Reden der Unterweisung
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Reden der Unterweisung

  1. 180 Seiten
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Meister Eckhart († 1328) ist die Zentralgestalt der oberrheinischen Mystik. In dem hier in neuhochdeutscher Übersetzung vorliegenden Traktat sind Überlegungen aus seiner Zeit als Prior des Erfurter Dominikanerklosters im ausgehenden 13. Jahrhundert zusammengestellt. Sie zeigen ihn weniger als spekulativen Philosophen denn als geistlichen Begleiter, der auf Anliegen und Fragen seiner Brüder einging. So behandelt Eckhart in der Perspektive mystisch-innerlicher Frömmigkeit Fragen der mönchischen und gemeinchristlichen Praxis, berührt die Sünde des Menschen ebenso wie die Frage der Nachfolge Christi und des Sakramentenempfangs. Die Erläuterungen erschließen dieses Handbuch christlicher Lebensführung in seinen historischen Dimensionen wie in seiner Bedeutung für ein gegenwärtiges Verständnis des Christlichen.[Meister Eckhart. Counsels on Discernment]Meister Eckhart († 1328) was the central figure within the so called Rhenish mysticism. When he served as the prior of the Dominican monastery at Erfurt in the late thirteenth century, he wrote the treatise presented here in modern German. Here, we find him more as a spiritual counselor than as a speculative philosopher who answers to questions and problems raised by his brothers. Against a background of mystical interior piety, he traces the issues of monastic as well as average Christian behavior. He speaks about human sinfulness as well as about imitation of Christ and the communion in the Lord's Supper. The commentaries reveal the historical context of the treatise as well as its impact on our days as a handbook of Christian life.

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Information

B
Erläuterungen

1. Meister Eckhart: Theologe, Mystiker, Philosoph

1.1 Bilder von Meister Eckhart

Meister Eckhart – wie wenige andere Denker des Mittelalters muss dieser dominikanische Prediger bis heute für Projektionen herhalten. Als Mystiker, der die eigene Spiritualität spiegeln soll auf der einen, als scharfsinniger Philosoph, der Grundgedanken des deutschen Idealismus vorweggenommen hat, auf der anderen Seite. Sein komplexes Werk machte ihn gegen Vereinnahmungen wehrlos, der Geschichte seines Vergessens bis ins 19. Jahrhundert folgte eine Geschichte der Aneignung. In ihr spiegelt sich die Schwierigkeit, mit den Eigenarten seiner Theologie umzugehen.
Diese Schwierigkeit spürten schon seine Zeitgenossen. Der postumen Verurteilung im Jahre 1329 gingen ein langer Streit und zähe Auseinandersetzungen voraus, ein Prozess, der als Musterbeispiel an Akribie gelten könnte und doch zeigt, wie wenig seine Gegner tatsächlich von Eckhart verstanden, selbst die, die mit ihm in Avignon auf der Anklagebank saßen: Wilhelm von Ockham († 1347), der brillante franziskanische Gelehrte aus England, berichtete Jahre später, er habe dort, während er auf seinen Prozess wartete, einen Deutschen namens Eckhart getroffen, dessen Ansichten vielleicht nicht unbedingt häretisch gewesen seien, sondern vor allem verrückt. So musste offenbar jemand erscheinen, der über die Grenzen des Menschen und über deren Überschreitung nachdachte.
Die Verurteilung zog jenes lange Vergessen nach sich: Auch wenn Eckhart nicht als Person Gegenstand des Prozesses war, sondern die päpstliche Kommission nur einzelne seiner Sätze in unterschiedlichen Graden beanstandet hatte, war es in der Folgezeit nicht unproblematisch, seine Texte abzuschreiben. Ohnehin war es üblich, dass Predigten ohne Autornamen oder auch mit falschem Autorennamen tradiert wurden. Das geschah erst recht mit Eckharts Ansprachen. Vor allem unter dem Namen seines weniger anstößigen geistigen Erben Johannes Tauler († 1361) fanden manche der Predigten Schutz, bis dahin, dass sie in die frühneuzeitlichen Druckausgaben Taulers einwanderten und so auch Martin Luther (1483–1546), ohne es zu wissen, Eckhart-Predigten in die Hände bekam.
