Lettre
eBook - ePub

Lettre

Geologisches Wissen und Subjektkonstitution in der Poetologie der frühen Moderne. Goethes Wanderjahre und Stifters Nachsommer

  1. 330 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Lettre

Geologisches Wissen und Subjektkonstitution in der Poetologie der frühen Moderne. Goethes Wanderjahre und Stifters Nachsommer

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Entwicklungsromane und Erdgeschichte(n) entstanden um 1800 im Kontext der Verzeitlichung und sind über den Entwicklungsbegriff miteinander vergleichbar. Wissenspoetologisch analysiert Kathrin Schär teleologische, ateleologische und zyklische Entwicklungsverläufe sowie die Neuverhandlung der Subjektkonstitution durch geologisches Wissen in Cuviers Recherches sur les Ossemens Fossiles, Lyells Principles of Geology, Goethes Wilhelm Meisters Wanderjahre und Stifters Nachsommer. Ihre Untersuchung macht deutlich, wie sehr das geologische Wissen nicht nur die hier explorierten Entwicklungsromane, sondern auch die Ästhetik der Moderne prägte.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Lettre von Kathrin Schär im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Literatur & Deutsche Literaturkritik. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2021
ISBN
9783732857166

1Erdgeschichte(n) um 1800


Vor 1780 diente zumeist die Schöpfungsgeschichte als Referenzerzählung zur Entstehung und Entwicklung der Erde und der Lebewesen.1 Dieser tritt ab 1860 mit dem Darwinismus eine völlig andere Entwicklungsgeschichte des Lebens zur Seite. Sowohl die Schöpfungsgeschichte als auch der Darwinismus sind heute in breiten Teilen der Gesellschaft bekannt. Wenig verbreitet ist hingegen das Wissen darüber, dass die Neukonzeptualisierung einer Vorgeschichte2 der Menschheit von der Schöpfungsgeschichte hin zum Darwinismus ohne die Erforschung der Erdgeschichte nicht denkbar gewesen wäre.
Mit dem Schreiben anderer Vorgeschichten der Menschheit durch erdgeschichtliche Forschung wird die göttliche Schöpfungsgeschichte ergänzt, variiert und verändert. Besonders deutlich kommt eine alternative Erzählung erstmals in Buffons Histoire naturelle (1749) zum Ausdruck. Im ersten Band Théorie de la terre wird die Entstehung und die Entwicklung der Erde durch einen auf die Sonne aufprallenden Kometen angenommen. Als Folge des Aufpralls spaltet sich ein Teil der Sonne (die zukünftige Erde) ab und weil sich dieser Teil allmählich abkühlt, wird mit der Zeit Leben möglich.3 Da die Reaktion der Theologen der Sorbonne auf die alternative Geschichte zur Genesis kritisch ausfiel, veröffentlichte Buffon in seinem zweiten Band folgende Erklärung:
I. Daß ich nie einige Absicht geheget habe, dem Texte der Schrift zu widersprechen, daß ich alles festiglich glaube, was daselbst von der Schöpfung, sowohl in Absicht auf die Ordnung der Zeiten, als auf die Umstände der Begebenheiten selbst, erzählet ist, und daß ich dasjenige, was in meinem Buche die Bildung der Erde, und überhaupt alles, was der Erzählung des Moses zuwider seyn könnte, fahren lasse; Da ich meine Hypothese von der Bildung der Planeten nur als eine bloße philosophische Voraussetzung gegeben habe.4
Buffon bezeichnet den Inhalt seiner Théorie de la terre zur Entstehung der Erde als »Hypothese« und »bloße philosophische Voraussetzung«. Unbestritten gelten seine Forschungen, die im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in zahlreichen Bänden publiziert wurden, jedoch als wissenschaftliche Meisterleistungen, die weit bis ins 19. Jahrhundert nachwirkten.5
In seiner 1778 herausgegebenen Schrift Les époques de la nature verhandelt Buffon die Idee eines Kometenaufpralls auf die Sonne erneut. In den Époques finden sich nähere Erläuterungen darüber, wie er zu seiner Überlegung gelangt. Mithilfe eines Experiments6, das die Temperaturverhältnisse auf der Erde simuliert, ermittelt der Forscher einen kontinuierlichen Wärmeverlust, durch den sich die Erde allmählich abkühlt. Indem er eine Eisenkugel erhitzt und danach die Dauer der Abkühlung misst, berechnet er die Zeitdauer der Erdabkühlung. Die Berechnung ergibt eine Lebensdauer der Erde von rund 165 000 Jahren. In den Époques jedoch erfolgt die Geschichte der Abkühlung der Erde und der Entstehung des Lebens in Anlehnung an die sieben Tage der Schöpfung in Form von sieben Epochen der Erdentwicklung. Des Weiteren beinhaltet der einleitende Teil der Époques einen ausführlichen Kommentar zur Genesis:
Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.
