Übersicht über die Interviews
Die folgenden Zusammenfassungen geben einen kurzen thematischen Überblick über die einzelnen Interviews, denn nicht alle in den Interviews angesprochenen Themen konnten in den Porträts aufgenommen werden. Die stichwortartigen Inhaltsangaben dienen als Orientierungshilfe für Forscher oder Multiplikatoren, die gezielt nach Informationen zu einzelnen Themen suchen.
Alle Interviews wurden im Frühjahr 2010 von Ralf Marten und Utz Rachowski geführt. Beide suchten ihre Interviewpartner in deren Wohnorten, bei sich zu Hause auf. Nur wenige Interviews wurden woanders geführt, nämlich in Bautzen, am Rande des Bautzen-Forums, oder in Leipzig und Dresden. Dieser aufsuchende Ansatz wurde ganz bewusst gewählt, weil der Landesbeauftragte die Zeitzeugen in ihrer vertrauten Umgebung zu Wort kommen lassen wollte. Dadurch sollten möglichst viele Störfaktoren ausgeklammert und das Maß an Aufgeregtheit kleingehalten werden. Für jeden Zeitzeugen wurde unabhängig von der Gesprächsdauer ein Tag eingeplant.
Bei den Interviews handelt es sich um Filmaufzeichnungen. Die Entscheidung, die Interviews mit zwei Interviewern zu bestreiten, ergab sich auch aus diesem Umstand. Sie war bewusst getroffen worden, denn zum einen sollte der das Gespräch führende Interviewer nicht durch technische Details der Aufnahme (Licht, Kameraeinstellung, Speicher) abgelenkt werden, zum anderen konnte der zunächst nur zuhörende Interviewer das Gespräch aufmerksam verfolgen, Lücken wahrnehmen und im zweiten Teil des Interviews gezielt Nachfragen stellen.
Die Interviews folgten einem vorher festgelegten Frageraster, das jedoch situationsabhängig angepasst wurde. Durch die Auswahl zweier sehr unterschiedlicher Interviewer war es uns möglich, zwei ungleiche Frageansätze zu kombinieren. Während der Schriftsteller Utz Rachowski, der den ersten Teil des Interviews übernahm, selbst mit dem SED-Staat in Konflikt geraten war und intensive Repressionserfahrungen machen musste, eher einen emotionalen, empathischen Zugang zu den Zeitzeugen wählte, war der Historiker Ralf Marten ein eher nüchterner Frager, der das Gehörte mit seinem geschichtlichen Hintergrundwissen abglich und dementsprechende ergänzende Fragen stellte. Der Betroffenheitshintergrund von Utz Rachowski, der seit Jahren auch als Bürgerberater für den Landesbeauftragten tätig ist, war insofern wichtig, weil sich einige der Betroffenen überhaupt nur deshalb auf ein Interview einließen. Die Annahme, jemanden vor sich zu haben, der das Erzählte zumindest atmosphärisch einzuordnen vermag, war für viele sehr wichtig.
Alle Interviews liegen als digitalisierte Videodaten und in transkribierter Form beim Sächsischen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur vor und sind bis auf wenige Ausnahmen frei zugänglich und für Forschungszwecke oder im Rahmen der politischen Bildung nutzbar.
Else Thomas
Else Thomas schildert ihre Kindheit und Jugend in Niederschlesien. Sie berichtet von den letzten Kriegswochen, vom Heranrücken der Roten Armee, den Plünderungen und Vergewaltigungen. Mit ihrer Mutter und Tante versteckte sie sich wochenlang und entging nur knapp einer Vergewaltigung.
Sie erzählt von ihrer willkürlichen Verhaftung im März 1945. Mit anderen Frauen und Männern kam sie in ein Sammellager für Internierte in Oberschlesien. Sie berichtet, dass sie sich vor Hunger kaum auf den Beinen halten konnte. Sie spricht über den vierwöchigen Transport in Viehwaggons nach Sibirien und über die dortige Unterbringung in Baracken. Ausführlich schildert sie die anstrengende Arbeit in einer Ziegelbrennerei, ihren Zwölf-Stunden-Arbeitstag bei sehr wenig Essen. Die hygienischen Zustände beschreibt sie als katastrophal. Besonders Flöhe und Läuse plagten die Internierten.
