinter steckt die selbstgerechte Idee von einem gesunden Leben, die alle anderen, die nicht so leben, vom Mitgefühl ausschließt. Allzu große Selbstgefälligkeit statt Mitgefühl erzeugt Trotz und führt in die Distanz und Entfremdung.
Wer solche oder ähnliche Situationen erlebt hat, muss damit fertig werden. Manche gehen zum Therapeuten oder zur besten Freundin, andere beten oder vergraben den Schmerz tief in ihrer Seele. Der Krankenschwester half es, ihre Gefühle auszudrücken und den Mut zu fassen: »Jetzt sage ich ihnen, was ich denke. Diese Gemeinheit lasse ich nicht auf mir sitzen.«
Ein drittes Beispiel stammt aus meiner Praxis. Eine 59-jährige Frau räsonierte lange über die Gefahren des drohenden globalen Wassermangels. Ich hörte ihr geduldig zu und widerstand der Versuchung verständnisvollen Einvernehmens, weil ich gelernt habe, dass es besser ist, eine gute Psychotherapeutin zu sein als eine nette Frau. Irgendwann rutschte mir das Wort »Wasserfall« heraus, was angesichts ihrer Besorgnis wie ein dummer Ausrutscher erschien. Aber dieses Wort stellte plötzlich eine Verbindung zu ihrer Lebensgeschichte her. Es war nämlich ihre wasserfallartige Sprechweise – sie meinte, dass in ihrer Ahnenreihe wohl irgendjemand ein Wasserfall gewesen sein müsste –, mit der sie sämtliche Männer aus ihrem Leben nachhaltig vertrieben hatte.
Selbst wenn die Geschichte stark verkürzt ist, so demonstriert sie doch, wie Reaktanz sich äußern kann. Es war nämlich nicht der globale Wassermangel, der sie wirklich bedrohte, sondern der Mangel an dauerhaften Beziehungen zu Männern, der ihr zu schaffen machte, den sie mit Wortkaskaden abwehrte, bis sie begriff, wie sie selbst dazu beitrug, dass sie das »Wasser« in ihrem Leben so schmerzlich vermisste.
In allen drei Geschichten ging es den Frauen darum, etwas anderes machen zu wollen als das, was von ihnen gewollt wurde. Auch wenn ihr Unbehagen eher verschwommen war, so wussten sie doch zumindest, was sie nicht wollten. In dem Moment, in dem man dieses Nein ahnt oder spürt, in diesem Riss entstehen neue Konturen des Ichs.

Der rote Knopf

Willkommen im Ferienclub! Treten Sie ein! Machen Sie es sich bequem! Fühlen Sie sich wie zu Hause! Oder sogar noch besser als zu Hause! Essen und trinken Sie, so viel Sie wollen! Entspannen Sie sich! Lassen Sie sich gehen! Gönnen Sie sich jede Gaudi! Singen, klatschen oder tun Sie so albern, wie Sie nur können! Hier ist alles erlaubt! Das Wetter ist perfekt! Der Swimmingpool ist geheizt! Nur eine Kleinigkeit: Bitte drücken Sie nicht den roten Knopf! Wir haften nicht für die Folgen, wenn Sie es tun! Ignorieren Sie ihn einfach und alles ist bestens! Also viel Spaß im Club! Bleiben Sie, solange Sie wollen.
Wie geht es Ihnen mit dieser Einladung? Ich kann nur sagen, dass mich trotz aller Angebote solch ein Verbot sofort neugierig oder trotzig machen würde. Was hat es mit dem roten Knopf auf sich? Warum wurde er überhaupt erwähnt? Soll ich, soll ich nicht? Wenn ich ihn nicht drücke, dann womöglich ein anderer? Vielleicht findet hier ein Experiment statt? Fragen über Fragen. Eigentlich gibt es nur einen Weg, um herauszufinden, was es mit dem roten Knopf auf sich hat. Die können mich mal …!
Man kann es Ungehorsam, Widerspenstigkeit, Rebellion oder Aufmüpfigkeit nennen, das Muster ist immer das gleiche: Etwas ist verboten und gerade deswegen reizt es erst recht, das Verbotene zu tun. Verbote wie der besagte rote Knopf üben eine geradezu magische Kraft auf uns aus. Mehr noch, sie führen direkt dazu, dass wir genau das tun, was wir unterlassen sollten. Wenn ab morgen verboten wird, auf der Straße zu essen, dann werden sicher viele von uns eine merkwürdige Straßen-Esslust verspüren. Oder wie die Autorin Elke Heidenreich meinte: »Ich finde die Welt dermaßen grau und verwaltet und mit Vorschriften gepflastert, dass ich unbedingt wieder Laster haben muss.«
Wann immer wir bevormundet werden, reagieren die meisten ärgerlich, trotzig, rebellisch. Wenn diese Haltung fast automatisch abläuft, sodass man sich kaum von ihr lösen kann, dann bedeutet das, dass an diesen Reaktionen starke Gefühle hängen, die einem natürlich auch auf die Nerven gehen können, weil sie etwas Zwanghaftes an sich haben. Man ist nicht mehr frei, zu unterscheiden, ob man dem Verbotenen zustimmen soll oder nicht. Das macht einen auch wieder unfrei.
Dennoch verbirgt sich hinter dieser Rebellion eine gesunde Kraft, die sich gegen Einschränkungen oder Zumutungen jeder Art zur Wehr setzen will. Wir wollen über unser Leben selbst bestimmen. Wir wollen nicht, dass jemand uns vorschreibt, was wir zu tun oder zu lassen haben. Wir wehren uns gegen das, was uns verbiegen oder manipulieren will oder kann. Deswegen lohnen sich Verbote langfristig gesehen nicht.
»Du sollst kein Fleisch essen!« »In deinem Alter solltest du dich gediegen anziehen!« »Du sollst keine Geheimnisse haben!« »Du sollst in der Öffentlichk...

Inhaltsverzeichnis

  1. [Titelinformationen]
  2. [Impressum]
  3. Lustvoll älter werden
  4. Eigensein entdecken
  5. Eigene Grenzen abstecken
  6. Neue Aussichten wagen
  7. Pfiffig älter werden
  8. Ich bin, wie ich bin
  9. Eigensinnige Typen
  10. Herbst in die Seele nehmen
  11. Aller Unfug ist schwer
  12. Früchte ernten
  13. Zu sich selber finden
  14. Literatur
  15. [Über die Autorin]