Der Wahrheitsbegriff in Kants Transzendentalphilosophie
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Der Wahrheitsbegriff in Kants Transzendentalphilosophie

Eine Untersuchung zur Kritik der reinen Vernunft

  1. 274 Seiten
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Der Wahrheitsbegriff in Kants Transzendentalphilosophie

Eine Untersuchung zur Kritik der reinen Vernunft

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Die Leitfragen dieser wahrheitstheoretischen Interpretation lauten: Welche Rolle spielt die Wahrheitsfrage in der 'Kritik der reinen Vernunft' generell und in den einzelnen Abteilungen der Untersuchung? Welche Wahrheitskonzeption vertritt Kant, mit welchen Argumenten und welche Kritik konkurrierender philosophischer Positionen ist damit verbunden? Alle Hauptabteilungen der Kritik der reinen Vernunft werden in diesem Lichte erklärt, geprüft und kommentiert. Entgegen der verbreitenden Tendenz, den Wahrheitsbegriff bei der Interpretation der Kritik der reinen Vernunft in den Hintergrund treten zu lassen, wird demonstriert, dass sich deren zentrale Philosopheme in wahrheitstheoretischer Perspektive erschließen. Indem sie die Wahrheitsfrage als Schlüssel zum adäquaten Verständnis der Kritik der reinen Vernunft erweist, eröffnet die Arbeit ein neues Verständnis der Kritik der reinen Vernunft und der kantischen Transzendentalphilosophie. Das zentrale Ergebnis der Arbeit integriert exegetischen und die systematischen Fragestellungen: Es besteht in dem Nachweis, dass Kant in der 'Kritik der reinen Vernunft' durch die immanente Kritik des Erkenntnisvermögens das Widerspruchsprinzip, das transzendentale Prinzip analytischer Urteile, um ein transzendentales Prinzip synthetischer Urteile ergänzt. Dadurch wird die Wahrheitsskepsis sowohl in der rationalistischen als auch in der empiristischen Variante ausgeräumt und die Erkenntnisansprüche reiner Vernunft in ihre Grenzen gesetzt.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783110697919

