Hanna Kasparick
Die Bemühungen zu einer umfassenden Ausbildungsreform im Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR (1969–1985)
Mit der konstituierenden Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) vom 10. bis 15. September 1969 in Potsdam-Hermannswerder übernahm der Bund Verantwortung für die Gemeinschaft der acht Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die auf dem Territorium der DDR lagen.1 Die Gründung des Bundes war nicht unumstritten, denn sie war auch politischen Zwängen geschuldet und bedeutete die organisatorische Trennung der östlichen Kirchen von der EKD. Verschiedene schmerzhafte Erfahrungen ließen ein gemeinsames Auftreten der ostdeutschen Kirchen gegenüber dem SED-Staat als geboten erscheinen. Hinter ihnen lagen die Auseinandersetzungen um die Jungen Gemeinden und die Jugendweihe2 in den 1950er Jahren. Zudem wurde das kirchliche Leben von fortschreitendem Mitgliederschwund begleitet. Nach dem Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961 hatten sich viele Menschen, die in der DDR verblieben waren, mit den gegebenen Verhältnissen, dem Machtanspruch der SED und dem Leben in einer „Diktatur des Proletariats“ abgefunden. Sie verließen die Kirchen, nicht zuletzt, um nicht persönliche Nachteile zu erleiden. Schließlich hatten die Kirchen in der DDR im Jahr 1968 die Erfahrung machen müssen, dass es ihnen im Blick auf den Einmarsch der Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei nicht möglich gewesen war, gemeinsam Stellung zu nehmen.3 Die neue Gemeinschaft sollte für die Zukunft ein abgestimmtes Handeln gegenüber dem atheistischen Weltanschauungsstaat ermöglichen.
Zeitgleich nötigte die Verabschiedung der neuen Verfassung der DDR im Jahr 1968 die Kirchen, ihren Standort neu zu bestimmen. Die neue Verfassung brachte für die Kirchen eine deutliche Einschränkung ihres Status und ihrer Rechte mit sich.4 Die Religionsausübung wurde nunmehr im Individualrecht verankert. Damit verloren die Kirchen ihren Körperschaftsstatus. Die Selbständigkeit der kirchlichen Ordnung und Rechtsschutz für das kirchliche Leben waren nicht mehr gewährleistet.5
Gleichzeitig spielten theologische Einsichten und kirchenreformerische Überlegungen bei der Gründung des Bundes eine wesentliche Rolle. Sie war mit der Hoffnung verbunden, gemeinsam eine den Herausforderungen der Zeit entsprechende Gestalt der Kirche zu finden. Die Protagonistinnen und Protagonisten der Bundesgründung wollten nicht einfach nur auf die neue Verfassung der DDR reagieren, sondern suchten nach Möglichkeiten, „Zeugnis und Dienst“ an den Menschen in der sozialistischen Gesellschaft der DDR besser als bisher ausrichten zu können.6 Politische Zwänge, theologische Einsichten und kirchliche Reformbestrebungen kamen bei der Gründung des Bundes zusammen.7 In der Formel „Zusammenwachsen durch Zusammenarbeiten“ bündelten sich die Hoffnungen aller derer, die nun die Chance zu einem neuen kirchlichen Aufbruch gegeben sahen.8
Mit Spannung war die Gründungstagung der 1. Synode des Bundes erwartet worden. Neben den notwendigen Wahlen zur Besetzung der Organe des Bundes und zu einer Geschäftsordnung der Synode sollten auch Impulse in die Gemeinden gesendet werden, die den neuen Zusammenschluss inhaltlich profilierten9 und Mut zur Zukunft vermittelten. Dies stellte sich jedoch als unvermutet schwierig heraus. Denn es kam zu heftigen Auseinandersetzungen. Auf der einen Seite befanden sich diejenigen, die dem Bund lediglich koordinierende Funktionen zuschrieben und an der bisherigen Selbständigkeit der Gliedkirchen festhalten wollten. Sie fühlten sich auch an ihr bestehendes Kirchenverständnis gebunden und meinten, daran nichts ändern zu dürfen. Auf der anderen Seite standen die Reformkräfte, die den Bund auch im Sinn einer ‚Zukunftswerkstatt‘ für die als notwendig erachtete Kirchenreform nutzen wollten. Der hier zu Tage tretende Grundkonflikt sollte die Geschichte des Bundes in der Folgezeit begleiten.
