Geißel der Menschheit
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Geißel der Menschheit

Kurze Geschichte der Nazikriegsverbrechen

  1. 256 Seiten
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Geißel der Menschheit

Kurze Geschichte der Nazikriegsverbrechen

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Über dieses Buch

"Da erst konnte er begreifen, daß die Nation, die der Welt Goethe und Beethoven, Schiller und Schumann schenkte, ihr auch Belsen und Auschwitz, Ravensbrück und Dachau bot."Lord Russell of LiverpoolThomas Mann schreibt am 18. März 1955: "[...] Skandal über Skandal. In Westdeutschland wird Russells Buch über den Nazismus unterdrückt. Die Schweiz muss all diese gemeine Rückfälligkeit mitmachen! [...]"Thomas Mann: Tagebücher 1953-1955Inge Jens (Hg.), S. Fischer VerlagFrankfurt am Main, 1955, Seite 327Als Berater des britischen Oberkommandanten für alle Kriegsverbrecherprozesse hatte Lord Russell of Liverpool einen tiefen Einblick in Wesen und Struktur der Naziherrschaft. In seinem Buch "Geissel der Menschheit" lieferte er 1954 auf Basis von Augenzeugenberichten, Geheimdokumenten aus Wehrmachtsarchiven und Prozessprotokollen seine "Kurze Geschichte der Nazikriegsverbrechen". Sein sowohl sachlicher als auch erschütternder Tatsachenbericht über das finsterste Kapitel der deutschen Geschichte kann als erste umfassende Bilanz der deutschen Verbrechen im Dritten Reich gelten. "Nur wenn wir aus der Vergangenheit eine Lehre ziehen, gibt es eine wirkliche Hoffnung für die Zukunft", beendet Liverpool sein Vorwort. Ein Satz, der bis heute nichts an Aktualität verloren hat.

