KOMPONIEREN MIT MESSIANISCHEM ANSPRUCH – KARLHEINZ STOCKHAUSEN
Als wolle er noch einmal deutlich machen, was es für ihn mit seiner Wahlheimat auf sich habe, ließ der im November 2007 vom Kölner Kulturdezernenten angeschriebene Komponist diesen im unverzüglich verfassten Antwortbrief Punkt für Punkt wissen: »Die Stadt Köln ist seit 1947 meine Stadt: 1947-1951 quasi jede Nacht in Bars, Clubs als Alleinunterhaltender Pianist oder mit ›Combo‹ mein Leben und Studium verdient – sehr oft auch tagsüber in Cafés, Restaurants, bei Tanzkursen usw. Ich kenne wirklich jede Ecke Kölns, habe in verschiedenen Stadtteilen gewohnt, z.B. zwei Jahre im Studentenheim Kerpener Straße …«
Wieder einmal war Stockhausen voller Gram gewesen, dass die Stadt, deren Ruhm er wie kein anderer Komponist des 20. Jahrhunderts zu mehren half, sich unverständlicherweise in Schweigen hüllte, während außerhalb, in allen Landen, die Vorbereitungen anlässlich seines bevorstehenden 80. Geburtstags am 22. August 2008 auf Hochtouren liefen. Doch alle Vorschläge, die er den Kölner Institutionen (Oper, Gürzenich-Orchester, Philharmonie) gemacht hatte, blieben ohne Resonanz. Trotz allem Groll aber zeigte er sich dennoch versöhnlich: »Es sollte doch möglich sein, dass ich nach 60 Jahren kompositorischer und interpretatorischer Arbeit in Köln einen Frieden bei allen finde. Es geht um mein musikalisches Werk, und zum Glück ist mit keinem der Genannten jemals ein persönlicher Konflikt vorgekommen.« Stockhausen sah sich im Recht. Und geschäftstüchtig wie er nun einmal war, winkte er mit dem Zaunpfahl: »Warum wird South Bank Centre London 2008 sieben Tage mit meinen Werken veranstalten, und nicht die Kölner Philharmonie? Die Gulbenkian Foundation (Lissabon) wird alle fertigen Teile des neuen Zyklus Klang und dazu Momente mit Chor und Orchester aufführen, das Mozart-Orchester (Bologna) die Uraufführung – mit dem für mich bisher höchsten Auftragshonorar – eines neuen Orchesterwerks mit anschließender Italientournee ermöglichen. Ein zehntägiges Stockhausen-Festival wird in Sydney mit meinen Werken stattfinden – usw. usw. «
Nur zwei Wochen nach diesem Brief ist Karlheinz Stockhausen, der Genius der Avantgarde, am 5. Dezember 2007 plötzlich gestorben. Und wieder einmal scheint sich die alte Wahrheit zu bestätigen, dass der Prophet zu Lebzeiten im eigenen Lande nichts gilt. Es ist schon merkwürdig und höchst blamabel obendrein, dass die Beklagten nach dem unerwarteten Tod sich kühn aufschwingen und alles daran setzen, das so grotesk Versäumte schnellstens nachzuholen, um das ramponierte eigene Ansehen möglichst rasch aufzubessern. Da klang es geradezu unredlich und wie Heuchelei, dass die Intendantin des WDR Monika Piel in einer ersten Stellungnahme zum Tod eilfertig erklärte: »Mit Karlheinz Stockhausen verlässt uns ein außergewöhnlicher Künstler und Avantgardemusiker von internationalem Rang, der intensiv mit dem WDR zusammengearbeitet …, als Leiter des elektronischen Studios … wesentlich dazu beigetragen hat, Köln zu einem bedeutenden Zentrum der Neuen Musik zu entwickeln …, der eine Reihe von Kompositionsprinzipien entwickelte, die bahnbrechend und stilbildend für die folgenden Komponistengenerationen waren …«
