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Über die Schaffung und Vernichtung von Werten

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Über die Schaffung und Vernichtung von Werten

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Über dieses Buch

Wie kommt es, dass Müll unversehens als Antiquität gehandelt werden kann? Müll ist keine materielle Eigenschaft von Dingen, sondern eine kulturelle Zuschreibung und das Ergebnis eines gesellschaftlichen Codierungsprozesses. Das Verständnis für die Entstehung der Kategorie »Müll« ist eine Grundvoraussetzung, um die Mechanik der fließenden Übergänge zwischen Privatem und Öffentlichem, Informalität und Formalität, Vergänglichem und Dauerhaftem richtig zu beschreiben. Michael Thompsons 1979 erstmals erschienene »Mülltheorie« ist nicht nur ein Klassiker der Cultural Theory, sondern im Zeichen von Klimawandel und Nachhaltigkeitsdiskursen von ungebrochener Aktualität. Dies stellt Thompson zusammen mit Co-Autor M. Bruce Beck in einem unbequemen Nachwort unter Beweis, in dem die Autoren unser Verhältnis zum Wasser analysieren.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783732852246

Rubbish Theory (1979)

1. Der Schmutz auf dem Weg

Rätsel: Der Reiche steckt es in seine Tasche, und der Arme wirft es weg. Was ist das?
Antwort: Rotze.
Während Kinder dieses Rätsel gewöhnlich äußerst lustig finden, besteht die normale Reaktion von Erwachsenen darin, es als kindisch, anrüchig, ziemlich abstoßend und keiner ernsthaften Beachtung wert zu betrachten. Die Mülltheorie stellt diese Reaktion nicht nur auf den Kopf, sondern betrachtet diesen Witz als besonderer Aufmerksamkeit wert, und zwar gerade, weil die normale Reaktion von Erwachsenen in der westlichen Kultur darin besteht, ihm keine Beachtung zu schenken. So ist es schon von Anfang an nahezu unmöglich, sich distanziert, objektiv und wissenschaftlich dem Gegenstand der Mülltheorie zu nähern. Der ernsthafte Erwachsene ist ein ernsthafter Erwachsener, weil er kindischem Dreck aus dem Weg zu gehen versucht, und deshalb erscheint es als ein Widerspruch, sich mit dem Anspruch eines ernsthaften Erwachsenen mit kindischem Dreck zu beschäftigen – nicht weniger widersprüchlich als die Haltung eines kommunistischen Börsenmaklers (oder vielleicht eines jungen Konservativen oder eines Kunst-Ausbilders).
Dieses kindische Rätsel lässt jedoch in geeigneter, wenn auch vulgärer Weise die Umrisse des Schwerpunktes meines Erkenntnisinteresses erkennen. Zuallererst definiert es eine Beziehung zwischen einem Status, dem Besitz von Gegenständen und der Fähigkeit, Gegenstände wegwerfen zu können. Das einwandfreie und ziemlich wenig amüsante Beispiel, das mit dem Rätsel aufgestellt wird, mag folgendermaßen ausgedrückt werden: Es existiert ein Statusunterschied zwischen dem Reichsein und dem Armsein, wobei ersteres einem höheren und letzteres einem niedrigeren Status entspricht. Reichsein oder Armsein bestimmt sich nach der Menge der Gegenstände, die man besitzt: Eine arme Person besitzt wenige Gegenstände, eine reiche Person viele. Aber wie kann man feststellen, ob jemand reich oder arm ist? Abgesehen von Vagabunden ziehen es die meisten Menschen vor, sich ohne ihre ganzen Besitztümer zu bewegen, und wirklich reiche Leute wären physisch gar nicht in der Lage, ihren Besitz mit sich zu führen, selbst wenn sie es wollten und selbst wenn man einmal annähme, dass sie die Sicherheits- und Versicherungsprobleme, die ein solch ostentatives Verhalten mit sich brächte, lösen könnten. Nun, die Antwort lautet, dass es sehr schwierig sein kann, einen Reichen von einem Armen zu unterscheiden. Doch kann als sicherer Hinweis auf den Status gelten, wie viele Gegenstände Leute in der Lage sind wegzuwerfen. Ein Armer, da er nur wenig Besitztümer hat, wird kaum etwas, ein Reicher dagegen mehr wegwerfen können.
