Sind Frauen von Natur aus aufopfernd?
Über den animalischen Mutterinstinkt im Frankreich der Dritten Republik
Marion Thomas
Einleitung
In Die Mutterliebe. Die Geschichte eines Gefühls vom 17. Jahrhundert bis heute (1980) vertritt Élisabeth Badinter die Position, dass die Mutterliebe kein in der weiblichen Natur wurzelnder Instinkt sei, sondern vielmehr ein Gefühl und daher „ungewiss, vergänglich und unvollkommen.“ Ihrer Einschätzung nach handelt eine Mutter eher gemäß den gängigen Werten ihrer Epoche als gemäß einer wirklichen Sorge um ihr Kind, einer Sorge, die ihrer Frauennatur doch angeblich angeboren ist. Die Mutterliebe wäre folglich ein Mythos, der auf unterschiedlichen sozialen Konventionen aufsitzt und diese Konventionen bekräftigt, die vorgeblich einer natürlichen Ordnung folgen. Badinter konzentriert sich darauf, wie Politiker und Ärzte an der Wende zum 20. Jahrhundert in stetem Bezug auf eine natürliche Autorität weibliche Identitäten bilden und verstärken konnten. Dagegen besteht unser Ziel im Folgenden darin, zu untersuchen, inwiefern Naturalisten aus derselben Epoche (Fabre, Perrier und Giard) eine vergleichbare Naturalisierung des mütterlichen Verhaltens unterstützt haben, um gewisse geschlechtsgebundene soziale Konventionen, besonders die Aufgabenverteilung der Geschlechter, zu rechtfertigen. Umgekehrt soll die Perspektive dieser Wissenschaftler auf Weiblichkeit und Mütterlichkeit betont und untersucht werden, inwiefern ihre jeweilige Position zu damaligen feministischen Diskursen ihre eigenen wissenschaftlichen Diskurse und Praktiken beeinflusst hat. Letztlich soll sichtbar werden, wie am Ende des 19. Jahrhundertes die engen Verflechtungen zwischen einer Theorie des Mutterinstinkts und politischer Ideologie zur Konstruktion einer neuen politischen Ordnung und einer neuen Natursystematik beigetragen haben.
I. Unterschiedliche Diskurse der weiblichen Natur in Frankreich am Ende des 19. Jahrhunderts
Mehrere neue geschichtswissenschaftliche Arbeiten haben gezeigt, dass die in Frankreich verbreitete spezifische Auffassung zur Stellung der Frau in der Natur eine zentrale Rolle im Konzept der Republik, besonders nach 1848, gespielt hat. Beschreibt Jules Michelet (1798–1874) die Frau als „Mutter, verrückt nach Mütterlichkeit“, behaupten die Republikaner, dass die Frau ihrer Natur als Ernährerin und Erzieherin gehorchen muss, um mit der Reproduktion zukünftiger Generationen die Zukunft der Republik zu sichern. „Für die anderen zu leben“ ist das Schicksal der Frau. Noch 1911 erinnert die anti-feministische Moralistin Ida Sée an ihre „Mission“, im Rahmen dessen sie „all die Opfer, Schmerzen und Leiden vergessen“ muss und im Gegenteil darin „einen Anreiz und eine Hoffnung“ sehen.
Diese neue Stellung der Frau im republikanischen Weltbild hängt eng mit dem seit der Revolution 1789 verfolgten Ziel zusammen, die Frauen dem Einfluss der Priesterschaft zu entziehen. Aus dieser Sorge heraus richtet sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit der Republikaner auf die bislang von den Klerikalen monopolisierte Erziehung der Mädchen. Das Gesetz Camille Sée, das im Dezember 1880 eine laizistische Oberschule für Mädchen vorsieht, ist der Abschluss dieser Auseinandersetzungen. Das Gesetz zielt nicht nur darauf, über die endlich erreichte Alphabetisierung hinaus eine Schulausbildung zu sichern, sondern es will „die Mädchen der Kirche entreißen.“ Damit ist eine wichtige Etappe zur laizistischen Schulausbildung und allgemeiner zur Verteidigung einer säkularisierten Gesellschaft erreicht.
