Eine Insel im roten Meer
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Eine Insel im roten Meer

Erinnerungen an das Theologische Seminar Leipzig

  1. 320 Seiten
  2. German
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Eine Insel im roten Meer

Erinnerungen an das Theologische Seminar Leipzig

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Das Theologische Seminar Leipzig war eine von den "Inseln" im "roten Meer" des von der SED beherrschten DDR-Bildungssystems, weil es von den evangelischen Landeskirchen unterhalten wurde und Inhalt und Struktur des Theologiestudiums unabhängig von staatlicher Beeinflussung gestalten konnte. Hier studierten viele, denen in der DDR Oberschule und Abitur – nicht zuletzt aus politischen Gründen – verweigert wurden.In diesem persönlich gehaltenen Erzählbuch erinnern sich ehemalige Studierende und Dozenten wie beispielsweise Christoph Dieckmann, Wolfgang Hegewald, Hans-Jörg Dost, Wilfried Engemann und Christoph Kähler an prägende Persönlichkeiten und an bemerkenswerte Umstände eines freien Studiums in unfreien Zeiten.

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Information

Jahr
2017
ISBN
9783374048717
Ereignisse, Personen, Erfahrungen am Theologischen Seminar
JOHANNES BERTHOLD

Wie ein kleiner Frühling
Geistliche Studienergänzung in der Bruderschaft Liemehna

