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Energiewende- verblüffend einfach

  1. 200 Seiten
  2. German
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Energiewende- verblüffend einfach

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Über dieses Buch

Die Energiewende wird nicht erst kommen, sie ist längst schon da. Doch liegt die Zukunft wirklich in großen Windparks und aufwendigen Solaranlagen? - Erfrischend undogmatisch zeigt der Querdenker Wolfgang Frey, dass um uns herum unzählige Energiequellen existieren, die wir nur anzapfen müssen. Vom Strom aus dem Wasserhahn bis zum kleinen Windrad auf dem Dachgiebel.

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Information

1 Neu denken

ICH FÜHLE MICH, als wäre ich als Architekt geboren. Mein Vater war Architekt, mein Onkel war Architekt, mein Urgroßvater war Baumeister. Ich erinnere mich, wie das konfektionierte Spielzeug im Kindergarten mich langweilte. Für meine Freunde und mich wurde es da erst richtig lustig, als mein Vater heimlich einen Anhänger voller kleiner Holzbrettreste in den Hof unseres Kindergartens gekippt hatte. Wir haben gebaut und gebaut und gebaut.
Was das mit der Energiewende zu tun hat? Es hat mit mir zu tun. Ich will Sie davon überzeugen, mir zu folgen in eine Welt, in der unendlich viele Kleinigkeiten neu gedacht werden, weil wir sie gemeinsam anders betrachten. Als ich in die Schule kommen sollte, wurde ich – ich bin heute noch nicht groß und breit – ein Jahr zurückgestellt. Ich hatte ein Haus gezeichnet, das nicht den Vorstellungen jener Pädagogen entsprach, die meine Reife testen sollten. Es war kein Kinderbild, es war eine perspektivische Skizze. Ich war nicht über die Maßen gescheit – das bin ich auch heute noch nicht –, aber die unzähligen Stunden im Zeichensaal des Architekturbüros meines Vaters hatten mich gelehrt, ein Haus mehrdimensional zu sehen. Und natürlich habe ich das damals auch so gezeichnet. Es hat mich lange beschäftigt, dass ich später eingeschult worden bin. Aber irgendwann habe ich begriffen, dass es damals nicht darum ging, etwas besser oder schlechter zu machen. Ich war einfach mit meiner Skizze zu weit weg von der Erwartungshaltung meines Gegenübers. Nicht schlecht, wenn ein Architekt diese Erkenntnis verinnerlicht.
Heute habe ich das große Glück, Wissen nicht nur anwenden, sondern auch weiterentwickeln zu können. Nicht auf dem Papier und nicht nur daheim in Freiburg, sondern überall auf der Welt: in Shanghai, in Moskau oder Frankreich. Ich will nicht prahlen, schon gar nicht missionieren. Aber ich möchte Ihr Vertrauen gewinnen, und das kann ich ja nur, weil und wenn ich selbst von meinen Lösungen überzeugt bin. Mit fünfzehn habe ich mir zwei Versprechen gegeben: dass ich im Leben stolz sein will auf die Dinge, die ich getan habe, und darauf, wie ich sie getan habe. So kam auch das Windrad auf die Douglasie.
Woher kommen die Pioniere der modernen Windkraftnutzung? Das wäre eine schöne Millionenfrage bei Günther Jauch. Nein, nicht aus Kalifornien, wo sich Tausende schon seit Ewigkeiten drehen, nicht aus England, nicht einmal aus Peenemünde. Sondern aus Uhingen. Das ist in Württemberg, in der Nähe von Ulm. Eine der früher führenden Firmen gibt es heute noch. Sie heißt Allgaier, benannt nach ihrem Gründer Erwin Allgaier. Sie hat in den Fünfzigerjahren Windräder sogar in Serie produziert und exportiert, auch nach Übersee. Die Urmutter stand, bis sie Ende der Sechzigerjahre abgebaut wurde, auf der Schwäbischen Alb, auf dem Feldberg im Schwarzwald gab es eine andere Anlage. Ihr Erfinder, der lange Zeit fast vergessene Windpapst Ulrich Hütter, orientierte sich auf seiner Suche nach Problemlösungen an der Natur.
