Die orthodoxen Kirchen von 1274 bis 1700
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Die orthodoxen Kirchen von 1274 bis 1700

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Die orthodoxen Kirchen von 1274 bis 1700

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Im Zeitraum zwischen dem zweiten Konzil von Lyon (1274) und dem Ende des 17. Jahrhunderts hatten die orthodoxen Kirchen unter langen Zeiten der Fremdherrschaft, der Fremdbestimmung und selbst des Martyriums ihren Weg zu finden.Die Kirche in Byzanz konnte sich nach den vernichtenden Schlägen des 4. Kreuzzuges nicht mehr vollständig erholen, gleichwohl aber theologische und spirituelle Höhepunkte erreichen. Nach der Eroberung des byzantinischen Reiches war das Geschick eines großen Teiles der orthodoxen Christenheit durch die osmanische Religionspolitik bestimmt. Die russische Orthodoxe Kirche erkämpfte sich nach den Erfahrungen der Tatarenzeit eine starke Stellung im Moskauer Staat und in der Gesamtorthodoxie, erreichte eine kirchliche Blütezeit, erfuhr aber auch eine Kirchenspaltung. Ihre eigene Geschichte durchlief die orthodoxe Kirche in Polen-Litauen. Die orientalischen orthodoxen Kirchen hatten Jahrhunderte der Bewährung unter Fremdherrschaft zu erleiden.Von hohem Interesse für die gegenwärtige ökumenische Arbeit sind die kirchlichen West-Ost-Beziehungen in diesem spannenden Zeitraum.