Im erwähnten Brief an den Kulturdezernenten hatte sich Stockhausen ebenfalls bitter über die unerwartete Schließung des Elektronischen Studios im Jahre 1998 beklagt, an der Monika Piel noch in anderer Funktion maßgeblich beteiligt gewesen war. So bleibt ihr der Vorwurf Stockhausens im Nachhinein nicht erspart. Schrieb er doch: »Der eigentliche Grund (für die Schließung, d. Verf.) war die neue Hörfunkdirektorin Monika Piel, die … äußerte, für Elektronische Musik bestünde kein Sendebedarf … Seitdem ist meine Musik im WDR nahezu ganz unterdrückt worden – der Intendant zog mit, und der neue Direktor von WDR 3 … will meine Musik auch nicht … Politische Einstellung … spielt dabei eine große Rolle und setzt fort, was unterschwellig in Westdeutschland seit 1968 dominierte: Stockhausen sei ›elitär‹, ›pseudo-religiös‹, ›kapitalistisch‹, ›imperialistisch‹, ›antisozial‹ usw. usw.«
Philharmonie-Intendant Langevoort ließ sich für eine »Stockhausen-Biennale« zum 80. Geburtstag vom Jubilar selbst zwar rechtzeitig eine Serie von Konzerten vorschlagen, doch nach Ausarbeitung und Zusendung der Programme nichts mehr von sich hören. Auch er übte sich nach dem Tod in Beflissenheit: Riesenplakate in Großaufnahme mit Stockhausen und dem Prunk der Mailänder Scala (nicht der Philharmonie) als Kulisse kündigen an: »Köln feiert den weltberühmten Tonkünstler, die Symbolfigur der Avantgarde, mit überzeitlichem Klangmonument, Performances, Filmen und Ausstellung vom 21.-25. August 2008 in Philharmonie, Kölner Kunstverein, Filmforum, Kunststation St. Peter, WDR Funkhaus«. Dagegen ertönte aus Oper und Gürzenich-Orchester zur »Symbolfigur der Avantgarde« nichts, »weil« – so Stockhausen – der zuständige Generalmusikdirektor und Gürzenich-Kapellmeister »meine Musik nicht ausstehen kann«.
Das erste Philharmonie-Programm post mortem hingegen weist darauf hin: »die KölnMusik beteiligt sich mit zwei herausragenden Konzerten am musikalischen Gedenken …« Von städtischer Seite wird wohl stillschweigend längere Bedenkzeit erbeten. Ein Trauerakt der Stadt? Fehlanzeige. Eine Gedenkstätte? Ein absurder Gedanke. Schließlich war er kein Willi Ostermann.
Im Hörfunk des WDR indessen wurde für den »revolutionären Musiker und Komponisten« aus Anlass des 80. Geburtstages fast rund um die Uhr alles mobil gemacht. Alles Verfügbare hatte man aufgeboten, um Stockhausen postum zu feiern oder auch das schlechte Gewissen zu besänftigen. An zwei restlos vollgestopften Radiotagen am 22. und 23. August waren alle »wichtigen Werke, Ausschnitte aus Gesprächen und Sendungen sowie Erinnerungen von Weggefährten zu hören.« Fragte sich nur, wer ein solches Mammutprogramm verkraften oder konsumieren kann.
Stockhausen, das ist gewiss, lebt in der Geschichte weiter, auch ohne Kölner Anbindung. Die Singularität seiner außerordentlichen Persönlichkeit wie seine Genialität als Pionier und Erfindergeist stand in allen Würdigungen nach seinem Tod unverkennbar im Mittelpunkt. An schöpferischer Phantasie und unbändigem, aufrührerischem Neuerungswillen hatte er in den Nachkriegsgenerationen nicht seinesgleichen. Sein hoher, scharfsinniger, gewissermaßen exzentrischer Intellekt spielte kompositorisch alle musiktechnischen Verfahren durch und führte alle Gedanken und Prozesse konsequent zu Ende. Keiner vermochte das Tor ins Reich der ungehörten neuen Klänge so weit aufzustoßen, kein anderer hat eine solche Fülle an unverwechselbaren und neuartigen Meisterwerken hinterlassen wie er. In ihrer Tragweite sollten sie niemals unterschätzt werden. Überschätzt wird dagegen gemeinhin der vermeintlich große Einfluss auf die progressive Rock- und Popmusik.
