Erster Teil:
Bernhardt Edskes begegnet den Chororgeln der Klosterkirche Muri
Im Herbst 1961 begann ich in Muri meine Tätigkeit als Schul- und Kirchenmusiker. Zur selben Zeit wählte die Pfarrgemeinde Joseph Brühlmann, den von der kantonalen Denkmalpflege empfohlenen Murianer, zum Restaurator. Seine erste Tätigkeit war die Restauration der Evangelienseite und der rechten Epistelseite mit den Bossart-Chororgeln in Zusammenarbeit mit Orgelbau Metzler aus Dietikon. Für mich war die Klosterkirche mit den alten Orgeln Neuland.
Die Orgelbauwerkstatt Metzler hatte einen guten Namen, und ich war stolz, dass mir in der Pfarrkirche ein elektropneumatisches, dreimanualiges Metzler-Instrument nach französischem Vorbild zur Verfügung stand. Ich konnte mich aktiv „am Wiederspielbarmachen der Bossart-Instrumente“ beteiligen. Vater Metzler hat „den Neuen“ angekündigt: „Sie werden ihn bald kennen lernen. Wir haben einen hervorragenden, begabten jungen Holländer gefunden, der ein Spezialist für die klassisch mechanische Orgel ist, und der uns im Architektonisch-Klanglichen zusammen mit meinen tüchtigen Söhnen weiterbringen wird.“
Und der Holländer kam 1962 oder 1963. Er begegnete den alten, original erhaltenen Chororgeln sofort anders, als es mir möglich war. Ihn packte eine Begeisterung und er wurde mein Entdecker und mein Lehrer. Er holte seine Brüder und Freunde aus Holland, und sie brachten die Evangelienorgel und die Epistelorgel stundenlang improvisierend zum Jubeln.
Ein besonderer, inspirierender Moment bleibt mir in Erinnerung:
Klaas Bolt, Harald Vogel und Bernhardt Edskes kamen von den Chororgeln her auf die Ostseite des Chorgitters, und dort begegnete ich ihnen nach einem tiefen Hörerlebnis auf der Oktogonseite. Durch das Gitter begann nun ein intensives, aufklärendes Gespräch, mit dem die Bernhardt-Freunde mich wachrütteln und einen Lernprozess einleiten wollten: Bedenken Sie, hier klingen Meisterwerke.
Mit Bernhardt Edskes entstand die Idee der Laien-Orgelvesper: alternierendes Psalmodieren zur Priesterlesung durch einen Hospiz-Benediktinerpater. So hatten wir miteinander an mehreren Sommer-Sonntagen Orgelvespern gestaltet und – wurden Freunde. Es war ein bescheidener, glücklicher Anfang der „Musik in der Klosterkirche Muri“, und – als Freundesleistung pflegte Bernhardt Edskes während Jahren unsere Bossart-Zwillinge.
Disposition Evangelienorgel
Manual (CDEFGA-c3):
Principal 8’
Coppel8’
Octava4’
Flutten4’
Super-Octav2’
SexquialterII
Mixtur III
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Stimmtonhöhe a1 = 425 Hz
Werkmeister modifiziert
originale Spiel- und Balganlage
–
Pedal (CDEFGA-a)
Sub-Bass 16’
Disposition Epistelorgel
Manual (CDEFGA-f3):
Principal 8’
Coppel8’
Gamba8’
Octava 4’
Flutte dous 4’
Nazard 3’
Superoctava 2’
Terz 1 3⁄5’
Sesquialtera III
Mixtur III
Corno V
Trompe 8’
Cleron 4’
Stimmtonhöhe a1 = 425 Hz
Werkmeister modifiziert
originale Spiel- und Balganlage
–
Pedal (CDEFGA-a)
Sub-Bass 16’
Octav-Bass 8’
Fagott-Bass 8’
Zweiter Teil:
Mit Bernhardt Edskes zur Restauration der Orgel
Im Restaurationsbericht von Dieter Meier und Egon Schwarb („Die Orgeln der Klosterkirche Muri und ihre Geschichte, Schweizerische Kunstführer GSK“), kann man Details zur Restaurationsgeschichte nachlesen. Ich will mich beschränken auf den Edskes-Restaurationsanteil. Nach der Einweihungsfeier der Chororgeln hatte ich auf dem Klostervorplatz den Eidgenössischen Denkmalpfleger, Herrn Dr. Knöpfli, angefragt, ob er nicht die Möglichkeit sehe, das Problem der Restauration der Grossen Orgel anzupacken. Seine Antwort war schroff und deutlich: „Kommen Sie nicht mit diesem Problem. Die Schott-Orgel ist zur Ruine verändert und nicht mehr restaurierbar!“ Das hat mich aufgewühlt und den Trotz in den Kopf gesetzt, einen Weg für die Rettung der dritten Orgel zu suchen.
