Die Armen
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Die Armen

Roman

  1. 267 Seiten
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Die Armen

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Über dieses Buch

Das Deutsche Kaiserreich, nur wenige Monate vor Beginn des Ersten Weltkrieges: Diederich Hessling, Fabrikbesitzer und Menschenschinder, beutet seine Arbeiter aus, wo und wie er nur kann. Doch im jungen Arbeiter Karl Balrich erwächst ihm ein ernst zu nehmender Gegner, denn dieser behauptet, Anrecht auf einen Teil des Hessling'schen Vermögens zu haben. Um Hessling verklagen zu können, beschließt der einfache Arbeiter Balrich, Jura zu studieren.Null Papier Verlag

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783962818272

VII. Ultima ratio

Die Kin­der schri­en to­send vor dem großen Ar­bei­ter­haus, rann­ten, zap­pel­ten, prü­gel­ten sich; nur pol­ter­ten sie nicht mehr ge­gen den Zaun der Vil­la Klin­ko­rum, denn die Plan­ken wa­ren jetzt be­deckt mit Sta­chel­draht. Die al­ten Män­ner, die nicht mehr ar­bei­te­ten, wärm­ten sich an der Mau­er, in der Son­ne des Vor­früh­lings. Dann wuch­sen die Schat­ten, die Grei­se ver­schwan­den mit den Kin­dern, von der Ar­beit ka­men die, die Kraft hat­ten; – nur Bal­rich ver­harr­te noch im­mer in dem feuch­ten Gar­ten, ging und stand, grü­bel­te, horch­te. Mal­li drin­nen im Kel­ler saß bei­sam­men mit Thil­de, sie be­jam­mer­ten das Ge­schick und wur­den er­zürnt, über­tön­te sie ein­mal das La­chen der Klei­nen. Der alte Gel­lert lach­te mit den Klei­nen.
Da streck­te Bal­rich den Kopf durch einen Busch; nun galt es, dort kam er. Horst Heß­ling kam da­her, ohne Mo­no­kel, mit ei­nem dum­men Ge­sicht, und sein Gang sah aus wie stot­ternd vor Ver­le­gen­heit. Dies war der Mo­ment! Bal­rich tat einen Gleit­schritt, un­vor­her­ge­se­hen stand er vor ihm.
»Sie ha­ben mich er­war­tet,« sag­te er rau. »Frü­her oder spä­ter. Jetzt bin ich da und for­de­re. Hei­ra­ten Sie mei­ne Schwes­ter!«
Horst Heß­ling lä­chel­te schlaff, als sag­te er: »Hät­te ich sonst kei­ne Sor­gen!« Dann gab er sich einen Ruck, so­gar nach dem Mo­no­kel fass­te er und be­merk­te: »Ko­misch, das müss­te doch ihr selbst ein­fal­len.«
»Oder Ih­nen,« sag­te Bal­rich. »Denn Sie ha­ben die Schuld.« Er ließ sich nicht un­ter­bre­chen. »Nur Sie! – ob­wohl sie schon vor­her nicht mehr un­schul­dig war. Ein Rei­cher kann kei­ne Un­schuld ver­lan­gen. Aber was ihr ge­schieht und was im­mer aus ihr wird, kommt al­les auf Sie; denn Sie –«
Die ge­krampf­ten Fäus­te hob er bis un­ter das Ge­sicht des an­de­ren.
»– sind der, den sie liebt.«
Horst Heß­ling fuhr zu­rück. »Sie sind au­ßer sich,« sag­te er und woll­te wei­ter. Bal­rich, ihm nach mit ei­nem Sprung, warf ihn an den Schul­tern her­um. Horst Heß­ling war plötz­lich tiefrot, den An­grei­fer stieß er fort.
»Ach­tung! Hier ist mein Stock­de­gen;« – und er zog ihn. »Ich bin in Not­wehr.«
»Lump!« sag­te Bal­rich. »Feig­ling!« Mit Schimpf­wor­ten wich er vor den ge­reiz­ten Aus­fäl­len des Fein­des zu­rück, im­mer zu­rück, bis an die Plan­ke. Da, ein Schlag, der De­gen klirr­te und fiel hin, die Hand­ge­len­ke des Fein­des wan­den sich un­ter den Fäus­ten Bal­richs.