Mit der kompromisslosen Durchsetzung seiner Ideen, der Integration der von ihm perfekt beherrschten Elektronik und dem gleichsam messianischen Anspruch eines universalen Schöpfertums hat er mehr als alle anderen zur Erweiterung des musikalischen Bewusstseins unserer Zeit beigetragen. Werke wie Kontra-Punkte, Klavierstücke (1952), Gesang der Jünglinge (1956), Gruppen (1957), Kontakte (1960), Stimmung (1968), Mantra (1970) und andere werden ihren künstlerischen Wert und Einfluss noch in langer Zukunft geltend machen. An ihnen kommen progressive Komponisten wohl niemals vorbei.
Karlheinz Stockhausen erblickte am 22. August 1928 in Mödrath, einem Örtchen des Braunkohlereviers westlich von Köln, das Licht der Welt. Sein Vater, Volksschullehrer, fiel im Zweiten Weltkrieg. Seine psychisch kranke Mutter kam 1941 im Zuge des Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten ums Leben. Die Familie war bettelarm. Schon in seiner vom Krieg geprägten Jugend war Stockhausen gezwungen, mit primitivsten Beschäftigungen seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Nach dem Abitur in Bergisch Gladbach studierte er von 1947 bis 1951 Schulmusik an der Kölner Musikhochschule (Komposition bei Frank Martin), nebenbei an der Universität Musikwissenschaft, Philosophie und Germanistik. Beides war aber für seinen Lebensweg nicht entscheidend. Erst das einjährige Studium bei Olivier Messiaen in Paris (1952/53), wo er Pierre Boulez kennenlernte, und die Einladung Herbert Eimerts an das Kölner Elektronische Studio sowie die regelmäßigen Besuche der einflussreichen Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik brachten ihn auf Kurs. Steil nach oben führte nun der Weg, dessen vielfältige Stationen in aller Welt sich in diesem Rahmen nicht im Detail anführen lassen. Seit den 1950er Jahren bildete Stockhausen mit Pierre Boulez und Luigi Nono das Dreigestirn der Neuen Musik.
1951 heiratete er die begüterte Hamburgerin Doris Andreae, mit der er vier Kinder hatte, 1967 die Künstlerin Mary Bauermeister, die ihm zwei Kinder schenkte und sich 1972 endgültig von ihm trennte. Danach schien er im Zusammenleben mit der Flötistin Kathinka Pasveer und der Klarinettistin Suzanne Stephens in seinem Haus im Bergischen Kürten das Ideal einer Ménage à trois gefunden zu haben. Wer häufiger mit dem genialen Künstler, einem gelegentlich heiteren, humorvollen, ansonsten strengblickenden, höchst komplizierten Menschen zu tun hatte, bedarf wohl kaum der Aufklärung über dessen zuweilen auch viel Unverständnis hervorrufende Weltanschauung und Natur. In seiner zutiefst rheinisch-katholischen Mixtur, die ihn nie verließ, fand alles zusammen, was den nicht selten eher befremdlichen Charakter Stockhausens prägte: Simplizität und Exzentrizität, Plattheit und Verschlagenheit, Großzügigkeit und Kleingeisterei, Ingeniosität und Mystizismus, Schamanentum und Egomanie, Weltläufigkeit und Transzendenz. Diese rare Mischung hat dem religiösen Rebellen und Revolutionär viel Häme, Hohn und Verachtung eingebracht.
Wohl jeder erlebte Stockhausen individuell: Er war autoritär, kritikempfindlich, aufbrausend, unbeherrscht, ungerecht, wenn es ihm opportun schien, auch liebenswürdig, freundlich, zuvorkommend. Streitigkeiten gab es im Umgang oft: Die Honorarabteilungen der Sender werden sich vermutlich an seine unnachgiebige Pfennigfuchserei noch lange erinnern, weil sie einfach nicht hinnehmen konnten, dass dieser meist so abgehobene, überirdische Geist so unerbittlich, mit so viel Schläue wie Hartnäckigkeit das ihm (nicht) zustehende Geld einfordern konnte. Und von der Realität und Rationalität hatte er bisweilen gar völlig abgehoben: »Ich wurde auf Sirius ausgebildet, und dort will ich auch wieder hin, obwohl ich noch in Kürten bei Köln wohne.«
Seine umstrittenen Äußerungen über die verheerenden Terroranschläge vom 11. September 2001 auf die Türme des World Trade Centers in New York – »Jetzt müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen – das größte Kunstwerk, was es je gegeben hat« – riefen in den Medien wie in der Öffentlichkeit helle Empörung hervor. Von dieser Reaktion hart getroffen (der NDR brach sofort eine Konzertreihe ab) distanzierte sich Stockhausen ziemlich erschrocken und versicherte in einer Erklärung, dass er die Opfer in sein tägliches Gebet einschließe. Das geschah privat, denn aus der Kirche war der Pantheist längst ausgetreten.
