Verbündet euch!
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Verbündet euch!

Für eine bunte, solidarische und freie Gesellschaft

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  1. 312 Seiten
  2. German
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Verbündet euch!

Für eine bunte, solidarische und freie Gesellschaft

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Wenn politische Narrative der Angst an Einfluss gewinnen, wenn Zukunftsvisionen nicht mehr für alle ausgemalt werden und Meinungsbildung zunehmend innerhalb von Blasen stattfindet, ist es höchste Zeit für neue Bündnisse!Dieses Buch macht seinen Titel zum Programm: In rund dreißig Texten verbünden sich erstmalig Politiker*innen von SPD, Grünen und Linkspartei sowie Vertreter*innen aus Journalismus, Wissenschaft, Kultur, Gewerkschaften, Vereinen und sozialen Bewegungen, um einen Neuanfang zu machen: Für eine progressive Politik, die nicht in erster Linie für ein kapitalistisches System, sondern für Diversität, Ökologie, Teilhabe und eine starke Demokratie eintritt. Damit Gerechtigkeit und Solidarität keine Utopien bleiben.

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Information

II. VERBÜNDET EUCH: THEMEN!

Bärbel Bas

WIE WOLLEN WIR LEBEN? PFLEGE ALS SPIEGEL DER GESELLSCHAFT

»Ich soll im Alter von 80 Jahren für meinen Unterhalt beim Sozialamt betteln gehen?« Diese Frage stellte mir vor kurzem ein Ehemann, der das Pflegeheim für seine Frau bezahlen muss. Mit 2.650 Euro haben die beiden eine Rente, die viele gerne hätten. Und doch bleibt, bei fast 2.500 Euro Eigenanteil, selbst damit nichts zum Leben.
Pflege ist teuer. Für viele Familien zu teuer. Mit rund 3.000 Euro wird ein Platz in einem Pflegeheim veranschlagt, die regionalen Unterschiede sind groß. Die Leistungen der Pflegeversicherung richten sich nach dem Pflegebedarf, jedoch werden maximal 1.995 Euro übernommen, oft weniger. Im Durchschnitt bleibt eine Lücke von 2.015 Euro, die den Pflegebedürftigen jeden Monat in Rechnung gestellt werden.
36 Monate leben Menschen durchschnittlich in einem Pflegeheim. Mehr als 70.000 Euro Eigenanteil kommen da zusammen. Die Rente und das Vermögen reichen bei vielen dafür nicht aus. 30 Prozent der Menschen, die vollstationär gepflegt werden, haben deshalb beim Sozialamt die Hilfe zur Pflege beantragt. Sie empfinden das häufig als Stigmatisierung, denn sie standen ihr ganzes Leben lang auf eigenen Beinen und wollen auch im Alter nicht »betteln gehen«.
Das Sozialamt übernimmt die Kosten, prüft aber erst, ob es unterhaltspflichtige Kinder gibt. Pflege wird zu einer immer größeren Belastung für die ganze Familie.
Dies ist die eine Seite. Die andere Seite erlebe ich im Gespräch mit Pflegekräften. Ich treffe Menschen, die ihren Beruf lieben, und erlebe, dass diese Menschen an ihrem Beruf verzweifeln: Die Stationen sind unterbesetzt, die Einkommen niedrig, die Schichtpläne nicht mit den Öffnungszeiten von Kitas und Schulen vereinbar.
1,1 Millionen Menschen – davon 310.000 Altenpfleger*innen und Altenpflegehelfer*innen – sind in 13.300 ambulanten Pflegediensten und in 13.600 stationären Pflegeeinrichtungen beschäftigt. Allein in den Pflegeheimen leben mehr als 800.000 Menschen. Die Beschäftigten dort beschreiben eine chronisch zu hohe Arbeitsbelastung, die durch die Schwierigkeiten bei der Besetzung freier Stellen verschärft wird. Ohne einen steuerfinanzierten Bundeszuschuss werden wir den Anforderungen, die wir an gute Pflege haben, nicht gerecht werden können.
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Diesem Grundsatz werden wir im Bereich Pflege zu oft nicht gerecht. Dabei kann unser Anspruch nur sein, dass alle Menschen unabhängig von Herkunft, sozialem Status und Einkommen in jeder Lebensphase gut und würdevoll leben können. Mehr Personal, bessere Bezahlung – das steht zu Recht weit oben auf der Liste jeder pflegepolitischen Agenda. Was dabei aber oft nicht berücksichtigt wird: Die Pflegeversicherung funktioniert als Teilkostenversicherung, ihre Leistungen sind gedeckelt. Kosten, die von der Pflegeversicherung nicht übernommen werden, müssen von den Pflegebedürftigen und deren Angehörigen bezahlt werden. Kostensteigerungen gehen zu deren Lasten. Oder – über die Sozialhilfe – zu Lasten der Kommunen, wenn das Einkommen und das Vermögen der Angehörigen nicht ausreichen.
Mehr Personal, das besser bezahlt wird, führt in diesem System also zwangsläufig zu höheren Eigenanteilen. Doch drehen wir das Prinzip doch einfach mal um: Statt der Leistungen werden in einem ersten Schritt die Eigenanteile gedeckelt.
Kraft kann eine solche Forderung aber nur dann entfalten, wenn wir auch den zweiten Schritt mitdenken: Man würde die Eigenanteile immer weiter zurückzufahren und am Ende aus der Pflegeversicherung eine Pflegekostenvollversicherung machen, was eine ungeheure Entlastung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen bedeuten würde.
Aber machen wir uns nichts vor: Gute Pflege kostet Geld und ist nicht allein über die Beiträge der bisher Versicherten finanzierbar. Auch bei der Pflege sind diejenigen mit den hohen Einkommen oft privat versichert. Bezieht man die in eine Pflegebürgerversicherung mit ein, wird die Beitragsbasis breiter. Ohne einen steuerfinanzierten Bundeszuschuss wird es aber trotzdem nicht gehen. Ein Finanzierungskonzept, das unserem Anspruch nach würdevoller Pflege gerecht werden kann, braucht demnach eine Finanz- und Wirtschaftspolitik, die ihre gesellschaftliche Aufgabe begreift und die Mittel zur Verfügung stellt.

