Jesus und seine Welt
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Jesus und seine Welt

Eine historische Spurensuche

  1. 160 Seiten
  2. German
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Jesus und seine Welt

Eine historische Spurensuche

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Jesus von Nazareth predigte vor zwei Jahrtausenden in einer entlegenen Randregion des Römischen Weltreiches, die man zu Fuß in wenigen Stunden durchqueren konnte. Und doch hat seine Lehre die Weltgeschichte verĂ€ndert. Wissenschaftler haben sich auf die Spur des Nazareners begeben. Die Ergebnisse der Forscher sind BruchstĂŒcke aus einer fernen Zeit, die – gleich den Teilen eines Puzzles – zu einem faszinierenden Bild zusammengefĂŒgt werden.Der Journalist und Historiker Cay Rademacher hat auf der Grundlage der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse eine moderne Biografie geschrieben ĂŒber Jesus und die Welt, in der er wirkte.

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783831910038
Ein Reich von dieser Welt
Jesu Welt: Das ist eine abgelegene, vergleichsweise arme, stĂ€ndig unruhige Region in einem der langlebigsten Weltreiche der Geschichte – dem Imperium Romanum.
Jahrhundertelang glich das Mittelmeer einem gigantischen Marktplatz. An seinen RĂ€ndern lebten – mal friedlich, oft kriegerisch – unterschiedliche Völker. Das Meer selbst war der Weg fĂŒr Heere, Waren, Ideen, so dass im Laufe der Jahrhunderte zwar keine gemeinsame Zivilisation, aber doch ein großer Kulturraum entstand.
Vor allem im östlichen Mittelmeerraum – jenem Becken, das von Kleinasien bis etwa zu einer Linie Griechenland-Ägypten reicht – entwickelte sich schon frĂŒh eine erstaunliche Vielfalt. Das Reich der Pharaonen, das sich bereits im dritten vorchristlichen Jahrtausend ausgeformt hatte, war 2000 Jahre spĂ€ter immer noch eine Macht, wenn auch eine, die im Untergang begriffen war. In Kleinasien kĂ€mpften jahrhundertelang diverse Zivilisationen – die Hethiter etwa, die Lyder, Perser oder das Seefahrervolk der Phönizier – um die Vorherrschaft. Ihre Nachbarn waren die Griechen. Die hatten, zersplittert in Hunderte Stadtstaaten wie Athen, Korinth oder Milet, nicht nur die peloponnesische Halbinsel besiedelt, sondern auch, geschickte Seefahrer, die sie waren, Kolonien gegrĂŒndet in Kleinasien, an den SchwarzmeerkĂŒsten, in Nordafrika und sogar weit im westlichen Mittelmeerraum: in SĂŒditalien, SĂŒdfrankreich und Spanien.
Dort, im westlichen Mittelmeerraum, stießen die Griechen auf das Reich der Handelsmetropole Karthago in Nordafrika; auf Etrusker, die Mittelitalien beherrschten; auf Kelten in Frankreich und Iberer in Spanien. Und sie stießen auf eine, zunĂ€chst, kleine Stadt an einem Fluss irgendwo in Mittelitalien: auf Rom.
Als Jesus geboren wurde, war diese vielfĂ€ltige Mittelmeerkultur noch immer gegenwĂ€rtig und doch zugleich Vergangenheit. GegenwĂ€rtig, weil die Völker in verschiedenen Sprachen redeten und unterschiedliche Götter verehrten, weil die Griechen noch in ihren StĂ€dten saßen und die Kelten in SĂŒdfrankreich, weil phönizische Seefahrer noch immer das Meer befuhren und Ă€gyptische Isis-Priesterinnen in Tempeln Opfer darbrachten.
Vergangenheit aber doch auch, weil alle Menschen des Mittelmeerraumes erstmals in der Geschichte dem gleichen Herrn unterworfen waren: dem Kaiser von Rom.