Dieses Paradigma ist offensichtlich richtig, da, zumindest in der westlichen Kultur, die Leute dieses Rätsel als Rätsel anerkennen. Das heißt, es behauptet, es gäbe eine Situation, die, zumindest auf den ersten Blick, die gesamte Grundlage unserer gesellschaftlichen Ordnung zu leugnen scheint: Dass nämlich ein Mensch, der arm ist, mehr wegwirft als einer, der reich ist. Wir werden durch das Rätsel in Verwirrung gestürzt, zermartern uns den Kopf auf der Suche nach einer Antwort, können keine finden und fühlen uns, wenn wir die Antwort »Rotze« hören, betrogen, weil wir angenommen hatten, der weggeworfene Gegenstand sei wertvoll. Ein armer Mann, der mehr wertlose Dinge wegwirft als ein reicher Mann, bedroht jedoch offensichtlich in keiner Weise die gesellschaftliche Ordnung. Zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung ist bis zu einem gewissen Grade Übereinstimmung darüber erforderlich, was einen Wert hat. Menschen unterschiedlicher Kulturen mögen unterschiedlichen Dingen einen Wert beimessen und gleiche Dinge unterschiedlich bewerten, doch bestehen alle Kulturen auf irgendeine Unterscheidung zwischen dem, was einen Wert hat, und dem, was als wertlos angesehen wird.
Der Erfolg des Rätsels beruht darauf, dass es mit den Residuen unseres Systems kultureller Kategorien spielt. Wenn wir im Zusammenhang mit Reichtum und Armut von besitzbaren Gegenständen sprechen, nehmen wir zweifellos an, dass es sich dabei um Gegenstände handelt, die einen Wert haben. Die Kategorie »wertlose Gegenstände« ist unsichtbar, und Notiz nehmen wir von ihr erst dann, wenn wir, wie hier, durch das Rätsel auf sie hingewiesen werden. Aber das Rätsel enthält mehr als diesen Hinweis. Wenn die Antwort »ein wertloser Gegenstand« (nehmen wir an Kieselsteine oder Löschpapier) lautete, dann wäre das nicht sehr komisch. Was es komisch macht, ist, dass »Rotze« ein Gegenstand von sozusagen negativem Wert ist, etwas, das weggeworfen werden sollte. Somit können wir drei Kategorien besitzbarer Objekte identifizieren: wertvolle, wertlose und negativ bewertete. Gemäß dem kulturellen Paradigma sollten beide, der reiche und der arme Mann, sich ihres Rotzes entledigen, dennoch tut der reiche Mann das nicht, und indem das Rätsel hierauf aufmerksam macht, ist es wirklich subversiv und bedroht die gesellschaftliche Ordnung. Der ernsthafte Erwachsene versucht deshalb, diese Subversion zu verdrängen, indem er sich weigert, sie zu sehen: eine Verschwörung in Blindheit.
Statt uns dieser Verschwörung in Blindheit anzuschließen, wollen wir unsere Nasen mitten in das rotzige Taschentuch des reichen Mannes stecken. Wenn man darüber nachdenkt, ist es wirklich äußerst merkwürdig, dass ein anspruchsvoller Mensch, der regelmäßig seine Socken und seine Unterwäsche wechselt, jeden Tag ein Bad nimmt, sein Haar hübsch in Ordnung hält und frisiert, seine Fingernägel säubert und gegen jeglichen unerwünschten Körpergeruch mit Hilfe eines Deodorants ankämpft, ganz glücklich dabei sein sollte, einen Strom undurchsichtiger, schleimiger Flüssigkeit, durchsetzt mit dunkleren, festeren Stücken, ganz zu schweigen von den Millionen Keimen und Bakterien, von denen er weiß, auch wenn sie unsichtbar sind, in ein durchlässiges Taschentuch abzusondern und dann das ganze durchweichte Päckchen, nicht besonders sorgsam gefaltet, in seine Hosentasche zu stecken, zuoberst auf Kleingeld und Feuerzeug, womit er später seine Gin-Tonics bezahlt und sich und seinen Begleitern Zigaretten anzündet. Doch genau das tut er, obwohl man angesichts seines sonst extrem hygienebewussten Verhaltens vermuten darf, dass er seine Handlungen nicht in diesem Lichte sieht. Wahrscheinlich transferiert er, indem er seinen Rotz in sein Taschentuch absondert und darin dann einfaltet, dieselbe Rotze irgendwie aus der Kategorie eines negativ bewerteten Objekts in die Kategorie eines wertlosen Objekts. Während er also offenbar das Gefühl hat, er müsse seine Nase von ihr befreien, empfindet er nicht den gleichen Zwang, sie von seiner Tasche fernzuhalten. Andererseits geht er auch nicht nach Hause und legt das Taschentuch in seinen Schreibtisch oder deponiert es im Tresor seiner Bank: Vielmehr wird die Rotze, sobald sie in seinem Taschentuch ist, offensichtlich weder positiv noch negativ bewertet.
