Und wenn die Welt voll Teufel wär. Martin Luther in Worms.
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Und wenn die Welt voll Teufel wär. Martin Luther in Worms.

Martin Luther in Worms

  1. 364 Seiten
  2. German
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Martin Luther in Worms

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Über dieses Buch

"Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir, Amen." Es ist einer der wichtigsten Momente in Martin Luthers Leben: 1521 reist er von Wittenberg nach Worms, um sich und seine Thesen auf dem Reichstag zu verteidigen. Kaiser Karl V. hat ihm zwar freies Geleit zugesichert, doch das hat 100 Jahre zuvor den Reformator Jan Hus in Konstanz auch nicht vor dem Scheiterhaufen gerettet. Der historische Roman ist Klaus-Rüdiger Mais drittes Buch über Martin Luther. Ausgehend von neuesten Forschungsergebnissen zeichnet er Luthers Weg nach Worms und seine Zeit auf der Wartburg nach. Kenntnisreich verbindet der Schriftsteller und Renaissance-Kenner dabei die theologische Analyse mit den historischen Fakten und den inneren Beweggründen Luthers. So lässt er ein herausragendes Ereignis der Reformation lebendig werden! - Von Wittenberg über Worms auf die Wartburg: ein Wendepunkt in Luthers Leben - Packend erzählt: Martin Luthers Kampf gegen kirchliche Korruption und Dekadenz - 500 Jahre Wormser Reichstag: seine Bedeutung für die religiöse Freiheit - Erzählendes Sachbuch mit ausführlichem Quellenverzeichnis und Personenregister - Autor Klaus-Rüdiger Mai ist bekannt für seine historischen Romane, Sachbücher und Biographien "Mönchlein, Mönchlein, Du gehst jetzt einen Gang..." Bei seinem Auftritt in Worms war sich Luther bewusst, dass der Kaiser von ihm nichts anderes als den Widerruf seiner 95 Thesen gegen den Ablasshandel und die Unterwerfung unter den Papst erwartet. Mit seinem biographischen Roman lässt uns Mai nicht nur die Zweifel und Ängste Luthers nachempfinden. Er zeigt auch den Mut des Mannes, der in Zeiten von Korruption, Unterdrückung und Dekadenz für seinen Glauben und sein Gewissen einstand und damit den Lauf der Geschichte veränderte.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783374066193

I
Der Kaiser bittet nach Worms

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»Wir sind ja nicht wie die vielen, die mit dem Wort Gottes Geschäfte machen; sondern wie man aus Lauterkeit und aus Gott redet, so reden wir vor Gott in Christus.
2. KORINTHER 2,17
Übrigens hoffe ich, der durchlauchtigste Fürst werde so schreiben, dass diese römischen Häupter verstehen mögen, Deutschland sei bisher nicht durch seinen Mangel an wissenschaftlicher Bildung (ruditate), sondern den der Italiener, durch Gottes geheimen Ratschluss unterdrückt gewesen.«
MARTIN LUTHER
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1.

Einhundertundsechs Jahre nach dem Flammentod des Prager Magisters Johannes Hus wartete ein Mönch des Ordens der Augustiner-Eremiten und Professor der Theologie an der Universität Friedrichs des Weisen von Sachsen in Wittenberg auf die Einladung des Kaisers, um auf dem Reichstag zu Worms seine Theologie zu verteidigen. Der Mann hieß Martin Luther. Eigentlich als Martin Luder geboren, hatte er im Jahr 1517 als Erinnerung an seinen Humanistennamen Eleutherius, der Befreier oder Befreite, das »d« durch ein »th« ersetzt. Martin nutzte die Zeit, um das Magnifikat, das Gotteslob aus dem Evangelium des Lukas, für den Prinzen Johann Friedrich, den Neffen seines Kurfürsten, zu übersetzen und zu erläutern. Für den äußeren Anlass, der ihn schließlich im November 1520 bewogen hatte, sich in diesen Text zu vertiefen, als würde ausgerechnet er ihm Schutz gewähren, fühlte er Dankbarkeit.