1 Einleitung

1.1 Thematische Einführung

Der Wahrheitsbegriff steht als ein Fundamentalbegriff der Philosophie seit jeher im Zentrum philosophischer Debatten. Eine folgenschwere Streitfrage ist die nach einem allgemeinen, notwendigen und hinreichenden Kriterium der Wahrheit. Als Vorläufer der pyrrhonischen Skepsis, die ausgehend von Pyrrhon von Elis (ca. 362 v.Chr.–275/70 v. Chr.) bis ins 2. Jhd. diskutiert und ausgearbeitet wurde, hatte Protagoras bereits in der Antike Zweifel an der Erkennbarkeit eines solchen Kriteriums aufkommen lassen. Protagoras’ Homo-mensura-Satz erklärt (in Platons Interpretation) jedes einzelne Subjekt zum Richter über die Wahrheit: „wie ein jedes Ding mir erscheint, ein solches ist es auch mir, und wie es dir erscheint, ein solches ist es wiederum dir. Ein Mensch aber bist du sowohl als ich“ (Platon, Theaitetos 152a).1 Der letzte uns bekannte Vertreter der pyrrhonischen Skepsis, Sextus Empiricus, begreift Protagoras’ Homo-mensura-Satz als Vorform der skeptischen Kritik an der Erkennbarkeit der Wahrheit (M VII.60). Seiner Auffassung zufolge ist die Voraussetzung eines Wahrheitskriteriums aus prinzipiellen rechtfertigungstheoretischen Gründen aufzugeben. Schließlich sei ein Kriterium der Wahrheit, „welches zur Bestätigung der Wirklichkeit oder Unwirklichkeit herangezogen wird“, aufgrund einer methodologischen Aporie unbeweisbar (PH I.21 ff., vgl. PH II.14). Hinsichtlich der Streitfrage, ob es ein Kriterium der Wahrheit gibt oder nicht, besteht nämlich ein Begründungs-Trilemma. Mit welchem Kriterium soll die Streitfrage entschieden werden? Es ergeben sich drei Optionen, die Frage zu beantworten: 1) Wenn der Beweis ein anerkanntes Kriterium heranzieht, dann ist er zirkulär. 2) Wenn die Existenz eines Kriteriums vorausgesetzt wird, ist diese Voraussetzung dogmatisch. 3) Wenn das Kriterium durch ein anderes Kriterium begründet wird, dann ist für dieses Kriterium wieder nach einem Kriterium zu fragen und der Beweis unendlich regressiv. Also ist die Frage nach der Existenz eines Kriteriums nicht zu entscheiden, folgern die pyrrhonischen Skeptiker und enthalten sich eines Urteils darüber, ob es ein Wahrheitskriterium gibt oder nicht (Epoché).
Diese Position begründet die Wahrheitsskepsis, weil sie die Anwendbarkeit des Wahrheitsbegriffs in Zweifel zieht. In der Arbeit werden zwei Arten der Wahrheitsskepsis – eine aus der empiristischen Erkenntnistheorie (WahrheitsskespisE) und eine aus der rationalistischen Theorie (WahrheitsskepsisR) – entwickelt und die KrV daraufhin befragt, wie Kant beide Varianten ausräumt und damit die Wahrheitsskepsis widerlegt.2 Wenn der Ausdruck ‚Wahrheitsskepsis‘ im Haupttext ohne Spezifikation gebraucht wird, sind beide Varianten gemeint.
Auch Kant kritisiert in der KrV den Versuch, ein allgemeines, notwendiges und hinreichendes Kriterium der Wahrheit einer jeden Erkenntnis anzugeben. In der kantischen Variante betrifft das skeptische Begründungsproblem allerdings die Anwendung des Wahrheitskriteriums auf materiale Erkenntnisobjekte. Ein oder mehre logische Kriterien der Wahrheit hält Kant für sehr wohl möglich, sogar für notwendig. Kant zufolge muss nämlich „eine Logik, sofern sie die allgemeinen und notwendigen Regeln des Verstandes vorträgt, eben in diesen Regeln Kriterien der Wahrheit darlegen“ (KrV A 59/B 83 f.). Die Wahrheitskriterien der formalen Logik betreffen nach Kant allerdings nur „die Form der Wahrheit, d. i. des Denkens überhaupt“, weshalb sie zwar notwendige Kriterien der Wahrheit sind, aber keine hinreichenden. Wahrheit versteht Kant nämlich mit der Tradition als „Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande“ (KrV A 58/B 82) und eine Erkenntnis, die der logischen Form völlig gemäß ist, kann immer noch dem Gegenstand widersprechen (vgl. KrV A 59/B 84).
Der Empirismus hält den korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff für nicht erfüllbar (WahrheitsskepsisE) und der Rationalismus begreift ihn auf falsche Weise als erfüllt (WahrheitsskepsisR).3 In der vorliegenden Arbeit wird demonstriert, dass Kant in der KrV die Wahrheitsfähigkeit der menschlichen Erkenntnis durch den apriorischen Ausweis der Wahrheitskriterien synthetischer Urteile gegen diese zwei Arten der Wahrheitsskepsis sichert. Deutlich wird, dass Kant mit der Kritik der reinen Vernunft der Metaphysik eine epistemologische Transzendentalphilosophie vorordnet, die den Satz vom Widerspruch, der in einem zu klärenden Sinn das transzendentale Prinzip analytischer Urteile ist, um ein transzendentales Prinzip synthetischer Urteile ergänzt und damit die Wahrheitsfähigkeit menschlicher Erkenntnis sichert. Derart werden die berechtigten wahrheitstheoretischen Ansprüche und Bedenken von Rationalismus und Empirismus zu einer antiskeptischen Mittelposition ausgelotet. Im Folgenden wird eine epistemologische Interpretation der KrV entwickelt, die die Erklärung, wie Wahrheit möglich ist, als zentrales Anliegen der Selbstkritik des menschlichen Erkenntnisvermögens herausstellt.

