Davon ich singen und sagen will
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Davon ich singen und sagen will

Die Evangelischen und ihre Lieder

  1. 232 Seiten
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Davon ich singen und sagen will

Die Evangelischen und ihre Lieder

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Mit Protestsongs machten sie ihrem Unmut Luft. Mit Gassenhauern prägten sie eine neue Art des Singens. Gemeint sind die Protestbewegungen der Moderne – aber eben auch die Reformatoren des 16. Jahrhunderts. 'Vom Himmel hoch, da komm ich her' – 'Ein feste Burg ist unser Gott' – 'Die beste Zeit im Jahr ist mein' – all diese Kirchenlieder waren ursprünglich Volkslieder.Die Erlanger Musikwissenschaftler Konrad Klek und Martin Bubmann lassen eine Reihe von Fachleuten der Kirchenmusik zu Wort kommen. Sie erklären, weshalb Gesang der privaten Erbauung dient, wo die Singebewegungen herkommen, warum 'Stille Nacht, Heilige Nacht' zum Welterfolg wurde – und was das alles mit unserer Gesangskultur heute zu tun hat.Der schöne und kluge Band ist bebildert und erscheint zum EKD-Themenjahr 'Reformation und Musik'. Ein Muss für alle aktiven Sänger, Bläser oder sonstige Instrumentalisten, aben ebenso für die, die gern zuhören.["Davon ich singen und sagen will".The Protestants and their songs]With protest songs they vented their resentment. With popular songs they coined a new way of singing. This is about the modern protest movements – but also about the reformers of the 16th century. "Vom Himmel hoch, da komm ich her", "Ein feste Burg ist unser Gott", "Die beste Zeit im Jahr ist mein" – all these sacred hymns were originally folk songs.