Auf der Gründungssynode entzündete sich die Kontroverse an der ersten zu verhandelnden Sachfrage, der Frage nach dem Zuschnitt der geplanten Kommissionen und deren Auftrag.10 Zwei synodale Ausschüsse wurden mit den notwendigen Klärungen beauftragt: der Ausschuss für die Kommissionen und der Richtlinienausschuss. Beide Ausschüsse11 stimmten in der Vorstellung überein, dass mit den zu bildenden Kommissionen etwas Neues geschaffen werden sollte.
„Wir wollen verhindern, daß etwa alle alten Aktivitäten nahtlos in die Kommissionen hineinfließen, die beispielsweise unter solchen Stichworten wie Gemeindeaufbau oder wie Werke der Kirche oder wie Diakonie oder wie Haushalterschaft bisher gelaufen sind. Hier sind also Einschränkungen gemacht bzw. Profilierungen ausgesprochen, die den Kommissionen eine echte Chance gebe sollen“,12
hieß es in der Vorlage des Richtlinienausschusses.
Darüber hinaus, so der Ausschuss für die Kommissionen, sollten diese „Erkundungs- und Experimentalzentren für die Kirche von morgen“13 werden und „eine Plattform“ bilden, „auf der eine Annäherung der Fachkräfte der Gliedkirchen auf verschiedensten Gebieten und eine enge Zusammenarbeit auf Zukunft hin“14 möglich werden würde. Der Ausschuss für die Kommissionen schlug folgende Sachgebiete zur Grundlage der Arbeit vor: Ökumene, Publizistik, Unterweisung, Finanzfragen, Rechtsfragen, Ausbildung, Leben der Gemeinde, Jugend und Theologie.
Den beiden Berichten folgten eine grundsätzliche Kontroverse und eine streckenweise zermürbende Aussprache im Plenum. Erstrebten die ‚Bewahrer‘ eine Überführung bisheriger Arbeitsgebiete in die Kommissionsarbeit, so plädierten die ‚Reformer‘ für eine grundlegende Neuorientierung, auch um klassische Versäulungen der Arbeitsgebiete zu überwinden. Zwischenzeitlich entstand der Eindruck, als könne sich die Synode gar nicht entschließen, überhaupt Kommissionen zu bilden. Um vor der kirchlichen Öffentlichkeit jedoch nicht gleich bei der ersten Zusammenkunft mit leeren Händen dazustehen, mühte sich das Präsidium um einen tragfähigen Kompromiss. Der Vorschlag dazu kam von Jürgen Henkys, Dozent am Sprachenkonvikt15 Berlin und einer der Vordenker der Gemeindepädagogik in der DDR. Dieser Vorschlag ging zunächst von fünf Kommissionen aus. Im Verlauf der hitzigen Debatte modifizierte Henkys ihn jedoch noch einmal, so dass am Ende nur noch von zwei Kommissionen die Rede war: der Ökumenischen Kommission und der Kommission für Ausbildung (KfA). Diese beiden Themen, Ökumene und Ausbildung, stellten offensichtlich den kleinsten gemeinsamen Nenner dar. Gemeinsames Handeln schien hier besonders dringlich zu sein. Eine Koordination der ökumenischen Aktivitäten war schon gegenüber den staatlichen Stellen und der restriktiven Praxis der Genehmigung von Reisen ins nichtsozialistische Ausland von Vorteil und die Krise der kirchlichen Ausbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betraf alle Gliedkirchen.