Vor allem Roms Herrschaft ĂŒber die östliche HĂ€lfte der Mittelmeerwelt war dabei jedoch ein noch vergleichbar neues PhĂ€nomen. Die Tiberstadt war als Republik groß geworden, als „Senatus Populusque Romanus“, „Senat und Volk von Rom“: SPQR. Im Senat bestimmten die OberhĂ€upter mĂ€chtiger Adelsfamilien wie der Scipionen die Politik. Roms BĂŒrger, vor allem die Bauern, dienten als Soldaten in der Legion und erhielten im Falle eines Sieges einen angemessenen Anteil von Beute und Land.
So schwang sich die Stadt, vor allem in den KĂ€mpfen gegen den nordafrikanischen Erzrivalen Karthago, im dritten und zweiten vorchristlichen Jahrhundert in endlosen Kriegen zur Beherrscherin des westlichen Mittelmeeres auf. Im Jahr 146 v. Chr. wurde Karthago dem Erdboden gleichgemacht – und Rom wandte sich endgĂŒltig ostwĂ€rts.
WĂ€hrend die Legionen Griechenland, den Balkan, dann Syrien unterwarfen, verĂ€nderte sich der Staat, der sie ausschickte. Schwere, Jahrzehnte wĂ€hrende BĂŒrgerkriege erschĂŒtterten wĂ€hrend des ersten vorchristlichen Jahrhunderts nun auch Rom selbst: KĂ€mpfe mĂ€chtiger HeerfĂŒhrer, die das Gleichgewicht der Macht im Senat nicht lĂ€nger akzeptieren wollten, sondern zur Alleinherrschaft strebten. Im Jahr 45 v. Chr. hatte sich Julius Caesar gegen alle Rivalen durchgesetzt. Zwar wurde er schon im Jahr darauf von Senatoren erdolcht, doch die Tage der Republik waren endgĂŒltig gezĂ€hlt.
Nach weiteren KĂ€mpfen um das Erbe Caesars ließ sich dessen Neffe und Adoptivsohn Octavian vom Senat im Jahr 27 v. Chr. den Ehrentitel „Augustus“ verleihen, „der Erhabene“. Von nun an war Rom ein Kaiserreich.
Augustus regierte bis 14 n. Chr. – eine ganze Generation lang, lĂ€nger, als jemals ein römischer Kaiser auf dem Thron sitzen wĂŒrde. In diesen Jahren formte er den neuen Staat: Der Kaiser stand allein an der Spitze, war oberster Feldherr, höchster Richter, wichtigster Priester in Person. Der Senat blieb als hoch geachtete Institution bestehen, verlor aber viel von der Macht, die er jahrhundertelang innegehabt hatte. Immerhin erwĂ€hlte der Kaiser aus seinen Reihen viele MĂ€nner, die er als Gouverneure und HeerfĂŒhrer in die Provinzen schickte, um die unterworfenen LĂ€nder zu sichern, neue Gebiete zu erobern und die Grenzen zu verteidigen.
Doch insgesamt begann mit seiner Herrschaft, nach Jahrhunderten der Eroberungs- und BĂŒrgerkriege, eine der friedlichsten Epochen, die das Abendland je kennen gelernt hatte. Die Menschen mochten Untertanen eines fernen Kaisers sein und somit nicht „frei“ in einem modernen politischen Sinn. Der großen Mehrheit jedoch – nicht nur der Römer, sondern auch der Germanen, Gallier, Iberer, Afrikaner, Syrer und anderer Provinzialen – ging es besser als je zuvor. Rom beendete die WillkĂŒrherrschaft lokaler Potentaten und brachte Rechtssicherheit; es schaffte viele Zollgrenzen und andere Handelshemmnisse lokaler MĂ€rkte ab und verteilte den Wohlstand eines Weltreiches in alle Regionen.
Als Augustus am 19. August des Jahres 14 n. Chr. starb, hinterließ er seinem Schwiegersohn und Nachfolger Tiberius ein stabiles, prosperierendes Reich, in dem schon lange alle Völker aus den LĂ€ndern des östlichen Mittelmeeres ihre Tribute an den Kaiser entrichten mussten. Bereits 30 v. Chr. – und zwar wegen der KĂ€mpfe um Caesars Erbe – war zuletzt Ägypten zur römischen Provinz geworden. Der ganze Nahe Osten war bereits seit gut sieben Jahrzehnten Teil des Imperiums, darunter auch JudĂ€a und GalilĂ€a.