Im Gegensatz dazu hat der ungeschlachte Bauer, der seinen Rotz munter auf den Boden absondert, erst durch den einen Nasenflügel, dann durch den anderen, kein Bedürfnis nach derartiger begrifflicher Akrobatik. Solche Kategorienmanipulationen sind in unserer eigenen Kultur schwer zu entdecken, da sie von den Residuen unserer kulturellen Kategorien und unseren Verschwörungen in Blindheit verdeckt werden, treten aber deutlicher und gelegentlich viel spektakulärer hervor, wenn wir andere Kulturen betrachten. Sehen wir uns die Auffassung eines in Trinidad lebenden Inders an, der sein Mutterland längere Zeit nicht besucht hatte:
»Inder defäkieren überallhin. Sie defäkieren überwiegend neben den Eisenbahnschienen. Aber sie defäkieren auch an den Stränden; sie defäkieren auf den Hügeln; sie defäkieren an den Flussufern; sie defäkieren auf den Straßen; sie suchen sich nie eine Deckung. Inder defäkieren überallhin, auf Fußböden, in Pissoirs für Männer (als Ergebnis von Yogaverrenkungen, über die man nur Vermutungen anstellen kann). Da sie Angst vor Ansteckung haben, hocken sie sich hin statt sich hinzusetzen, und jede Toilette weist Spuren ihrer Fehltreffer auf. Niemand bemerkt das. Von diesen hockenden Figuren – dem Besucher erscheinen sie nach einiger Zeit als ebenso zeitlos und sinnbildhaft wie Rodins Denker – wird nie gesprochen; es wird nie über sie geschrieben; in Romanen oder Erzählungen werden sie nicht erwähnt; sie erscheinen weder in Features noch in Dokumentarfilmen. Das könnte als »Teil einer zulässigen, beschönigenden Absicht« aufgefasst werden. Aber die Wahrheit ist, dass Inder diese Hocker nicht sehen und vielleicht sogar in völliger Aufrichtigkeit bestreiten würden, dass sie existieren. Eine aus der Furcht des Inders vor Verschmutzung entstehende kollektive Blindheit und die daraus resultierende Überzeugung, dass die Inder das sauberste Volk auf der Welt sind. Ihre Religion verlangt von ihnen, dass sie jeden Tag ein Bad nehmen. Das ist entscheidend, und sie haben minutiöse Regeln ersonnen, um sich vor jeder denkbaren Verseuchung zu schützen. Es gibt nur eine einzige saubere Art zu defäkieren; beim Liebesspiel darf nur die linke Hand benutzt werden; beim Essen nur die rechte. Alles ist geregelt und geläutert. Die Hocker zu beobachten, ist daher entstellend; es ist das Misslingen des Versuchs, zur Wahrheit vorzudringen.«1
Auch wenn es den Anschein haben könnte, als sei diese Verschwörung in Blindheit total, so erstreckt sie sich doch nicht allein auf die Nicht-Inder. Einer der bedeutendsten Inder aus Nehrus Generation erzählte mir, dass es im Kulu-Tal im indischen Himalaya keine Fliegen gab, bis die tibetanischen Flüchtlinge dort hinkamen. Wie es der Zufall will, war ich 13 dreizehn Jahre früher dort gewesen, kurz bevor die tibetanischen Flüchtlinge eintrafen, und kann bezeugen, dass, soweit man diese Dinge beurteilen kann, die Fliegenpopulation während der ganzen Zeit unverändert geblieben war. Dennoch wurde behauptet, dass die Tibetaner sie mitgebracht hätten, weil »der ganze Wald ihre Latrine ist«. Für die Inder waren nur die tibetanischen Exkremente sichtbar. Nur der außenstehende Beobachter kann erkennen, dass ganz Indien die Latrine der Inder ist. Für einen Außenstehenden ist es nur zu leicht, diese kollektive Blindheit der Inder zu entdecken. Die eigene zu erkennen ist dagegen viel schwieriger – und eine unbequeme Aufgabe dazu. Dabei möchte ich mich im Folgenden darauf konzentrieren, einen besonderen Aspekt dieser Verschwörung in Blindheit sichtbar zu machen, nämlich die Blindheit, die uns von den Sozialwissenschaften auferlegt wird.
Denn Soziologie, unsere methodische Form der Untersuchung, die dem Verständnis und der Erklärung sowohl unserer eigenen Gesellschaft als auch von Gesellschaft überhaupt gewidmet ist, gilt als eine außerordentlich ernste Beschäftigung für Erwachsene und ist folglich für solche Verschwörungen in Blindheit sehr anfällig. Die Fragen, die ich stellen will, sind folgende: 1. Ist dies tatsächlich der Fall? 2. Und wenn ja, ist das von Bedeutung? Ich werde zeigen, dass beide Fragen mit »Ja« beantwortet werden müssen: Dass ernsthaftes Erwachsenendenken im Allgemeinen und Soziologie im Besonderen eine Form des Diskurses bilden, der, gerade als solcher, unmöglich Kontakt zu bestimmten Bereichen des sozialen Lebens herstellen kann; dass aber das, was sich in diesen Bereichen abspielt, für jegliches Verständnis von Gesellschaft entscheidend ist.