»Los!« sag­te Bal­rich. »Sto­ßen Sie mich in den Sta­chel­draht! Wer übt jetzt Not­wehr? Mit den Sti­chen im Na­cken darf ich Sie tot­schla­gen.«
Horst Heß­ling sah es ein, er hör­te auf, sich zu win­den. »Ver­han­deln wir!« keuch­te er, wor­auf Bal­rich ihn losließ. So­gleich hat­te der Rei­che wie­der sei­ne über­le­ge­ne Fres­se. »Hun­dert­tau­send,« warf er hin. Bal­rich schnob: »Hei­ra­ten!«
»Hun­dert­tau­send. Ich fan­ge dort an, wo mein Va­ter auf­ge­hört hat.«
»Ihr Va­ter hat bei­lei­be nicht auf­ge­hört. Er bie­tet mir noch ganz Gau­sen­feld.«
»Also ganz Gau­sen­feld,« bot der Sohn, kor­rekt und höh­nisch. Bal­rich schnob:
»Wenn Sie auch könn­ten, es wäre noch nicht ge­nug. Hei­ra­ten!«
»Ihre Schwes­ter ist mehr wert als ganz Gau­sen­feld?« – Hier­bei streck­te er den Kopf vor, um das Ge­sicht des Bru­ders zu un­ter­schei­den in der Däm­me­rung. Der Bru­der schrie auf. »Das wis­sen Sie noch nicht?«
Lei­se, schnell und mit Knir­schen sprach er.
»Wenn Sie es nicht wis­sen, müs­sen Sie es ler­nen. Hei­ra­ten Sie nicht Leni, soll Ihr Le­ben, ver­ste­hen Sie mich, Ihr gan­zes Le­ben nur noch Angst sein. In kur­z­em bin ich Stu­dent, dann for­de­re ich Sie; aber Sie dür­fen nicht ster­ben, nur Krüp­pel wer­den sol­len Sie. Ver­su­chen Sie nicht, zu la­chen! Sie sind der Feigs­te nicht, ich weiß. Ge­gen mich aber kön­nen Sie nichts, denn ich will, hö­ren Sie, ich will.«
Da der Feind zu­rück­beb­te, folg­te er ihm mit dem Kör­per.
»Sie sol­len mich fin­den, wo im­mer Sie zu at­men wa­gen. Stück­weis sol­len Sie ab­ster­ben un­ter mei­ner Hand. Sie sol­len er­fah­ren, was ei­ner kann, der nur noch lebt, um Ihr Feind zu sein.«
»Prah­le­rei,« stam­mel­te der Feind, aber er wich, wie vor ei­nem Feu­er. »Auch Sie,« stam­mel­te er, »ha­ben et­was zu ver­lie­ren.«
»Aber ge­rächt ist mei­ne Schwes­ter.«
»Was nützt es Ih­nen?«
Bal­rich, auf­ge­r­eckt:
»So lieb wer­den Sie nie je­mand ha­ben, dass Sie mich ver­ste­hen.«
Da sah er im Schat­ten den Feind klei­ner wer­den. Horst Heß­ling frag­te, rau­nend:
»Wie sol­len wir es denn ma­chen?«
»Ihre Sa­che, Geld zu be­schaf­fen.«
»Sie ha­ben ge­se­hen, in wel­chem Zu­stand ich aus der Stadt kam. Die Wu­che­rer las­sen sich kaum noch hin­hal­ten.«
»Ihre Sa­che,« wie­der­hol­te Bal­rich. »Be­schaf­fen Sie Geld, fah­ren Sie nach Eng­land mit mei­ner Schwes­ter, hei­ra­ten Sie sie!«
Eine schwan­ken­de Hand­be­we­gung, der Rei­che sag­te:
»Ich will es ver­su­chen.«
»Und glau­ben Sie nicht, Sie könn­ten mir ent­kom­men! Ich tref­fe Sie noch im hin­ters­ten Ver­steck der Erde – leich­ter als hier. Ich habe mich aus der Lohns­kla­ve­rei be­freit, sa­gen Sie sich das! Wo sind für den die Gren­zen.«
Vor sich hin sag­te der Sohn: »Was bleibt üb­rig, ich bre­che in die Kas­se ein.«
»Und Sie rei­sen erst, wenn kein Ver­dacht ge­gen uns mehr auf­kom­men kann.«
»Ge­gen uns,« wie­der­hol­te Horst Heß­ling, von un­ten. Dann wuchs er wie­der. »Aber wie viel ver­lan­gen Sie ei­gent­lich selbst?«
»Sie be­kom­men kei­nen Fuß­tritt. Mei­nem Schwa­ger gebe ich kei­nen.« Und Bal­rich dreh­te sich schroff um.
