DAS PFARRAMT IM SPANNUNGSFELD POLITISCHER UND ETHISCHER ENTSCHEIDUNGEN
Ein Blick in die bayerische Kirchengeschichte und ihre
Diskussion um Friede und Homosexualität.
Sabine Behrendt
HINFÜHRUNG
»Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben.« Damit stellt die Barmer Theologische Erklärung von 1934 in ihrer zweiten These jeden Christen1 hinein in die ethischen Fragestellungen aller Bereiche des Lebens.
Blickt man zurück auf die vergangenen Jahrzehnte der Kirchengeschichte, war hier nicht nur die universitäre Theologie gefordert. Insbesondere das Pfarramt2 als Ort der Wortverkündigung, der Sakramentsverwaltung, der Unterweisung und der Seelsorge stand immer wieder und auf unterschiedliche Weise im Spannungsfeld politischer und ethischer Entscheidungen. Dabei ist nicht zu übersehen, wie weitreichend die Diskussionen teilweise gingen, wie emotional sie geführt wurden und wie ungelöst manche theologischen Problemstellungen blieben. Dies wird am Beispiel der sozialethischen Friedensthematik und der individualethischen Fragestellung von Homosexualität und Kirche gut sichtbar.
Im Folgenden sollen sie in der Rückschau bis zum Beginn der 1970er noch einmal ein wenig aufleben.3 Nach einer kurzen ethisch-theologischen Einordnung werden kirchliche Zeitzeugen zu Wort kommen.4 Den Kontext bildet insbesondere die Situation in Bayern. Die einzelnen Aspekte der beiden Themen sowie die historischen Zusammenhänge werden teilweise chronologisch nacheinander, andere wiederum auch parallel geschildert. Das Spannungsfeld politischer und ethischer Entscheidungen, in dem das Pfarramt durch die Jahrzehnte hindurch stand, soll möglichst in seiner Vielfalt aufscheinen.
FRIEDEN
Begriffsmerkmale und ethisch-theologische Bezugspunkte
»Gnade sei mit Euch und Friede.«, so grüßt der Apostel Paulus immer wieder die Empfänger seiner zahlreichen Briefe.5 Bis heute haben diese Worte nichts an Aktualität verloren, sondern der Wunsch auf ein weltweit friedliches Miteinander ist ungebrochen. In zahlreichen Texten, Liedern und Bildern wird die Sehnsucht nach Frieden zum Ausdruck gebracht, in dem menschliche Wärme, gerechte Lebensumstände und ökologische Verantwortung Realität sind.6
Wie daran deutlich wird, eignet Frieden zum einen stets ein »Moment der Ganzheit und Unversehrtheit«.7 Eine negative Definition von Frieden als reine Abwesenheit von Gewalt oder Krieg würde also zu kurz greifen. Vielmehr zielt Friede sowohl auf die Existenzsicherung eines Menschen als auch auf die Entfaltung seiner Existenz ab. Dies spiegelt sich nicht nur in der ethymologischen Herkunft des deutschen Begriffs wieder,8 sondern bereits im weitreichenden alttestamentlichen Begriff shalom.9 Zum Frieden gehören neben der Vermeidung von Gewalt auch soziale Gerechtigkeit, Linderung von Not oder Ermöglichung von Freiheit. Deshalb ist der Begriff des Friedens stets in seiner inhaltlichen Mehrdimensionalität im Blick zu behalten.
Die dauerhafte Sehnsucht nach Friede macht zudem deutlich, dass er weder als machbarer Zustand noch als Selbstverständlichkeit erachtet werden kann. Im gottesdienstlichen Geschehen wird dies von alter Tradition her jedes Mal aufs Neue deutlich. Dementsprechend ist Friede ausschließlich als dauerhafter Prozess zu verstehen. Ihn »zu wahren, zu fördern und zu erneuern, ist eine immerwährende Aufgabe.«10
Diese gehört zu einer christlichen Weltverantwortung unabdingbar dazu, gründet sie doch theologisch in der von Gott in Jesus Christus gewirkten Versöhnung.11 Damit ist Friede Ausdruck des Rechtfertigungsgeschehens Gottes in Christus. Er kommt eschatologisch im Reich Gottes zum Ziel, wo »Gerechtigkeit und Friede sich küssen«.12 Die Aufgabe der Kirche und aller Christen besteht darin, in ihrer Verkündigung und ihrem Handeln Zeugnis von diesem Friedenswillen Gottes zu geben und als Friedensstifter in der Welt zu wirken.13
Konkret wird diese Forderung in der Bergpredigt Jesu ausgesprochen, insbesondere in der Seligpreisung der Friedfertigen sowie seinen Worten über Vergeltung und Feindesliebe.14 Allerdings gehen die theologischen Meinungen, was die Erfüllbarkeit dieser Forderungen angeht, deutlich auseinander. »Nicht nur Bismarck hat die Frage, ob man mit der Bergpredigt die Welt regieren könne, verneinen müssen.«15 Mit solchen und ähnlichen Aussage wird die Erfüllbarkeit der Bergpredigt im Hier und Jetzt vielfach bestritten. An ihre Stelle treten andere Interpretationen. So verstehen manche Theologen die Bergpredigt als gesinnungsethische Aufgabe oder legen sie im Sinne einer Interimsethik bis zur eschatologischen Wiederkehr Christi aus. Andere sehen in ihr lediglich einen »Spiegel der Sündenverfallenheit der Menschheit.«16 Hieran wird deutlich, dass die Frage nach der Erfüllbarkeit der Bergpredigt in einer friedensethischen Diskussion zu ganz verschiedenen Positionen führen kann, die in ihrer Unterschiedlichkeit ausgehalten werden müssen.
Ähnlich verhält es sich mit der Lesart des fünften Gebots. Die Frage, in welchem Sinn seine Forderung zu verstehen sei, lässt sich auf mehrfache Weise beantworten. Die Aussagen reichen von einem strikten Gewaltverzicht, der sogar jede Form von tätlicher Notwehr ausschließt, bis hin zu einem komplementären Verständnis. Demnach gilt die »Forderung ‚Du sollst nicht töten’ (…) für den einzelnen Bürger wie für die Staatsmacht als ganzes. Sie schließt den Anspruch ein, auch nicht zuzulassen, daß getötet wird«,17 und dies notfalls mit Gewalt durchzusetzen.
All diese Überlegungen sind seit der Antike Teil der Theorie vom »gerechten Krieg« (bellum iustum). Diese im Deutehorizont des traditionellen Naturrechts entwickelte Lehre fand nicht zuletzt durch Augustin und Thomas von Aquin Eingang in die kirchliche Tradition. Es geht darin um die Suche nach Legitimitätsgründen für gewalttätige Auseinandersetzungen (von Staaten) und die zentrale Frage, ob Krieg zur Wiederherstellung von Frieden diene. So wurde sowohl für das Recht zum Krieg (ius ad bellum) als auch das Recht im Krieg (ius in bello) im Laufe der Zeit ein Kriterienkatalog erarbeitet.18 In der jüngeren Geschichte ab 1945 wurde die Lehre vom gerechten Krieg in der theologischen Diskussion verstärkt in Zweifel gezogen und abgelehnt.
Ob Krieg und Gewalt allerdings das letzte Mittel (ultima ratio) bleiben, nach welchen Kriterien gege...