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Information

Kapitel 1

Die orthodoxe Kirche im byzantinischen Reich und in den Nachbarländern

1. DIE ORTHODOXE KIRCHE IM BYZANTINISCHEN REICH

a. Union mit Rom? Das Konzil zu Lyon 1274

Nicht das Jahr 1274, sondern das Jahr 1261 ist der markanteste Epocheneinschnitt in der byzantinischen Geschichte und Kirchengeschichte der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts. 1261 eroberte Michael VIII. Palaiologos, der zwei Jahre zuvor die Kaiserwürde im Restreich von Nikaia erhalten hatte, die frühere Reichshauptstadt Konstantinopel zurück und setzte damit dem Lateinischen Kaiserreich, das nach dem 4. Kreuzzug und der Eroberung der Stadt am Bosporus errichtet worden war, ein Ende. Dieses Unternehmen, in das Michael VIII. alle ihm zur Verfügung stehenden Kräfte eingesetzt hatte, bedeutete für die Byzantiner einen großen politischen und moralischen Erfolg. Allerdings bezahlte der Kaiser einen sehr hohen Preis. Konstantinopel war eigentlich die Hauptstadt eines Weltreiches, nicht eines Kleinstaates, und so waren viele politische Kräfte und finanzielle Mittel, die anderswo dringend gebraucht worden wären, durch die Rückeroberung und Erneuerung dieser Stadt gebunden. Der Kaiser sah sich vor der Aufgabe, Großmachtpolitik führen zu müssen, ohne dass ihm der hierfür nötige Hintergrund zur Verfügung gestanden hätte. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, wie kompliziert die politische Lage aussah: Neben dem Reich mit der Hauptstadt Konstantinopel, Makedonien und dem Westen Kleinasiens existierte das Despotat Epirus als konkurrierender Staat. Mittelgriechenland mit Athen und Morea auf der Peloponnes blieben in der Hand der Lateiner. Östlich des Reichsgebietes in Kleinasien standen die Osmanen.1 Zu den wichtigsten politischen Problemen, die sich dem byzantinischen Kaiser jetzt stellten, kam der Umgang mit westlichen Mächten dazu, darunter mit den Handelsrepubliken Venedig und Genua, aber auch mit dem Kirchenstaat.
Michael VIII. musste mit einer neuen politischen Aktion westlicher Mächte gegen sein militärisch ungefestigtes Reich oder sogar mit einer Wiederholung des 4. Kreuzzuges und einer erneuten Eroberung Konstantinopels rechnen. Karl von Anjou, der Bruder Ludwigs IX. von Frankreich, der vom Papst Süditalien und Sizilien als Lehen empfangen hatte, rüstete bereits zu einer solchen Unternehmung. Deswegen war Michael VIII. an einem guten Einvernehmen mit dem Papst interessiert, doch dieser machte ihm deutlich, dass eine Kirchenunion Voraussetzung für jegliche Friedenszusicherung sei.2 Papst Gregor X. (1271–1276) erklärte 1272 dem byzantinischen Kaiser in einem Schreiben, die Glaubensdifferenzen, über die es nichts zu diskutieren gebe, müssten bereinigt werden, und dies habe an einem Konzil auf westlichem Boden zu geschehen. Michael VIII. bemühte sich nun, den Byzantinern die Union als politisch notwendig schmackhaft zu machen und die römischen Forderungen herunterzuspielen. Es gelang ihm, eine Anzahl namhafter Unionsbefürworter zu gewinnen, sah sich aber einer starken Opposition von Unionsgegnern gegenüber, an deren Spitze der Patriarch von Konstantinopel, Joseph I. (1266–1275) und die Mehrheit der Synode standen.3 Doch der Kaiser erreichte, dass 44 Metropoliten und Erzbischöfe, also rund die Hälfte der byzantinischen Hierarchen, zuhanden von Unionsverhandlungen mit Rom ein Schreiben unterzeichneten, in dem der Anspruch des Papstes auf den Jurisdiktionsprimat auch über die orthodoxe Kirche des Byzantinischen Reiches anerkannt wurde. Von Glaubensfragen war nur in sehr allgemeinen Formulierungen die Rede, so dass das Schreiben den Anschein erweckte, die alten theologischen Streitpunkte zwischen Ost und West spielten keine oder höchstens eine untergeordnete Rolle. Auf dem Konzil von Lyon 1274 kam die Union tatsächlich zustande. Sie sollte aber nur von kurzer Dauer sein.
Das Konzil war am 6. Mai 1274 eröffnet worden und hatte drei Hauptaufgaben zu lösen: Kirchenunion, Befreiung des Heiligen Landes von den Muslimen und innere Reform der Kirche. Die griechische Delegation nahm am 4. Juli an einer Papstmesse teil und sang das Glaubensbekenntnis in griechischer Sprache einschließlich des strittigen „Filioque“. Auf der vierten Session, die zwei Tage später stattfand, wurde das „Bekenntnis des Kaisers Michael“, die sog. „Professio fidei Michaelis Palaeologi“ verlesen, ein Dokument, das die römische Position selbst in der Primatsfrage enthielt und der byzantinischen Seite von der Kurie praktisch aufgedrängt worden war. Der Großlogothet Georgios Akropolites legte im Namen seines Kaisers den Eid auf die Union ab, und damit war die Vereinigung von West- und Ostkirche formell vollzogen. Auf der sechsten Session (17. Juli) definierte das Konzil die Lehre des „Filioque“ und verkündete das Bekenntnis, dass der Heilige Geist von Ewigkeit „aus dem Vater und dem Sohn, nicht sozusagen aus zwei Prinzipien, sondern aus einem Prinzip, nicht aus zwei Hauchungen, sondern aus einer einzigen Hauchung hervorgeht.“ Weiter heißt es im Dokument: „Wir verurteilen und verwerfen, wer zu leugnen unternimmt, dass der Heilige Geist von Ewigkeit aus dem Vater und dem Sohn hervorgehe.“ Die griechische Delegation nahm diese Sätze ohne zu widersprechen an. Sie spielte ihre „vorprogrammierte Rolle“ (H.-J. Schulz).4 Zu einer ernsthaften theologischen Auseinandersetzung kam es auf dem ganzen Konzil nicht.