Mir hat die Natur die Möglichkeit geboten, überhaupt erst
einmal mit dem Experimentieren anzufangen. Als Student habe ich in Portugal Ferienhäuser geplant. Einmal sollte ich eine alte Windmühle umbauen. Die stand auf dem Berg und hatte keine Stromleitung. Wozu auch? Der Wind hat die Energie produziert. Früher. Leider war die Mühle nicht mehr in Betrieb zu nehmen, und wir mussten doch eine Stromleitung hinlegen lassen. Die war doppelt so teuer, lang und vor allem verlustreich. Wie praktisch wäre ein kleines Windrad gewesen. Das Thema hat mich nicht mehr losgelassen. Bis im Sommer 2009 aus Theorie endlich Praxis wurde.
Aber von vorn. Weil ich ein braver Architekt bin, habe ich getan, was man tun muss, wenn man etwas bauen will: Ich habe einen Antrag gestellt. Zwei Windräder, gemeinsam weniger als 300 Kilogramm schwer, sollten auf das Dach eines bewohnten Drei-Familien-Hauses. Ich habe auf eine Antwort der Baurechtsbehörde gewartet. Die hat eine Prüfstatikerin bestellt, um die von uns berechnete Statik gegenzurechnen, und ich habe auf eine Antwort von der Prüfstatikerin gewartet. Die hat geprüft. Monate vergingen. Dabei wollte ich doch nur ausprobieren, wie zwei Windräder mit einer Leistung von je 3,5 Kilowatt zur Stromversorgung dieses Hauses beitragen. Weil ich schon lange im Beruf bin, habe ich weiter gewartet. Bis ich erkennen musste, dass das Bauamt die gesamte Breite der theoretisch zu bedenkenden Fragen aufwirft, alles abklopft, dreht und wendet und prüft. Nein, der Antrag wurde nicht abgelehnt; aber genehmigt auch nicht.
So weit, so schlecht. Die beiden Windräder waren inzwischen im Keller gelagert. Und es hat mich gewurmt, dass nichts weiterging. Ich habe dann überlegt, ob ich ein Windrad auf unserer Terrasse aufstellen soll. Mangels Wind eine Idee mit dem Makel der Unsinnigkeit. Nein, es sollte nichts getan werden, nur damit etwas getan ist. Aber was tun?
Meine Familie besitzt vierzig Hektar Wald. Schon als Kind habe ich im Wald gearbeitet, als Freizeitvergnügen, auch wenn’s nicht immer ein Spaß war. Wir haben Jungwaldpflege betrieben. Als Jugendlicher habe ich jedes Wochenende Äste von den Bäumen abgesägt. Möbel, Schränke, Böden, Verkleidungen aus Holz mit Astlöchern sind nicht jedermanns Sache. Also werden starke Stämme ohne Äste gebraucht, um jene eleganten Teile ohne Astlöcher zu fertigen. Rauf auf einen Baum, Äste abgesägt, damit der Stamm ohne abgestorbene Asteinschlüsse weiterwachsen kann, und wieder runter, rauf und runter. Dieser Wald fiel mir ein. Wie der Zufall eben spielt, wurde gerade auch noch eingeschlagen. Ich habe gebeten, auf einem Hügel zwei Bäume stehen zu lassen: Douglasien. Je höher das Windrad positioniert ist, umso stärker ist die kontinuierliche Windgeschwindigkeit.
So ein Windrad hat drei Komponenten, keine schwerer als sechzig Kilo. Ich bin mit einem Seil rauf auf den Baum, habe die Teile über die Umlenkrolle mit der Traktorwinde hochgezogen und oben zusammengebaut: den Generator, das Montageteil, den Propeller. Aber am Abend war ich nicht fertig, und prompt hatte es sich bis zum nächsten Wochenende herumgesprochen, dass Seltsames vor sich geht in Freiamt. Im Wald ging es zu fast wie auf dem Jahrmarkt. Als ich fertig war, hätte ich beinahe doch alles verdorben. Ein Radiomikrophon leuchtete mir so einladend entgegen, als ich atemlos, mit eingeklemmtem Finger und voller Glückshormone wieder unten war, und ich plapperte los, ich hätte da oben ein Windrad montiert „im rechtsfreien Raum“. Ein Windrad im Baum ist ein technisches Teil im Baum. Es gibt aber keine Vorschrift, die reglementiert, was in einen Baum gehängt werden darf und was nicht. Natürlich war das ein ganz falscher Begriff, bei dem außerdem in jedem Juristenhirn die Alarmlampen aufleuchten. Also sind die Behörden erst recht zur Höchstform aufgelaufen.