Eckhart im Schatten Taulers – diese Konstellation bestimmte auch die folgenden Jahrhunderte, bis der Berliner Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) über den katholischen Gelehrten Franz von Baader (1765–1841) Kenntnis von Eckhart erhielt. Damit begann eine allmähliche Wiederentdeckung im Horizont der idealistischen Philosophie und Theologie. Die Aufnahme Hegels durch die sogenannte Tübinger theologische Schule führte im 19. Jahrhundert auch dazu, dass Meister Eckhart ein wichtiger Platz in der Dogmengeschichte zugewiesen wurde, als eine Art Vorläufer Martin Luthers. Der Münchener evangelische Theologe Wilhelm Preger (1827–1896) schließlich stellte in seiner großen Geschichte der Mystik Eckhart als denjenigen dar, der das Prinzip des Geistes als Träger aller Dinge entdeckt und entwickelt habe – das System Hegels hatte so sein Vorbild in dem mittelalterlichen Denker.
Was hier als besondere Stärke gesehen wurde, rief rasch katholische Kritik hervor: Der gleichfalls in München ansässige katholische Religionsphilosoph Joseph von Bach (1833–1901) versuchte in seiner Darstellung Meister Eckharts als „Vater der deutschen Speculation“ die genuinen mittelalterlichen Wurzeln Eckharts herauszustreichen – und ihn gerade darin als adäquaten Gesprächspartner seiner Gegenwart zu entdecken. Solche Debatten fanden auf einer äußerst schmalen Materialgrundlage statt: Franz Pfeiffer (1815–1868), der in der germanistischen Fachwelt eher am Rande stand, hatte 1857 in einer Sammlung von mystischen Texten auch eine Ausgabe der Werke Eckharts veröffentlicht, die zwar einerseits reichlich Texte bereitstellte, andererseits aber für Lesartenvarianten und die entsprechende kritische Rekonstruktion keine ausreichende Basis bot. Überdies war das lateinische Werk Meister Eckharts noch gar nicht bekannt, ja, manche bestritten sogar, dass er je ein solches verfasst habe. So war es geradezu ein Triumph für den Dominikaner Heinrich Suso Denifle (1844–1905), als er lateinische Werke Eckharts präsentieren und zugleich nachweisen konnte, dass Eckharts scholastische Leistungen weit hinter denen des Thomas von Aquin († 1274) zurückstanden.
Philosophische wie konfessionelle Beschäftigung mit Meister Eckhart fand in einem Horizont statt, in welchem das Phänomen, hier einem deutschsprachigen Denker des Mittelalters zu begegnen, immer mehr zu nationalen Vereinnahmungen führte. Die Bezeichnung „Deutsche Mystik“, die der Hegel-Schüler Karl Rosenkranz (1805–1879) 1831 für die Gruppe aus Eckhart, Tauler und Heinrich Seuse († 1366) einführte, drückt eine erste völkertypologische Annäherung aus. Heute ist sie längst durch andere Begriffe ersetzt, unter denen der griffigste wohl die Rede von der „oberrheinischen Mystik“ ist. Seinerzeit aber prägten die nationalen Chiffren auch die neuhochdeutsche Ausgabe der Werke Meister Eckharts, die Hermann Büttner 1903 herausbrachte. Ihm ging es dabei nicht um eine philologisch adäquate Übersetzung der mittelhochdeutschen Texte, sondern um eine durch Kommentierungen und Zusätze angereicherte Wiedergabe, die der Gegenwart eine eigene Form vermeintlich germanisch gefärbter Religiosität nahebringen sollte.
