Vielfalt des Religiösen
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Vielfalt des Religiösen

Mittelalterliche Literatur im postsäkularen Kontext

  1. 333 Seiten
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Vielfalt des Religiösen

Mittelalterliche Literatur im postsäkularen Kontext

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Über dieses Buch

Während sich die Forschungsdiskussion zur Vielfalt religiöser Texte des Mittelalters zumeist auf spektakuläre Zuspitzungen und dramatische Überschreitungen konzentrierte, schlagen die Beiträge des Bandes eine andere Perspektive vor. Pluralisierung und Phänomene der Vervielfältigung werden auf ihre grundlegenden Bedingungen hin untersucht, um auch weniger radikale Formen von Vielfalt und allgemeinere Spielräume sichtbar zu machen, in denen vormoderne Texte intra- und interreligiöse Differenz zulassen und bearbeiten. Ausgehend von semantischen, narratologischen, diskurs- und überlieferungs-geschichtlichen Aspekten erkunden die Beiträge die unterschiedlichen Ausrichtungen, Integrationsformen, Bestimmungen und Bewertungen dieser Spielräume. 'Postsäkulare' Perspektiven werden dabei von pluralistischen Gesellschaften der Gegenwart zu der systematischen Frage umgelenkt, in welcher Form religiöse Texte des Mittelalters plurale Differenzen ermöglichten, erzeugten oder verarbeiteten. Ziel des Bandes ist so ein komplementärer Blick auf Spielräume, die nicht nur von markanten Leitdifferenzen, Überschreitungen und Übertragungen geprägt sind, sondern ebenso sehr von feinen Unterschieden leben.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783110711660

Agon – Faszination – Dialog

Religionsgespräche im Willehalm Wolframs von Eschenbach und in der Arabel Ulrichs von dem Türlin
Bent Gebert