1.2 Forschung

1.2.1 Zum Forschungsstand

In der Kantforschung dominiert die Ansicht, in der KrV spiele der Wahrheitsbegriff gar keine oder wenigstens keine gewichtige Rolle. Entsprechend stiefmütterlich wird die Wahrheitsthematik in den Arbeiten zur kantischen Philosophie, auch der KrV, behandelt. Knapp fallen die Kommentare aus und rar sind die Studien, die sich eingehend mit Kants Wahrheitsauffassung beschäftigen. Zwar finden sich hier und dort dezidierte Einschätzungen zu Kants in der KrV vertretenem Wahrheitsbegriff, diese sind allerdings selten Resultat einer systematischen Untersuchung der kantischen Argumentation mit Blick auf die Frage, welchen Beitrag die einzelnen Argumentationsschritte der KrV zur Erklärung der Wahrheit leisten, sondern werden eher en passant ausgesprochen. Ferner ist festzustellen, dass keine Einigkeit darüber herrscht, welchen Wahrheitsbegriff Kant vertritt: Einige vertreten die Auffassung, Kant verstehe Wahrheit korrespondenztheoretisch, andere meinen, sein Wahrheitsbegriff sei kohärenztheoretisch.4
Die beiden deutschsprachigen Monographien, die eine wahrheitstheoretische Perspektive für die Interpretation der KrV wählen, zeugen von der gespaltenen Interpretationslage:5 Thomas Scheffer entwickelt in Kants Kriterium der Wahrheit (Scheffer 1993) eine Interpretation, deren Hauptthese besagt, Kant habe eine mentalistische Variante der Kohärenztheorie der Wahrheit entwickelt. Er vertritt die Auffassung, für Kant sei das kohärente Erleben die generell hinreichende Bedingung, „jedes wahre Urteil“ auszuzeichnen (vgl. Scheffer 1993: 3). Die Erfüllung der in der transzendentalen Logik entwickelten allgemeinen Wahrheitsbedingungen und die hinzutretenden besonderen Bedingungen konkreter Wahrnehmungssituationen müssen Scheffer zufolge nicht selbst noch einmal durch weitere Erkenntnisurteile festgestellt werden, sondern sollen dem Erkenntnissubjekt unmittelbar kriterienlos bewusst sein (vgl. Scheffer 1993: 3). Dagegen ist allerdings einzuwenden, dass es kein bewusstseinsimmanentes Kriterium für das Vorliegen von Standardbedingungen der Wahrnehmung gibt und der empirische Irrtum daher nicht a priori ausgeschlossen werden kann. Die besonderen Wahrheitsbedingungen eines empirischen Urteils sind gerade Bedingungen der Korrespondenz der Vorstellung mit dem vorgestellten Objekt. Daher kann der logische Sinn des Wahrheitsbegriffs als Übereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem Gegenstand nicht ersetzt werden.
Thomas Nenon insistiert in seiner wahrheitstheoretischen Interpretation der KrV in Objektivität und endliche Erkenntnis (Nenon 1986) darauf, dass Kant einen korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff vertritt. Er betont, dass die Bedeutung der Anschauung für Kant feststeht und die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand keinesfalls durch ein anderes Kriterium supplementiert werden kann. In seiner korrespondenztheoretischen Interpretation der KrV forciert er die empirische Wahrheit als Zielpunkt der kantischen Kritik reiner Vernunft und stellt heraus, dass die empirische Wahrheit für Kant Wahrheit schlechthin sei (vgl. Nenon 1986: 66). Die transzendentale Wahrheit interpretiert Nenon als eine Vorbedingung der empirischen Wahrheit, aus der sie ihre „sekundäre“ Gültigkeit ableite (vgl. Nenon 1986: 61). Zu kritisieren ist, dass die fundamentale Bedeutung der thematischen transzendentalen Wahrheit der KrV im Lichte seiner Interpretation nicht erfasst werden kann. Denn diese lässt außer Acht, dass Kant in der KrV das Legitimierungsverhältnis von der in der transzendentalen Analytik thematischen transzendentalen Wahrheit und der empirischen Wahrheit genau umgekehrt beschreibt. Im Gegensatz zu Nenon wird diese Arbeit darlegen, weshalb Kant das Fundierungsverhältnis von transzendentaler und empirischer Wahrheit in dieser Richtung fasst und dies als unabdingbare Notwendigkeit herausstellen, um die Wahrheitsskepsis abzuweisen.
Obwohl Gerold Prauss die Wahrheitsthematik in der KrV bereits im Jahr 1969 mit seinem Aufsatz Zum Wahrheitsproblem bei Kant (Prauss 1969) zur Diskussion gestellt hat, sind Arbeiten, die den Wahrheitsbegriff als Thema der kantischen Transzendentalphilosophie herausstellen, nach wie vor die Ausnahme.6 Neben den erwähnten wahrheitstheoretischen Interpretationen der KrV in Form von Monographien von Scheffer (Scheffer 1993) und Nenon (Nenon 1986) haben im deutschsprachigen Forschungsraum in Form von Aufsätzen Heino Hofmeister (Hofmeister 1972), Manfred Baum (Baum 1983) und, mit besonderem Augenmerk auf die transzendentale Deduktion, Reinhard Hiltscher (Hiltscher 1993) und Wolfgang Ritzel (Ritzel 1981) den Wahrheitsbegriff als Thema der kantischen Transzendentalphilosophie behandelt. Baum stellt in seiner Arbeit zu Kants transzendentaler Beweisführung mit Blick auf die Deduktion der reinen Verstandesbegriffe fest, dass die Frage nach der Möglichkeit einer notwendigen Übereinstimmung der Erkenntniselemente – Anschauung und Begriff – „nichts anderes ist als die Frage nach den Gründen der Gewissheit der Wahrheit unserer Erkenntnis“ (vgl. Baum 1975: 65) und gibt damit das entscheidende Stichwort zu einer wahrheitstheoretisch geleiteten Interpretation der KrV. Hans Wagner hat im Zuge seiner Untersuchung des Verhältnisses von transzendentaler und formaler Logik auf die Novität der synthetischen Wahrheitsbedingungen, die Kant in der KrV entwickelt, hingewiesen, wobei allerdings der Zusammenhang der Wahrheitsbedingungen synthetischer Urteile mit der logischen Erklärung der Wahrheit als Übereinstimmung einer Erkenntnis und ihres Gegenstandes im Dunkeln bleibt (vgl. Wagner 1977: 74). Diesen Zusammenhang aufzuklären, ist ein zentrales systematisches Anliegen dieser Arbeit. Dabei wird sich die dualistische Konzeption des Erkenntnisvermögens, d. h. dass die menschliche Erkenntnis aus einem Zusammenspiel von rezeptiver Sinnlichkeit und spontanem Verstand, denen beiden reine Formen eignen, resultiert als die entscheidende Einsicht Kants in der Fortentwicklung des Wahrheitsverständnisses erweisen.
Auch Henry Allison betont die fundamentale Bedeutung der kantischen Theorie von Raum und Zeit als Formen der menschlichen Anschauung für das epistemologische Programm der KrV (Allison 2006). Er unterstreicht die argumentationssystematisch zentrale Funktion, die Kants Lehre von den reinen Formen der Sinnlichkeit im Zusammenhang mit seiner revolutionären Erklärung spielt, wie der diskursive menschliche Verstand erkenntnisfähig ist. R. Lanier Anderson untersucht die historischen Wurzeln der diskursiven Verstandesauffassung in der zeitgenössischen Schulphilosophie, insbesondere bei Christian Wolff und dessen Schülern (Anderson 2015). Er zeigt, wie Kant in Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Auffassung des diskursiven Verstandes, die die analytische Begriffstheorie mit einer bestimmten, rationalistischen Auffassung von Logik, Erkenntnistheorie und Metaphysik verbindet, Kant die Notwendigkeit einer neuen philosophischen Methodologie vor Augen stellte, die dazu geeignet ist, synthetische – insbesondere (mathematische und) metaphysische – Wahrheiten zu erfassen, d. h. solche, die nicht durch Begriffsanalyse einzusehen sind.
Im Folgenden wird Kants Kritik des Rationalismus (der logische und materiale Wahrheit in einer begriffsanalytischen Wahrheitskonzeption gleichsetzt) und die damit gleichsam als Kehrseite einhergehende Wahrheitsskepsis sowie deren empiristische Gegenstücke nachvollzogen, indem sämtliche Hauptabteilungen der KrV hinsichtlich ihres Beitrags zum Verständnis der nicht bloß logischen, sondern realen Wahrheitsmöglichkeit erörtert werden. Bereits Gudrun Schulz hat auf die Tatsache aufmerksam gemacht, dass mit Kants in der KrV entwickelten Erkenntnistheorie nicht, wie gemeinhin angenommen, eine Reinterpretation des traditionellen korrespondenztheoretischen Wahrheitsverständnisses im Sinne einer Kohärenztheorie der Wahrheit verbunden ist, sondern vielmehr ein Fortschritt im Verständnis des traditionellen Adaequatio-Begriffs der Wahrheit einhergeht (Schulz 1993, bes. 7 – 9, 146 – 53).