Meinen Eltern fiel es überhaupt nicht leicht, meine Entscheidung für ein Theologiestudium zu akzeptieren. »Am Ende hast Du womöglich von der Bibel nur noch die Buchdeckel in der Hand«, meinten sie. Denn die Bibel war für sie das »Buch der Bücher«, in dem sie täglich lasen. Wenn ich den sehr persönlichen Umgang meiner Eltern mit der Bibel theologisch ausdrücken sollte, dann würde ich mit Karl Barth sagen: Sie rechneten mit der Möglichkeit, dass die Schrift für sie immer wieder zur lebendigen Anrede Gottes wird. Oder mit Rudolf Bultmann: Sie lasen die Bibel mit der Bereitschaft, sich von ihr die eigene Existenz deuten zu lassen. Oder mit Paul Ricoer: Sie haben sich von den Texten »ein erweitertes Selbst« geben lassen. Wie auch immer: Die schlichte Bibelfrömmigkeit meiner Eltern hat auch meine Freundschaft mit der Bibel begründet.
Nun, im Jahre 1971 begann ich mein Studium am Theologischen Seminar in Leipzig. Es war ein wahres Abenteuer des Geistes mit einer ungeahnten und bisweilen irritierenden Horizonterweiterung. Historisch-kritische Exegese habe ich durchaus mit Interesse, oft auch mit Verwunderung, bisweilen auch mit Verärgerung wahrgenommen, wenn man wieder einmal dem Text die eigene begrenzte Fähigkeit des Verstehens aufzwingen wollte. Oft hatte ich das Gefühl, dass man den Texten Wesentliches schuldig blieb. Auch spürte ich das Dilemma, das Rudolf Bohren schon 1969 so beschrieb: »Nachdem er (der Prediger) den Text historisch-kritisch beerdigt hat, soll er ihn existential wieder aufwecken.«14
Meine Freundschaft mit der Bibel hat das nicht erschüttert. Im Gegenteil kann ich sagen: Meine Eltern lehrten mich, die Bibel zu lieben, das Studium lehrte mich, sie zu verstehen. Manch einer meiner Kommilitonen erlebten hier ganz andere Kämpfe. Ich entsinne mich, dass einer in vertrauter Runde klagte, er fühle sich in exegetischen Fächern wie im Staatsbürgerkundeunterricht, den man nur mit innerlichem Protest über sich ergehen lassen konnte. Ein anderer las in Vorlesungen weit aufgeblättert die Zeitung, um demonstrativ anzuzeigen, wie fern ihm diese Art der Schriftauslegung war. Wieder andere führten heimlich Buch über die vermeintlichen Häresien, die vom Katheder erschallten. Manch einer versuchte einfach nur, im Studium zu überwintern…
Dabei verlief die Frontlinie gar nicht zu eindeutig. Es war geradezu herzerfrischend, wenn Gottfried Voigt den frühen Karl Barth zitierte: »Kritischer müssten mir die Historisch-Kritischen sein!«15 Der Theologe sei kein Gymnasial-Lehrer, der den biblischen Autoren »gütig oder verdrießlich über die Schulter zu blicken, ihre Hefte zu korrigieren, ihnen gute, mittlere oder schlechte Noten zu erteilen befugt oder beauftragt wäre«. Oder wenn Christoph-Michael Haufe verschmitzt bekannte, er habe seine exegetischen Kommentare schon mal in Kisten verstaut. Bei Wolfgang Trilling – ausgerechnet einem katholischen Bibelexegeten – lernte ich einen Umgang mit der Bibel kennen, der in überzeugender Weise theologische Präzision mit einer Haltung der Demut verband, die sich nicht anmaßte, die Lehrmeisterin der Schrift zu sein. Und ich spürte: Nicht die Instrumente der historisch-kritischen Methode sind gut oder schlecht, es kommt auf die Hand dessen an, der sie führt.
Insgesamt aber erlebte ich auf beiden Seiten auch viel Verbissenheit. Von Seiten mancher Kommilitonen hätte ich mir durchaus mehr Bereitschaft zur Irritation gewünscht, ohne die es keine neue Erkenntnis gibt. Von Seiten mancher Dozenten wiederum hätte ich mir mehr Verständnis für die Fragen und Zweifel eines Theologiestudenten gewünscht, auch mehr Seelsorge im Bereich des Denkens. Doch schaue ich nach Jahrzehnten auf manche in den 1970er Jahren noch stolz einherschreitende Hypothese zurück, fühle ich mich in manchem damaligen Unbehagen bestätigt. Die schärfste Kritik an der historisch-kritischen Forschung kommt jedenfalls heute aus ihren eigenen Reihen, gerade auch angesichts ihrer disparaten Ergebnisse. Andererseits ist eine historische Lesart biblischer Texte unverzichtbar, hilft sie doch, deren ursprünglichen Sinn zu erfassen. Sie schützt vor einer hermeneutischen Beliebigkeit, die den Autor nicht mehr das sagen lässt, was dieser in den Text hineingelegt hat. Deshalb heißt Exegese – wie Martin Buber sagte – zu allererst »hinhören« und in solchem Hinhören über uns selbst hinausgeführt zu werden.