Er woll­te um die Ecke, da ver­trat ihm den Weg ein macht­vol­ler Wuchs.
»Ei ei,« sag­te die Schat­ten­ge­stalt Klin­ko­rums. »Er­pres­ser, Mord­bu­be und Dieb, ei ei! Das wäre nun der Pro­phe­te.«
Bal­rich, über­rascht, sah ihn eine Art Tanz be­gin­nen, als wa­ckel­te ein Turm … Aber Klin­ko­rum be­zwang sich, er senk­te die Hand auf die Schul­ter Bal­richs. »Mein Sohn!« rief er aus.
Er­schreckt durch dies sein Be­kennt­nis, horch­te er in das Dun­kel, es schwieg tief. Da leg­te er los.
»Sohn mei­nes Geis­tes! Hast er­erbt von mir, was ich als Letz­tes, Tiefs­tes in mir trug, den Hass der Mäch­ti­gen, die Tod­feind­schaft ge­gen die Macht.«
Er um­fass­te auch die zwei­te Schul­ter Bal­richs.
»Sohn! Was hat sie aus mir ge­macht. Ein Narr ich, ein Spiel­zeug der Rei­chen, – ich, der In­tel­lek­tu­el­le! Der Geist selbst ihr Spiel­zeug, ver­höhnt und be­nutzt! Rä­che mich! Ich wer­de ge­lebt ha­ben durch dich!«
Hier fiel er vollends über Bal­rich her; auf der Wan­ge Bal­richs schall­te ein Kuss. Bal­rich ließ es vor­bei­ge­hen. Dann sag­te er:
»Tue ich es aber, wer weiß, so ver­leug­nen Sie mich.«
»Nie! Bei den Flü­geln des hei­li­gen Geis­tes, nie!«
Wie ein Turm in der Nacht. Bal­rich tas­te­te sich um ihn her­um und schnell zur Pfor­te. Noch nicht er­reicht, und ei­nem Vor­sprung im Zaun ent­stieg noch ei­ner.
»Ich habe den Drang, Ih­nen zu sa­gen –« Es war Kraft Heß­ling.
»– dass ich mei­nen Bru­der nur miss­bil­li­gen kann. Er ist nicht fein­füh­lig, nicht edel­ge­sinnt. In Ih­nen ver­mu­te ich eine ver­wand­te See­le.«
Da Bal­rich zwei­fel­te, wor­an er sei, be­teu­er­te Kraft: »Sie dür­fen mir glau­ben. Nie wäre ich so unz­art ge­we­sen, Ihre Schwes­ter zu ver­füh­ren.«
Al­ler­dings. In die­ser Be­zie­hung war ihm zu glau­ben. »Was wol­len Sie denn?« frag­te Bal­rich.