1.2.2 Thema und Aufgabenstellung

Prauss hat auf zwei Punkte hingewiesen, die bereits an dieser Stelle erwähnt werden, weil sie hilfreich sind, die Wahrheitsthematik in der Prominenz sichtbar werden zulassen, die ihr im Rahmen einer Kritik der reinen Vernunft zukommt (vgl. Prauss 1969): Kants Einführung der Wahrheitsthematik in den Text der KrV ist mit zwei Schwierigkeiten behaftet, die den Blick auf die Bedeutung der Wahrheitsthematik für die Differenzierung zwischen einer „allgemeinen“ Logik, wie Kant sich ausdrückt – gemeint ist die Disziplin, die wir heute als formale Logik bezeichnen –, und einer transzendentalen Logik verstellen. Die erste Schwierigkeit betrifft die Formulierung, die Kant verwendet, um die Wahrheitsthematik expressis verbis in die KrV einzuführen: Er sagt, die „Namenserklärung der Wahrheit, daß sie nämlich die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande sei, wird hier geschenkt und vorausgesetzt“ (KrV A 58/B 82). Diese ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Danksagung
  5. Zitierweise und Abkürzungen
  6. 1 Einleitung
  7. 2 Die Kritik der reinen Vernunft als neuartige epistemologische Transzendentalphilosophie
  8. 3 Die Nominaldefinition der Wahrheit und die (transzendentale) Logik
  9. 4 Kants dualistische Konzeption des Erkenntnisvermögens
  10. 5 Wahrheit als Korrespondenz von Anschauung und Denken
  11. 6 Schlussbetrachtung
  12. Personenregister
  13. Sachregister