Oft und gern betete er auf Latein: »Magnificat anima mea Dominum,/ et exsultavit spiritus meus in Deo salutari meo.« Doch nun stellte er fest, welch schönen Klang das Magnifikat auch in seiner Muttersprache hatte, wenn man das Deutsche nur genügend liebte und sich in ihm mühte wie ein Bergarbeiter unter Tage, der Stollen für Stollen in das Wortreich trieb, um kostbare Wörter zu finden, die er zu Sätzen verarbeitete: »Meine Seele erhebt Gott, den Herrn,// Und mein Geist freut sich an Gott, meinem Heiland« – so hatte er vor Kurzem die Zeile verdeutscht.11 In nichts standen die deutschen Verse den lateinischen nach. Vielleicht erwuchs in diesen Wochen und Monaten, in denen es ungewiss um sein Schicksal stand, die Liebe zum Übersetzen, denn keine anderen Tätigkeit ermöglichte es ihm, so tief in die Geheimnisse eines Textes vorzudringen. Wie gern hätte er die Übersetzung und Erläuterung vor seiner Reise nach Worms abgeschlossen, denn er wusste nicht, ob es ihm vergönnt sein würde, zurückzukehren und diese Arbeit abzuschließen. So arbeitete er sich im Ringen um die Balance zwischen Gründlichkeit und Effizienz im Winter und im Frühjahr 1521 durch den Evangelientext. Die Arbeit entspannte ihn, schuf Linderung in den Spannungen und Ängsten. Immer wieder ging ihm der Satz aus dem Magnifikat durch den Kopf: »O, das ist eine große Kühnheit und eine große Anmaßung von einem solch jungen, kleinen Mädchen! Sie wagt es, mit einem Wort alle Mächtigen schwach, alle, die große Dinge verrichten, kraftlos, alle Weisen zu Narren, alle Berühmten zu Ehrlosen zu machen und allein dem einzigen Gott alle Macht, Tat, Weisheit und Ruhm zuzueignen.«12 Glich er nicht – in aller Demut – in diesem Punkte der Jungfrau Maria? Hatte nicht auch er in seinen Schriften das Gotteslob angestimmt – in seinen Ablassthesen, in seinem »Sermon von dem Sakrament und der Buße«, in dem Schriftchen »Von den guten Werken« – und keine andere Autorität als Gottes Wort, wie es sich in der Bibel fand, gelten lassen? Nicht den Konzilen, wie man am Beispiel der Verurteilung des Johannes Hus sah, nicht den Päpsten, Königen und Kaisern durfte ein Christ vertrauen. Sie konnten irren und verfolgten oft eher weltliche Interessen denn die Absicht, Gott zu dienen. Verlässlich blieb allein die Schrift. All die Großen und Mächtigen, die Prälaten, die Doktoren und Magister besaßen keine Gewalt über die Heilige Schrift, sondern maßten sie sich nur an. Eigentlich galten sie nicht mehr als jeder andere Christ, auch wenn sie sich in ihrem Dünkel für etwas Besseres hielten. Vor Gott aber bestand kein Unterschied zwischen einem Bauern und dem Papst – vorausgesetzt, sie waren beide fromm. Aber was hieß es schon, fromm zu sein? Doch nur, sich ehrlich und nach besten Kräften im Glauben zu bemühen, denn alle Christen waren berufen, alle ein königlich Geschlecht von Priestern. Wie sang doch die heilige Jungfrau: »Er handelt mächtig mit seinem Arm und zerstört alle,/ die im Innersten ihres Herzens hochmütig sind.// Er setzt die großen Herren von ihrer Herrschaft ab und erhöht die,/ die niedrig und gering sind.«13 So hatte er den Vers: »Fecit potentiam in brachio suo,/dispersit superbos mente cordis sui.// Deposuit potentes de sede et/ exaltavit humiles« übersetzt. Maria stimmte ihr Gotteslob vor Jesu Geburt und vor der Geburt Johannes des Täufers an. Sie erhob ihre Stimme, da sie gerade von Gabriel, dem Engel des Herrn, erfahren hatte, dass ihr ein Sohn geboren werde, den sie Jesus nennen solle. Sie brauche sich nicht zu fürchten, versicherte ihr der Engel, denn sie habe Gnade beim Herrn gefunden. Und da sie dennoch zweifelte, antwortete der Engel: »Der Heilige Geist wird über dich kommen; und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten …«14. War der Heilige Geist nicht auch über ihn, Martin Luther, gekommen, hatte Gott nicht Großes an ihm getan, da er ihm die Erkenntnis gab? Hatte Gott ihn nicht begnadet? Was wollte er da zweifeln, wo es der Herr der Welt nicht tat?