Gute Pflege, das bedeutet vor allem gute Arbeitsbedingungen in der Pflege

Gute Pflege braucht gute Arbeitsbedingungen für die Pflegenden, also eine angemessene Personalausstattung und ausreichend Zeit. Pflege muss ein Beruf werden, der so attraktiv ist, dass junge Menschen ihn erlernen möchten. Nicht zuletzt die Erfahrungen in der Coronakrise haben gezeigt, wie katastrophal die Zustände teilweise sind. Abendlicher Applaus vom Balkon in durchgentrifizierten Vierteln, in denen Leute in Pflegeberufen nicht mal die Miete bezahlen könnten, wird von den Pflegenden schon lange nicht mehr als Ausdruck der nötigen Wertschätzung wahrgenommen.
Wir haben ein Projekt angestoßen, das auf Basis eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens den Personalbedarf in der Pflege feststellt.1 Es wurde ein Algorithmus entwickelt, der individuell den Bedarf in einer Einrichtung an Fach- und Assistenzkräften anhand der Pflegebedarfe der Bewohner*innen berechnet. Die Ergebnisse sind alarmierend: Die Personalschlüssel sind durchweg zu niedrig – bei den Fachkräften, vor allem aber bei den Assistenzkräften. Dabei können offene Stellen schon jetzt oft nicht besetzt werden.
Um die Attraktivität der Pflegeberufe zu steigern, arbeiten wir an vielen Stellen an besseren Arbeitsbedingungen: Wir haben die Ausbildung neu aufgestellt, das Schulgeld ist für viele Pflegeschulen abgeschafft. Diese Ansätze müssen wir weiterverfolgen. Die Fort- und Weiterbildung in der Pflege ist sicher noch genauso eine Baustelle wie flexiblere Arbeitszeitmodelle. Dies alles verfängt aber nur, wenn auch die Bezahlung besser wird. Pflege ist nicht nur systemrelevant und ideell wertvoll, es ist eine anspruchsvolle Arbeit, die entsprechend entlohnt werden muss.
Die Tarifpartner sind mit in der Verantwortung, in den Tarifverträgen neben dem Gehalt auch andere wichtige Rahmenbedingungen zu regeln: Arbeitszeiten, Ansprüche auf Fort- und Weiterbildung, Urlaubsanspruch, Weihnachtsgeld sowie den Anspruch auf eine betriebliche Altersvorsorge. Die Politik muss dies flankieren: Wegen der Tarifflucht von Arbeitgeber*innen entfalten Tarifverträge nur begrenzt Wirkung. Ist ein Tarifvertrag abgeschlossen, muss er für die ganze Branche als verbindlich erklärt werden. Er gilt dann auch in den Unternehmen, die nicht Mitglied im Arbeitgeberverband sind. Damit profitieren alle Beschäftigten.