Aber das Windrad auf der Douglasie steht noch immer. Es dreht und dreht sich, und zwar viel öfter als die großen Anlagen. Das ist wie bei einem riesigen Bulldozer, den keiner schieben kann, während das kleine Modell schon von einem Kind bewegt werden kann. Alles eine Frage des Anlaufwiderstands. Ein kleiner Generator hat einen kleinen Anlaufwiderstand, ein großer einen großen. Er dreht sich vor allem, um Licht ins Dunkel vieler Details zu bringen, an denen ein Einsatz im großen Stile am Ende scheitern könnte. Wir haben viele Zahlen, Daten und Fakten gesammelt. Zwei Nachtsichtkameras, zwei Webcams, ein Batdetektor und ein Richtmikrophon registrieren, wie Vögel und Fledermäuse reagieren. In dieser Welt, von der ich fast nichts wusste, habe ich den Deckel nur einen Spalt geöffnet – und war plötzlich, wie einem das dann oft so geht, konfrontiert mit ganz vielen neuen Fakten und Erkenntnissen.
Zum Beispiel mit dieser: Vögel haben eine andere Wahrnehmung als Menschen, ihre Reizleitung funktioniert schneller als unsere. Das kann eine fatale Konsequenz haben: Wenn Vögel auf die großen, behäbigen Windräder zufliegen, nehmen sie sie als so langsam wahr und damit als unbedrohlich, dass sie sie gewissermaßen vergessen. Mein kleiner Propeller dagegen bewegt sich schneller, die Vögel reagieren, wenn sie die Blattspitzen sehen, und erkennen das Hindernis.
Auch so ein Windrad an vergleichsweise exponierter Stelle reagiert ganz eigen auf den Wind. Böen beispielsweise sind Gift: Der Propeller wird ausgelenkt, die Drehzahl ist futsch, die Stromerzeugung unterbrochen. Und noch eine Frage muss genau untersucht werden, die nach den Kräften, die auftreten, wenn der rotierende Rotor durch Windböen aus der Richtung ausgelenkt wird. Dann ergeben sich Giermomente, die im Mast eine Verwindung provozieren, umso stärker, je höher die Propellerdrehzahl. Dann gibt es Verwirbelungen mit weniger dramatischen Folgen. Die haben wir schon genau untersucht, ebenso wie die optimalen Längen des Rohrs, auf dem der Propeller sitzt. Inzwischen wissen wir vieles. Wir wissen vor allem, dass die kleinen Windräder funktionieren. Und inzwischen steht doch eines auf einem Haus, auf einem neugebauten Mehrfamilienhaus, da war der Antragsweg weniger steinig. Es produziert die Strommenge für die hauseigene Waschküche, für rund 2200 Waschgänge im Jahr.
Wir alle verbrauchen tagtäglich Energie. Die Energiewende wird aber nur funktionieren, wenn die Eingriffe unseren Lebensstandard nicht grundsätzlich tangieren. Viele kleine Anforderungen könnten genau dort erfüllt werden, wo sie anfallen. Auf die zentrale Energieproduktion mit ihren Riesenanlagen und den Landschaften zerschneidenden Stromtrassen müsste in viel geringerem Maße zurückgegriffen werden. Die Firma Allgaier hat damals ein Windrad in die USA verkauft, das im Golf von Mexiko eine kleine Ölplattform versorgte – es war einfacher, billiger und zuverlässiger als ein Dieselaggregat.