Von seiner eigenen Liebe zum Lied der Maria abgesehen hoffte und wünschte er, mit der Übersetzung und Auslegung des Magnifikats den Neffen des Kurfürsten, den jungen Herzog Johann Friedrich, auf dessen Verantwortung für die Geschicke Kursachsen vorzubereiten, die ihm aufgrund seiner Stellung zukommen würde. Eines Tages würde das Heil vieler Menschen von ihm abhängen. Er wäre ein Segen für sie, wenn er seinem eigenen Willen entzogen und von Gott in Gnaden regiert werden würde. Umgekehrt aber würde es für viele Menschen Verderben bedeuten, wenn er als Fürst sich selbst überlassen bliebe und ohne Gnade regierte. Weil nun aber Herrscher Menschen nicht zu fürchten hatten, erwies es sich als umso dringlicher, dass die Fürsten Gott fürchteten. Gelingen konnte das gute Regiment nur, wenn die Herrscher Gott und seine Werke recht erkannten und sich fürsorglich verhielten.15 Um hierin Johann Friedrich, der in seinen Urteilen noch zu sehr von den Meinungen seiner Berater abhing, zu belehren, fiel ihm nichts Geeigneteres als das Magnifikat ein, in dem die Jungfrau von der Furcht Gottes und davon, was er für ein Herr sei, singt – vor allem jedoch davon, welche Werke er an den Hochgestellten und den Niedrigen tut. Eigentlich hatte Luther das Werk früher in Angriff nehmen wollen, doch hatten sich immer wieder dringlichere Arbeiten dazwischengeschoben. Als er im Herbst 1517 seine 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche schlagen ließ, ahnte er nicht im Geringsten, wie bekannt sie werden würden und welche Kämpfe ihm bevorstehen sollten. Nun aber empfand er es als Gnade, sich ausgerechnet in dieser Zeit mit dem Magnifikat zu beschäftigen – jetzt, wo er, der kleine Mönch, auf dem Reichstag zu Worms vor dem Kaiser und vor den Reichsständen reden sollte. Denn am Ende befand auch er sich, wie alle Menschen, in den Händen Gottes. Allerdings hatte es das noch nicht gegeben: dass ein einfacher Mönch den Großen des Reiches in deren weltlicher Versammlung Rede und Antwort stehen sollte. Deshalb suchte die Kurie, vor allem des Papstes Legat Hieronymus Aleander, Luthers Auftritt in Worm zu verhindern, um den Häretiker nicht durch das hohe Auditorium aufzuwerten. Aleander spann Intrigen und mühte sich auf den verschlungenen Pfaden der Diplomatie, um das Unabwendbare doch noch abzuwenden. Es bedeutete schon Ärgernis genug und ein böses Omen für Künftiges, dass der exkommunizierte und verurteilte Häretiker weder den Gang nach Rom noch den auf den Scheiterhaufen antrat, sondern jeden Tag, den der Herr werden ließ, unbehelligt auf das Podium stieg, um die Herzen und Hirne so vieler Studenten mit seinen Irrlehren zu vergiften. Wenn die Kirche nicht einmal mehr eines einfachen Mönchs habhaft werden konnte, um ihn zu bestrafen, was sollte dann aus der Kirche werden? Für die ecclesia militans, die wehrhafte Kirche, wurde die Causa Lutheri immer stärker zu einer Machtfrage.