Nach Jahrhunderten der Kriege herrscht in der antiken Welt die Pax Romana. An Spaniens AtlantikkĂŒste und in der JudĂ€ischen WĂŒste, am Rhein und am ersten Nilkatarakt – ĂŒberall stehen Legionen. Überall gelten dieselben Gesetze und zahlt man mit der gleichen MĂŒnze. Ein Straßennetz von rund 6000 Kilometer LĂ€nge durchzieht das Imperium, im Mittelmeer kreuzen Schiffe fast unbehelligt von Piraten. Die Boten des Kaisers und seine Legionen sind ĂŒberall im Reich – aber auch HĂ€ndler, GlĂŒcksucher, entflohene Sklaven, KĂŒnstler, Touristen. Und mit ihnen zirkulieren Ideen, GerĂŒchte, Geschichten.
Um zu verstehen, was sich in jenen Jahren RevolutionĂ€res – im Sinne eines neuen Glaubens, einer anderen SpiritualitĂ€t, anderer Werte, aber auch einer ganz anderen Einstellung zum alltĂ€glichen Leben – im Nahen Osten anbahnte, muss man zunĂ€chst den Blick nach Italien lenken, zum Herzen des Imperiums: der Stadt Rom.
Denn Rom – Roms BĂŒrger, Roms Kultur, Roms Reichtum, Roms Moden, Roms Werte – sind Maßstab fĂŒr die Bevölkerung eines ganzen Weltreiches. Überall in den Provinzen, von Grenzposten wie den spĂ€teren StĂ€dten Köln oder London bis hin zu den alten Metropolen des Ostens, etwa Athen oder Alexandria, eifern die Menschen Rom nach. Amphitheater und Thermen werden errichtet, um sich so vergnĂŒgen zu können wie ein „echter“ Römer, Theater dienen derben Schauspielen, Praetorien der Verwaltung, KanĂ€le der Hygiene, Basiliken den Gerichtsverhandlungen, Foren dem Markt, dem Klatsch, der politischen Intrige. Rom mit seiner Pracht und Exzentrik, seinem Reichtum und seinem Zynismus, seinen blendenden Tempeln und dĂŒsteren VergnĂŒgungsstĂ€tten ist weit mehr als „nur“ eine Metropole: Es ist eine geistige Macht, verfĂŒhrerisch und verschlingend. Jede neue Religion, jede strenge zumal, muss mit den gefĂ€hrlichen Reizen der Tiberstadt konkurrieren – oder lernen, sie sich zunutze zu machen.
Wie aber fĂŒhlt sich Rom an, der Mittelpunkt des Imperiums? Wie riecht es? Vielleicht lĂ€sst sich der Charakter einer Stadt nur erfassen, wenn man Augen und Ohren fĂŒr einen Moment verschließt. Wie also fĂŒhlt sich Rom an? Wie kĂŒhler Marmor? Glatt wie Gold? Warm wie Holz und Ziegel unter der Sonne?
Nein: Rom fĂŒhlt sich rau und ein wenig mĂŒrbe an wie bröckelnder Beton. Und die Stadt stinkt nicht einfach oder duftet – sie ĂŒberfordert die Nase mit ihrer Luft. Kot und Urin, Blumen und Honig, Wein und Bronze, der Dunst von Bratenfett und ranzigem Lampenöl, der Staub von zertrĂŒmmerten Steinen und Ziegeln, die billigen DuftwĂ€sserchen der Straßendirnen und kĂ€uflichen Knaben, das sanfte Aroma erlesener Dufthölzer, Pinien in GĂ€rten, Lavendel- und Rosenessenz, Pfeffer, Kardamom und viele weitere GewĂŒrze des Ostens, Blut von Tieren und Menschen – alles schwitzt die Stadt zugleich aus, ohne Unterlass jede Stunde, jeden Tag, Jahr um Jahr, Jahrhundert um Jahrhundert.