Diese Veränderung in der Ausbildung der Frauen bedeutet jedoch nicht deren soziale Emanzipation. Octave Gréard, Funktionär der Pariser Akademie, sagt es deutlich: „Der Platz [der Frauen] ist in der Familie und im Haushalt. Dies ist eine gewichtige Position, die notwendig zwischen anderen steht. Und sie wird mit größerer Autorität ausgefüllt, wenn Frauen eine gesunde Erziehung bekommen.“ So sollen Frauen eine von den Männern unterschiedene Ausbildung erhalten. Paul Broca (1824–1880), zuständig beim Senat für die Prüfung der Gesetzesvorlage Sée, formuliert es folgendermaßen:
Es muss entschieden werden, was für die jungen Mädchen am nützlichsten ist unter besonderer Berücksichtigung dessen, was am besten der Natur ihres Geistes und ihrer zukünftigen Rolle als Familienmutter entspricht. Dafür sollten sie von bestimmten Studien befreit werden, um mehr Zeit für geschlechtsgemäße Arbeiten und Beschäftigungen zu schaffen. Die toten Sprachen scheiden aus, der Philosophieunterricht ist auf die Morallehre begrenzt, grundlegender ist die wissenschaftliche Ausbildung.
Ins Unglück sollen alle Frauen stürzen, die Wissensgrenzen überschreiten und den Männern vorbehaltene Stellen anstreben. So sehr besingt die Antifeministin Sée jene Frauen, die sich ihrer mütterlichen Pflicht widmen, und so heftig schmäht sie diejenigen, die sich für die Ausbildung entschieden haben, um zu arbeiten oder sich einer intellektuellen Passion zu widmen. Sie erklärt: man „muss die Mädchen in dem Sinne erziehen, dass jede Frau wünschen muss, Mutter zu sein, und dass allein ein ungnädiges Schicksal sie dazu verdammt, Arbeiterin, Buchhalterin, Lehrerin, Ärztin oder Anwältin zu sein!“
Als weitere soziale Gruppe haben die Demographen das Bild der Frau und die Bestimmung ihrer Rolle in der Gesellschaft beeinflusst. Besorgt über die niedrige Geburtenrate der französischen Bevölkerung am Ende des 19. Jahrhunderts klagen sie die Frauen an, ihre soziale Pflicht zu vernachlässigen: sie sollten die Gesellschaft mit Kindern zur Verteidigung der Republik versorgen. Aus dem Grund geißeln sie die Neo-Malthusianer und die FeministInnen, die für Gleichberechtigung und Geburtenkontrolle kämpfen, zusätzlich zu ihrer Forderung des Rechts, bisher Männern vorbehaltene Arbeiten ausüben zu können. So denkt der Neo-Malthusianer Paul Robin (1837–1912), dass die Verhütung in der Frauenemanzipation eine wesentliche Rolle spielt und eröffnet daher 1889 ein Beratungszentrum für Verhütungsmittel und den Verkauf entsprechender Artikel. Die Feministin Nelly Roussel (1878–1922) ihrerseits fordert eine „bewusste und wunschgemäße Mutterschaft“ und möchte diese als soziale Funktion anerkannt wissen. Gegen die Idee einer von Gott, von der Natur und nun von der republikanischen Gesellschaft „geopferten ewigen“ Frau unterstützt Roussel das weitgehend vom amerikanischen Modell angeregte Bild einer sportlichen, aktiven und in einem aufwertenden Beruf engagierten Frau. Die radikalere Madeleine Pelletier (1874–1939) predigt eine „uneingeschränkte Befreiung“ der Frau, die zu einer vollständigen Neufassung der jeweiligen gesellschaftlich zugewiesenen Rollen von Mann und Frau führen soll. Pelletier verteidigt zudem die außereheliche Lebensgemeinschaft, die Abtreibung und das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper.
Es stellt sich nun die Frage, inwiefern am Ende des 19. Jahrhunderts diese verschiedenen Diskurstypen die Arbeiten der Biologen beeinflusst haben – und wie diese Biologen umgekehrt bei dem Autoritätstransfer vom Natürlichen zum Politischen gemeinsam mitgewirkt haben. Konnten sie beweisen, dass die Hingabe und die unbedingte Mutterliebe zur Nachkommenschaft biologisch determiniert waren? Wollten sie mit ihren Studien zum Mutterinstinkt die vorherrschende Politik stützen oder haben sie im Gegenteil das Ziel verfolgt, auf „natürliche“ Ausnahmen hinzuweisen, um Schwachstellen des vorherrschenden Gesellschaftsmodells sichtbar zu machen?
II. Jean-Henri Fabre stellt das Bild der untergeordneten und opferbereiten Frau in Frage
Begeistert von der Naturkunde, insbesondere von der Entomologie, hat Jean-Henri Fabre (1823–1915) sein Hauptwerk Souvenirs entomologiques hinterlassen, veröffentlicht in zehn Bänden über die Jahre 1879 bis 19...