Nach der Rückkehr der Delegation in ihre Heimat wurde die Union in Konstantinopel öffentlich verkündet. Der Name des Papstes wurde in die Fürbittgebete der Liturgie aufgenommen, doch der Wortlaut des Glaubensbekenntnisses in seiner alten Form belassen, wie es verabredet worden war, und man behielt auch den Brauch bei, die Eucharistie mit gesäuertem Brot zu feiern.5
Gegen das ganze Vorgehen erhob sich in Byzanz scharfe Opposition, denn jedermann war klar geworden, dass die Union ein kaiserlich-päpstliches Diktat war und nicht auf Grund einer ausgearbeiteten und breit abgestützten Stellungnahme der Kirche zu Stande gekommen war. Der Kaiser sah sich bald gezwungen, einen unionsfreundlichen Patriarchen an Stelle von Patriarch Joseph I. einzusetzen. Es war dies Joannes XI. Bekkos, der sich vor Lyon noch entschieden gegen die Union ausgesprochen hatte und deswegen inhaftiert worden war. Durch das Studium der theologischen Schriften des Nikephoros Blemmydes über die Rechtgläubigkeit der Lateiner hatte er seine Haltung um 180 Grad gewendet und war zu einem energischen Befürworter der kaiserlichen Politik geworden. Gleichwohl gewannen die Unionsgegner die Oberhand in Konstantinopel. Die Synode von Patras 1277 schleuderte den Bann gegen Papst, Kaiser und Patriarch. Kurz nach dem Tod Michaels VIII. kündete sein Nachfolger, Kaiser Andronikos II. (1282–1328), die Union auf. 1285 verwarf die Synode im Blachernenpalast zu Konstantinopel das „Filioque“ ausdrücklich und verurteilte Patriarch Johannes XI. Bekkos als Häretiker. Die Unionspolitik Michaels VIII. und seines Patriarchen war kläglich gescheitert. Der Kaiser war als Verräter des orthodoxen Glaubens betrachtet worden. Man sieht daraus, dass die Kirche in Byzanz nicht einfach vom Kaiser bedingungslos beherrscht wurde, sondern dass sie sich auch gegen die kaiserliche Politik zu wehren und durchzusetzen verstand, wo sie die Fundamente des Glaubens gefährdet sah. Diese Vorgänge zeigen deutlich, dass man in der Beurteilung des Verhältnisses von Staat und Kirche im Byzantinischen Reich nicht pauschal von „Cäsaropapismus“ sprechen kann.6
Doch es waren nicht allein dogmatische Differenzen, welche die Union zwischen Rom und Byzanz scheitern ließen. Letzten Endes verunmöglichte der Hass der Griechen gegen die Lateiner, der aus den bekannten geschichtlichen Vorfällen, vor allem dem 4. Kreuzzug entstanden war, eine Annäherung. Ein hellsichtiger Beobachter, der Mönch Barlaam aus Kalabrien, der ein halbes Jahrhundert später vom Kaiser in offizieller Mission zu Papst Benedikt XII. nach Avignon entsandt wurde, gab diesem zu bedenken, „dass nicht so sehr der Unterschied in den Dogmen die Herzen der Griechen von Euch trennt, als der Hass, der in ihren Seelen gegen die Lateiner entstand, und zwar wegen der vielen großen Übel, welche die Griechen zu verschiedenen Zeiten von den Lateinern erdulden mussten und auch heute noch erdulden müssen. So lange dieser Hass von ihnen nicht abgelegt werden kann, so lange kann keine Union zustande kommen. Wenn also von Euch nicht ein großes Entgegenkommen (beneficium) geschieht und dieser Hass nicht überwunden wird, wird es niemand mehr wagen können, mit ihnen über das Thema einer Union zu sprechen.“7
Der Hass gegen die Lateiner ging so weit, dass mit dem militärischen Vordringen der Osmanen in Kleinasien und in Südosteuropa in breiten Teilen der Bevölkerung eine Stimmung „lieber osmanisch als lateinisch“, „lieber Turban als Tiara“ aufkam und sich immer mehr verbreitete, was angesichts der abgrundtiefen Abneigung der Orthodoxen gegen den Islam sehr viel bedeutete. Noch im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts erklärte Archimandrit Athanasios Dorostamos aus dem Patriarchat Konstantinopel:
„Hierzu kommt, dass die Griechen wegen Verschiedenheit des Glaubens-Bekänntnisses und der Ceremonien keine sonderbare Lust unter eine derer benachbarten Christlichen Machten zu gerahten, bezeigen, sondern viel lieber unter denen Türcken, als unter des Pabstes Herrschafft und Gewissens-Zwang stehen wollen, wovor sie aus Erfahrung der vielfältigen Drangsahlen und Verfolgung den grösten Abscheu haben.“8