Diese Textausgabe bereitete die schlimmste Vereinnahmung Meister Eckharts vor: Alfred Rosenberg (1893–1946) knüpfte an Büttner an und trieb ihn ins Grundsätzliche weiter, um Meister Eckhart in seinem „Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts“ 1930 zu einem Künder der nationalsozialistischen Ideologie zu machen, als deren Propagator Rosenberg selbst auftrat. Der dominikanische Prediger sollte so eine nachchristliche nationalistische Religiosität unterstützen. Diese ideologische Inanspruchnahme hatte weitreichende Folgen bis in die Wissenschaftspolitik des Dritten Reiches hinein: Raymond Klibansky (1905–2005), der mit Aufgaben einer wissenschaftlichen Eckhart-Ausgabe betraut war, wurde 1933 als Jude aus Deutschland vertrieben und konnte seine Tätigkeit nur von England aus fortsetzen. Nach und nach wurde seine Edition aber von der großen Werkausgabe beiseite gedrängt, die von einer durch die Notgemeinschaft deutscher Wissenschaft konstituierten Kommission unter Leitung des deutschchristlich orientierten Theologen Erich Seeberg (1888–1945) konzipiert wurde. Auch sonst suchten deutschchristliche Theologen über Meister Eckhart als Brücke eine Verbindung mit der nationalsozialistischen Ideologie und diskreditierten so dessen Person wie die Thematik der Mystik insgesamt auf lange Zeit für den Protestantismus nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Eckhart-Philologie allerdings schritt fort. Josef Quint und Josef Koch leisteten wichtige Beiträge für die Erschließung seiner Werke. Dabei wirkte die schwierige Überlieferungslage des Mittelalters nach, die bis heute die Eckhartforschung beschäftigt: Seine Predigten müssen erst als solche identifiziert werden, wobei eine Zuweisung an Eckhart vielfach von Hypothesen abhängig bleibt und eine Datierung allenfalls ungefähr möglich ist. Den ersten Anhaltspunkt für eine Zuweisung an Eckhart bildeten für die wissenschaftliche Edition die gegen ihn vorgebrachten Anklagen. Wo man ein Zitat aus der Anklage in einer Predigt identifizieren konnte, galt diese als authentisch. Die Authentizität weiterer Predigten wurde danach beurteilt, ob sie dieser als sicher festgestellten Gruppe entsprachen. Das gab in der Tat Sicherheit, prägte allerdings auch das Bild Eckharts für die Gegenwart: Sind Maßstab für originalen Eckhart-Ton zunächst die in seiner Zeit als häretisch geltenden Predigten, so tritt sein Bild als Neuerer, vielleicht sogar als Kritiker christlicher Dogmatik in den Vordergrund.
Das inspirierte und bestätigte Wahrnehmungen Eckharts unter Philosophiehistorikern, die – neben den Germanisten – die Eckhart-Forschung der letzten Jahrzehnte bestimmt haben. Insbesondere Kurt Flasch entdeckte die Einbindung Eckharts in intellekt-theoretische Debatten seiner Zeit und stellte diese so sehr in den Mittelpunkt, dass die Rolle Meister Eckharts als Mystiker und Theologe weitgehend in den Hintergrund trat. Letztlich wird man aber seiner Stellung in seiner Zeit wohl nur gerecht, wenn man auch diese Aspekte umfassend in den Blick nimmt, denn seine Biographie zeigt eben dies: die tiefe Einbindung in die religiöse Welt des 14. Jahrhunderts.

1.2Spuren eines Lebens zwischen Erfurt, Straßburg und Paris

Lange war nicht ganz klar, aus welchem Ort Meister Eckhart stammte – zeitgenössisch wurde er als „de Hochheim“ bezeichnet, was wohl darauf verweist, dass er auf dem Familiensitz von Hochheim in Tambach, dem heutigen Tambach-Dietharz nahe Gotha, geboren wurde. Wie meist bei mittelalterlichen Personen, kennt man sein Geburtsjahr nicht, sondern muss es aus den weiteren Stationen seiner Biographie erschließen: Ostern 1294 ist Eckhart in Paris als lector sententiarum bezeugt. Das heißt, er hielt seine Vorlesung über die Sentenzen des Petrus Lombardus († 1160). Dieses Werk war das wichtigste Lehrbuch der mittelalterlichen Theologie. Der Lombarde hatte darin, gegliedert nach vier Büchern, Aussprüche – Sentenzen – der Kirchenväter gesammelt, um deren systematische Behandlung zu ermöglichen. Seit dem Aufkommen der Universitäten, für die Theologie besonders wichtig in Paris, war es üblich geworden, dass junge Theologen in der Auslegung dieser Sammlung ihre ersten eigenständigen wissenschaftlichen Schritte taten. In Paris galt hierfür ein Mindestalter von 33 Jahren. Da die Vorlesung spätestens im Herbst des Vorjahres begonnen hatte, dürfte Meister Eckhart 1260 oder etwas früher geboren sein.