»Ih­nen hel­fen, Sie Lie­ber.«
»Die Rei­chen sind ver­rückt,« dach­te Bal­rich. »Kommst du ih­nen mit Ge­walt, ge­ben sie nicht nur ihr Geld her, son­dern so­gar ihr Herz.«
Kraft ver­such­te sei­ner hoh­len Stim­me Wohl­laut zu ver­lei­hen. »Ih­nen ist es doch wohl lie­ber, wenn man nicht erst die Kas­se er­bre­chen muss? Da weiß ich nun Rat. Mein Bru­der Horst weiß sich kei­nen mehr, er ist ver­kauft an die Wei­ber. Ich aber habe Er­spar­nis­se.«
»Und Sie wol­len ihm hel­fen,« stell­te Bal­rich fest, »dass er han­deln kann wie ein an­stän­di­ger Mensch.«
»Das ist schön, nicht wahr? Ich lie­be so sehr die Schön­heit der Men­schen, die see­li­sche – und auch die des Kör­pers,« – wo­bei Kraft, leicht ran­kend, den Arm um die Schul­ter Bal­richs schlang. Bal­rich schüt­tel­te ihn ab, Kraft lis­pel­te noch: »Darf ich denn nicht den Freun­des­lohn er­hof­fen?« – da hat­te er eine Ohr­fei­ge, und so­fort droh­te er dem See­len­freund, ihn an­zu­zei­gen auf der Stel­le, zu zeu­gen ge­gen ihn, ihn zu ver­nich­ten. Hier­bei lief er schon.
Kraft eil­te heim, in Fins­ter­nis gehüllt und sei­ne Ra­che be­den­kend. Der Mut, den sein stär­ke­rer Bru­der hier nicht hat­te, Kraft fand ihn in sei­ner ent­täusch­ten Lie­be … Er mel­de­te sich krank und ging ohne Es­sen schla­fen. Stun­den­lang harr­te er in Ge­duld, bis Horst kam. Horst tat, als ent­klei­de­te er sich, wo­bei er aber Bli­cke auf den Schlä­fer warf. Kraft at­me­te seuf­zend, dar­auf gab Horst es auf, sich zu ver­stel­len, zog das Jackett wie­der an, und beim Mond­schein war­te­te nun auch er. Das letz­te Licht in der Fassa­de war er­lo­schen, da mach­te er sich auf, in bieg­sa­men Haus­schu­hen.
Kraft, kaum war sein Bru­der fort über die Trep­pe, schlug einen an­de­ren Weg ein. Das Schlaf­zim­mer be­trat er un­hör­bar, wor­aus das Stöh­nen sei­nes Va­ters drang. Die Lam­pe brann­te auf dem Bett­tisch des Ge­ne­ral­di­rek­tors, sie be­schi­en sein vom Traum zer­rüt­te­tes Ge­sicht; mit dump­fem Mur­meln aus sei­nen Lip­pen ka­men Wor­te, ka­men Zah­len … Da lief ein jä­her Schre­cken durch alle Mas­sen sei­nes schla­fen­den Lei­bes, hoch fuhr er, und ge­stützt auf bei­de Hän­de, starr­te er weiß. Wie zum An­griff krümm­te dort sich ein schwar­zer Mensch. »Lie­ber Gott!« hauch­te er und sank hin.
Kraft sag­te hei­ser: »Papa;« da sah der Va­ter ihn sich an, den schwarz­sei­de­nen Schlaf­an­zug, die hoh­len Au­gen und den Schat­ten un­ter der Hö­cker­na­se, – wor­auf er in Zorn ge­riet und noch nach­träg­lich zu dem Re­vol­ver griff. Kraft, er­füllt von sei­nem Ge­schäft, wich kei­nen Fuß­breit. »Komm, Papa!« sag­te er be­harr­lich und wink­te lang­sam, wink­te kno­chig. »Komm, Papa, du sollst dich wun­dern.«
Der Ge­ne­ral­di­rek­tor, ohne mehr zu er­fah­ren, stand end­lich auf und folg­te. Kraft, eins mit der Dun­kel­heit, führ­te ihn an der Hand über die Trep­pe. Dr­un­ten schi­en der Mond in die gol­den be­spann­te Hal­le. Kraft wich ihm aus; die Wän­de ent­lang schli­chen sie in den weiß­sei­de­nen Barock­saal. Hier nun, grau­en­voll, lag Lam­pen­schim­mer! Aus der an­ge­lehn­ten Tür fiel er, vom Her­ren­zim­mer! Der Ge­ne­ral­di­rek­tor woll­te ein­wur­zeln, Kraft riss ihn mit. Der eine lang und schwarz, über­quel­lend aus sei­nem wei­ßen Hemd der an­de­re, so tra­ten sie auf. Horst sah ih­nen ent­ge­gen, mit dum­mem Ge­sicht. Er stand halb ver­steckt hin­ter der ge­öff­ne­ten Schie­be­tür, die das Al­ler­hei­ligs­te barg, mit dem Kas­sen­schrank, – und der Kas­sen­schrank klaff­te, und in den Fin­gern Horsts zit­ter­ten Bank­no­ten.