b. Osmanischer Druck und innere Zerrissenheit

Im 14. Jahrhundert erwuchs dem Byzantinischen Reich eine existentielle Bedrohung durch die raschen militärischen Erfolge des osmanischen Reiches, das zu Jahrhundertbeginn von Osman I. mitten in Kleinasien gegründet wurde. Im Gefolge des Mongolensturmes von 1243 waren türkische Stämme in Kleinasien eingedrungen und hatten verschiedene Kleinstaaten ins Leben gerufen. Einer von ihnen war die Kriegergemeinschaft unter der Führung Osmans, der 1299 den Titel eines Emir („Fürst“) annahm. Dem Osmanen gelang eine überaus schnelle und erfolgreiche Expansion in Kleinasien und später auch in Südosteuropa, da sie wegen der inneren Zerrissenheit und Schwäche des byzantinischen Reiches weitgehend in ein machtpolitisches Vakuum vorstoßen konnten. Schon um 1300 beherrschten sie große Teile Kleinasiens. Dann eroberten sie 1326 die wichtige byzantinische Stadt Brussa im Westen Kleinasiens, bereits fünf Jahre später die traditionsreiche Konzilsstadt und zeitweilige Reichshauptstadt Nizäa (türk. Iznik) und unterwarfen 1337 ganz Nikomedien. Im folgenden Jahrzehnt gelang es Osmans Nachfolger Orhan, sich in die inneren Angelegenheiten des in sich zerstrittenen byzantinischen Reiches einzumischen. Er verbündete sich mit Johannes Kantakuzenos, der nach dem Thron griff, heiratete dessen Tochter und verhalf ihm mit einer Hilfstruppe dazu, sein Ziel zu erreichen. Im Rahmen dieser Aktion überschritten die Osmanen zum ersten Male die Grenze zwischen Asien und Europa. Als wiederum Thronwirren in Konstantinopel entstanden, benutzten sie die Gelegenheit, mit einer militärischen Expedition einzugreifen. 1353 setzten sie über die Dardanellen nach Europa über. Dort eroberten sie in rascher Folge die Halbinsel Kallipolis (1354), die Stadt Adrianupolis (1361), die sie unter dem Namen Edirne bald zu ihrer eigenen Hauptstadt erhoben, die Städte Philippopolis (heute Plovdiv, 1363), dann Nisch (1375), Saloniki (1382) und Sofia (1386). Drei Jahre später schlugen die Osmanen ein Heer der christlichen Balkanvölker unter Führung der Serben in der Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo Polje) vernichtend und schoben ihre Herrschaft bis an die Donau vor. Weitere vier Jahre später folgte die Einverleibung des Restes des Zweiten Bulgarischen Reiches und kurz darauf wurde das Fürstentum Walachei ein osmanischer Vasallenstaat.
Christlich-abendländische Kreuzfahrerheere, die in Eile zusammengestellt und in Marsch gesetzt worden waren, erlitten Niederlagen: 1396 unter Führung des ungarischen Königs und späteren deutschen Kaisers Sigismund, 1444 und 1448 unter dem ungarischen Herrscher Johann Hunyadi. Konstantinopel selber konnte zunächst noch osmanischen Belagerungen standhalten, musste jedoch den Osmanen weitere Gebiete abtreten und Tribute bezahlen. Der Sieg der Mongolen unter Timur Lenk über den türkischen Sultan Bayezidt I. in der Schlacht von Ankara 1402 brachte den Byzantinern eine vorübergehende Atempause.9
Des starken militärischen Drucks durch die Osmanen in Kleinasien, durch die Bulgaren und Serben in Südosteuropa konnte sich Byzanz nicht erwehren. Der 4. Kreuzzug hatte es so geschwächt, dass es seine Großmachtstellung verlor. Sicher war es eine bedeutende politische Leistung gewesen, in der Mitte des 13. Jahrhunderts Konstantinopel zurückzuerobern und wieder aufzubauen, doch auch dies beanspruchte sehr viele Kräfte. Die Finanzen waren aufgebraucht, der Staat verschuldet, die Bevölkerung demoralisiert, die Wirtschaft lag danieder. Kleinasien, einst eines der blühendsten Kernländer des Reiches, konnte nicht mehr gehalten werden. Um 1340 bestand das Reich nur noch aus Konstantinopel, Thrakien, Makedonien, Epiros, einigen Inseln in der Ägäis und einigen wenigen Städten im Westen Kleinasiens sowie Morea im Süden der Peloponnes.10