Dies heißt nicht, daß Gott im Anfang den Himmel und die Erde so schuf, wie sie itzt sind, weil gleich darauf gesagt wird, dass die Erde wüste und leer war; und daß die Sonne, der Mond und die Gestirne erst am vierten Schöpfungstage am Himmel erschienen. Man würde daher die Schrift mit sich selbst in Widerspruch bringen, wenn man behaupten wollte, daß Gott im Anfang den Himmel und die Erde so schuf, wie sie itzt sind. […] Dieser Anfang aber, diese erste, älteste aller Zeiten, in der die Materie des Himmels und der Erde ohne eine bestimmte Form war, scheint von sehr langer Dauer gewesen zu seyn. Wir müssen nur aufmerksam die Worte des göttlichen Schriftstellers anhören.7
Buffon eröffnet seinen an ein Glaubensbekenntnis angelehnten Kommentar mit einem Zitat aus der Genesis, dessen Bedeutung mittels einer doppelt so großen Schrift typographisch deutlich hervorgehoben wird. Der Kommentar dient zur Erläuterung, weshalb die Bibelstelle mit der eigenen Forschung kompatibel ist: nämlich aufgrund des relativierten Zeitverhältnisses, sprich des Zeitraums, in dem Gott die Erde geschaffen haben soll. Buffon verweist darauf, dass die Anfangszeit in der Genesis zeitlich undefiniert bleibt und man daher davon ausgehen könne, dass sie »von sehr langer Dauer gewesen seyn« müsse.8 Dieses Verfahren, zunächst ein Bibelzitat darzulegen und es im Anschluss mit der eigenen Forschung in Verbindung zu bringen, wird in den Époques mehrfach wiederholt. Die Anlehnung an die sieben Tage der Schöpfung bei der Beschreibung der sieben Epochen ist unverkennbar. Trotzdem bestehen auch deutliche Differenzen zwischen dem christlichen Heilsplan und Buffons Erdtheorie. Buffon sprengt die christliche Zeitdimension einer 6000-jährigen Vergangenheit der Erde bei Weitem und dehnt den Zeitraum auf 75 000 Jahre aus.9
Vergleicht man die Kompatibilität zwischen der Schöpfungsgeschichte und der Théorie de la terre von 1749 mit derjenigen zwischen der Schöpfungsgeschichte und den Époques von 1778 zeigen sich deutliche Unterschiede. Während es sich beim ersten Band in gewisser Weise um eine Alternative zur Schöpfungsgeschichte handelt, beschreiben die Époques eine starke Variation. Buffons Schriften markieren zum Ende des 18. Jahrhunderts den Beginn einer neuen wissenschaftlichen Textsorte, die sich mit der Entwicklungsgeschichte der Erde befasst. Gleichzeitig handelt es sich hierbei um den Zeitpunkt, an dem sich die Geologie als Fachrichtung mit einem erdgeschichtlichen Konzept auszudifferenzieren beginnt. Während Buffons Schriften am Anfang dieses disziplinären Ausdifferenzierungsprozesses stehen, sind Lyells Schriften gegen dessen Ende zu verorten.
Lyell publizierte seine Beobachtungen zu den aktuellen Naturphänomenen von 1830 bis 1833 in drei Bänden unter dem Titel Principles of Geology. Er belegt darin, dass sich die Erde durch die zerstörende und aufbauende Wirkung von Feuer und Wasser dauernd auf- und wieder abbaut. Der in Zyklen erfolgende Prozess verläuft dabei über ungeheure Zeiträume hinweg. Bedenkt man, wie lange es dauern würde, bis ein Gebirge durch Erosion abgetragen und am Ende verschwunden wäre, kann man die von Lyell etablierte Idee langsamer Veränderungen auf der Erdoberfläche in etwa nachvollziehen. Die auf Lyell basierende Vorstellung unglaublich langer und langsamer Entwicklungsverläufe wird in der Geologie seit den 1980er-Jahren mit dem Begriff »deep time« bezeichnet.10 Weiter ergeben sich beim Vergleich mit den Erzählungen der Schöpfungsgeschichte und des Darwinismus Parallelen. Die unglaublich langen Zeiträume des Auf- und Abbaus bilden die Basis für das evolutionstheoretische Denken Darwins, der sich mit seiner Widmung im Werk Journal of Researches into the Natural History and Geology (1845) explizit in die Tradition Lyells stellt:
TO
CHARLES LYELL, ESQ., F.R.S.
This second edition is dedicated with grateful pleasure, as an acknowledgment that the chief part of whatever scientific merit this journal and the other works of the author may possess, has been derived from studying the well-known and admirable
PRINCIPLES OF GEOLOGY.11
Sowohl Lyell als auch Darwin gehen von einem enormen Alter der Erde aus. Was das Alter der Menschheit anbelangt, ziehen die beiden Forscher aber unterschiedliche Schlussfolgerungen. Immer wieder argumentiert L...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Danksagung
  6. Einleitung
  7. 1 Erdgeschichte(n) um 1800
  8. 2 Erdgeschichte und Entwicklungsroman im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts Goethes Wilhelm Meisters Wanderjahre (1829)
  9. 3 Erdgeschichte und Entwicklungsroman im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts Stifters Der Nachsommer (1857)
  10. Schlusswort
  11. Abkürzungs- und Literaturverzeichnis