Diese unumgängliche Vorsicht, die den Sozialwissenschaftler bedauerlicherweise von seinem Untersuchungsgegenstand trennt, macht ihn zu einem Mitglied der ersten der drei Spezies von Sterblichen, die der Begründer der Mülltheorie, Jonathan Swift, identifizierte. Nach Swift bewegt sich ein Mitglied dieser Spezies
»mit der Vorsicht dessen, der morgens durch die Straßen von Edinburgh geht und dabei so sorgfältig wie möglich Acht gibt, den Schmutz auf seinem Wege rechtzeitig zu bemerken; nicht, weil er aus Wissbegierde Farbe und Zusammensetzung des Kots beobachten oder etwa seinen Umfang abschätzen wollte; und noch viel weniger, um darin herum zu waten oder davon zu kosten; sondern einzig in der Absicht, so sauber wie nur möglich durch ihn hindurchzukommen.«2
Wenn das das Ende der Angelegenheit wäre, schiene die Mülltheorie von Anfang an dem Untergang geweiht zu sein. Denn der Sozialwissenschaftler, der Müll untersuchen will, muss zumindest darin »herumwaten«. Tut er dies jedoch, welche Chance hat er dann, »so sauber« wie seine Kollegen »hindurchzukommen«? Wie kann er ein Mitglied der sozialwissenschaftlichen Gemeinschaft bleiben, wenn er, um Müll zu studieren, die Form des Diskurses aufgeben muss, die das bestimmende Kriterium jener Gemeinschaft ist? Wie kann er sich am Morgen im Kot der Edinburgher Straßen wälzen und nachmittags an Doktorandenseminaren der Edinburgher Universität mitwirken? Dennoch ist diese scheinbar unmögliche und abstoßende Handlungsweise das bestimmende Charakteristikum eines bestimmten Typs von Sozialwissenschaftler: das des Anthropologen. Sie wird »teilnehmende« Beobachtung genannt. Es mag zwar eine Tatsache sein, dass die meisten (ich will mir nicht anmaßen, für alle zu sprechen) Sozialwissenschaftler nicht ihr Leben lang in der für sie charakteristischen Form des Diskurses gefangen bleiben – sie können den Ringrichter beschimpfen, sich in einer flotten Disco austoben oder ihre Kinder ebenso wie den nächsten Mann oder die nächste Frau terrorisieren. Doch bleiben, wenn sie als Sozialwissenschaftler argumentieren, diese anderen Diskursformen ausgeschlossen. Der Forscher, der sich mit Müll beschäftigt, kann das allerdings nicht tun. Die grundlegende Unvereinbarkeit von ernsthafter Erwachsenenmethodik und Müll als Untersuchungsgegenstand besteht darin, dass der Mülltheoretiker sich gleichzeitig mit unterschiedlichen Formen des Diskurses befassen muss. Und da sie nicht vermischt werden können, müssen sie nebeneinandergestellt werden. Der Witz, das Paradox, die Schocktechnik und der journalistische Stil werden so zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Mülltheorie.
Natürlich bleibt der Anthropologe, der auf Skid Row Feldarbeit leistet, unterscheidbar von denen, die er untersucht, denn er hat Zugang zu seinen Universitätsseminaren, während diese ihn nicht haben. Es ist eine schöne Ironie, dass diejenigen, die die beste Feldarbeit leisten und mit ihren Versuchspersonen tatsächlich verschmelzen, gleichzeitig die Verbindungen zu ihrer Disziplin vollständig lösen müssen. Als Folge davon kann Theorie nur auf Zweitrangigem aufgebaut werden – auf beklagenswert unvollständigen Einsichten in andere Realitäten – und dies wirft ein ungeheures Problem auf, nämlich: Wie tragen wir dieser Unvollständigkeit Rechnung? Nehmen wir die Haltung eines primitiven Positivismus ein und tun so, als sei das, was wir entdeckt haben, alles, was zu entdecken ist – so, als existiere das, an das wir nicht herankommen, nicht? Oder akzeptieren wir, dass unsere Einsichten unvollständig sind, dass wir keine Möglichkeit haben herauszufinden, wie unvollständig sie sind, und dass wir infolgedessen das ganze Unternehmen genauso gut a...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Editorische Notiz
  6. Vorwort
  7. Rubbish revisited ‒ Einführung (2017)
  8. Rubbish Theory (1979)
  9. Engineering Anthropology – Nachwort (2017)
  10. Rubbish Theory applied – Ein Bericht (2020)
  11. Literaturverzeichnis