Am prägendsten waren für mich jene theologischen Lehrer, die auf existentielle Weise Theologie betrieben und auch im akademischen Betrieb Zeugen ihres eigenen Glaubens blieben. Eine Entdeckung dabei war Dietrich Bonhoeffer, der in einem sehr persönlichen Brief vom 27. Januar 1936 beschrieb, wie er selbst das »erste Mal zur Bibel« kam:
Ich hatte schon oft gepredigt, ich hatte schon viel von der Kirche gesehen, darüber geredet und geschrieben – und ich war noch kein Christ geworden, sondern ganz wild und ungebändigt mein eigener Herr. … Ich hatte auch nie, oder doch sehr wenig gebetet. Ich war bei aller Verlassenheit ganz froh an mir selbst. Daraus hat mich die Bibel befreit und insbesondere die Bergpredigt. Seitdem ist alles anders geworden. Das habe ich deutlich gespürt und sogar andere Menschen um mich herum. Das war eine große Befreiung. Da wurde mir klar, dass das Leben eines Dieners Jesu Christi der Kirche gehören muss.16
Und so beschreibt er eine ganz unvermutete Gefahr der Theologie:
Die größte Not kommt für den Pfarrer aus seiner Theologie. Er weiß alles, was der Mensch über Sünde und Vergebung wissen kann. Er weiß, was rechter Glaube ist, und sagt es sich so lange, bis er nicht mehr im Glauben, sondern im Denken über den Glauben existiert… Das Wissen enthüllt seine Dämonie. Es treibt immer mehr in den faktischen Unglauben hinein. Wir haben dann keine Erfahrung des Glaubens. Unsere einzige Erfahrung ist die Reflexion über den Glauben.17
Die Konsequenzen, die er selbst daraus in der Vikarsausbildung der Bekennenden Kirche zog, waren für uns eine Anregung, eine studentische Kommunität zu gründen – nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zum akademischen Studium. Im Jahre 1973 zogen wir – eine Handvoll Studenten, inspiriert durch den damaligen Rektor Christoph-Michael Haufe – in das baupolizeilich gesperrte alte Pfarrhaus zu Liemehna. Was damals teilweise kritisch beäugt oder spöttisch belächelt wurde, findet heute durchaus Wertschätzung, wenn von allen Seiten betont wird, Theologie mit Spiritualität zu verbinden. So heißt es in den »Villigster Anstößen für eine Kirche im Umbruch« aus dem Jahre 1999: [] die Förderung einer gewinnenden Spiritualität (muss) in allen Ausbildungsphasen Priorität haben.
Ähnliches meint Manfred Josuttis, wenn er den Kopf schüttelt über die Naivität, mit der [] die gegenwärtige theologische Ausbildung (damit rechnet), dass man (schon) mit der Aneignung von hermeneutischen und historischen, philosophischen und psychologischen Verfahren eine tragfähige Grundlage für den religiösen Beruf erhält.18
Die »Bruderschaft Liemehna« hat seit ihrer Gründung die verschiedensten Jahreszeiten erlebt. Auch für sie gilt in gewisser Weise, dass nicht aufhören sollte »Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.« (Gen 8,22). Ich selbst aber erlebe sie jedes Mal, wenn ich nach Liemehna komme, wie einen kleinen Frühling.
Nach der Schließung des Theologischen Seminars im Jahre 1992 hat sich die Bruderschaft als eigener Verein konstituiert, um ihre Arbeit unter Theologiestudenten auch an der Theologischen Fakultät fortsetzen zu können. Dafür haben wir uns eine Satzung gegeben –
Die Bruderschaft bei einer Rüstzeit in Liemehna, darunter die Dozenten Dr. Haufe (hinten, links) und Steyer (hinten, Mitte).
getragen von dem Wunsch, das kommunitäre Leben von Theologiestudierenden im Pfarrhaus zu Liemehna zu fördern und deren späteren Dienst als Pfarrer geistlich zu begleiten; verbunden in dem Anliegen, im engen Kontakt mit anderen geistlichen Bewegungen der Erneuerung unserer Kirche zu dienen und bewegt von dem Wissen, dass die Erneuerung unserer Kirche nur bei uns selbst beginnen kann.