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VI Konzentrationslager

Schon lange vor der Invasion Polens 1939 stand das Konzentrationslagersystem in Deutschland selbst in voller Blüte. Unter Himmler hatte sich seine Organisation vervollkommnet, und seine Methoden waren schon im Frieden an den eigenen Landsleuten erprobt und praktiziert worden.
Durch den Erlass des Reichspräsidenten vom 28. Februar 1933 – Hitler hatte es mit solchen Dingen immer sehr eilig – wurde das Prinzip der »Schutzhaft« in das Justizwesen des Dritten Reiches eingebaut. Jeder, dem auch nur im entferntesten eine aktive Opposition gegen das neue Regime zuzutrauen war, konnte auf diese Weise unschädlich gemacht werden, und im Laufe der nächsten sechs Jahre kamen Tausende Deutsche zur »Behandlung« in Konzentrationslager, aus denen es für viele keine Rückkehr in die Freiheit gab.
Die Gestapo war mit der Aufgabe betraut, »alle Feinde der Partei und des Staates zu beseitigen«, und durch die Tätigkeit dieser Organisation erhielten die Konzentrationslager ihre Insassen, während die SS die Wachmannschaften stellte. In dem vorliegenden Kapitel wird nun beschrieben, wie diese in den Jahren vor 1939 im eigenen Land geschmiedete und erprobte Waffe dann im Krieg dazu benutzt wurde, die Einwohner der besetzten Gebiete zu terrorisieren und zu Millionen zu vernichten.
Bei Ausbruch des Krieges gab es in Deutschland sechs Konzentrationslager mit insgesamt etwa 20 000 Gefangenen. In den nächsten beiden Jahren wurden weitere Lager gebaut, und einige sind inzwischen für jeden zu einem Begriff geworden: Auschwitz, Belsen, Buchenwald, Flossenberg, Mauthausen, Natzweiler, Neuengamme, Ravensbrück und Sachsenhausen.
Während des Krieges wurden den niedrigsten Berechnungen zufolge zwölf Millionen Männer, Frauen und Kinder aus den überfallenen und besetzten Gebieten von den Deutschen umgebracht. Nach einer vorsichtigen Schätzung kamen acht Millionen davon in Konzentrationslagern um. Von ihnen sprach Sir Hartley Shawcross, der britische Hauptankläger im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, als er in seiner Schlusserklärung sagte:
Zwölf Millionen Morde! Zwei Drittel der Juden Europas vernichtet – mehr als sechs Millionen von ihnen, nach eigenen Angaben der Mörder. Das Morden wurde betrieben wie eine Industrie der Massenproduktion in den Gaskammern und Verbrennungsöfen von Auschwitz, Dachau, Treblinka, Buchenwald, Mauthausen, Maidanek und Ora­nienburg.
In diese Lager brachte man Millionen Menschen aus den besetzten Gebieten: einen Teil, weil sie Juden waren, andere als deportierte Sklavenarbeiter, die nicht mehr arbeitsfähig schienen; ferner sowjetische Kriegsgefangene, Opfer des »Kugelerlasses« und Nacht-­und-Nebel-Gefangene. Unter den schmutzigsten und entwürdigendsten Bedingungen wurden sie zusammengepfercht und tyrannisiert, geschlagen und gefoltert; man ließ sie hungern und vernichtete sie schließlich durch Arbeit oder »beseitigte« sie, wie die Deutschen es nannten, durch Massenhinrichtungen in den Gaskammern.
Die Konzentrationslager hatten eine äußerst abschreckende Wirkung auf die Öffentlichkeit, und das war sorgfältig geplant. Ursprünglich hatte man in Deutschland selbst den Schleier des Geheimnisses und die von offizieller Seite ausgestreuten Gerüchte bewusst dazu benutzt, die Furcht vor dem Unbekannten und Ungewissen zu steigern. Es gab viele, die nicht wussten, was hinter den Stacheldrahtzäunen vor sich ging, aber nur wenige, die es nicht ahnten. Es war nicht beabsichtigt, den Schleier dieses Geheimnisses jemals ganz zu lüften. Einigen wenigen Privilegierten gab man gelegentlich einen kleinen Einblick, und die vielen Zivilisten, die in den Konzentrations- und Arbeitslagern beschäftigt waren, haben ihren Verwandten und Freunden in der Außenwelt sicherlich das eine oder andere erzählt. Aber Deutschlands Gegner sollten niemals greifbare Beweise für die begangenen Verbrechen vorfinden, und es war geplant, all diese Lager zu zerstören und die noch lebenden Insassen zu vernichten, was nur durch den raschen Vormarsch der Alliierten und den chaotischen Zusammenbruch des Naziregimes verhindert wurde. Die Welt hat inzwischen die ganze Tragik dieses Geschehens erfahren. Die Geretteten schilderten ihre Erlebnisse, und die Lager selbst legten Zeugnis ab von den Schrecken, deren stumme Zeugen sie waren. Die Menschen, die als erste diese Lager betraten, werden das Grauen des Anblicks, der sich ihnen dort bot, nie mehr los werden. Im Folgenden wird versucht, die Zustände in einigen dieser Lager und das menschenunwürdige, qualvolle Dasein der Häftlinge zu beschreiben.