Er trat wohl als Jugendlicher in das Dominikanerkloster Erfurt ein. Hier muss er den Bau der Kirche seines Ordens miterlebt haben, der etwa 1270 begonnen worden war und bis 1370 andauerte. 12 73 war der Ostchor schon überdacht worden, so dass Eckhart den Gottesdienst in einem weit entwickelten Provisorium erlebte. Hier, in Erfurt, dürfte er seine erste grundlegende Ausbildung erfahren haben, die ihn auch befähigte, in Paris, an der angesehensten Universität Europas, seine Studien fortzusetzen. Der erste Weg führte ihn allerdings möglicherweise nicht dorthin, sondern nach Köln. Das wäre jedenfalls die übliche Stufe für junge begabte An gehörige der dominikanischen Ordensprovinz Teutonia gewesen. Nur wenige Ausgewählte durften unmittelbar für ihr artes-Studium, also die Grundausbildung in Philosophie, nach Paris gehen. Dass Eckhart von dieser Möglichkeit profitierte, ist nicht auszuschließen, aber wenig wahrscheinlich. Sicher ist nur die erwähnte Sentenzenvorlesung, die eine entscheidende Etappe seiner Theologieausbildung in Paris markierte. Nach Vorlesungsende am Fest Petri und Pauli, dem 29. Juni 1294, kehrte er in seinen Konvent in Erfurt heim. Die Reise dürfte etwa vier bis sechs Wochen gedauert haben, so dass er im Hochsommer dort ankam. Hier nun verfasste er die „Reden der Unterweisung“ – sie sind nicht sein erstes deutschsprachiges Werk, aber doch eines seiner frühesten. Dass er hier – allerdings in einer, in ihrer Herkunft nicht ganz gesicherten Vorbemerkung – als „Vikar von Thüringen und Prior des Dominikanerkonvents in Erfurt“ eingeführt wird (s. o. S. 11), verweist darauf, dass er einerseits unmittelbar dem Konvent vorstand, andererseits auch schon eine überregionale Aufgabe für den Orden wahrnahm, nämlich die Leitung des Ordensdistrikts Thüringen (natio Thuringia) in Stellvertretung des Provinzials. Zu dieser Zeit war das Dietrich von Freiberg († nach 1310), selbst einer der größten Gelehrten seiner Zeit und nach einigen Deutern von großem intellektuellen Einfluss auf Eckhart. Vermutlich hat sich Eckhart ab 1298 innerhalb des Ordens ganz auf die Tätigkeit als Vikar konzentriert, da ein neuer Beschluss die Kombination beider Ämter verbot.
Man kann es als Ausdruck der vielfältigen Begabungen Eckharts oder der dünnen Personaldecke der Dominikaner sehen, dass der vielbeschäftigte Ordensorganisator 1302 für akademische Aufgaben nach Paris geschickt wurde: Ein Jahr lang sollte er als magister actu regens, also Inhaber eines Lehrstuhls, in Paris lehren – die Position, die er innehatte, war die für nichtfranzösische Dominikaner vorgesehene Professur; von seiner Rolle als magister rührt übrigens, eindeutschend, die Bezeichnung Eckharts als „Meister“ her. Seine „Pariser Quaestiones“ aus dieser Zeit legen Zeugnis von der dichten Verflechtung in die Debatten an der Universität und Eckharts Bemühen, neue Wege zu beschreiten, ab.
Die Rückkehr aus Paris führte nicht etwa in ein beschauliches klösterliches Dasein – an Pfingsten 1303 wurde die Teutonia geteilt und eine neue Ordensprovinz, die Saxonia, gegründet. Deren Provinzial wurde Eckhart nun und bewährte sich so sehr, dass ihm 1310 die ältere und bedeutendere Provinz, die Teutonia, ihr Provinzialat antrug. Wiederum ahnt man etwas von den Mühen der Dominikaner, Führungspersonal zu finden, denn ein solches Abwerben des Leiters der Nachbarprovinz war mehr als ungewöhnlich – entsprechend hat das Generalkapitel des Ordens im folgenden Jahr diese Entscheidung nicht umgesetzt.