Die Wirtschaftlichkeit von Kleinwindrädern wird bestimmt durch die Leistung in Relation zum Stromertrag. Eine Anlage setzt sich aus Propeller, Generator, Steuerung und Wechselrichter zusammen. Der Generator ist jenes Teil, das vom Propeller angetrieben wird und wie ein Elektromotor aus der Drehbewegung Strom erzeugt. Weil das System aber auch Strom verbraucht, gibt es eine kritische Größe, unter der sich das Windrad zwar dreht, die erzeugte Menge aber zur Netzeinspeisung nicht ausreicht. Der Wechselrichter frisst die erzeugte Menge auf, sozusagen, weil aus Gleichstrom Wechselstrom gemacht werden muss. Wird der Strom aber gar nicht eingespeist, sondern im eigenen Haus verbraucht, fällt dieser Schritt weg. Mit Gleichstrom kann zum Beispiel über eine Schaltung der Warmwasserboiler gespeist werden, oder – siehe oben – die Waschmaschine. Jedes Quäntchen würde verwendet, dem Ohmschen Widerstand ist es egal, welche Art Strom kommt. Weniger Stromverluste erhöhen die Wirtschaftlichkeit.
Basis der Berechnungen sind natürlich die notwendigen Investitionen. Alle Zubehörteile, vor allem der Mast und das Fundament, kosten mehr als das Rad selbst. Kleinwindräder werden heute als Kleinstserien gebaut oder sogar als Einzelstücke. Deshalb sind die Kosten vergleichsweise hoch, liegen für ein Fünf-Kilowatt-Rad bei rund 15 000 Euro. Je nach Windhäufigkeit kann das bis zu 10 000 Kilowattstunden im Jahr produzieren. 7000 Kilowattstunden sind ausgesprochen realistisch, was im Jahr 2012 einer Ersparnis von knapp 1500 Euro entspricht. Wird der Strom eingespeist, erhält der Produzent rund 560 Euro. Woraus sich ergibt, dass der direkte Hausverbrauch auch unter diesem Aspekt wirtschaftlicher ist. Außerdem würden bei steigender Nachfrage die Preise fallen, weil die kleinen Räder in größeren Serien auf den Markt kämen.
Wenn ich in Freiburg hinaus zum Flughafen fahre, wo ich zwei Windräder aufbaue, komme ich an mehreren Einkaufszentren vorbei. Viele haben Masten mit Werbefahnen, zum Beispiel jene blaugelben, die stehend im Wind auf ein bekanntes schwedisches Großunternehmen hinweisen. Manche Fahnen sind so akkurat wie am ersten Tag, und bei anderen sind Rand und Saum schon ziemlich mitgenommen. Wie lange müsste dieser Stoff im Wäschetrockner rotieren, bis er so zerzaust ist? Was ich daraus lerne? Dass auf letztere ein ziemlich starker Wind einwirkt. Also stelle ich mir vor, jeder dieser Fahnenmasten trüge ein kleines Windrad. Für die Beleuchtung im Parkhaus, für die Ampel an der Ausfahrt, für die Aufzüge im Inneren. Überall auf der Welt, wo es dieses Möbelhaus gibt. Und nicht nur bei diesem, sondern auch bei allen anderen.
Überall eben, wo Fahnen wehen. Sogar vor der UNO in New York. Kleinvieh macht auch Mist. Und oft ziemlich großen.

2 Im Überfluss

FREE ENERGY. Natürlich ist die Energie auch nach meinen Vorstellungen nicht frei im Sinn von kostenlos. Aber sie macht uns frei, zumindest freier, wenn wir sie klug nutzen. Die Natur schenkt sie uns im Überfluss. Ein Urenkel von Matthias Claudius hat als junger Mann zu Beginn des 20. Jahrhunderts diese wunderbaren Zeilen gedichtet: „Wie mit bittender Gebärde / Hält die alte Mutter Erde / Daß der Mensch ihr eigen werde / Ihm die vollen Hände hin.“ Warum verschwenden wir Energie? Vor allem, wie können wir umsteuern hin zu einem effektiven Umgang mit Ressourcen? Und zwar mit akzeptablem Aufwand? Wenn wir Energie passgenau dort produzieren, wo wir sie verbrauchen. Aus vielfacher Erfahrung weiß ich, was auf diesem Felde alles möglich ist. Und ich will so viele Mitstreiter und Mitstreiterinnen finden, dass wir einen Fortschritt in Gang bringen, der diesmal keine Schnecke ist.