Pflege ist weiblich

In vielen Debatten wird immer wieder betont, wie offen und bunt unsere Gesellschaft sei. Gerade Gleichberechtigung wird – außer in rechtskonservativen Milieus – mittlerweile als selbstverständlich akzeptiert. Geschlechtergerechtigkeit – das zeigt ein Blick auf die Pflege überdeutlich – ist aber noch lange nicht erreicht. Pflege ist immer noch weiblich, als Beruf, aber auch privat. Frauen leisten nach wie vor einen Großteil der Sorgearbeit. Um gleiche Chancen und eine gleichberechtigte Teilhabe am Erwerbs- und Familienleben zu schaffen, brauchen wir dringend weitere Initiativen für eine gerechte partnerschaftliche Verteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit.
Mit Kita-Ausbau und Elterngeld wurden (anders als mit dem Erziehungsgeld bzw. der »Herdprämie«) wichtige Impulse gesetzt. Geplant sind außerdem ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter und eine Familienarbeitszeit, mit der Zeiten für Arbeit, Familie oder auch Pflege flexibler verteilt werden können. Das sind richtige Ansätze. Durchgreifend verändert haben sie das Geschlechterverhältnis in der Sorgearbeit aber noch nicht. Statt einer gerechten partnerschaftlichen Verteilung sind es in der Regel nur die beiden Vätermonate, in denen sich die Männer um ihr Kind kümmern.
Mehr Zeit für die Sorgearbeit? Oder mehr Zeit für die Erwerbsarbeit, damit man sich professionelle Sorgearbeit leisten kann? Beide Ansätze werden in der Debatte um die Sorgearbeit vertreten und in der Politik verfolgt. Beide haben ihre Berechtigung und ihre Grenzen. Weder darf eine stärkere Honorierung der Sorgearbeit zu einem Zurückdrängen der Frauen aus dem Erwerbsleben führen. Noch darf eine stärkere Nachfrage nach Sorge-Dienstleistungen zu prekärer – dann auch wieder von Frauen ausgeübter – Beschäftigung in den privaten Haushalten führen. Hier ist noch vieles zu klären. Die seit den 90ern geführte Diskussion um die Sorgearbeit spiegelt sich nur sehr begrenzt in der Politik wider. Eine Auseinandersetzung mit den Perspektiven, die in dieser Diskussion eingenommen werden, kann dazu beitragen, eine geschlechtergerechte Verteilung der Pflege gesellschaftlich zu etablieren.