Bleibt als Verdienst, dass Stockhausen als Leiter einer Kompositionsklasse an der Kölner Musikhochschule (1971-1977) bedeutende Schüler hervorgebracht hat (neben anderen Wolfgang Rihm, Robert HP Platz und Walter Zimmermann). Bei seinen Produktionen war er stets von hochbegabten Assistenten umgeben: Péter Eötvös, Mesias Maiguashca, David Johnson, Joachim Krist, Rolf Gehlhaar, Hugh Davies, Gottfried Michael Koenig und vielen anderen, die für ihn fast Tag und Nacht Tätigkeiten wie zum Beispiel Partiturenschreiben erledigen mussten. Unverzichtbar waren die auf seine musikalischen Abenteuer musterhaft eingeschworenen Interpreten, die einzeln wie im Kollektiv das berühmte »Kölner Spezialistenteam für Neue Musik« bildeten, rund um den Globus reisten und überall höchste Reputation genossen: Siegfried Palm (Violoncello), Aloys und Alfons Kontarsky (Klavier), Saschko Gawriloff (Violine), Christoph Caskel (Schlagzeug), Vinko Globokar (Posaune), Johannes Fritsch (Viola), überdies Markus, Majella und Simon Stockhausen sowie Kathinka Pasveer und Suzanne Stephens.
Nachdem Stockhausen seine Aufgaben als Hochschul-Professor, man könnte sagen, sträflich vernachlässigt hatte und sich auch noch strikt auf seine Unantastbarkeit als Großkomponist berief, riss Johannes Rau, damals Wissenschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, der Geduldsfaden. Die fristlose Kündigung folgte auf dem Fuße, und Stockhausen hätte sich (wie Joseph Beuys an der Düsseldorfer Kunstakademie) über den Rausschmiss eigentlich nicht zu wundern brauchen. Administrativ war das in Ordnung, aus der Sicht garantierter künstlerischer Freiheit wohl doch eher fragwürdig. Um Ideen und Projekte war der Meister niemals verlegen gewesen, vielleicht auch deswegen nicht, weil ihm im WDR so furchtlose und risikofreudige Redaktionsleiter wie Otto Tomek und Wolfgang Becker die Stange hielten und ihm mit Aufträgen und Honoraren lange Zeit generös unter die Arme griffen.
Noch im gleichen Jahr 1977 begann er die Heptalogie Licht, einen gigantischen Musiktheater-Zyklus der sieben Wochentage, dessen spiritueller Anspruch die einen provozierte, die anderen verzauberte. Bis zum Abschluss im Jahre 2005 hatte er nahezu ausschließlich daran gearbeitet. Ein Mega-Opus, auf einer »Superformel« aufgebaut, ein Lebenswerk, das religiöse, mystische und autobiographische Themen bündelte. Michael, Eva und Luzifer sind die Hauptfiguren: überirdische Symbolgestalten für Stockhausens vielkritisierte, nicht unumstrittene Weltanschauung?
Komplette Teile des Zyklus wie der Montag aus Licht wurden vorab in der Mailänder Scala und in Leipzigs Oper, Ausschnitte daraus auch andernorts halbszenisch oder konzertant uraufgeführt. Eine Gesamtaufführung der sieben Opern von LICHT steht noch aus, wo im Mittwoch aus Licht auch ein Streichquartett in vier Hubschraubern zum Einsatz kommt, die den Schauplatz überfliegen und von denen die Schallergebnisse per Kontaktmikrofon und Videokamera in einen Saal übertragen werden. Erste Zusagen soll es für das 29 Stunden Musik umfassende Großprojekt von der Ruhr-Triennale und einigen anderen Bewerbern geben. Immerhin wurden im April 2011 im Staatenhaus am Kölner Rheinpark erstmals die beiden Teile von Sonntag aus Licht komplett aufgeführt, denen der Komponist gleich im Anschluss als neues Mammutwerk die 24 Stunden des Tages hinzuzufügen gedachte. Es blieb Fragment und wurde 2010 postum als neunstündiges Opus an verschiedenen Schau- und Hörplätzen in Köln uraufgeführt. Der Rest wird für immer fehlen. Es sei denn, der stets das Absolute herausfordernde Stockhausen beendet das Werk auf dem Wunderstern Sirius. Wie wir ihn im Irdischen kennen lernten, wäre das nicht undenkbar.