Das Wahrzeichen Roms ist nicht der Jupitertempel auf dem Kapitol, mit seiner Front aus sechs weißen ionischen MarmorsĂ€ulen, der den Herrn der Götter verherrlicht. Zwar opfern hier tĂ€glich Priester und BĂŒrger, die ihre Köpfe mit ihren Togen verhĂŒllt haben. Und so lange sie Jupiter huldigen, so besagt eine Legende, wird Rom bestehen. Doch mit den Herzen sind sie nicht dabei, ihr Ritus ist Ritual geworden. Ist, wenn ĂŒberhaupt, Aberglaube, nicht Glaube.
Nein, das echte Wahrzeichen Roms, sind seine insulae – die schĂ€bigen, fĂŒnf- bis siebengeschossigen Wohnblocks, die fast alle Straßen und Gassen der Stadt sĂ€umen, ĂŒberwölben. Die WĂ€nde aus einer dĂŒnnen betonĂ€hnlichen Masse (siehe Seite 21), die Decken aus Holzbohlen, die FensterbĂ€nder ohne Glas, die Fassaden mit Putz und Ziegeln geschminkt, um die Risse im Mauerwerk zu ĂŒberdecken, mit hastig eingeschlagenen StĂŒtzbalken in manchen Etagen, ohne fließendes Wasser, ohne Heizung, ohne einen einzigen Kamin; hoffnungslos ĂŒberfĂŒllt, laut, verwanzt und vom Einsturz bedroht, wann immer nachts ein Karren mit schweren Marmorblöcken auf der Straße vorbeirumpelt – das sind die 46 602 HochhĂ€user der Tibermetropole.
Rom um die Zeitenwende: Ungehindert strömen die ReichtĂŒmer des Imperiums in die Hauptstadt, ungebrochen ist der Menschenstrom. Manche kommen freiwillig aus den Provinzen hierher, um in der Metropole ihr GlĂŒck zu machen. Viele aber sind gegen ihren Willen in der Stadt: Rund ein Drittel der etwa eine Million Einwohner sind Sklaven.
„Echte“ Römer, deren Familien schon seit Generationen am Tiber leben, sind lĂ€ngst in der Minderheit. Denn aus allen Gegenden Italiens, aus Sizilien, Sardinien, Korsika, aus Gallien und Spanien, aus Britannien, Germanien und Raetien, von den KĂŒsten Nordafrikas und aus Ägypten, aus Griechenland und Kleinasien hat es Menschen hierhin verschlagen. Auch viele Juden haben sich in Rom niedergelassen.
Niemand weiß, wie groß Rom genau ist. Kaiser Augustus hat die Stadt in 14 Bezirke eingeteilt, 13 auf dem linken und einen auf dem rechten Tiberufer. Schon damals sind WohnhĂ€user und Sportanlagen, Theater und Tempel weit ĂŒber die alte Stadtmauer hinausgewuchert – sechs Bezirke liegen inzwischen außerhalb der einstigen Grenzen.
Die Juristen haben es deshalb lĂ€ngst aufgegeben, die GrĂ¶ĂŸe durch geografische Angaben definieren zu wollen. Sie haben stattdessen eine Regel erdacht, die ebenso praktisch und flexibel wie rĂŒcksichtslos und hochmĂŒtig ist: Roms Stadtgrenzen verlaufen stets eine Meile (1478 Meter) vor seiner geschlossenen Bebauung, wo immer die auch gerade enden mag – eine Metropole als Organismus, der ohne BeschrĂ€nkungen sein Umland verschlucken darf.
Der Moloch hat schon rund 2000 Hektar FlĂ€che okkupiert und ist stĂ€ndig vom Infarkt bedroht. Denn seine Straßen, obwohl sie aneinandergelegt rund 85 Kilometer lang wĂ€ren, sind zu eng und verwinkelt. Auf den Tiber, auf 14 Fernstraßen, acht BrĂŒcken und rund 30 Tore verteilt sich der aus allen Provinzen heranbrandende Menschen- und GĂŒterstrom: zu wenig. Und obwohl rund ein Dutzend AquĂ€dukte tĂ€glich fast eine Milliarde Liter kaltes, glasklares Nass aus dem Apennin heranschaffen, haben die meisten Römer in ihrem Leben noch nie eine Wohnung mit fließendem Wasser betreten.
