Schriftenreihe des Sächsischen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
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Schriftenreihe des Sächsischen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Die Zerstörung einer Dresdner Künstler-Biographie durch die Stasi

  1. 200 Seiten
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Schriftenreihe des Sächsischen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Die Zerstörung einer Dresdner Künstler-Biographie durch die Stasi

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Dresden, Anfang der 1980er Jahre: Mit Witz und politischem Hintersinn entwickeln junge Künstler Ideen, die auch über die DDR hinweg Resonanz finden. Doch nicht nur das – sie geraten so auch ins Visier der Stasi. Jürgen Gottschalk, einer der wichtigsten Akteure der Szene, beschreibt in seinem Buch, wie die Stasi vorging, um ihn mundtot zu machen: erst Berufsverbot, dann Haft, schließlich Abschiebung. Kontrastiert werden diese Erinnerungen durch Auszüge einer Diplomarbeit "seines Stasi-Offiziers" zu seinem Fall. Entstanden ist ein authentisches und persönliches Buch, das hautnah miterleben lässt, was "Zersetzung" praktisch bedeutete. Der Leser erfährt zudem, wie die Verfolgung bis in die Gegenwart nachwirkt und welche Strategien Jürgen Gottschalk nutzt, sich der Vergangenheit zu stellen. Sein Engagement in der Gedenkstätte "Bautzner Straße" und sein Wirken im Theaterstück "Meine Akte und ich" der Dresdner Bürgerbühne sind da nur zwei Beispiele.