Pflege muss den Menschen gerecht werden

Wie werden wir heute den Pflegebedürftigen gerecht, die möglichst selbstbestimmt leben und an der Gesellschaft teilhaben wollen? Und wo bekommen die Angehörigen Unterstützung? Der Großteil pflegebedürftiger Menschen wird weiterhin zu Hause gepflegt. Die Pflege wird meistens noch immer, zumindest teilweise, von den Angehörigen übernommen. Familienstrukturen und Lebensentwürfe sind aber immer vielfältiger geworden. Dem muss sich Pflege anpassen, sie muss flexibel auf die Bedürfnisse der Menschen reagieren können.
An manchen Stellen müssen wir Angebote ausbauen. Gerade wenn pflegende Angehörige krank werden oder Urlaub machen möchten, brauchen sie Unterstützung. Ein Ausbau der Kurzzeitpflegeplätze ist dringend notwendig. Und auch Rehabilitationsangebote, vor allem mobile, müssen ausgebaut werden.
Viel wichtiger ist es aber, die Organisation von Pflege einfacher zu machen. Pflegebedürftige und pflegende Angehörige haben Anspruch auf viele Unterstützungsleistungen. Sie stehen aber oft vor diesen Leistungen wie vor einem undurchdringlichen Dschungel. Sie wissen nicht, welche Leistungen es gibt. Sie fragen sich, welche in ihrer Situation sinnvoll sind und wo sie zu beantragen sind. Und sie haben Angst, in einen Verschiebebahnhof verschiedener Leistungserbringer zu geraten und am Ende ohne Leistung dazustehen. Diese Angst ist berechtigt. Wenn mich Bürgerinnen und Bürger um Hilfe bitten, geht es sehr oft genau darum: Dass eine Leistung zusteht, ist unstrittig, aber es wird darum gestritten, welcher Leistungsträger sie finanzieren muss, etwa ob die Pflegeversicherung oder die Eingliederungshilfe ambulante Leistungen tragen muss. Solche Schnittstellenprobleme bei den verschiedenen Leistungsträgern gehen regelmäßig auf Kosten der Pflegebedürftigen und deren Angehöriger.
Vielfalt und flexible Kombinationsmöglichkeiten sind notwendig, um der individuellen Lebenssituation Rechnung zu tragen. Die Angehörigen aber brauchen jemanden, der ihnen die Bresche schlägt, am besten eine*n einzige*n Ansprechpartner*in, der*die sie berät und unterstützt und dessen*deren Aufgabe es ist, für sie gute Pflege möglich zu machen.
Dies ist auch eine Aufgabe für die Kommunen, hier können Beratungsangebote verbessert und gebündelt werden. Kommunale Pflegelotsen können gemeinsam mit den bereits eingerichteten Pflegestützpunkten für eine unbürokratische, wohnortnahe Beratung sorgen. Sie kennen das Angebot vor Ort, sie können im Rahmen des Quartiersmanagements auch den Ausbau der Pflegeinfrastruktur genauso anstoßen wie neue Wohnformen oder eine altersgerechte Quartiersentwicklung.
Auf der anderen Seite müssen Leistungen dringend gebündelt werden. Ein einziger Antrag muss reichen. Im Bundesteilhabegesetz wurde dafür das Teilhabeplanungsverfahren eingeführt. Hinter diesem Begriff verbirgt sich folgendes Konzept: Die Leistungsträger, die Pflegebedürftigen und deren Angehörige setzen sich zusammen und planen gemeinsam, wie die Teilhabe sichergestellt werden kann. Die Kostenaufteilung wird unter den einzelnen Leistungsträgern geklärt, nachdem die Leistung gewährt ist. Im Bundesteilhabegesetz spricht man von Leistungen wie aus einer Hand. Ein solches Modell ist – am besten mit Unterstützung der kommunalen Pflegelotsen – auch für die Pflege sinnvoll.
Pflege geht uns alle an: Jetzt, morgen oder vielleicht auch erst in einigen Jahrzehnten. Wie gehen wir mit schwachen, kranken oder älteren Menschen in unserer Gesellschaft um? Wie mit denjenigen, die die Sorgearbeit leisten? Pflege ist ein Brennglas. Tief verankert in diesem Thema liegt die Frage, wie und in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Unser Umgang damit zeigt, wie wichtig wir Würde und Solidarität nehmen.
Wie wir sehen, besteht Handlungsbedarf. Gerade die hohen Eigenanteile sorgen dafür, dass die Menschen Angst haben, zum Sozialamt zu müssen, wenn sie Pflege brauchen. Wir brauchen einen Sozialstaat, der Vertrauen schafft, statt Angst zu machen. Dort, wo der Sozialstaat Menschen stigmatisiert, dort ist er einfach nicht gut genug. Gute Pflege gehört zu einem tragfähigen sozialen Netz, auf das die Menschen vertrauen. Ein Netz, das die Sicherheit gibt, nicht ins Bodenlose zu fallen.
Schon jetzt trägt das soziale Netz auch deshalb, weil es mit Steuermitteln gestärkt wird. Es geht letztlich um Geld. Wir brauchen eine Finanzpolitik, die der Pflege den notwendigen Wert beimisst, die notwendige Spielräume schafft und auf einem solidarischen Fundament fußt. Eine solche Politik ist möglich. Lasst uns mutig für die Wertschätzung der Arbeit in der Pflege und für eine würdevolle Pflege kämpfen. Gemeinsam können wir die Probleme angehen, die wir dafür lösen müssen. Nur so schaffen wir dieses Vertrauen.
Anmerkungen
1 https://www.gs-qsa-pflege.de/wp-content/uploads/2020/10/PM_qsa_Abschlussbericht.pdf