1797 domus listet ein antikes Verzeichnis fĂŒr Rom auf: einzeln stehende HĂ€user, vom kleinen Alterssitz ĂŒber die Villa eines reichen HĂ€ndlers bis hin zum Palast des Kaisers auf dem Palatin. Viele Hausherren genießen Privilegien, die fĂŒr die meisten Römer undenkbar sind: Ruhe – weil geschlossene Haus- oder Hofmauern und dichtes Buschwerk den ewigen LĂ€rm dĂ€mpfen. Wasser – weil Bleirohre das Nass von Verteilerstellen bis direkt ins Haus spĂŒlen. WĂ€rme – weil Glasfenster Sonne, aber nicht KĂ€lte hineinlassen. Platz – weil sich nur eine Familie mit ihren Sklaven die WohnflĂ€che teilt.
Wer nicht reich ist – und das ist jeder, der nicht ĂŒber ein Vermögen verfĂŒgt, das dem eines heutigen MultimillionĂ€rs entspricht –, der muss sich mit einer Bleibe in einer der 46 602 insulae begnĂŒgen. Ein Bauer aus Gallien oder ein aus Germanien verschleppter Sklave mag beim ersten Blick auf die Stadt ehrfĂŒrchtig denken, dass hier selbst die gewöhnlichen BĂŒrger in himmelstĂŒrmenden PalĂ€sten leben: Fast ĂŒberall ĂŒberwuchern die dicht gedrĂ€ngten HochhĂ€user die Tempel, LagerhĂ€user und Theater, und viele dieser rund 20 Meter hohen insulae stehen auf nur 300 bis 400 Quadratmeter GrundflĂ€che.
Wer vor einem Mietshaus steht, muss den Kopf in den Nacken legen, um bis zum Rand des flachen, mit Schindeln gedeckten Daches zu blicken – und oft wird er selbst so nichts sehen können. Denn SĂ€ulengĂ€nge und Balkons aus Ziegeln und Holz kleben an der Fassade, und manchmal bleibt zwischen den Balkons zweier gegenĂŒberliegender Blocks kaum ein halber Meter Luft.
In den Erdgeschossen, hinter Rundbögen, die sich zur Straße öffnen, liegen Tavernen, wo ein Becher Wein oder ein Brot fĂŒr ein as zu haben sind, ein warmes Gericht fĂŒr zwei und eine Prostituierte fĂŒr acht – so viel, wie ein Lehrer pro SchĂŒler monatlich an GebĂŒhren einstreicht und doppelt so viel wie der Tageslohn eines LastentrĂ€gers im Hafen.
Hinter anderen Rundbögen arbeiten tonsores und stutzen mit Messern MĂ€nnern den Bart oder drehen ihnen mit EisenstĂ€ben, die in glĂŒhender Asche erhitzt wurden, Locken ins Haar. Die Messer werden von Gehilfen geschĂ€rft, die auf den Wetzstein spucken, bevor sie die Klinge anlegen. Blutungen nach einem Schnitt stillen sie mit einem öl- und essiggetrĂ€nkten KnĂ€uel aus Spinnweben.
Neben den tonsores bieten Metzger Schweinezitzen oder Rinderlungen feil, die an Haken von der Decke baumeln. Daneben haben Blumen-, Obst-, GemĂŒse- und HonighĂ€ndler ihre LĂ€den, Spiegel- und PerlenhĂ€ndler, Elfenbeinschnitzer, PastetenbĂ€cker, Stiefelmacher. Und manchmal wohnt der Besitzer einer insula selbst im Erdgeschoss und hat es zu einer Art luxuriösem Stadthaus ausgebaut.