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783374055777

Vom Wir zum Ich

Geistliches Singen im Zeitalter des Barock

Walter Sparn
Vergönne mir, o Jesulein,
dass ich dein Mündlein küsse,
das Mündlein, das den süßen Wein,
auch Milch und Honigflüsse
weit übertrifft in seiner Kraft:
Es ist voll Labsal, Stärk und Saft,
der Mark und Bein erquicket.
Diese Liedstrophe aus dem Jahr 1653 ist ein Jahrhundert zuvor kaum denkbar. So etwas dürfte auch heute kaum jemandem einfallen. Es ist die Strophe 6 aus Paul Gerhardts Ich steh an deiner Krippen hier. Im Evangelischen Gesangbuch (EG, 1993) ist sie getilgt, wie schon im Vorgängergesangbuch, dem EKG, sowie im katholischen Gotteslob und im reformierten Gesangbuch der Schweiz. Immer hin wird das Lied nicht mehr ganz verworfen, wie im Gefolge der frommen Tändeleien abgeneigten Aufklärung und der etwas steifen Erwecklichkeit des 19. Jahrhunderts.
Mein Heiland: mein Herzelein
In seinem Krippenlied gibt Gerhardt einem Ich die Stimme, das aus liebendem Herzen mit dem Jesuskind spricht und das sich an ihm nicht satt sehen kann (EG 37,4). Seine Äuglein lachen ihn an, seine Händlein strecken sich nach ihm aus (Strophen 7–9; im EG getilgt), sein Mündlein entzündet das Verlangen, es zu küssen, um sich nach Seele und Leib (!) zu erquicken. Das Lied löst sich fast ganz aus der biblischen Szene – nur die Krippe, Heu und Stroh bleiben – und agiert singend eine innig-zärtliche, geradezu intime Beziehung zu Jesus aus. Ein Liebeslied also – daher die kosenden Verkleinerungsformen.
Du hast mit deiner Lieb erfüllt
mein Adern und Geblüte;
Dein schöner Glanz, dein süßes Bild
liegt mir ganz im Gemüte.
Wie mag es denn auch anders sein:
Wie könnt ich dich, mein Herzelein,
aus meinem Herzen lassen? (Strophe 2; fehlt im EG)
Dieses Herz ist der Raum des Austausches von ich und du, wo wieder geschenkt wird, was empfangen wurde: Geist und Sinn, Herz, Seel und Mut, Leben (EG 37,1). So wünscht das Ich, dass sein Sinn ein Abgrund und seine Seele ein weites Meer sei, um Jesus zu fassen (EG 37,4), und bittet schließlich, da es ja nur nur Staub und Erde sei (Strophe 15), Jesu Krippe sein zu dürfen:
So lass mich doch dein Kripplein sein:
Komm, komm und lege bei mir ein
dich und all deine Freuden. (Strophe 14; EG 37,9)
Verinnerlichung des Christusglaubens im geistlichen Liebeslied – das ist eine gegenüber dem Singen der Reformationszeit neue Entwicklung. Bei Luthers Nun freut euch lieben Christen gmein (EG 341) ist es ein repräsentatives Ich, das ab Strophe 2 seine dramatische Geschichte erzählt. Es steht jedem Sänger zur Übernahme offen. Das ich in Gerhardts Krippenlied schließt eine solche Übernahme natürlich nicht aus. Die Strophen 7–12 wenden sich erzählend an Andere (EG 37,5.7.8) und die poetisch kunstvolle Form des Liedes ist bewusst auf Mitteilung und Wirkung auf Andere angelegt. Gleichwohl zeigt sich hier das Ich eines fühlenden Herzens, das nicht etwas über sich sagt, sondern sich selbst ausspricht – und so Andere zu einer eigenen innerlichen Jesusbeziehung verlockt. Dieses sich selbst Aussprechen war damals eine neue Möglichkeit. Und solche Authentizität ist bis heute eine wesentliche Bedingung glaubhaften Redens zwischen Menschen, auch wenn die Sprachmittel andere geworden sind.
Die Individualisierung des geistlichen Lieds im Barock hing eng mit den poetischen und musikalischen Entwicklungen der Zeit zusammen – einer Epoche europäischer Kultur, die in jeder Hinsicht stark bewegt und schöpferisch, aber auch von extremen politischen Spannungen und religiösen Gegensätzen geprägt war. Der Weg vom Wir zum Ich betrat Neuland, sprachlich, musikalisch, auch sozial. Wie das Krippenlied Gerhardts wurden viele barocke Lieder nicht für den öffentlichen Gottesdienst verfasst und vertont, sondern für die private Andacht, d. h. für (Solo-)Gesang und Begleitinstrumente wie Laute oder Cembalo (Spinett), wobei Frauen eine wichtige Zielgruppe bildeten. Die Lieder waren daher zunächst auf stadtbürgerliche oder adlige Kreise beschränkt und fanden erst ab Ende des 17. Jahrhunderts in den Gemeindegesang.
Du meine Seele singe
Die Neuerungen im geistlichen Lied des Barock hatten weder die Absicht noch den Effekt, die im Gemeindegesang praktizierte reformatorische Liedtradition zu beenden. Auch Gerhardt bezog sich auf diese eigene religiöse Tradition. Das war selbstverständlich und um der konfessionellen Stabilität willen auch notwendig. So konnte Gerhardts Krippenlied sich von Luthers Kinderlied Vom Himmel hoch bestätigt wissen, wo der Sänger das herzliebe Jesulein aufgefordert hatte, sich in seinem Herzen ein sanft Bettelein zu bereiten (EG 24,13).