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783374055005
Auflage
3

I. Jürgen Gottschalk: Gegen das Vergessen

Meinen Söhnen,
meinen Freunden.
Gegen das Vergessen
Lautlos Schreie ich,
tränenlos weine ich,
nach Dir, Du meine Freiheit.
Es ist schwer, in düsteren Akten zu blättern ohne auf bittere Gedanken zu kommen. Und es wirkt bedrückender, weil es Aufzeichnungen über mein eigenes Leben sind, zusammengetragen mit dem einen Ziel: mir mein Leben zu zerstören.
Banalitäten reihen sich an Belangloses, Falsches an Erfundenes, Aufgebauschtes an Konstruiertes oder schon längst Vergessenes. Schlimm wird es, wenn mir aus den Akten Verachtung und Hass entgegenschlagen. Dass es für solch eine Arbeit genügend Menschen gab und dass nach deren Verantwortung bis heute nicht gefragt wird, stimmt mich immer wieder traurig.
»Menschen, ich hatte Euch lieb, seid wachsam.« Dieser Satz von Julius Fučik am Vorabend seines Todes durch die nationalsozialistischen Henker ging mir nie aus dem Kopf. Seine Bedeutung hat er bis heute nicht eingebüßt.
Jürgen Gottschalk
Dresden, im November 1997
Vorgeschichte
Meine Mutter, geboren in der Zeit der großen Rezession nach dem Ersten Weltkrieg, hatte eine bescheidene Kindheit. Als alter KPDler wurde ihr Großvater einer der ersten Gefangenen der Nationalsozialisten im KZ Hohenstein und auf dem Sonnenstein bei Pirna. 1 1945 wurde für meine Mutter zur Zäsur. Aus dem brennenden Dresden kamen die verstörten Flüchtlinge, die die grausamen Bombenangriffe überlebt hatten. Im April kamen dann die ersehnten Befreier. Es war Frühling, meine Mutter war jung und der mörderische Krieg war endlich vorbei.
Die Eltern meines Vaters stammen aus dem Erzgebirge. Beide, der Gesinnung nach Sozialdemokraten, erlebten den Krieg als Zeit großer Verluste. Sein jüngster Sohn, geistig behindert, fiel dem Euthanasie-Programm 2 der Nazis zum Opfer. Mein Vater wurde nach dem Notabitur wegen seiner Englischkenntnisse zur Ardennenoffensive eingezogen und geriet noch vor dem ersten Gefecht in französische Kriegsgefangenschaft. Der gerade Achtzehnjährige floh aus einem Lager und verlor bei einem Unfall auf der Flucht seinen rechten Fuß. Als Schwerstbehinderter kehrte er als einer der Ersten aus dem Krieg zurück und fand dort eine zerstörte Familie vor: seine Eltern ausgebombt, der jüngste Bruder umgebracht, die ältere Schwester hatte Selbstmord begangen. Nach dem Krieg begann er an der wiedereröffneten Universität in Leipzig ein Studium als Bibliothekar.
In den Armen der FDJ: Meine Mutter und ich.
Kindheit im Nachkriegs-Dresden
Meine Eltern trafen sich in den von Trümmern umgebenen kalten Hörsälen. Sie besuchten gemeinsam die Agitprop-Veranstaltungen 3 der neuen Machthaber. Hungernd und in geflickten Sachen waren sie bereit, sich der »besseren« Zukunft zuzuwenden. Die politischen Strukturen festigten sich und 1949 wurde mit viel Lärm und Fackelzügen die DDR gegründet. »Alles für den Sieg des Kommunismus« und »Wer nicht für uns ist, ist gegen uns« waren die Losungen der Zeit.
In diesen Tagen des Aufbruchs in das »letzte und beste Zeitalter der Menschheit« wurde ich in Dresden als erstes Kind meiner Eltern geboren. Weil mein Vater und meine Mutter die Woche über dem Klassenkampf dienten, überlebte ich nur knapp die ersten drei Jahre in verschiedenen Wochenkrippen. Von meiner Großmutter wieder aufgepäppelt, war ich meinen Eltern mehr Last als Lust. Als sich nach der Geburt meiner Schwester meine Mutter übereifrig zur neugegründeten kasernierten Volkspolizei melden wollte, mahnten selbst die eigenen Genossen ihre Mutterpflichten an.
Als Junger Pionier beim Aufmarsch am 1. Mai 1959.
Nach ihren leidvollen Erlebnissen mit der jüngsten Vergangenheit, vertrauten sie den Schlagwörtern der zwangsvereinigten Partei und begaben sich voller Enthusiasmus auf die Jagd nach dem »Klassenfeind« oder was gerade dafür gehalten wurde. Nach dem Studium bauten sie mit am kommunistischen System, das sie für die Heimstatt des »Neuen Menschen« hielten.
Die Schule ist mir noch gut in Erinnerung mit ihren Fahnenappellen und Pioniernachmittagen, den Hortaufenthalten und Ranzenkontrollen. Diese auf Ordnung und Disziplin ausgerichtete Mühle zwischen Elternhaus und Schule brachte für mich eine Erniedrigung nach der anderen. Nur wenige Lehrer halfen mit ihren bescheidenen Möglichkeiten. Erst die Lehre im thüringischen Schieferbergbau, nahe der innerdeutschen Grenze zwischen Lobenstein und Saalfeld, erweiterte meinen damaligen Horizont. An den Wochenenden besuchte ich meine Lehrkameraden in ihren Dörfern, radelte durch das Saaletal und erkundete mit Freunden die alten Stollen und Strecken der stillgelegten Gruben und Baue, in denen einst die Nazis die Triebwerke der V 2 von KZ-Häftlingen montieren ließen.
Als Lehrling im thüringischen Schieferbergbau bei Lobenstein.
Mit der Bedrückung im Hinterkopf: Bei Kletterpartien in der Sächsischen Schweiz.
Jugend zwischen Bereitschaftspolizei und Wismut