I Vielfalt? Zum ambivalenten Zeugniswert mittelalterlicher Religionsgespräche

In postsäkularen Kontexten kommt interreligiösen Dialogen besonderer Stellenwert zu, da sie erlauben, das Selbst- und Fremdverständnis von Gläubigen unter Bedingungen von Verschiedenheit zu artikulieren – „innerhalb der eigenen plural verfassten Tradition ebenso wie gegenüber konkurrierenden religiösen und nicht-religiösen Weltbildern“.1 Oft werden sie daher mit der doppelten Erwartung verbunden, einerseits Fundamentalismus rational zu entschärfen, andererseits aber auch Indifferenz entgegenzutreten, die aus der Optionalisierung von Religion hervorgehen mag.2 Gemessen an diesen Erwartungen fallen Rückblicke auf Religionsgespräche der Vormoderne oft ernüchternd aus. Zum einen, weil die europäische Kontaktgeschichte der Monotheismen im Mittelalter, ungeachtet ihrer Verflechtungen in vielen Räumen, Epochen und Dimensionen, nur höchst ungleichartig auch textlichen Niederschlag gefunden hat: Abgesehen von kritischen Berichten und polemischen Abgrenzungen fanden zwischen Christen und Muslimen kaum „echt[e] Religionsgespräch[e]“ vor dem 12. Jahrhundert statt, schriftliche Diskussionen, die auf islamische Territorien beschränkt blieben, entwarfen eher „Idealbilder“ und „Traumbilder solcher Religionsgespräche“ als interreligiösen Alltag;3 nur wenige offiziell geführte Disputationen christlicher Gelehrter mit bzw. gegen jüdische Vertreter sind aus dem Hochmittelalter belegt, die kaum auf die interreligiöse Dialogpraxis im „Schatten“ von Prozessen schließen lassen.4 Enttäuschend wirken mittelalterliche Religionsgespräche für moderne Erwartungen zum anderen, weil für ihre apologetischen, polemischen oder missionarischen Textpragmatiken kaum Diskursnormen respektvoller „Anerkennung“5 des Anderen und/oder hermeneutisches Interesse an „Verständigung“6 im Vordergrund standen, sondern zumeist performative Abgrenzungs-, Durchsetzungs- und Legitimierungsansprüche,7 die bis zu den interkonfessionellen Religionsgesprächen der Frühen Neuzeit reichen.8 Offenheit und Unabhängigkeit im Verhältnis der Positionen, wie man sie von Dialogen als „wechselseitige[r] Verständigungshandlung“ erwarten mag,9 dokumentieren Religionsgespräche selten. Und dies ist nicht zuletzt auch für Mediävisten oft enttäuschend.10
Das macht ihren Zeugniswert grundsätzlich ambivalent. Einerseits befremden sie durch exklusivistische Züge: Gerade solche Texttypen, die wie Lehrdialoge oder Disputationen ausdrücklich auf verschiedene Glaubens- und Dogmensysteme zu sprechen kommen, entpuppen sich häufig als besonders reduktiv. Wo Vielfalt explizit verhandelt wird, kommt sie besonders selten zur Sprache; wo in mittelalterlichen Texten von Christen, Juden und Heiden die Rede ist, herrschen häufig stereotype Formeln und prästabilisierte Redeordnungen. Andererseits ist ebenso wenig von der Hand zu weisen, dass Religionsgespräche faktisch Textsorten diskursiver Aushandlung sind: Sie leben von Argumentationen vergleichender, prüfender und erörternder Rede, die religiöse Vielfalt inklusiv zur Sprache bringt und Verschiedenheit behauptet – wie immer geschlossen, asymmetrisch oder hegemonial diese Spielräume exekutiert werden.11 In diesem Licht erscheinen Religionsgespräche des Mittelalters als paradoxe Diskurse: als Verhandlungen, die mit bemerkenswertem rationalem und artifiziellem Aufwand gleichwohl wenig zu verhandeln geben.12 Mit Burkhard Hasebrink und Peter Strohschneider kann man diese Spannung schon in der Vormoderne als postsäkulares Paradox begreifen: Mittelalterliche Religionsgespräche verhandeln „konkurrierend[e] Formen von Religion“ im Plural, ohne die „Wirklichkeitsmächtigkeit“ von Religion im Singular preiszugeben.13 Welcher Art dieser Plural jedoch ist, wirft für die moderne Forschung erhebliche Schwierigkeiten auf. Mit welchen Kategorien sind vormoderne Texte angemessen zu beschreiben, die „vielstimmige[s] Sprechen“ über Religionen inszenieren, während sie gleichzeitig „die Einheit der Religion als höchstes Ideal“ der Argumentation beschwören?14 Solchen Beschreibungsschwierigkeiten entkommt man kaum durch normative Abgrenzungen (etwa von einseitigem Selbstgespräch und wechselseitigem, offenem ‚Dialog‘15) oder durch Modernisierungsmodelle, die mittelalterliche Religionsgespräche als halbdunkle Vorgeschichten der Toleranz avant la lettre eher hinter sich lassen.16 Nicht nur in historischer sondern auch in systematischer Hinsicht lassen gängig gewordene Strukturmodelle von Einschluss, Ausschluss und Pluralismus der Religionen die Frage offen, wie und was mit einem Archiv von Texten anzufangen ist, die sich nicht umstandslos solchen Strukturalternativen zurechnen lassen, da sie Ausschlüsse mittels inklusiver Diskursverfahren durchsetzen, Alternativen in sich einschließen oder, bilanzierend gesagt, kaum positive Konzepte von freigestellter Diversität artikulieren. Mittelalterliche Religionsgespräche kommen in pluralistischen Entwürfen christlicher Theologie daher selten zur Sprache – oder vorsichtiger: Nur in Ausnahmefällen werden sie programmatisch in Anspruch genommen.
Gerade diese Schwierigkeit, Vielfalt in vormodernen Religionsgesprächen diesseits einfacher Programmformeln genauer zu bestimmen, scheint mir von besonderem Aufschlusswert, der nicht einfach diskurstheoretisch durch Normen der Anerkennung und Verständigung auszublenden ist. Denn sie betrifft nicht zuletzt auch die Erkenntnischancen mediävistischer Literaturwissenschaft, die sich ebenfalls in postsäkularem Zwiespalt bewegt, sobald sie explizite Diskussionen von religiöser Vielfalt in den Blick nimmt, jedoch besondere Aufmerksamkeit den textuellen Verfahren und Einbettungen von Religionsgesprächen zuwendet. Zu den prominentesten Fällen in diesem Schnittpunkt gehört für die germanistische Mediävistik der Willehalm Wolframs von Eschenbach, der die Frage nach religiösen Optionen janusköpfig beantwortet. Gründet die Erzählung vom Rache- und Missionskrieg auf dem Schlachtfeld von Alischanz in gattungs- und stoffbedingter Asymmetrie von Christen und Heiden, so überlagert Wolfram die negative Axiologie der Kreuzzugsepik17 mit Figurenbeziehungen symmetrischer Anerkennung, welche die adligen Konfliktgruppen verbinden:
er entwirft ein Bild des ‚edlen‘ Heiden, des heidnischen Minneritters, der in seinem Ethos gleichwertig neben dem christlichen Streiter stehen kann […], auch wenn die grundsätzliche Ungleichheit zwischen Christen und Heiden nicht aufzuheben ist.18
Solcher Ungleichheit stülpen zwei interreligiöse Gesprächsszenen einen Schonungsdiskurs über, mit dem die Markgräfin Gyburc ihren muslimischen Vater bzw. die christlichen Fürsten konfrontiert. Im Namen allgemeiner Menschen- und Gottesliebe, begründet durch universale Geschöpflichkeit und Taufbedürftigkeit,19 tritt die zum Christentum konvertierte muslimische Königin wortmächtig dafür ein, die Gewalt zu moderieren. Der Eindruck eines ‚übergestülpten‘ Diskurses entsteht jedoch nicht zuletzt dadurch, dass diese Religionsgespräche für die Romanhandlung und ihre semantischen Asymmetrien nahezu folgenlos bleiben; die vielbewunderte „große Rede“ Gyburcs verpufft in ihren theologischen Dimensionen, was aus ihr lehrhaft herausspricht, wird im Roman erst spät und nur eingeschränkt handlungsrelevant.20 Diskursiv bleiben ihre Interventionen unmittelbar folgenlos: Während Gyburcs muslimischer Vater unbeeindruckt von christlichem Trinitätsdogma und Passionsgeschichte seine Drohungen gegen die Tochter schleudert (222,2),21 wenden sich die französischen Fürsten nach dem Plädoyer einfach zum Essen (311,6–9).
Im Hinblick auf den Gesamttext ist somit das Ergebnis ein Nebeneinander von asymmetrischen und symmetrischen Relationen, von aggressiver Differenz und Vermittlungsangeboten. Eine Crux der Willehalm-Interpretation scheint somit nicht bloß in der Abwägung zu liegen, inwiefern Wolfram exklusivistischer oder inklusivistischer Vielfalt des Religiösen zuneigt, sondern dass das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen mit drastisch wechselnder Komplexität erzählt wird.22 Ausgehend von Wolframs Erzählerkommentaren beschrieb Christian Kiening den „dynamischen Erzählprozeß“ des Willehalm daher als „Widerstimmigkeit“, die sowohl Ausgrenzungslogiken der Kreuzzugsepik als auch programmatische Anerkennung vielfach durchbreche und problematisiere.23 Sie entfaltet sich über verschiedene Ebenen von Erzählung und Erzählen und ruft unterschiedliche Redetypen narrativer oder diskursiver Art auf: Während die Asymmetrien des Heidenkrieges mit genealogischer Zusammengehörigkeit, zivilisatorischer Ähnlichkeit und anthropologischer Identität überblendet werden, suchen die Gesprächsepisoden dieses komplizierte Verhältnis von Nähe und Distanz zu reduzieren – zu verdichteten Plädoyers, die sich als interreligiöse Positionen herausgreifen und als Programmstellen leicht zitieren lassen. Entsprechend schwankten auch die Zugriffe der Forschung zwischen Einzelepisoden und Massenschlacht, zwischen besprochenen Themen und Darstellung. Während etwa Religionswissenschaft und Ideengeschichte den theologischen Argumenten der „großen Rede“ besonderes Interesse entgegenbrachten,24 hoben Textanalysen in jüngerer Zeit vor allem Wolframs poetische Reflexionsverfahren hervor, die mit narrativen, semantischen und anderen Verknüpfungsmitteln über die expliziten Positionen vermeintlicher Toleranzreden weit hinausgehen.25 Versucht man beides aufeinander zu beziehen, verschärfen sich allerdings Diskrepanzen zwischen Themen und Darstellung. Angesichts der Massaker der Schlacht verklingen Gyburcs Schonungsgebote als Stimme einer anthropologischen Utopie, die letztlich fragmentarisch abbricht,26 aber schon innerhalb der Erzählung deutliche Grenzen findet.27
Freilich hat es nicht an Vorschlägen gefehlt, diese Spannung zu plausibilisieren. Sie könnte in diskursgeschichtlicher Hinsicht als Ergebnis literarischer Montage zu betrachten sein, die – auch über den Willehalm hinaus – Zerrbilder des Islam (Polytheismus, Götzenanbetung, Unehrenhaftigkeit, Weltherrschaftsansprüche) mit Leitnormen höfischer Kultur (Minne und Erziehung) und Diskurselementen religiöser Anthropologie (Ge...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Mittelalterliche Literatur im postsäkularen Kontext Einleitende Überlegungen zur Vielfalt religiöser Texte
  5. Eintauchen und Einverleiben Die Andachtsübung Wirtschaft des Leidens Christi aus dem Straßburger Dominikanerinnenkloster St. Nikolaus in undis
  6. Vielstimmigkeit in geistlichen Liedern?
  7. entmenschen, entwerden, entsinken Zu einer Morphologie der Mystik am Beispiel von Heinrich Seuses Buch der Wahrheit
  8. textus/text im religiösen Diskurs Beobachtungen zur semantischen Vielfalt der Wortverwendung
  9. Evangelien-Perikopen in Vers und Prosa Die Berliner Handschrift mgq 533 als Zeugnis der Pluralität von Frömmigkeitspraktiken
  10. Zwischen Norm und Freiheit Religiöse Praktiken im Mittelalter. Ein Essay
  11. Religiöse Ambiguitätstoleranz in Wolframs Parzival als Reflex jüdisch-islamischen Wissens
  12. Gott als Figur Zur narratologischen Vielfalt des Religiösen in Gottfrieds Tristan
  13. Christus der Fiedler Interdiskursive Verschränkungen im Günterstaler Antiphonar und in Christus und die minnende Seele
  14. Zeitsemantiken im religiösen Kontext  Das Beispiel der Palästinareisebeschreibungen (Mandeville, Breydenbach)
  15. Die religiöse Intelligenz der Trickster Eine vormoderne Denkfigur an der Schwelle von Weltwissen und Transzendenz
  16. Agon – Faszination – Dialog Religionsgespräche im Willehalm Wolframs von Eschenbach und in der Arabel Ulrichs von dem Türlin
  17. Die Dame und der liebe Gott Von der Vielfalt des Religiösen im Mittelalter