Ganz im Sinne reformatorischer Frömmigkeit und Theologie war auch der Rückbezug auf die Psalmen, deren Poesie nicht nur für den Gemeindegottesdienst, sondern auch für die persönliche Beziehung zu Gott hilfreich war. Hatte Luther die Gattung des Psalmliedes für die Gemeinde erfunden, so wurde sie im Barock mit neuen Liedern fortgeführt, die das repräsentative Ich gegenwärtig hielten, es aber für das expressiv-fromme Ich öffneten. Dafür steht Cornelius Beckers Der Psalter Davids gesangsweis auf die in Lutherischen Kirchen gewöhnlichen Melodeyen zugerichtet (1602, 15. Aufl. 1712), bekannt wegen der Vertonungen durch Heinrich Schütz (1628/1661). Daraus stehen heute im Gesangbuch Ich will, solang ich lebe, rühmen den Herren mein (EG 276 zu Psalm 34), Wohl denen, die da wandeln vor Gott in Heiligkeit (EG 295 zu Psalm 119), Ich heb mein Augen sehnlich auf (EG 296 zu Psalm 121). Wie wichtig immer noch das repräsentative, im Wir sich findende Ich ist, kann man an der Häufigkeit sehen, mit der das Lied Nun danket alle Gott (Martin Rinckart 1636; EG 321) gesungen wird, das an den weisheitlichen Text Sirach 50 anknüpft.
Schöpferisch eigneten sich die Dichter des 17. Jahrhunderts den Psalter in der Sprachform des Selbstgesprächs an. Ein anrührendes Beispiel für die Aufforderung des Ich an seine Seele, die großen Taten Gottes zu rühmen, ist Gerhardts Nachdichtung von Psalm 146 Du meine Seele singe, wohlauf und singe schön (EG 302). Der Lobpreis des Schöpfers und seiner gütigen Vorsehung in Natur und Menschenwelt reflektiert, typisch für barocke Subjektivität, ohne Anhaltspunkt im Psalm nach vollzogenem Lobpreis die persönliche Begrenztheit: Ach ich bin viel zu wenig, zu rühmen seinen Ruhm (EG 302,8).
Über den Psalter hinaus geht dann die Selbstanrede im Blick auf Jesus Christus: Warum sollt ich mich denn grämen? Hab ich doch Christus noch, wer will mir den nehmen? (EG 370). Hier führt der Selbsttrost zur Gewissheit des Glaubens in einer Beziehung, die zwar asymmetrisch ist, aber wechselseitig und von beiden Seiten aus untrennbar:
Aus dem Ebelingschen Gesangbuch (1667), oben die Sopranstimme.
Herr, mein Hirt, Brunn aller Freuden,
du bist mein, ich bin dein,
niemand kann uns scheiden.
Ich bin dein, weil du dein Leben
und dein Blut mir zugut
in den Tod gegeben.
Du bist mein, weil ich dich fasse
und dich nicht, o mein Licht,
aus dem Herzen lasse.
Lass mich, lass mich hingelangen,
da du mich und ich dich
leiblich (orig.: lieblich!) werd umfangen. (EG 370,11.12)
Diese Strophen lassen drei Charakteristika des geistlichen Liedes im 17. Jahrhundert besonders deutlich erkennen: die innige Herzensbeziehung zu Christus; die Verlässlichkeit seines an Krippe und Kreuz anschaulichen mir zugut; die Hoffnung auf die leibhafte Liebes- Gemeinschaft mit ihm im Himmel. Diese barocke Weiterentwicklung des reformatorischen Psalmengebrauchs lebt in einer heute wieder gewonnenen Einsicht fort: Das Ich existiert als ein sich zu sich selbst ins Verhältnis setzendes Selbst und lebt so in sich Differenz und Veränderung. Nur deshalb ist es kommunikationsfähig.
Mein König und mein Bräutigam
Es ist eine der großartigsten Leistungen des evangelischen Christentums: Innerhalb von drei Generationen nach der Reformation formte sich eine Christusfrömmigkeit, die an emotionaler Intensität und sprachschöpferischer Ausdrucksstärke der katholischen Marienfrömmigkeit in nichts nachstand. Im Freudenspiegel des ewigen Lebens, den der Unnaer Pfarrer Philipp Nicolai 1599 der Pest entgegenhielt, publizierte er ein Geistlich Braut-Lied der gläubigen Seelen von Jesu Christo ihrem himmlischen Bräutigam:
Wie schön leuchtet der Morgenstern
voll Gnad und Wahrheit von dem Herrn,
die süße Wurzel Jesse.
Du Sohn Davids aus Jakobs Stamm,
mein König und mein Bräutigam,
hast mir mein Herz besessen … (EG 70,1)
Nicolai dichtet den in der Bibel als Brautlied bezeichneten Psalm 45 und dort gebrauchte Preiswörter der Bewunderung und Liebe um auf Christus hin. Das Hohelied Salomos spielt herein, wenn der Sänger bekennt, sein Herz brenne verwundet vor Liebe: Nach dir ist mir, gratiosa cœli rosa, krank und glimmet mein Herz durch Liebe verwundet (EG 70,3 sprachlich verändert). Die zärtlichen Worte für den Schatz sind erotisch getönt, ein Anstoß bis heute, wo die Äugelein (Strophe 4) zu „Augen dein“ bereinigt sind. Nimm mich freundlich in dein Arme, dass...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Hinweis
  4. Impressum
  5. Vorwort
  6. Inhalt
  7. „Singen und Sagen“ – Reformatorisches Singen als öffentlicher Protest
  8. „Ein feste Burg ist unser Gott“ – Ein Lied im Wandel der Zeiten
  9. Sammeln und Sichten – Gesangbücher als Liedkanon
  10. Der Genfer Psalter – Kanonisierung als Grundprinzip kirchlichen Singens
  11. Vom Wir zum Ich – Geistliches Singen im Zeitalter des Barock
  12. „Lobe den Herren“ – Das Lied eines Außenseiters wird zum Hit.
  13. Geist-reiche Lieder – Der Pietismus als breite Singbewegung
  14. Gegenwärtigkeit als Hauptkriterium – Zur Auswirkung der Aufklärung auf das Kirchenlied
  15. Beliebt und verdammt – Das geistliche Volkslied im 19. und 20. Jahrhundert
  16. „Stille Nacht, heilige Nacht“ – Die Geburt eines Welterfolgs
  17. Die rechten Lieder singen – Gesangbuchreform und Singbewegung im 19. und 20. Jahrhundert
  18. Singen im populären Ton – Das Neue Geistliche Lied
  19. Danke für dieses Danke – Die Karriere eines umstrittenen Schlagers
  20. Singen im Protestantismus heute und morgen – Problemanzeigen und Chancen
  21. Anhang