Sie erzählt von Konzerten, Tanzveranstaltungen und Theatervorstellungen, die später im Lager erlaubt waren und den Lageralltag etwas erleichterten. Else Thomas spricht über den Zusammenhalt unter den Frauen und trägt zwei Gedichte vor, die dies illustrieren.
Anschließend berichtet sie von ihrer Entlassung im Oktober 1949 und der Rückkehr zu ihren Eltern. Sie beschreibt das schwere Einleben in Freiheit und die Unterstützung, die die Familie erfuhr.
Das Interview erfolgte am 16. März 2010 in Leipzig und hat eine Länge von 65 Minuten.
Eberhard Hoffmann
Eberhard Hoffmann spricht über seine Zeit bei der Hitlerjugend und die letzten Kriegsmonate 1945. Im April 1945 wurde er zur Wehrmacht eingezogen und geriet kurz darauf in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Er berichtet von der Verhaftung im Oktober 1945 wegen Werwolf-Verdachts. Er erzählt von Gewalt bei Verhören anderer Gefangener, unter deren Eindruck er sein Vernehmungsprotokoll unterschreibt.
Danach beschreibt er den Transport und seine Ankunft im Lager Mühlberg. Er schildert ausführlich die Lagerverhältnisse mit den Holzbaracken, die schlechten hygienischen Bedingungen und die mangelhafte Ernährung. Die Gefangenen mussten auf Doppelpritschen schlafen. Im Dezember 1946 wurden die Essensrationen halbiert, worauf innerhalb von drei Monaten ca. 2.000 Menschen starben. Anschließend schildert er den Tagesablauf in Mühlberg (stundenlange Zählappelle, Frühstück, Barackenreinigung, verschiedene Arbeitseinsätze).
Dann spricht er von seiner Verlegung in das Speziallager Buchenwald im September 1948 und beschreibt die Unterschiede zu Mühlberg. Er berichtet, wie er als »Melder« zwischen den Baracken eingesetzt wurde und sich »frei« im Lager bewegen konnte und eine höhere Essensration bekam. Anschließend erzählt er von seiner Entlassung aus Buchenwald im Februar 1950 und die Schwierigkeit, sich nach der Entlassung wieder einzuleben.
Zum Schluss des Interviews spricht er vom kameradschaftlichen Umgang der Gefangenen miteinander und berichtet nochmals von den sanitären Bedingungen in Mühlberg.
Das Interview erfolgte am 14. April 2010 in Burgstädt und dauerte 100 Minuten.
Margot Jann
Margot Jann spricht über ihre Kindheit und Jugend. Sie erzählt vom Kriegsende 1945 und dem Einmarsch der Roten Armee sowie von der Flucht der Familie. Sie berichtet von Erschießungen, dem Verschwinden von Männern und Vergewaltigungen von Frauen.
Ausführlich beschreibt sie ihre Verhaftung und die anschließenden, teilweise gewaltsamen Verhöre. Ihr wird vorgeworfen, eine Sabotageorganisation von Jugendlichen gegründet zu haben. Sie erzählt, wie ein Sowjetisches Militärtribunal sie und ihre vier mitangeklagten Freunde zum Tode verurteilt. Nach einem Gnadengesuch wurde das Urteil in zehn Jahre Arbeitslager umgewandelt. Margot Jann berichtet von ihrer Freundin Brunhilt Gebler und dem Zusammenhalt zwischen ihnen.
Dann spricht sie über ihre Haft in den sowjetischen Speziallagern Bautzen und Sachsenhausen. Sie geht auf die unhygienischen Zustände ein, spricht vom Ungeziefer, dem ständigen Hunger, aber auch von der Solidarität unter den Gefangenen.
Sie berichtet anschließend von der Verlegung ins Frauengefängnis Hoheneck und dem Transport dorthin. Dann erzählt sie vom Alltag im Gefängnis und dem Leben mit den kriminellen Mitgefangenen. Ihre Entlassung und Heimkehr schildert sie bewegt.