Auschwitz

Die etwa 250 Kilometer südwestlich von Warschau gelegene kleine polnische Stadt Auschwitz (O
wic
im) mit ihren 12 000 Einwohnern war bis zum Krieg außerhalb Polens völlig unbekannt. Ihre geografische Lage war äußerst ungünstig. Auf der Sohle eines flachen Beckens gelegen, hatte die von stehenden Gewässern umgebene Stadt ein feuchtes, ungesundes Klima. Es ist daher nicht überraschend, dass dieses nebelige Moorland rund um Auschwitz weiter nicht bewohnt war. Es wurde, wie einmal jemand sagte, »seit tausend Jahren vom Leben gemieden, da der Tod dort auf der Lauer lag«. Hatte der Tod dort tausend Jahre auf der Lauer gelegen, so nicht umsonst, denn hier errichteten die Deutschen das »Konzen­trationslager Auschwitz«, wo zeitweise täglich 10 000 Menschen durch die Gaskammer gingen und nach den eigenen Berechnungen des Kommandanten im Ganzen nicht weniger als drei Millionen auf die eine oder andere Art getötet wurden.
Ein Verbrennungsofen in Buchenwald
Das Haupttor des Konzentrationslagers Auschwitz
Als das Lager erstmalig in Betrieb genommen wurde, umfasste es sechs alte Baracken und eine verfallene Tabakfabrik, doch später wurde es stark erweitert. Am 1. Mai 1940 wurde der SS-Hauptsturmführer Rudolf Franz Ferdinand Höß befördert und von Sachsenhausen, wo er seit 1938 Adjutant des Lagerkommandanten gewesen war, nach Auschwitz versetzt. Dem Lager Auschwitz war eine wichtige Rolle zugedacht, hauptsächlich bei der Niederhaltung der Opposition gegen das Besatzungsregime der Nazis in Polen, das von den Einwohnern dieses unglücklichen Landes nicht gerade freudig hingenommen wurde. So musste man sich nach einem Kommandanten Umsehen, der seine Sache verstand. Höß besaß die notwendigen Eigenschaften, und es dürfte ihm nicht schwergefallen sein, in die engere Wahl zu kommen. Nach der Teilnahme am Ersten Weltkrieg arbeitete er bis 1923 auf Bauernhöfen in Schlesien und Schleswig-Holstein; dann beteiligte er sich an einem Mord, für den er zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Fünf Jahre später wurde er freigelassen und begnadigt, und 1932 trat er in München in die NSDAP ein. Als Führer eines Reitersturms der SS auf einem Bauernhof in Pommern zog er 1933 bei einer Inspektion die Aufmerksamkeit Himmlers auf sich, der ihn auf Grund seiner Erfahrungen und seiner Einstellung für geeignet hielt, einen Verwaltungsposten in einem Konzentrationslager zu erhalten. Von da an war seine Zukunft gesichert. 1934 kam er nach Dachau, wo er seine Laufbahn als Blockführer im Schutzhaftlager begann und mehrere Jahre blieb, bis er 1938 nach Sachsenhausen versetzt wurde.
Im Jahre 1941 inspizierte Himmler Auschwitz und gab Anweisung, das Lager zu erweitern und die umliegenden Sümpfe trockenzulegen. Gleichzeitig wurde in dem benachbarten Birkenau ein neues Lager für 100 000 sowjetische Gefangene eingerichtet. Von da an stieg die Zahl der Häftlinge mit jedem Tag, obgleich die Unterbringungsmöglichkeiten nicht ausreichten. Die ärztliche Betreuung war ungenügend, und Epidemien waren an der Tagesordnung. 1941 traf aus der Slowakei und Oberschlesien der erste Judentransport ein, und von Anfang an wurden alle Arbeitsunfähigen in einem Raum des Krematoriumsgebäudes vergast. Noch im gleichen Jahr wurde Höß nach Berlin beordert, wo ihm Himmler mitteilte, Hitler habe die »Endlösung« der Judenfrage in Europa befohlen. Da die anderen Vernichtungslager in Polen für unzureichend erachtet wurden und nicht vergrößert werden konnten, erhielt Höß den Auftrag, nach Treblinka zu fahren und das dortige Vernichtungsverfahren zu inspizieren.
Auschwitz: Prothesen von Opfern der Gaskammern
Auschwitz: Beine polnischer Frauen, die durch Versuchsoperationen entstellt wurden