Der Ge­ne­ral­di­rek­tor, bei die­sem An­blick, ward ein an­de­rer. Si­cher­heit und Tat­kraft präg­ten sein Ge­sicht, »Hän­de hoch!« rief er stark und er­hob den Re­vol­ver.
»Par­don,« äu­ßer­te Horst, »ich bin es nur.«
Der Ge­ne­ral­di­rek­tor, der hieran nicht zwei­fel­te, trat sach­lich vor, er un­ter­such­te den Kas­sen­schrank.
»Un­ver­letzt,« sag­te er. »Wie hast du das ge­macht?«
Horst konn­te sich der Aus­kunft nicht ent­zie­hen. Er hat­te die Zahl, die den Kas­sen­schrank öff­ne­te, aus dem Schlaf sei­nes Va­ters er­lauscht, aus dem von sei­nem Feind be­schwer­ten Schlaf des Ar­beit­ge­bers – schon längst. »Schon längst?« Denn Horst, des­sen er­laub­te Hilfs­quel­len nicht aus­reich­ten, sah kei­nes­wegs erst seit heu­te der Tat in die Au­gen, die nun vor­lag. Er zeig­te kei­ne un­an­ge­mes­se­ne Reue, er be­klag­te nur, in männ­li­cher Form, die Karg­heit der ihm ge­währ­ten Le­bens­hal­tung. Der Ge­ne­ral­di­rek­tor, als Ant­wort, ent­nahm dem Kas­sen­schrank ein Buch, stell­te Zif­fern zu­sam­men und nann­te eine Sum­me, der er zu­zu­trau­en schi­en, sie wer­de Horst zum Wan­ken brin­gen. Horst aber wank­te nicht. Statt sei­ner fiel der Va­ter in einen Klub­ses­sel, er seufz­te auf, ganz Va­ter.
»Was schiert mich das Geld, soll es neh­men wer will, nur ge­ra­de du! Mein Sohn ein Ein­bre­cher! Mein Äl­tes­ter ein Dieb! Na­gel zu mei­nem Sar­ge, nur noch tot­schla­gen musst du je­man­den, dann liegt dei­ne Ver­bre­cher­lauf­bahn ab­ge­schlos­sen hin­ter dir.«
Dies hör­te der Sohn mit al­ler ge­bo­te­nen Ach­tung an. Dem Va­ter hin­gen die Arme wie ab­ge­hackt von den Leh­nen, er war so tief ver­fal­len in sei­nem Klub­ses­sel, dass der Bauch auf dem Sitz lag wie ein Luft­kis­sen. Da er sich wie­der­hol­te und von Neu­em bei dem Geld an­fing, das je­der neh­men kön­ne, sah Horst die­sen Teil der Ze­re­mo­nie für be­en­det an und be­schäf­tig­te sich da­mit, die Bank­no­ten in den Geld­schrank ein­zu­ord­nen. Eine Note ent­fiel ihm, flat­ter­te fort und glitt un­ter eine Tür – die Ver­bin­dungs­tür nach der Woh­nung der Bucks. Horst ließ sie vor­läu­fig dort lie­gen, in Voraus­sicht je­des mög­li­chen Ver­lau­fes, den der Auf­tritt des Va­ters etwa nahm.