Eigentlich bin ich ein Anhänger dieser antiken Weisheit, die jeder kennt: Gut Ding will Weile haben. Einige meiner Projekte haben sieben, acht oder neun Jahre Entwicklungsarbeit gebraucht, bis sie realisiert wurden. Das sind übrigens die Projekte, die sehr nachhaltige und beständige Anerkennung seit Jahren erfahren. Logisch, es ist ja auch am meisten nachgedacht worden. Wer das schnelle Geld machen will, ist da fehl am Platz. Ich befürchte nur, dass uns die Zeit davonläuft, wenn wir das Thema Energiewende mit ähnlicher Beharrlichkeit hin und her wenden. Gewiss, Ausdauer gehört für mich zu den größten Tugenden. Wenn die Grundlagen allerdings gelegt sind, muss ein Prozess auch angepackt werden und zeitnah in Gang kommen, anstatt immer weiter zu palavern.
Gerade meine chinesischen Partner werden immer ganz unruhig, wenn ich auf die Notwendigkeit zu sprechen komme, die Dinge gründlich und damit in aller Ruhe zu überlegen. Die Bevölkerung in China wächst jedes Jahr um zwanzig Millionen Menschen. Der Bedarf an Wohnraum liegt gegenwärtig bei rund zehn Quadratmetern je Person, in Deutschland sind es sechzig. Eine Annäherung wird stattfinden. Das sind Riesenherausforderungen. Da muss gehandelt werden. Aber wie kann das gehen, wenn so wenig Zeit ist, um zu überlegen, um Pläne reifen zu lassen? Qiu Baoxing, der chinesische Vizebauminister, verantwortlich für die Entwicklung des Städtebaus in China, hat dieses Dilemma erkannt: „Wir haben das Problem“, hat er auf einer meiner Reisen zu mir gesagt, „dass die Bürgermeister, die eine enorme Macht ausüben, nur fünf Jahre im Amt sind und deshalb gar kein Interesse an langfristigen Entwicklungsprozessen haben können.“ Qiu versucht, einen gesamtgesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess anzustoßen. In unzähligen Workshops, Symposien, Vortragsveranstaltungen werden Fragen ökologischer Stadtentwicklung, nachhaltiger Architektur, energiesparenden Bauens thematisiert. Er stellt erfolgreiche Modelle und Akteure einer breiten Fachöffentlichkeit vor, im Bemühen, eine Stimmung zu erzeugen, in der fachlich fundierte Einmischung honoriert wird. Da sich Menschen nach Anerkennung sehnen, versuchen sie, Projekte in diesem Sinne zu er- und bearbeiten. Qiu Baoxing: Vorschriften führen nur bedingt zum Ziel, weil Forderungen, deren Sinn sich nicht aus persönlicher Einsicht ergibt, nur die Kreativität fördern, Umgehungen zu finden. Die Menschen müssen Entwicklungen wollen, und zwar gemeinsam wollen. Es ist sehr spannend zu beobachten, wie – ausgerechnet in China, werden Sie jetzt denken – nicht Vorschriften diktiert werden, sondern ein Raum für gemeinsame Entfaltung, für gemeinsames Wollen eröffnet wird. Natürlich drängen sich die Parallelen zur Energiewende in Deutschland auf: Wenn Menschen miteinander wollen, werden sie einen Weg finden, auch über größte Hindernisse hinweg.
Die Weile, die gut Ding haben will, darf aber nicht als Ausrede herhalten. Nicht individuell und nicht gesellschaftlich. Nehmen Sie unsere Erfahrungen in den vergangenen vier Jahrzehnten. Schon Anfang der Siebzigerjahre hatte der Club of Rome mit seinem Bericht zu den Grenzen des Wachstums weltweites Aufsehen erregt, unter anderem mit der Botschaft, der Energiehunger immer weiter wachsender Industrienationen sei fossil auf Dauer nicht zu stillen. Ein Begriff wurde in die deutsche Politik eingeführt, der schon aus der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg bekannt war. Damals mussten kahlgeschlagene Wälder in großem Stile wiederaufgeforstet werden. Die Waldwirtschaftsexperten nannten das zu Beginn des 18. Jahrhunderts „nachhaltig“. Erhard Eppler, auch ein Baden-Württemberger, hat dafür plädiert, das sperrige englische „sustainable development“ mit „Zukunftsfähigkeit“ zu übersetzen. Jede politische Entscheidung oder auch Nichtentscheidung riskiert, durch Zukünftiges, nicht Vorhersehbares in einem neuen Licht gesehen und bewertet zu werden, sagt Eppler. Was sich aber nicht durchhalten lässt, das ist politisch nicht legitim. Vielleicht wäre manches anders gekommen, hätten wir uns früher mehr mit der Zukunftsfähigkeit befasst. Jetzt müssen wir damit leben, dass sogar Bier-Reklame als nachhaltig ausgegeben wird.