Im Frühjahr 1942 besichtigte er Treblinka, und die dort angewandten Methoden erschienen ihm primitiv. Man benutzte kleine Kammern, in die durch Röhren die Auspuffgase von Verbrennungsmotoren geleitet wurden. Diese Verfahren war unzuverlässig, da die Motoren aus alten erbeuteten Transportfahrzeugen und Panzern stammten und oft versagten. Die Termine des Vergasungsprogramms waren daher nicht eingehalten worden, obgleich man nach den Angaben des Kommandanten in den letzten sechs Monaten 80 000 Menschen vergast hatte. Das genügte Himmler, der gerade dabei war, das Warschauer Ghetto zu räumen, nicht.
So wurde man sich einig, dass das Lager von Auschwitz am geeignetsten für diese Zwecke war. Es lag an einem Knotenpunkt vier verschiedener Eisenbahnlinien, und da die Umgebung nicht dicht besiedelt war, konnte es von der Außenwelt völlig abgeschlossen werden. Man gab Höß vier Wochen Zeit zur Ausarbeitung seines Planes und wies ihn an, sich mit SS-Obersturmbannführer Eichmann, einem ziemlich maßgeblichen Beamten im Amt Vier1 des RSHA, in Verbindung zu setzen. Eichmann sollte mit Höß die Entwürfe für das Vernichtungsprogramm bearbeiten.
Die Zahl der Transporte begann zu steigen, und da die zusätzlichen Krematorien nicht vor Jahresende fertig sein konnten, wurden die neueingelieferten Opfer in provisorischen Gaskammern vergast und dann in Gruben verbrannt. Zwei abgelegene alte Bauernhäuser in der Nähe von Birkenau wurden luftdicht gemacht und mit starken Holztüren versehen. Die Transporte wurden auf einem Nebengleis in Birkenau ausgeladen, von wo man die arbeitsfähigen Gefangenen sofort in die Lager von Auschwitz und Birkenau brachte. Alle übrigen wurden vergast; soweit sie gehen konnten, mussten sie zu der einen Kilometer entfernten Vergasungsanlage marschieren. Die Kranken und Gehbehinderten wurden mit Lastautos abtransportiert.
Vor dem Bauernhaus mussten sich die Opfer hinter Lattenverschlägen ausziehen. An der Tür stand »Desinfektionsraum«, sodass die Gefangenen den Eindruck gewannen, sie sollten in dem Gebäude entlaust werden. Waren sie entkleidet, trieb man sie hinein, und zwar je nach der Größe des Transportes immer etwa 250 Menschen auf einmal. Dann wurden die Türen verschlossen, und mit Hilfe eigens hierfür konstruierter Vorrichtungen in den Wänden warf man ein bis zwei Behälter »Zyklon B« hinein. Das Zyklon B, das allgemein für diesen Zweck verwendet wurde, enthielt eine ein­fache Blausäureverbindung. Die Zeit, die zur Tötung der Opfer erforderlich war, variierte je nach den Wetterverhältnissen; gewöhnlich dauerte es bis zu zehn Minuten.
Eine halbe Stunde später öffnete man die Türen, und die Toten wurden durch das dort ständig beschäftigte Häftlingskommando herausgeholt und dann in Gruben verbrannt. Vor ihrer Verbrennung entfernte man die Goldzähne und Ringe. Zwischen die Leichen wurde Brennholz gelegt, und wenn etwa hundert Menschenleiber in der Grube lagen, wurde das Holz durch Lumpen, die man in Paraffin getaucht hatte, zum Brennen gebracht. War das Feuer richtig in Gang gekommen, wurden weitere Leichen daraufgeschichtet. Das Fett, das sich am Boden der Gruben sammelte, wurde bei Regenwetter mit Kübeln in die Flammen geschüttet, damit das Feuer nicht ausging. Man brauchte unter diesen Bedingungen sechs bis sieben Stunden, um eine Grube voll Leichen zu verbrennen, und im Lager war der Geruch des brennenden Fleisches selbst gegen den Wind wahrzunehmen. Waren die Gruben ausgeräumt, wurden die Gebeine zerschlagen. Dies geschah durch Gefangene aus dem Lager: Die Knochen wurden auf einen Zementfußboden gelegt und mit schweren Holzhämmern zerkleinert. Was übrigblieb, wurde mit Lastwagen zur Weichsel gebracht und ins Wasser geworfen.