So geriet in diesen unsicheren Tagen für Martin die Übersetzung und die Auslegung des Lobgesangs der Maria im Kampf gegen die Kurie, gegen Theologen wie Chochläus, Emser und Eck, gegen alle, die ihn brennen sehen wollten, immer mehr zu einer Selbstverständigung über Kirche und Politik und seine Rolle im Welttheater. Was eigentlich trieb ihn an, nicht wie verlangt zu widerrufen? Welche Folgen würde die bevorstehende große Auseinandersetzung haben, deren Mittelpunkt er bildete? Der Papst hatte ihn exkommuniziert und der König von England gegen ihn geschrieben. Wer also war er, dass er klüger als Könige und die Kurie und die vielen Doktoren und Magister, die Kardinäle und Bischöfe sein wollte? Sollte nicht die große Zahl seiner Gegner, gebildete und erlauchte Männer, ihn zur Demut und zum Einlenken bewegen? Was galt ihm die Zahl, was die Tatsache, dass sie mehr waren? Lag es nicht bei Gott, bei seiner Gnade, die Großen zu erniedrigen und die Geringen zu erhöhen? So wie ihn? Waren sie nicht alle einer Gnade teilhaftig, wenn sie es nur wollten? Wo Gott Gnade so voraussetzungslos schenkte, wie durften da Menschen, nur weil sie in der Welt eine erhöhte Stellung innehatten, sich anmaßen, Gottes Gnade zu verwalten und zuzuteilen? Der Glaube war eine Gnade, und in ihm blieb das Gewissen gefangen, denn nur im Glauben war man sich Gottes gewiss und nichts ging über den Glauben. Dass die Mächtigen die guten Seelen zwangen, ihre Erfindungen zu glauben, statt der Gnade Gottes zu vertrauen, war eine Schande! In den Geist des Gotteslobes einzutauchen, half ihm, Gottes Willen besser zu verstehen. Der schlichte Text überraschte ihn umso mehr, je tiefer er sich mit ihm beschäftigte. Durch die Arbeit des Übersetzens entstand in Martin Luther ein inniges Verständnis dieses in seiner Einfachheit und Geradheit großartigen Lobgesanges, das ihn in die Tiefe des Glaubens führte.
Am 24. März 1521, einen Tag vor der Ankunft des Reichsherolds in Wittenberg, hatte er noch einem Freund geschrieben: »Sie arbeiten daran, dass ich viele Artikel widerrufen soll, aber mein Widerruf wird dieser sein: Früher habe ich gesagt, der Papst sei der Statthalter Christi; jetzt widerrufe ich es, und sage: Der Papst ist Christi Widerwärtiger und der Apostel des Teufels.« Er zweifelte nicht daran, dass der »allerheiligste Widersacher Christi, der oberste Anstifter und Lehrer der Mörder« ihn vernichten wolle – so, wie er Johannes Hus auf den Scheiterhaufen geschickt hatte. Ungewiss blieb indes, ob dem Papst der Anschlag auf Martins Leben gelingen würde. Sicherheit in dieser schwierigen Situation fand er nur, wie so oft schon, im Glauben: »Es geschehe der Wille des Herrn. Mein Christus wird mir den Geist geben, dass ich die Diener des Satans im Leben verachte und im Sterben überwinde.«16
Einen Tag später, am 25. März, traf der Reichsherold in Wittenberg ein und wurde bei dem berühmten Maler und angesehenen Bürger der Residenzstadt, Lucas Cranach d. Ä., untergebracht. Wahrscheinlich wurde Martin von einem Diener Cranachs informiert und in sein Haus gebeten. Auf der langen Straße, die an der Universität, der Leucorea, vorbei zum Markt mit dem Rathaus und dem Cranachschen Anwesen gegenüber führte, knäulte und entknäulte sich das übliche Gewühl von Bettlern, Händlern, Mägden, Studenten und Knechten. In der frischen Frühlingsluft hing der strenge Duft des Fastens.
Kaspar Sturm, der als Herold den amtlichen Titel »Germania genand Teutschland« führte, weil er nicht für die spanischen, sondern für die deutschen Lande des Kaisers zuständig war, war von imposanter Erscheinung. Groß wie der ganze Mann war auch sein offenes, flächiges Gesicht mit der zierlichen Nase und dem erstaunlich kleinen Mund darunter. Erst im Oktober des vorherigen Jahres hatte ihn der junge Kaiser zu seinem Herold ernannt. Nachdem Martin das Siegel gebrochen und den Brief aufgerollt hatte, las er:
»Ehrsamer, Lieber, Andächtiger!
Nachdem Wir und die Stände des heiligen Reiches, die jetzt hier versammelt sind, uns vorgenommen und entschlossen haben, der Lehre und Bücher halber, die vor einiger Zeit von dir herausgegeben wurden, Erkundigung von dir einzuholen und diese zu bekommen, haben Wir dir für dein Herkommen und später wieder von hier zu deiner sicheren Bleibe Unser und des Reichs freie, ungeschmälerte Sicherheit und Geleit gegeben. Das senden Wir dir hiermit zu, mit dem Begehren, du mögest dich demnächst aufmachen, und zwar so, dass du in einundzwanzig Tagen, wie es unser Geleit bestimmt, mit Gewissheit hier bei uns sein mögest und nicht ausbleibst. Du sollst dir auch um keine Gewalt oder Unrecht Sorgen machen.