Dabei mag ich das Wort. Denn darin liegen die Worte Halten und Halt. Da klingt für mich erhalten mit oder festhalten oder ein Versprechen halten. Ich übersehe nicht, wie viel schon passiert ist. Freiburg ist ja das beste Beispiel dafür. Das erste Klimaschutzkonzept ist mehr als 25(!) Jahre alt. Allerdings konnten viele selbstgesteckte Ziele nicht einmal bei uns, wo früh Bewusstsein gewachsen ist, eingehalten werden. Auch schon gut 25 Jahre alt ist in Freiburg die Mülltrennung. Und wir haben in Freiburg ein inzwischen auf 500 Kilometer angewachsenes Radwegenetz. Schon 1992 war die Stadt im Breisgau Umwelthauptstadt, 2010 war sie European City of the Year. Nur: Wenn wir jetzt wieder diese gemächliche Gangart anschlagen, dann sind die Lichter demnächst wirklich aus. Oder die Atommeiler wieder am Netz. Ich male keine Horrorgemälde, das würde auch gar nicht zu mir passen. Ich will nur den Blick auf die Realitäten schärfen.
Es gibt viele gute Gründe, warum wir bei der Energiewende aufs Tempo drücken müssen. Wer sich für Veränderungen im Praxistest interessiert, ist bei uns in Freiburg an der richtigen Adresse. Delegationen aus der ganzen Welt kommen hierher und staunen: über die beiden Stadtteile Vauban und Rieselfeld, in denen – mitten im vom demographischen Wandel geschüttelten Mitteleuropa – ein Drittel der Bevölkerung unter achtzehn Jahre ist. In Vauban, diesem Stadtquartier, an dem jahrelang geplant und gebaut wurde, in dem sich nicht nur Menschen, sondern auch wieder seltene Pflanzen und Insekten angesiedelt haben, gibt es weniger Autos und mehr Kinder als irgendwo sonst in der Republik. Auch dank eines juristisch wasserdichten Verfahrens zum Verzicht aufs Auto. Nur so ist die Idee vom autofreien Wohnen realitätstauglich. Wer nicht ganz und gar auf sein Auto verzichten möchte, muss einen Stellplatz in einem der Garagenhäuser kaufen. Wer seine Mobilität grundlegend umstellt, gibt einmal im Jahr eine Erklärung ab, auch weiterhin dabei zu bleiben. Etwa die Hälfte der Bewohner und Bewohnerinnen lebt ohne eigenes Auto. Bisher hat das Modell kaum Strahlkraft über Freiburg hinaus entwickelt. Aber das könnte sich ändern. Oder besser: Es muss sich ändern.
Seit der Weltausstellung in Shanghai im Jahr 2010, zu der Freiburg als eine von weltweit fünfzig Städt...

Inhaltsverzeichnis

  1. [Titelinformationen]
  2. [Impressum]
  3. Inhalt
  4. Heute ist schon übermorgen - Vorwort
  5. 1 Neu denken
  6. 2 Im Überfluss
  7. 3 Sonntag für Sonntag
  8. 4 Hauptsache nicht altmodisch
  9. 5 Soll und Haben
  10. 6 Können und Wollen
  11. 7 Sinn und Zweck
  12. 8 Millionen Mosaiksteine
  13. 9 Denken sanieren
  14. 10 Licht und Schatten
  15. 11 Persönliche Bilanz
  16. 12 Eine simple Rechnung
  17. 13 Zu Werke gehen
  18. 14 Viele falsche Fehler
  19. 15 Die Kraft der Region
  20. 16 Verstehen heißt beteiligen
  21. 17 Raum zur Entfaltung
  22. 18 Klein und daheim
  23. 19 Nah und Fern
  24. 20 Heute ist schon übermorgen
  25. Fakten-ABC
  26. Das andere Ich