Margot Jann erzählt von der Gründung des »Frauenkreises der ehemaligen Hoheneckerinnen« im Jahr 1991. Sie berichtet von den Problemen bei der Anerkennung von Haftfolgeschäden und von der Opferrente.
Am Ende des Interviews schildert sie noch einmal die Zeit im Speziallager Bautzen, den ständigen Hunger und beschreibt einen Tagesablauf.
Das Interview erfolgte am 22. April 2010 in Teltow und dauerte 123 Minuten.
Wolfgang Lehmann
Wolfgang Lehmann schildert zu Beginn des Interviews die letzten Kriegswochen und seinen Einsatz im Volkssturm. Er erzählt dann von den ersten Nachkriegsmonaten, berichtet von den schwierigen Lebensbedingungen, davon, wie seine Familie ihr Haus für deutsche Kommunisten räumen musste.
Er erzählt von seiner Verhaftung im Oktober 1945 wegen Werwolf-Verdachts. Ausführlich spricht er über die Untersuchungshaft, beschreibt seine Haftzelle und die zahlreichen nächtlichen Verhöre. Eindrücklich beschreibt er die brutalen Folterungen, denen er ausgesetzt war und nur deshalb das Vernehmungsprotokoll unterschrieb.
Danach berichtet er vom Transport in das Speziallager Ketschendorf. Er schildert die katastrophalen hygienischen Bedingungen, die mangelhafte Lebensmittelversorgung und die hohe Sterblichkeitsrate unter den Häftlingen. Er spricht von ca. 6.000 Toten in Ketschendorf.
Dann berichtet er von seiner Deportation nach Sibirien. Ausführlich beschreibt er den fünfwöchigen Transport in umgebauten Güterwaggons und die Lager-, Arbeits- und Haftumstände in der Sowjetunion. Er erwähnt die relativ gute medizinische Betreuung. Anschließend erklärt er den Begriff
»Pelzmützentransport«.
Lehmann spricht er über seine Heimkehr 1950 in die noch junge DDR. Er berichtet von der ersten Zeit in Freiheit, erzählt von seiner beruflichen Laufbahn als Zimmermanns-Umschüler und später als Student an der Fachhochschule für Bauwesen in Cottbus. Er schildert einen Anwerbeversuch der Staatssicherheit und berichtet dann von seinem Entschluss, mit der Familie nach West-Berlin zu fliehen. Er beschreibt die Flucht und seinen Weg vom Notaufnahmelager Marienfelde in West-Berlin in die Bundesrepublik. Ausführlich erzählt er von seinem beruflichen Werdegang in der Bundesrepublik.
Zum Ende des Interviews ergänzt er noch einige Details zu seiner Haftzeit in Ketschendorf und erzählt von der Kameradschaft unter den Gefangenen.
Das Interview erfolgte am 28. Mai 2010 in Rimbach und dauerte 162 Minuten.
Karl-Heinz Pilz
Karl-Heinz Pilz erzählt von seinem Elternhaus, vom Kriegsende, von der Nachkriegszeit, von Hunger und Kriminalität und von seiner Arbeit als Postzusteller. Dann spricht er von seiner Verhaftung im Oktober 1945 wegen Werwolf-Verdachts. Er schildert ausführlich seine Haftzeit im Speziallager Mühlberg und berichtet über den Hungerwinter 1946 / 47, als die Nahrungsrationen halbiert wurden.
Danach erzählt er von seiner Erkrankung an Lungentuberkulose und Rippenfellentzündung. Er schildert detailliert die Unterbringung in den Baracken und die sanitären Verhältnisse. Er berichtet von seiner Verlegung in das Speziallager Buchenwald im Herbst 1948, wo ihm die Unterbringung und Versorgung besser erschien. Er erzählt, wie die Gefangenen sich untereinander Mathematik, Physik oder Englisch beibrachten.
Danach schildert Karl-Heinz Pilz seine Entlassung im Januar 1950 und berichtet ausführlich über seine berufliche Entwicklung nach der Haft.
Zum Ende des Interviews spricht er über die Verhöre in Eibenstock und seine Untersuchungshaft in Zwi...