Karl V.«17
Anschließend übergab Kaspar Sturm ihm auch das Versprechen des freien Geleits des Kurfürsten Friedrich des Weisen und des Herzogs Georg von Sachsen für ihre Lande. Ein Kaiser, ein Kurfürst und ein Reichsfürst versprachen ihm freies Geleit. Doch wie wenig das im Ernstfall wert sein konnte, hatte die Hinrichtung des Johannes Hus gezeigt. König Sigismund rechtfertigte damals den Bruch des Versprechens mit der arg sophistischen Ausrede, dass er gegenüber einem Ketzer nicht an sein Wort gebunden sei. Und als Ketzer galt Martin nach dem Kirchnerecht bereits, denn mit der Bulle »Decet Romanum Pontificem« hatte der Papst ihn gebannt.
Kaiser Karls V. Einladung war allerdings in einem so freundlichen Ton gehalten, dass der päpstliche Nuntius in Worms, Hieronymus Aleander, darüber in Wut geriet. Den »Ehrsamen« und »Andächtigen« mochte der Römer noch mit viel Wehgeschrei ertragen, aber die persönliche und herzliche Anrede »Lieber« trieb den guten Mann zur Raserei. Die Kanzlisten fuhr er an: »Diesen Titel gebt ihr einem offenkundigen Ketzer gegen Gott und alle Vernunft.«18 Doch die Kanzlisten erwiderten nur zutreffend, dass, wenn sie unfreundlicher und schroffer geschrieben hätten, es dem Eingeladenen signalisiert hätte, dass er nicht willkommen sei. Und nach Worms kommen solle er doch.19 Wäre es nach Aleander gegangen, hätte man Martin verhaftet und nach Rom gebracht, um ihm dort den Prozess zu machen.20 Doch in den deutschen Landen stand inzwischen zu befürchten, dass ein Prozess gegen den Ketzer für Aufruhr sorgen würde. Allerdings gelang es dem päpstlichen Nuntius, durchzusetzen, dass Martin Luther auf dem Reichstag nur widerrufen, nicht aber disputieren durfte. Zu viel Erfahrung besaß der Doktor der Heiligen Schrift in der Kunst der Disputation.
Als Martin Luther die Einladung annahm, wusste er davon jedoch nichts, denn die Formulierung, dass man von ihm »Erkundigungen« einholen wolle, klang nicht nach Widerruf, sondern nach der Darlegung seines Standpunktes, nach einem Verhör. Karls Großkanzler Gattinara und sein Beichtvater Glapion spielten ein doppeltes Spiel.
Eigentlich erzürnte Hieronymus Aleander alles an dem Vorgang: erstens, dass man den Ketzer auf den Reichstag lud, zweitens die freundliche Einladung und drittens die Person dessen, der das Geleit überbringen sollte – ein Reichsherold mit deutlicher Sympathie für Luther.
Im Dom zu Worms hatte der Prior der Augsburger Dominikaner, Johann Faber, Anfang des Jahres die Leichenpredigt auf den Apostolischen Administrator des Erzbistums Toledo, Guillaume de Croÿ, gehalten. Der erst dreiundzwanzigjährige Kardinal von Santa Maria in Aquiro und Administrator der wichtigsten Erzdiözese Kastiliens verdankte diese hohe Stellung nicht seinen Gaben, sondern der Förderung seines einflussreichen Onkels Jacques, der in ihm den Sohn sah, der ihm verwehrt geblieben war. Doch der junge Herr, der sich unter den Feinden Luthers als einer der eifrigsten hervorgetan hatte, fiel bei einer Jagd in der Umgebung der Reichsstadt vom Pferd und starb. In seiner Predigt kam Faber auf die Notwendigkeit zu sprechen, die Kirche zu reformieren. Er rief den Kaiser und die Fürsten dazu auf, nach Rom zu gehen, um die Kirche zu ordnen. Erschrocken berichtete de...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Prologus
  6. I Der Kaiser bittet nach Worms (Kapitel 1–2)
  7. II Aufbruch ins Ungewisse (Kapitel 3–20)
  8. III Im Wort Gottes gefangen (Kapitel 21–24)
  9. Epilogus
  10. Zitationsnachweis
  11. Verzeichnis der benutzten Literatur
  12. Personenverzeichnis
  13. Martin Luthers Leben in Daten