Am gravierendsten war aber die Befreiung aus dem Dunstkreis des »Tals der Ahnungslosen« 4. 1968, als sich die Genossen mit den Vorbereitungen des Einmarsches in die ČSSR befassten, Blutkonserven horteten und die Krankenhäuser bis Berlin leeren ließen, waren wir Jungen noch recht naiv. Wir nahmen an, dass es möglich wäre, auch im Sozialismus reisen zu können und keine Angst im Gespräch mit Freunden und Fremden haben zu müssen. Die Ernüchterung kam mit den endlosen Kolonnen der gepanzerten Fahrzeuge, die sich in Richtung Süd-Osten wälzten. Ich war voller Scham und Wut über den Einmarsch in der Tschechoslowakei, auch wenn die deutschen NVA-Truppen die Grenze letztlich wohl doch nicht überschritten haben sollen. So eskalierten auch die Diskussionen mit meinen Eltern, die voller Erleichterung das harte Durchgreifen der Armeen des Warschauer Paktes zur Kenntnis genommen hatten. Ich empfand eine tiefe Machtlosigkeit und registrierte jene Hoffnungslosigkeit, die sich wie ein Nebel über das Land legte. Im Alltäglichen verdrängte ich diese Bedrückung durch wilde Motorradfahrten, gewagte Kletterpartien und Feten mit Freunden.
Achtzehn Monate zwischen Erniedrigung und Unterdrückung: Wehrersatzdienst bei der Bereitschaftspolizei in Dresden.
Anfang der siebziger Jahre wurde ich zum Wehrersatzdienst bei der Bereitschaftspolizei in Dresden eingezogen. Diese Zeit verbrachte ich nur als Wanderer zwischen den Welten. Meine Schwejk’sche Einstellung trug mir kaum Sympathien bei den Vorgesetzten ein. Achtzehn Monate zwischen Erniedrigung und Unterdrückung, durchsetzt von Momenten menschlicher Nähe der wenigen Freunde.
Die Polarisierung der Gesellschaft ging durch die Familien. Kaum erträglich war die Überheblichkeit derer, die die Richtung angaben über diejenigen, die sich durch innere Distanzierung aus dem offiziellen Leben zurückzogen. Mehr und mehr entschlossen sich zur Flucht ins Private, in die Nischen einer erstarrten Gesellschaft.
Mitte der siebziger Jahre arbeitete ich im »Jugendbergbaubetrieb« Königstein / Leupoldishain der Wismut 5 als Hauer unter Tage. Die Arbeit im Drei-Schicht-System war hart und lebensgefährlich. In etwa dreihundert Meter Tiefe wurde das Konglomerat von fein vermischtem Uransediment im Sandstein gewonnen. Erst im klassischen Kammer-Pfeiler-Abbau, später zusätzlich in riesigen Laugungsblöcken, wurde der Rohstoff für Atombomben und Kernkraftwerke aus dem späteren Nationalpark Sächsische Schweiz gefördert. Die Werte der Strahlenbelastung waren ebenso tabu wie die genauen Fördermengen. Der tägliche Job in den kleinen Brigadeeinheiten, den Gedingen, ließ nur eine bescheidene Abwechslung der Arbeitsabläufe zu: den Ausbau, d. h. das Schleppen von Holz und Stahl auf der blanken Schulter unter brüchigen Deckenfirsten, das Bohren mit der Hand und schwerem Werkzeug in ständigem Lärm und Öl- / Wassernebel der Bohrmaschinen oder der Massetransport mit pressluftbetriebenen Überkopfladern in engen Strecken. Der Ausverkauf von Gesundheit und Lebenskraft wurde mit für damalige Verhältnisse überdurchschnittlichem Gehalt und reichlich Urlaub belohnt. Ständig gab es politisch verbrämte Kampfaufträge und lächerlich-hysterische Sicherheitsmaßnahmen gegenüber »dem Imperialismus«. Auch die »Kundschafter der unsichtbaren Front« von der Stasi arbeiteten unter uns.
Eine peinliche politische Geschichte war die Kampagne um die Ausbürgerung von Wolf Biermann, der damals im Dresdner Raum nur wenigen ein Begriff war. Pflichtgemäß wurde die gewünschte »Empörung der Kumpel über diesen Nestbeschmutzer« eingetrieben, auch wenn viele Biermann überhaupt nicht kannten. Selbst der gesunde Menschenverstand und der Gedanke »… ich kenne den Mann gar nicht, warum soll ich unterschreiben, dass die Ausbürgerung eine gute Entscheidung war …« konnte schnell Minuspunkte auf der nach unten offenen Sammelskala des MfS bringen.
Die Jahre vergingen mit Einschränkungen, Bevormundungen und den ersten Bespitzelungen. Mit der jungen Familie, zwei Söhne waren inzwischen geboren, wohnten wir in einem Abrisshaus und wurden von der Wohnungsverwaltung drangsaliert. Mitte der Siebziger, in denen das Leben zwischen der wenigen Freizeit und der harten Arbeit dahinschmolz (jeden Tag zwölf Stunden unterwegs und nach der Schicht brauchte man unbedingt die acht Stunden Schlaf, um den nächsten Arbeitstag halbwegs fit anzutreten) begann ich mit Freunden meine ersten grafischen Versuche.
Diese Aufnahme entstand Pfingsten 1976. Der »Westbesuch« aus Darmstadt hatte mir freundlicherweise ein Sieb, Farbe, Rakel, Klammern und Chemie mitgebracht – Die Initialzündung für meine Zukunft.
Foto: Robert Fischer
Aufbruch in die alternative Kunstszene
In jene Zeit fiel der Besuch eines Bekannten aus Darmstadt. Wir hatten uns in Prag kennen gelernt und uns freundschaftlich über die Jahre viele Briefe geschrieben. Die Frage vor seinem Besuch: »Was sollen wir euch mitbringen?« war leicht beantwortet: »Alles, was nicht alle wird.« So kam es, dass aus dem glücklicherweise nicht kontrollierten Auto Bücher und Zeitschriften und nicht zuletzt eine kleine Siebdruckgrundausstattung gebracht wurde.
Das Pfingstwochenende 1976 brachte den entscheidenden Anstoß: Ich konnte zu Hause drucken. Damit eröffneten sich in kurzer Zeit völlig neue Perspektiven. Jetzt spürte ich die Chance, aus meinem damaligen Leben herauszukommen ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Hinweise
  3. Titel
  4. Impressum
  5. Inhaltsverzeichnis
  6. Vorwort – »Druckstellen 2.0«? (Nancy Aris)
  7. I. Jürgen Gottschalk: Gegen das Vergessen
  8. II. Rückblick
  9. III. Dokument
  10. Über den Autor
  11. Endnoten
  12. Weitere Informationen