Teil II
Anleitung zum langsamen Denken in Entscheidungsprozessen
Langsames Denken macht Entscheidungen besser – und zumeist auch schneller. Wie das praktisch gelingt, zeigt dieses Kapitel. Durch »unaufgeregte Informationsanalyse« hilfst du allen Beteiligten, sachorientiert zu denken und unvoreingenommen zu entscheiden. Was es dazu braucht, sind die geeignete Haltung und ein paar grundlegende Techniken.
Es beginnt bei dir selbst
Vor dem Start eines Entscheidungsprozesses
In der Startphase eines Entscheidungsprozesses
In der unmittelbaren Zusammenarbeit (Workshop)
Zum guten Entschluss
#1
Es beginnt bei dir selbst
Langsames Denken ist nicht das, was wir üblicherweise tun; es ist nicht unser natürlicher Denkmodus. Natürlicherweise denken wir »schnell«. Schnelle Denkmuster müssen wir aber durchbrechen, wenn wir in neuartigen, komplexen Situationen gut entscheiden wollen. In diesem Abschnitt lernst du hierfür geeignete »Musterbrecher« kennen. Musterbrecher sind Hilfen zu einer gewünschten Verhaltensänderung. Diese positive Veränderung bedeutet für jeden Menschen mit Führungsverantwortung zuallererst Arbeit an sich selbst. Am besten gelingt diese Arbeit mit konkreten Übungen. Deshalb halte Stift und Papier bereit, bevor du umblätterst.
Was ist
Digitalisierung?
Notiere deine Antwort in max. 60 Sekunden.
Grundhaltung
Na, wie lautet deine Antwort? Hast du Digitalisierung nach deinem »besten Wissen« definiert? Hast du über das, was dir eingefallen ist, kurz nachgedacht und dann eine rasche Antwort montiert, die dich als »Wissenden« ausweist? Zumindest tun dies 99 % aller Befragten!
Nur die allerwenigsten Menschen geben an, »nicht genau zu wissen«, was Digitalisierung bedeutet. Die allermeisten Menschen geben an, etwas über Digitalisierung zu wissen. Egal wie wenig vollständig und ungeprüft das auch sein mag.
Offenbar fühlt es sich für uns Menschen nicht gut an, etwas nicht zu wissen. Einen Zustand von Unwissenheit wollen wir möglichst rasch überwinden. Unwissenheit bedeutet Unsicherheit. Zuzugeben, dass wir etwas nicht wissen und nicht sicher sind, wie etwas ausgeht, haben wir häufig verlernt. Zumindest vor anderen – manchmal sogar vor uns selbst.
Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Die Art, wie zahlreiche Bonus- und Karrieresysteme funktionieren, ist einer davon. Karriere machen häufig Personen, die glaubhaft versichern, Dinge zu wissen. »Es gibt zwei Sorten von Managern: Die einen haben Probleme, die anderen haben Lösungen.« Hast du diesen Satz schon einmal gehört? Dann kennst du Organisationskulturen, die einem offenen Umgang mit Unwissenheit im Wege stehen. Doch Unwissenheit ist die natürliche Ausgangslage bei allen neuartigen Situationen.
»Ich weiß es nicht« ist die Grundhaltung von allen Forschenden. Wer »Ich weiß es nicht« denkt, wird weitere Fragen stellen, aufmerksam beobachten und Daten sammeln. »Ich weiß es nicht« verkörpert das kritische Hinterfragen von einfachen Lösungen und wohlklingenden Best Practices. »Ich weiß es nicht« ist Ausdruck von Wissensdurst und Neugierde.
»Ich weiß es nicht« als Grundhaltung zu leben, erfordert Mut. Dies gilt insbesondere in einem Umfeld, in dem »Ich muss es wissen« das vorherrschende Selbstbild ist. Die Einstellung »Ich muss es wissen« fördert schnelles Denken. Schon wenige Informationen genügen, um Entscheidungen zu manifestieren. Der Rest ist selektive Wahrnehmung. Wer »Ich muss es wissen« als Grundhaltung lebt, handelt immer effizient – nicht unbedingt jedoch effektiv. Denn unbewusst »die Dinge richtig zu tun« (Effizienz) bedeutet nicht zwangsläufig, auch »die richtigen Dinge zu tun« (Effektivität). Außerhalb von Routinesituationen bedeutet es sogar meistens das Gegenteil.
»Ich weiß es nicht« ist auch die Grundhaltung von Designern. Produktdesigner beispielsweise stellen keine Vermutungen an, was Kunden möchten. Stattdessen befragen sie diese, beobachten ausdauernd und scheuen sich auch nicht vor Überraschungen. Designer wollen einen Sachverhalt wahrhaft verstehen und eine bestmögliche Gestaltungsform finden. »Ich weiß es nicht« ist eine »Design-Attitüde«. In ihrem Artikel »Design Matters for Management« formulieren Boland/Collopy die These, dass die Welt eine bessere wäre, wenn mehr Manager eine solche »Design-Attitüde« einnehmen würden. Die Aufmerksamkeit, die »Design Thinking« seit einiger Zeit in der Betriebswirtschaft genießt, macht diesbezüglich Hoffnung.
Fazit: Der erste Schritt auf dem Weg zu meisterhafter Informationsanalyse und Entscheidungsfindung lautet:
1.
Mache »Ich weiß es nicht« zu deiner Grundhaltung!
Fabelhafte Führungskraft
Es war einmal ein Elch, der war erkoren, König des Waldes zu werden.
Aber er haderte mit seinem Schicksal.
»Ich bin doch nicht schlauer als die anderen Tiere.«
»Ich bin doch nicht erfahrener als die anderen Tiere.«
»Wer bin ich schon, dass ich König des Waldes werden sollte?«
Mit jedem Tag, den die Königswahl näher rückte, wurde der Elch trauriger. Er konnte nicht fliegen wie die Krähe, er konnte nicht hüpfen wie der Frosch, und schon gar nicht konnte er so herrlich singen wie die Amsel. Eigentlich konnte er überhaupt nichts.
Mit hängenden Ohren trottete er durch den Wald. Dabei begegnete er immer wieder anderen Tieren, die weitaus größere Probleme hatten als er selbst.
Da war die Meise, deren Junges aus dem Nest gefallen war und jeden Moment vom Dachs gefressen werden konnte. Da war das Eichhörnchen, das seit dem großen Regen durch einen reißenden Wildbach von seiner ...