Die hieraus resultierende schwierige rechtliche Lage wurde dadurch gelöst, dass Eckhart vorerst wieder aus den Ordenszusammenhängen herausgenommen wurde. Dies geschah, indem ihm eine außerordentliche Ehre zuteil wurde: Ein zweites Mal wies der Orden ihm den erwähnten Pariser Lehrstuhl zu. Das hatte es bislang nur bei Thomas von Aquin gegeben, dem größten Gelehrten, den der Dominikanerorden im Mittelalter, vielleicht überhaupt, hervorgebracht hat. Eckhart war zwischenzeitlich akademisch nicht untätig gewesen: In Erfurt hatte er an seinem Opus tripartitum, dem „dreigeteilten Werk“, gearbeitet, das offenbar eine geniale Neufassung der Aufgabe, die Gesamtheit der Theologie zu erklären, darstellte: Auf einen ersten Teil mit Thesen sollte ein zweiter mit Fragen und schließlich ein dritter mit Bibelauslegungen folgen. Eckhart hat es nie vollendet, denn auch das zweite Magistrat in Paris, das von 1311 bis 1313 währte, gab dem mittlerweile Anfang Fünfzigjährigen nicht die Ruhe dazu. Der Germanist Kurt Ruh hat aber darauf hingewiesen, dass hier noch eine andere prägende Erfahrung stattgefunden haben dürfte: Im Dominikanerkonvent in Paris befand sich zu dieser Zeit auch der Inquisitor Wilhelm von Paris († 1314), der kurz zuvor den Häresieprozess gegen die Begine Marguerite Poirete († 1310) geleitet hatte. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass Eckhart hierdurch mit den ebenso gelehrten wie radikalen Thesen Marguerites bekannt wurde.
Mit Frauenmystik sollte Eckhart bald noch viel intensiver zu tun bekommen: Nach Ende seines Pariser Magistrats übertrug ihm der Generalminister des Ordens die Aufgabe der cura monialium in der Provinz Teutonia, das heißt, er war von nun an für die geistliche Begleitung von 65 Frauenklöstern zuständig, die dem Dominikanerorden zugeordnet waren. Wiederum erahnt man einerseits, wie wichtig der Orden diese Aufgabe nahm, und andererseits, wie wenige führende Ordensmitglieder zur Verfügung standen, um eine solche Tätigkeit zu übernehmen. Vielfach waren die Klöster aus Beginengemeinschaften hervorgegangen: aus freien Zusammenschlüssen von religiös bewegten Frauen jenseits von Ordensstrukturen. Nach und nach waren diese in den Dominikanerorden integriert worden. Von vielfachen Verdächtigungen – theologischen ebenso wie moralischen – begleitet, sollten sie durch gelehrte Brüder angeleitet und in ihrem geistlichen Leben gefördert werden. Das Spannungsgefüge, das hier entstand, war enorm. Und gerade Eckharts Umgang mit den Nonnen zeigt, dass vereinfachende Muster, die den Frauen emotionale Erfahrungsmystik zuschreiben und ihren männlichen Begleitern rationale Theologie, nicht verfangen. Gewiss war das geistliche Leben der Nonnen, wie es sich auch in den Berichten mancher Schwesternbücher niederschlägt, von zum Teil herausragenden emotionalen, auch körperlichen Erfahrungen geprägt: Visionen, Trancen oder auch der sogenannte Jubilus: ein lauter, ekstatischer Schrei. Dahinter stand aber eine eigene Form kontemplativer Theologie, in der Maria Magdalena eine besondere Rolle spielte: eine Figur, in welcher unterschiedliche biblische Traditionen und auch spätere Legenden zusammenflossen. Sie galt als Vorbild tiefster Kontemplation. Sachte nahm Eckhart dieses Thema auf und versuchte die damit verbundene Frömmigkeit in den Gesamtrahmen des Ordens zu integrieren und, wie Dietmar Mieth gezeigt hat, zu einer ethisch gestalteten Lebensform zu kanalisieren.
Vieles an geistlicher Begleitung dürfte sich in der Beichte vollzogen haben, allerdings: Wissen kann man über ein Geschehen, das sich definitionsgemäß im Geheimen vollzieht, kaum etwas. Nur wenige Reflexe hierauf finden sich in Schwesternbüchern – einer, natürlich auf eine frühere Situation bezogen, auch in den „Reden der Unterweisung“ selbst, wo Eckhart offenkundig auf eine solche anspielt: „Ich sprach neulich von einem Menschen, einer Frau, die sehr gerne etwas von unserem Herrn haben wollte. Da sagte ich, sie sei nicht r...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Vorwort
  5. Inhalt
  6. A: Der Text
  7. B: Erläuterungen
  8. C: Anhang
  9. Weitere Bücher
  10. Endnoten