2013 feierten wir dankbar unser 40-jähriges Bestehen – erstaunlich für eine Gemeinschaft, die bis heute mit einem Minimum an gemeinsamen Regeln, Grundsätzen und Strukturen auskommt. Inzwischen konnten wir sogar ein Gästehaus seiner Bestimmung übergeben, erbaut über Ställen, in denen früher die Schafe blökten.
Am wichtigsten aber ist, dass noch heute dort Studierende der Theologie leben, die wie wir in den Anfängen miteinander »arbeiten und beten«, das Leben teilen, einander annehmen und respektieren lernen – und vor allem miteinander im Gespräch sind. Vielleicht ist gerade das intensive gemeinsame Gespräch das besondere Kennzeichen unserer Bruderschaft. Auch hier mag wieder ein Wort von Martin Buber gelten: Wir haben keine Lehre, wir führen ein Gespräch. In unserem Gespräch – sei es am Abendbrottisch oder bei den gemeinsamen Arbeitseinsätzen am sanierungsbedürftigen Pfarrhaus – setzten sich die Themen der Seminare und Vorlesungen fort, nicht nur im Geist objektiver Untersuchung oder feierlichen Ernstes, sondern ganz ungezwungen und ohne den Anspruch, alles in logische oder historische Stimmigkeit zu zwingen. Oft war das Gespräch mit Witz und Leichtigkeit gewürzt, oft auch mit großer Ernsthaftigkeit und von Widerspruch geprägt. Eins aber verband uns in aller Unterschiedlichkeit: Dass wir den biblischen Autoren zu Füßen sitzen wollten, auch nicht nur die Sicherheit des Beherrschens suchten, sondern uns von dem Wort »treffen« und verwandeln lassen wollten.
Doz. Dr. Christoph-Michael Haufe bei einem Bibelgespräch in Liemehna.
Die Freiheit solchen Gesprächs erhielt ihre innere Kraft aus der geformten Spiritualität, die dem Tag und der Woche eine gemeinsame liturgische Struktur gab: Die Andachten am Morgen und am Abend, die Hausabende mit Dr. Haufe mit Bibelgespräch und Heiligem Abendmahl, die gemeinsamen Gottesdienste am Sonntag.
Hier lag die Bibel nicht wie irgendein anderes Buch auf dem Tisch, sondern als »Buch der Bücher«. Hier konnten wir sie auch nicht einfach lesen wie jedes andere Buch, sondern hier betraten wir ein Heiligtum. Hier formte sich Bruderschaft, die weder planbar noch machbar war und die tiefer reichte als Freundschaft oder Sympathie. Und manchmal strahlte wie ein helles Licht jene Erfahrung auf, die der Kirchenvater Augustin einmal so beschrieb:
Miteinander reden und lachen,
sich gegenseitig Gefälligkeiten erweisen,
zusammen schöne Bücher lesen,
sich necken, dabei aber auch einander Achtung erweisen,
mitunter sich auch streiten ohne Hass,
so wie man es wohl einmal mit sich selber tut,
manchmal auch in den Meinungen auseinandergehen
und damit die Eintracht würzen,
einander belehren und voneinander lernen,
die Abwesenden schmerzlich vermissen,
die Ankommenden freudig begrüßen,
lauter Zeichen der Liebe und Gegenliebe, die aus dem Herzen kommen,
sich äußern in Miene, Wort und tausend freundlichen Gesten
und wie Zündstoff den Geist in Gemeinsamkeit entflammen,
so dass aus den Vielen eine Einheit wird.19
CHRISTOPH DIECKMANN

»Hörnse druff!«
Weltliche Erinnerungen an das Theologische Seminar Leipzig

Mein Studium am Theologischen Seminar Leipzig begann am 8. September 1975. Am Nachmittag wurden die Neuimmatrikulierten zum Rektor geladen. Der Alttestamentler Hans Seidel bewillkommnete uns, erklärte Regularien und Gebräuche des Seminars und sprach eine Warnung aus. Diese Hochschule existiere nicht jenseits der DDR. Der Staat habe sie im Blick. Im vergangenen Jahr hätten sich ihm drei Kommilitonen aus Gewissensnot als Stasi-Informanten offenbart. Gewiss gäbe es etliche mehr, wohl in jeder Seminargruppe einen.
In den folgenden Wochen rätselten wir, wer der Zuträger sei. Ein Anfangsverdacht fiel auf einen täppischen Kommilitonen,...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Vorwort
  5. Inhalt
  6. Vom Missionsseminar zum Theologischen Seminar
  7. Ereignisse, Personen, Erfahrungen am Theologischen Seminar
  8. In Zeiten gesellschaftlicher Revolution und Transformation
  9. Anhang
  10. Personenregister
  11. Bildnachweis
  12. Weitere Bücher
  13. Fußnoten