Diese Schilderung beruht auf einer Erklärung, die Höß selbst im März 1946 abgab. Sie bezieht sich auf das provisorische Verfahren, dessen man sich bediente, solange die neuen Gaskammern noch nicht fertig waren. Im Folgenden werden an Hand der gleichen Quelle die verbesserten Methoden beschrieben, zu denen man überging, nachdem Ende 1942 zwei der vier neuen großen Krematorien fertiggestellt worden waren.
Nun trafen auch die ersten Massentransporte aus Belgien, Frankreich, Holland und Griechenland ein, und ihre Abfertigung ging folgendermaßen vor sich: Der Zug fuhr auf eine eigens hierfür gebaute Rampe, die auf halbem Wege zwischen dem Lagerdepot und dem Lager Birkenau lag. Auf dieser Rampe sortierte man die Gefangenen und schaffte ihr Gepäck fort. Die Arbeitsfähigen kamen in eins der verschiedenen Lager; die zur Vernichtung vorgesehenen Arbeitsunfähigen wurden in eins der neuen Krematorien gebracht. Zunächst führte man die Opfer in einen großen unterirdischen Umkleideraum, der an die Gaskammer grenzte. Dieser Raum war mit Bänken und Kleiderhaken ausgestattet, und den Gefangenen wurde durch Dolmetscher erklärt, sie würden ein Bad nehmen und entlaust werden, und sie sollten sich gut merken, wohin sie ihre Kleider gehängt hätten. Dann führte man sie in einen anderen Raum, der mit Duschen ausgestattet war, um den vorangegangenen Ausführungen der Dolmetscher Glaubwürdigkeit zu verleihen. Durch diese Vorkehrungen wollte man den Ausbruch einer Panik verhüten, und bis zum letzten Augenblick blieben zwei Unterführer bei den Gefangenen, um bei etwaigen Unruhen sofort eingreifen zu können.
Trotzdem wussten die Gefangenen manchmal, was ihnen bevorstand, besonders wenn es sich um Transporte aus Belsen handelte. In Belsen gab es keine Gaskammern, und wenn die Gefangenen aus diesem in Westdeutschland gelegenen Lager viele Kilometer weit in östlicher Richtung fuhren und schließlich in Oberschlesien ankamen, erregte das bei ihnen großen Argwohn. Aus diesem Grunde wurden beim Eintreffen von Transporten aus Belsen die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Um Unruhen zu verhüten, teilte man die Gefangenen in kleinere Gruppen auf und schickte sie in verschiedene Krematorien. SS-Männer bildeten einen starken Kordon und trieben Gefangene, die sich sträubten, gewaltsam in die Gaskammer. Es kam indessen nicht oft zu Unruhen, und die Vorkehrungen, die ergriffen wurden, um die Neuankömmlinge in Sicherheit zu wiegen, waren gewöhnlich erfolgreich. Ein Fall ernster Unruhen wurde von Höß in seiner Erklärung wie folgt beschrieben:
An einen Zwischenfall erinnere ich mich besonders gut. Es war ein Transport aus Belsen eingetroffen, und zwei Drittel davon, hauptsächlich Männer, waren bereits in der Gaskammer, während sich ein Drittel noch im Umkleideraum befand. Als drei oder vier SS-Unterführer den Umkleideraum betraten, um die Gefangenen zu veranlassen, sich mit dem Entkleiden zu beeilen, brach eine Meuterei aus. Die Lichtleitungen wurden heruntergerissen und die SS-Männer überwältigt und entwaffnet; einer von ihnen wurde erstochen. In dem völlig dunklen Raum kam es zu einer wilden Schießerei zwischen dem Posten am Ausgang und den Gefangenen drinnen. Als ich eintraf, ließ ich die Türen ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Einleitung von Moshe Zuckermann
  3. Vorwort zur westdeutschen Ausgabe
  4. Prolog
  5. I Die Instrumente der Hitlertyrannei
  6. II Misshandlung und Ermordung von Kriegsgefangenen
  7. III Kriegsverbrechen auf Hoher See
  8. IV Misshandlung und Ermordung der Zivilbevölkerung im besetzten Gebiet
  9. V Zwangsarbeit
  10. VI Konzentrationslager
  11. VII Die »Endlösung der Judenfrage«
  12. Epilog
  13. Anhang
  14. Namensregister
  15. Anmerkungen