Christoph Twickel

DIE POLITIK DES SOCIAL RETURN IST AM ENDE: WARUM DIE WOHNUNGSPOLITIK EINE GRUNDSÄTZLICHE WENDE BRAUCHT UND WIE DIESE AUSSEHEN KÖNNTE

Für SPD-Politiker*innen ist die Wohnungsfrage »die soziale Frage des 21. Jahrhunderts«, CSU-Mann Horst Seehofer nennt sie »die soziale Frage unserer Zeit«, der Grüne Robert Habeck fordert gleich ein Recht auf bezahlbares Wohnen. Doch manchmal ist die falsche Diagnose das Grundübel. Wenn Politiker*innen der SPD, der Grünen oder der Linken zum Beispiel das Problem der hohen Mieten lösen wollen, sagen sie gerne: Man dürfe das Wohnen nicht alleine den Marktkräften überlassen. Aus CDU und FDP kommt dann schnell die Warnung: Wer den Markt gängelt, sorge bloß dafür, dass nicht investiert werde. Doch dieser Streit führt in die falsche Richtung, denn die Grundannahme ist verkehrt: Der Wohnungsmarkt in Deutschland ist nicht den Marktkräften überlassen. Er war es nie und er ist es nicht. Seit jeher greift der Staat massiv in das Geschehen auf dem Wohnungsmarkt ein – oftmals viel massiver als in andere Märkte. Das Problem ist: Deutschland fördert die Falschen. Statt jene Immobilienunternehmen massiv zu fördern, die sich zum Bau günstiger Wohnungen verpflichten und ihre Gewinne reinvestieren, verschenkt der Staat öffentliche Mittel an ein internationales Immobilienroulette, das Mieten, Haus- und Grundstückspreise in die Höhe treibt. Das deutsche Steuerrecht ist merkwürdig generös gegenüber Immobilieninvestor*innen. Wer Häuser baut oder kauft, kann üblicherweise fünfzig Jahre lang jährlich zwei Prozent der Bau- oder Kaufkosten als Abschreibung absetzen. Auch die Zinsen für die Bankkredite lassen sich steuermindernd geltend machen. Der Gentrifizierungsforscher Andrej Holm hat in einer Beispielrechnung1 vorgerechnet, dass der Fiskus beim Bau eines Berliner Mietshauses mit 50 Wohnungen in 25 Jahren auf rund 7 Millionen Euro Steuern verzichtet, im Gegenzug aber nur etwa 1,6 Millionen von den Eigentümer*innen kassiert. Will heißen: Die öffentliche Hand subventioniert jedes Mietshaus mit Millionensummen, ohne dass sich die Bauherren im Gegenzug zu irgendetwas verpflichten. Und das ist nur einer von vielen Steuervorteilen, die der deutsche Fiskus der Immobilienbranche in den vergangenen Jahrzehnten gewährt hat: die bis 1990 existierende Berlinförderung, die Sonderabschreibungen des »Fördergebietsgesetzes« für die Neuen Bundesländer und die Abschreibungsmöglichkeiten für Modernisierungen in Sanierungsgebieten. Zwischen 1990 und 2014 haben private Investor*innen 105 Milliarden Euro an Steuervorteilen kassiert. Von den 185 Milliarden Förderungen und Subventionen, die bei Vermieter*innen gelandet sind, haben gerade mal 10 Prozent dafür gesorgt, dass Sozialwohnungen entstehen. In Hamburg sind die Angebotsmieten zwischen 2008 und 2019 um 34 Prozent gestiegen, in Berlin um satte 80 Prozent. Kein Wunder, dass die heftigsten wohnungspolitischen Schlachten derzeit in der Haup...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. VERBÜNDET EUCH! Für eine bunte, solidarische und freie Gesellschaft
  6. I. VERBÜNDET EUCH: GRÜNDE!
  7. II. VERBÜNDET EUCH: THEMEN!
  8. III. VERBÜNDET EUCH: MENSCHEN!
  9. Die Autor*innen