„… wir müssen mit einigen Kommissionen anfangen, und zwar auf Gebieten, wo es ganz offen zutage liegt, daß es zu einer Zusammenarbeit kommen muß und wo schon Ansätze vorhanden sind … aber auch auf dem Gebiet der Ausbildung erwartet man einiges von uns.“16
Die Bildung dieser beiden Kommissionen ermöglichte es der Synode, am Ende doch noch ein Sachergebnis zu präsentieren.17 Zum Vorsitzenden der ersten Ausbildungskommission wurde Werner Krusche, Bischof der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, berufen. Als Sekretär stand ihr Paul Wätzel, Berlin, zur Verfügung, der diese Aufgabe bis zu seinem Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand im Februar 1973 wahrnahm. In der Kommission sollte möglichst die ganze Breite der Ausbildungslandschaft vertreten sein. So gehörten neben dem Vorsitzenden der ersten Ausbildungskommission folgende Mitglieder an18:
Direktorin Gisela Fengler, Burckhardthaus, Berlin; LKMD Wolfgang Fischer, Organist und Kantor am Dom zu Brandenburg; Oberin Anna Heucke, Ausbildung von Diakonieschwestern im Stift Bethlehem, Ludwigslust; Präsident Dr. Kurt Johannes, LKA Dresden; Seminardirektor Dr. Paul-Gerhard Keyser, Predigerseminar Wittenberg; OLKR Gerhard Knauf, Dresden; Pfarrer Dr. Ernst Koch, Predigerseminar Eisenach; Rektor Dr. Ulrich Kühn, Theologisches Seminar Leipzig; Pfarrer Ulrich Mönch, Eisenach/Berlin; Provinzialkatechet Dr. Alfred Nollau, Halle; Pfarrer Dr. Siegfried Schmutzler, Lehrbeauftragter für Pädagogik am Theologischen Seminar Leipzig; Prof. Dr. Eberhard Winkler, Halle; Studienleiter Pfarrer Dr. Hansjürgen Schulz, Greifswald (stellvertretender Vorsitzender); Pfarrer Dr. Hanns-Joachim Wollstadt, Brüderhaus Martinshof Rothenburg/Oberlausitz.19
Die Bemühungen um eine umfassende Neugestaltung der kirchlichen Ausbildungen im Bund sind nicht isoliert zu verstehen, sie sind Teil einer neuen Sicht von Kirche, die den Ort, an den sie gestellt ist, bewusst wahrnehmen und an ihm wirken will. Die ersten Synoden des Bundes legten dafür die Grundlagen. Kirche als „Zeugnis- und Dienstgemeinschaft“ 1970, „Kirche für andere – Kirche in der sozialistischen Gesellschaft“ 1971/1972 und „Kirche als Lerngemeinschaft“ 1974 waren die Formeln, die zur Standortbestimmung und zur Selbstverständigung gefunden wurden. Damit waren die Akteurinnen und Akteure im Bund Teil einer übergreifenden Bewegung zur Kirchenreform, die in Ost und West gleichermaßen Raum griff, allerdings in jeweils unterschiedlicher Gestalt.20 Es gab ein Unbehagen an der Wiederherstellung volkskirchlicher Verhältnisse, wie sie noch vor dem 2.Weltkrieg bestanden hatten, auch im Westen Deutschlands. Eine solche Wiederherstellung schien gegenüber den Herausforderungen der sich modernisierenden und demokratisierenden Gesellschaft im Westen ebenso unangemessen zu sein wie gegenüber einer Minderheitenkirche unter den Bedingungen eines sich bewusst als atheistisch verstehenden Staates, der sich den Aufbau des Sozialismus zum Ziel gesetzt hatte. Ein direkter Einfluss der Studentenbewegung auf die Kirchenreformbestrebungen im Westen Deutschlands ist nicht nachzuweisen, eher ein indirekter, der das gesellschaftlic...