Dazu kamen Spannungen im Inneren. Thronstreitigkeiten und die Bürgerkriege, die aus ihnen erwuchsen, entzogen dem Byzantinischen Reich weitere Kräfte, die für die Verteidigung des Reiches dringend gebraucht worden wären. Heftige Streitigkeiten entflammten schon in den 1320er Jahren zwischen Kaiser Andronikos II. und seinem zum Mitregenten ernannten Sohn, dem späteren Andronikos III. Anfangs der 1340er Jahre erschütterte ein erneuter Machtkampf das Reich: Als Andronikos III. starb, war sein Sohn und legitimer Nachfolger Johannes erst neun Jahre alt. Johannes Kantakuzenos, der das hohe Amt des Großdomestikos (militärischer Oberbefehlshaber) innehielt und schon im Bürgerkrieg der 1320er Jahre eine wichtige politische Rolle gespielt hatte, meldete seinen Führungsanspruch an, was wiederum zu einem Bürgerkrieg führte und eine der größten politischen Krisen auslöste, die das byzantinische Reich je gesehen hatte. Kantakuzenos schloss mit den Osmanen ein Bündnis und eröffnete ihnen, wie bereits erwähnt, ein erstes Mal einen Zugang in den europäischen Teil des Reiches.11 Als Basileus wirkte er von 1347 bis 1354; dann wurde er abgesetzt, zog sich in ein Kloster zurück und wurde Mönch. In jenen Jahren bildeten sich tiefe Risse in der byzantinischen Gesellschaft durch den palamitischen Streit, von dem noch ausführlicher die Rede sein wird.12 Dieser Streit reichte weit ins Politische hinein. Johannes Kantakuzenos, sein Anhang und die Palamiten schlossen sich zusammen und standen der politisch ebenfalls einflussreichen Gruppe unter der Führung des Patriarchen Johannes Kalekas und der Antipalamiten gegenüber. Dazu kamen schwerste soziale Gegensätze zwischen einer dünnen, reichen aristokratischen Schicht und dem durch den wirtschaftlichen Niedergang verarmten Volk. Die innenpolitischen Kämpfe, die machtpolitischen Verluste in Kleinasien und der Niedergang der Wirtschaft führten zu einem Zerfall der Währung, zu Teuerungen und Hungersnöten. Wenige Reiche wurden reicher, die breiten Volksschichten gerieten zusehends ins Elend.
Weitere Thronstreitigkeiten entbrannten in der Zeit um 1370, so dass Byzanz den Serben in ihrem existenzbedrohenden Kampf gegen Sultan Mehmed I. in der Schlacht an der Marica 1371 nicht beistehen konnte. Konstantinopel geriet in den folgenden Jahren immer mehr in die Abhängigkeit des Osmanischen Reiches; 1422 wurde es von den Osmanen belagert, konnte aber noch einmal standhalten. Die innenpolitische Lage verschlechterte sich weiter, die Wirtschaftsnot wuchs dramatisch und die Staatsverwaltung zerfiel. Das einst so glanzvolle und mächtige byzantinische Reich begann sich aufzulösen.
Die Auswirkungen der osmanischen Eroberungszüge auf die Kirche waren katastrophal. Es wurden Gotteshäuser und Klöster zerstört. Die Kirche verlor in den eroberten Gebieten innert kürzester Zeit ganze Metropolien, die jahrhundertelang zu ihrem Kerngebiet gehört und dem Reich nicht zuletzt bedeutende politische und finanzielle Ressourcen gebracht hatten. Ephesos zum Beispiel, schon...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Vorwort
  5. Inhaltsverzeichnis
  6. Abkürzungsverzeichnis
  7. Literaturverzeichnis
  8. Kapitel 1: Die orthodoxe Kirche im Byzantinischen Reich und in den Nachbarländern
  9. Kapitel 2: Die orthodoxe Kirche im Osmanischen Reich
  10. Kapitel 3: Die orthodoxe Kirche in Russland und Polen-Litauen
  11. Kapitel 4: Die Orientalischen Orthodoxen Kirchen
  12. Kapitel 5: Die Kirchen des Ostens und die Kirchen des Westens1
  13. Zeittafel
  14. Namen- und Sachregister
  15. Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen (KGE)
  16. Weitere Bücher
  17. Endnoten