»Und al­les wäre noch ver­zeih­lich,« win­sel­te der Va­ter, »hät­te mein Sohn nicht als Kanal für die Ver­geu­dung mei­nes Be­sit­zes jene Per­son ge­wählt. Denn glau­be nur nicht, dein Va­ter täusch­te sich über den Grad dei­ner Ge­müt­lo­sig­keit. Die Schwes­ter mei­nes ärgs­ten Fein­des, ge­ra­de um ih­ret­wil­len hast du den Kas­sen­schrank dei­nes leib­li­chen Va­ters nicht mehr für hei­lig er­ach­tet.«
End­lich et­was Neu­es, Horst sah die Mög­lich­keit, das un­frucht­ba­re Feld der Ge­füh­le zu ver­las­sen. »Ich muss dich auf­merk­sam ma­chen, Papa,« äu­ßer­te er, »dass dei­ne In­for­miert­heit, so sehr ich sie be­wun­de­re, hier ge­ra­de in der Haupt­sa­che ver­sagt. Der Pos­ten, auf den du an­spielst, hat in mei­nem Haus­halt eine ver­hält­nis­mä­ßig un­be­deu­ten­de Rol­le ge­spielt; Ehren­wort. Bei Wei­tem das meis­te nahm an­de­re und ich darf sa­gen, rühm­li­che­re Wege.«
»Wel­che?« frag­te der Va­ter, aber wei­ter zu ge­hen in sei­nen Er­öff­nun­gen, er­klär­te Horst aus Ka­va­liers­grün­den für un­zu­läs­sig. Kraft sag­te höh­nisch: »Ich kann viel­leicht aus­hel­fen«; aber ein Griff, und Horst schick­te ihn in einen ent­fern­ten Win­kel. Dort ward sei­ne hoh­le Stim­me ver­schlun­gen von dem Ge­pol­ter der Mö­bel, die sein Va­ter in Be­we­gung setz­te. Denn der Va­ter win­sel­te nicht mehr, son­dern brüll­te, und auf­ge­sprun­gen warf er mit den Mö­beln. Horst, dem ge­gen­über, fand es umso leich­ter Ka­va­lier zu blei­ben. Schon sein kor­rek­ter Jacket­t­an­zug setz­te ihn in Vor­teil vor den schwach Be­klei­de­ten … Da er­schi­en, von dem Lär­men an­ge­lockt, in ei­nem Schlaf­rock mit Spit­zen­schlep­pe Gus­te, die Gat­tin und Mut­ter. Sie sah, ahn­te, griff ein.
»Es ist die klei­ne An­klam, dass du es nur end­lich weißt, du Ärms­ter,« herrsch­te sie. »Nun also, da machst du an­de­re Au­gen. Von mei­nen Söh­nen wirst du nicht er­le­ben, dass sie sich weg­wer­fen!«
Der Va­ter ver­such­te: »Er gibt zu, dass er auch jene Per­son –«
»Es ist nicht wahr,« herrsch­te Gus­te.
»Aber Mama, ich habe doch ihre Ein­rich­tung ge­se­hen«; – und auch Gret­chen fand sich ein, süß ver­schla­fen in ih­rem lan­gen Nacht­kleid. »Ich war bei der Auk­ti­on, denn Horst gab ihr un­an­stän­dig we­nig, das muss wahr sein.«
Dies be­kam Gret­chen schlecht. »Un­an­stän­dig?« frag­te der Bru­der und er­hob die Hand. Die Mut­ter drang ge­gen sie vor. »Ein jun­ges Mäd­chen weiß das nicht. Es glaubt es nicht ein­mal, wenn es da­bei ist. Fort, un­pas­sen­des Ge­schöpf!« – und Gret­chen war ent­wi­chen so schnell wie auf­ge­taucht.
Der Ge­ne­ral­di­rek­tor in­zwi­schen sah Licht, einen Weg und of­fe­nen Him­mel. In vol­ler Man­nes­kraft riss er die Zü­gel an sich.
»Die Din­ge ste­hen so,« be­fahl er, »dass mein Sohn den nie­der­träch­tigs­ten Er­pres­sun­gen un­ter­liegt.«
»Mann!« kreisch­te Gus­te. »So spricht man nicht von ei­ner Dame. Un­ser Sohn hat Glück bei der Nich­te des Ge­ne­rals.«
Aber der Ge­ne­ral­di­rek­tor blitz­te furcht­bar. »Schweig! und fol­ge dei­ner Toch­ter. Wo der Ernst­fall ein­tritt, ist nicht der Ort für Wei­ber.« Er fuhr fort zu blit­zen, bis Gus­te es ein­sah, sie habe aus­ge­spielt, und sich, rau­schend so gut sie konn­te, zu­rück­zog. Der Ge­ne­ral­di­rek­tor schloss selbst die Tür.