Noch am Vorabend seines überraschenden Todes konnte Stockhausen für das Orchestra Mozart in Bologna auftragsgemäß und pünktlich ein neues Stück beenden. 1995 war ihm für sein revolutionäres Schaffen, das nach Angaben seines Verlags 363 Werke zählt, der Hamburger Bach-Preis, ein Jahr später die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin und 2001 der inoffizielle Nobelpreis für Musik (Polar Music Prize) verliehen worden. Ob die (Wahl-) Heimatstadt den schändlichen Nachholbedarf wohl verspürt?
Der Tod kam plötzlich, nach dem Morgengebet. Seine letzte Ruhestätte aber hatte Stockhausen lange vorher sorgsam ausgewählt und bestimmt, dass das Innere mit bemalten Kacheln und Insignien seiner LICHT-Opern dekoriert werden sollte. Vor der Beisetzung konnten Angehörige und Freunde ein paar Stunden lang Abschied nehmen, rührend umsorgt von seinen Frauen. Eine von ihnen hatte ein Grabgebet verfasst, das mit dem christlichen Vaterunser schloss. – Erst neun Monate später veranstaltete KölnMusik laut Philharmonie-Programm immerhin »zwei herausragende Konzerte« zum Gedenken an den Komponisten …
HIN ZU NEUEN UFERN – ENTSTEHUNG UND AUFBAU DES WDR
Es war nicht leicht, aber höchste Zeit, dass sich der WDR 1955 aus der lähmenden Umklammerung des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR), einer Großanstalt für fünf Länder mit Sitz in Hamburg, löste und die ihm längst zugedachte Eigenständigkeit erlangte. Obwohl Nordrhein-Westfalen mit den meisten Einwohnern die höchsten Gebührenerträge einbrachte, blieb das größte Bundesland in diesem mächtigen Medienverbund mit Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Berlin ständig unterrepräsentiert. Obendrein war der dem Kölner NWDR eingeräumte Programmanteil viel zu gering. In Hamburg dagegen bestand man einfach darauf, die Hauptnachrichten allein zu produzieren. So viel Arroganz war eines Tages selbst Heinz Kühn, einem der Väter des WDR-Gesetzes von 1954, ein Schritt zu weit über den Rubikon; er sagte später: »Wir standen alle miteinander unter dem wohlbegründeten Eindruck, dass Hamburg eine etwas herablassend patronisierende Vorherrschaft über das Ganze ausübte, wir aber auf die Tradition des WDR verweisen konnten.«
Im Rückblick auf die Geschichte muss man dem Schicksal dankbar sein, dass nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg nicht alle Kräfte aufgezehrt waren, um unmittelbar nach seinem Ende neben dem Aufbau der zerstörten Stadt auch die Wiederherstellung des Kölner Rundfunks zu ermöglichen. Die Ausgangssituation schien dafür wenig günstig; denn die gesamte Infrastruktur war in der fast völlig zerstörten Stadt lahmgelegt, das Funkhaus in der Dagobertstraße seit Juni 1943 von Brandbomben schwer beschädigt, der technische Trakt ebenso wie der Große Sendesaal vernichtet, und der Sender Langenberg im April 1945 noch von deutscher Hand selbst gesprengt worden. Dennoch gelang es, eine in den Kriegstagen in Sicherheit gebrachte Sendeanlage bald zurückzuholen, so dass britische Soldaten und deutsche Techniker schon im September einen provisorischen Sendestart wagen konnten.
Mit Max Burghardt, einem früheren Schauspieler und Rundfunkjournalisten, erhielt das Kölner Funkhaus (nach den alliierten Kontrolloffizieren) den ersten deutschen Intendanten. Er war nur 15 Monate im Amt, als ihn die Briten plötzlich entließen. Burghardt ging in die DDR und machte dort in Theater und Politik steile Karriere. Sein Nachfolger wurde Hanns Hartmann, der als Theaterleiter in der Weimarer Republik bekannt geworden war. 19...