Es lagen schon Pläne vor, eine neue grosse Orgel zu bauen und alle drei Orgeln mit einem zentralen Spieltisch elektrisch zu verbinden. Die Kirchenpflege wollte nicht Hand bieten für einen spektakulären Riesenumbau. Sie respektierte meine Träumereien und wählte mich zum Präsidenten einer neuen Studiengruppe mit dem Restaurator, dem Orgelbauer Metzler/Edskes und dem kantonalen Denkmalpfleger. Dieser, Herr Dr. Peter Felder, prüfte mich ein zweites Mal mit der zentralen Frage: „Sind sie bereit, dass die grundsätzliche Restaurationsregel auch für die Orgeln gilt: alles, was vorhanden ist, muss erhalten bleiben? Wenn Sie diese Grundhaltung unterstützen, können Sie mit der Studienarbeit beginnen.“ Das wurde der Anfang einer fünfjährigen Dokumentationsarbeit ohne Gewähr für deren Realisierung. Metzler stellte Bernhardt Edskes frei für die Mitarbeit in der Studiengruppe. Für die Denkmalpflege sammelte Herr Dr. Germann orgelspezifisches Material in Freiämter Archiven und Restaurator Brühlmann verband mit Edskes eine freundschaftliche Zusammenarbeit, die sie sogar bis zum Bau von Clavichordes ausweiteten.
Ungefähr 1963 wurde die pneumatische Goll-Orgel ausgeräumt, neues Pfeifenmaterial entsorgt und Schottpfeifen sorgfältig gelagert. Jetzt musste die Kirchgemeinde mit einer Abstimmung entscheiden, ob der Studienprozess fortgesetzt werden dürfe, wenn es unmöglich sei, die Orgel im alten Zustand wieder spielbar zu machen. Das war ein glücklicher Moment: wir erhielten die Zustimmung der Gemeindeversammlung ohne Gegenstimme.
Disposition Schott-Orgel
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Hauptwerk (C-f3)
Principal 8’
Bourdon 16’
Rohrflöte 8’
Octave 4’
Spitzfloete 4’
Kleingedackt 4’
Quinte 3’
Quintfloete 3’
Waldfloete 2’
Terz 1 3⁄5’
Superoctave 2’
Mixtur IV-V
Hörnlein II
Trompete 8’
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Rückpositiv (C-f3)
Bourdon 8’
Quintadena 8’
Principal 4’
Flauto 4’
Octave 2’
Spitzfloete 1 1⁄3’
Sesquialtera II
Cymbel III-IV
Vox humana 8’
–
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Pedal (C-f1)
Principalbass 16’
Subbass 16’
Octavbass 8’
Bassfloete 8’
Quintadenbass 8’
Octave 4’
Bauerfloete 2’
Grossmixtur VI
Posaune 16’
Trompete 8’
Trompete 4’
Schiebekoppel RP/HW
Pedalkoppeln HW/P und RP/P
Tremulant auf HW und RP
Vogelgesang
Stimmtonhöhe a1 = 440 Hz
Temperierung nach Valotti
Eine Schwierigkeit architektonischer Art war die Frage nach dem Bauschlüssel. Edskes und Brühlmann waren sich einig, dass mit dem modernen Dezimalmass nicht weiter zu kommen war. Brühlmann wusste, dass Schott 1630 das bayrische Fussmass verwendet hatte. Man erstelle dieses Fussmass mit der Diagonal- und Zolleinteilung und hatte endlich die musikalische Ordnung entdeckt. Schade, dass ich nie ein Protokoll verfasste über Grundlegendes zum Orgelbau, das Bernhardt Edskes wie ein Werkstattmeister darzulegen und zu skizzieren verstand.
Die Schott Orgel war sicher ein zweimanualiges Instrument mit Rückpositiv und Hauptwerk. Der Umbau der Orgelempore war der einschneidendste Eingriff in die Oktogonarchitektur. Gottlob konnte sich das Vierergremium zur Rekonstruktion der originalen Schottempore durchringen: das Ergebnis einer beispielhaften Zusammenarbeit zwischen Denkmalpflege, Restaurator, Orgelbauer und Kirchgemeinde. Für mich die (geschenkte) Chance meines Lebens. Wer hat die Muri-Orgeln gebaut? Nicht ein Meister darf sich des Werkes rühmen, das Werk ist die Frucht einer geglückten Zusammenarbeit.
Dritter Teil:
Von drei Orgeln ...