Wie auch immer das erste Geschoss genutzt wird – prĂ€chtig ist es allemal: Reliefs aus Stein und Holz zieren die Fassade, ĂŒber die blĂŒhende Ranken meterhoch wuchern. In vielen Fenstern stehen Blumentöpfe. Manche Böden und WĂ€nde sind mit Mosaiken und Fresken geschmĂŒckt, die andernorts kaum in PalĂ€sten zu finden sind.
Doch hinter der prĂ€chtigen Fassade verbirgt sich das stinkende Elend. Die AußenwĂ€nde – dies regelt eine uralte Bauvorschrift – sind nur knapp einen halben Meter dick: zwei dĂŒnne, aufgemauerte Schalen aus Stein oder Ziegeln, die mit opus caementitium verfĂŒllt sind, dem römischen „Beton“: einer Mischung aus Mörtel (Sand und Kalk) sowie Gesteinsbruch. Der Kalk im Mörtel soll die Haftkraft verstĂ€rken – doch der ist teuer. Also lassen die Besitzer der insulae möglichst viel billigen Sand beimischen. Das hat zur Folge, dass das Gestein zu rutschen beginnt; hinter den Mauerschalen entstehen so verborgene HohlrĂ€ume, die irgendwann zu bedrohlichen Rissen aufplatzen – oder das Haus eines Tages plötzlich und unerwartet gleich zusammenstĂŒrzen lassen. Es brechen so viele insulae zusammen, dass die Karren der Abbruchunternehmer ein alltĂ€glicher Anblick sind.
Hinter den dĂŒnnen Mauern liegen die cenacula, die Mietwohnungen. Schmale hölzerne Stiegen fĂŒhren hinauf. Die glaslosen Fenster werden mit LĂ€den, VorhĂ€ngen oder gar nicht verschlossen, geheizt wird mit kleinen, zum Teil auf Rollen beweglichen Kohlebecken aus Kupfer oder Bronze, gekocht auf winzigen Herden. Deren Qualm vermischt sich mit dem Ruß der Fackeln und Öllampen zu einem stickigen Dunst. Besonders gefĂŒrchtet sind die Dachwohnungen direkt unter den Schindeln: Sie sind ofenheiß im Sommer, bitterkalt im Winter, nur unter großen MĂŒhen ĂŒber viele Stiegen zu erklimmen – und sie sind gefĂ€hrlich.
Fast tĂ€glich brennt irgendwo ein Wohnblock ab. Die unzĂ€hligen Feuerstellen, die steilen Treppen und die hölzernen Decken können jedes Hochhaus binnen Sekunden in einen riesigen Kamin verwandeln, durch den eine FeuersĂ€ule tobt. Oft entkommen die Bewohner der unteren Stockwerke gerade noch, aber fĂŒr die Mieter unter dem Dach wird das Haus beim Brand in der Regel zur Todesfalle.
Auch sonst ist das Leben in den insulae eine Qual. Die meisten Wohnungen bestehen aus mehreren RĂ€umen, die sich oft fĂŒnf oder sechs Menschen teilen – manchmal noch mehr, wenn die Mieter ihrerseits kleine VerschlĂ€ge abtrennen und weitervermieten.
Die Bewohner leben mit streunenden Hunden und Katzen und jeder Menge Ungeziefer. Den eigenen Dreck und KĂŒchenabfĂ€lle mĂŒssen sie in bronzenen oder tönernen Eimern sammeln und ĂŒber die Stiegen bis zur nĂ€chsten Abfallgrube schleppen – wenn sie ihre Nachttöpfe nicht nachts heimlich aus dem Fenster schleudern. Roms AnwĂ€lte verdienen gut an den Prozessen, in denen spĂ€te SpaziergĂ€nger Mieter verklagen, weil ihre teure Toga mit Kot besudelt oder sie durch herab fliegende Nachttöpfe sogar verletzt worden sind.
Und dieses Elend kostet so viele Sesterzen, dass man sich fĂŒr eine Jahresmiete ein kleines Landhaus bei Rom kaufen könnte. Wer das alle drei Monate fĂ€llige Geld nicht zahlen kann, muss damit rechnen, dass ihm der Vermieter die hölzerne Stiege wegzieht, wĂ€hrend der sĂ€umige Zahler nichtsahnend in seinem cenaculum sitzt – dann ist die Wohnung zum GefĂ€ngnis geworden, aus dem man sich nur mit den geforderten Sesterzen freikaufen kann.
Die erste Sorge der meisten Römer gilt daher stets dem Geld – doch kaum die HĂ€lfte der Bevölkerung arbeitet wirklich dafĂŒr.
Die meisten MĂ€nner sind mĂ€chtigen Gönnern verpflichtet: Sie sind Klienten eines Patrons. Sie begleiten ihn – einen Senator, einen reich gewordenen HĂ€ndler, einen bekannten Anwalt – bei öffentlichen Auftritten, zum Beispiel als AnklĂ€ger vor Gericht. Denn je grĂ¶ĂŸer das Gefolge eines Patrons, desto grĂ¶ĂŸer dessen Prestige – was vor Gericht, aber auch am kaiserlichen Hof nĂŒtzlich sein kann, um den eigenen Interessen Nachdruck zu verleihen. FĂŒr diese traditionelle Gefolgschaft bezahlt der Patron seine Klienten. DafĂŒr mĂŒssen sie allerdings frĂŒh an jedem Morgen in sein Haus kommen, um ihm ihre Aufwartung zu machen. Also marschieren im ersten grauen Licht Tausende von schlaftrunkenen, ungewaschenen MĂ€nnern (niemand hĂ€lt sich morgens mit einem Bad auf) durch die Stadt, um bei ihrem Patron vorzusprechen.
SpĂ€testens beim ersten Schritt vor die TĂŒr der insula beginnt der alltĂ€gliche Kampf der Römer. Noch vor Sonnenaufgang dröhnt das HĂ€mmern der Schmiede und der BlattgoldschlĂ€ger durch die Luft und das dumpfe Stampfen der Sklaven, die in Mörsern das Getreide zu Mehl zerstoßen. 80 000 Tonnen Getreide werden jĂ€hrlich auf rund 240 Schiffen allein aus Ägypten importiert – und die Körner grĂ¶ĂŸtenteils nicht in MĂŒhlen gemahlen, sondern von Sklaven zerstampft.
Draußen auf den Straßen zĂ€hlen nur noch Frechheit und Vorsicht, Ortskenntnis und Ellenbogen. MĂ€nner in weißen, halblangen Tuniken oder wallenden Togen drĂ€ngen sich auf den Gassen; neben ihnen Frauen, deren GewĂ€nder in krĂ€ftigen Farben leuchten. Wer es sich leisten kann, kĂŒhlt sich mit FĂ€chern aus Pfauenfedern oder schwenkt Sonnenschirme. Rom ist tagsĂŒber eine Stadt der FußgĂ€nger, seit Julius Caesar fast allen Kutschern und HĂ€ndlern das Nutzen ihrer Fuhrwerke auf die Nachtstunden beschrĂ€nkt hat, um dem Verkehrsinfarkt vorzubeugen.
Doch das hat das Chaos nur gemildert, nich...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Widmung
  4. Der geheimnisvolle Mann aus GalilÀa
  5. Chronisten, GlĂ€ubige und Gegner – eine Spurensuche
  6. Ein Reich von dieser Welt
  7. Das auserwÀhlte Volk
  8. Die rÀtselhafte Frohe Botschaft
  9. Zeugen ohne Glauben
  10. König, Vasall und Baumeister
  11. PharisÀer, SadduzÀer, Essener und andere
  12. Unter den Stiefeln der Legionen
  13. Eine Jugend in Nazareth
  14. Der TĂ€ufer
  15. Der Menschensohn und seine JĂŒnger
  16. Eine radikale Botschaft
  17. Nach Jerusalem
  18. Aufruhr und Obrigkeit
  19. Abendmahl
  20. Das Kreuz
  21. Ostern
  22. Nachbemerkung
  23. Ortsregister
  24. Personenregister
  25. Karten
  26. Bildnachweis
  27. Über den Autor
  28. Impressum