»Du un­ter­liegst den nie­der­träch­tigs­ten Er­pres­sun­gen,« be­fahl er.
»Zu Be­fehl, Papa,« sag­te Horst.
»Und zwar von sei­ten ei­ner lie­der­li­chen Per­son, de­ren Bru­der ge­gen mich den Um­sturz mo­bil macht. In sei­ne Hän­de ge­lan­gen die Un­sum­men.«
Horst ver­stand. »Wenn wir das be­wei­sen kön­nen –«
»Wir be­wei­sen es,« be­fahl der Ge­ne­ral­di­rek­tor. »Er hat dich tät­lich an­ge­grif­fen. Er hat dich be­droht, falls du nicht sei­nen Wil­len tust.«
Er­schre­ckend sag­te Horst: »Das ist so­gar wahr.« Der Ge­ne­ral­di­rek­tor blüh­te auf. »Wo sind dei­ne Zeu­gen?«
»Wie viel be­kom­me ich?« frag­te Kraft, dumpf von hin­ten. Schon hat­te der Ge­ne­ral­di­rek­tor ihn beim Wi­ckel.
»Maul­schel­len nach Be­lie­ben, oder du re­dest. Was hast du ge­se­hen, wie kamst du dort­hin. Dei­ne Be­zie­hun­gen zu dem Men­schen will ich wis­sen.«
Kraft, die Ge­fahr er­ken­nend, leug­ne­te al­les. Klin­ko­rum sei es ge­we­sen. »Gleich nach Horst hat er ver­han­delt mit dem Bal­rich.«
»Er ist Mit­wis­ser!« Der Ge­ne­ral­di­rek­tor frohlock­te. »Vi­el­leicht Mit­tä­ter. Auch ihn hab’ ich in der Hand. Los! Wir räu­men auf in ei­nem. Mor­gen früh die Ver­haf­tung.«
Er hielt sich das Herz.
»Ah! es wur­de Zeit. Ich dach­te wahr­haf­tig schon –«. Der Ge­ne­ral­di­rek­tor fass­te Fuß sei­nem Kas­sen­schrank ge­gen­über. Fei­er­lich nick­te er ihm zu.
»Der Brief! Der Brief, der mich ent­eig­nen soll! Ihn zu­rück­ho­len und dort ein­sper­ren, – da­mit noch mei­ne spä­tes­ten En­kel ge­warnt wer­den durch den An­blick der ent­setz­li­chen Dro­hung, die über dem Haupt ih­res Ah­nen hing. Da­für bin ich zu al­lem ent­schlos­sen.« Hö­her ge­r­eckt und lau­ter: »Ich schwö­re es, zu al­lem; – denn der mir auf­ge­zwun­ge­ne Kampf um mein Da­sein recht­fer­tigt auch das här­tes­te Mit­tel. Und soll­te ich den Brief aus rau­chen­den Trüm­mern her­vor­zie­hen …« Er brach ab.
»Drei Stun­den kön­nen wir noch schla­fen,« stell­te er fest. »Ich brau­che es.«
Zwi­schen Kraft, der vor­an­ging, und Horst, der folg­te, mach­te er sich auf den Rück­weg, durch den weiß­sei­de­nen Barock­saal und die gol­den be­spann­te Hal­le. Auf der Trep­pe wie­der­hol­te er noch: »Ent­schlos­sen zu al­lem,« – da hielt Horst ihn an. Kraft war dro­ben ver­schwun­den. »Er­lau­be, Papa,« sag...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Impressum
  3. Inhaltsverzeichnis
  4. Danke
  5. I. Hassende, Liebende
  6. II. Der Arbeiter und das Bürschlein
  7. III. Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren
  8. IV. Die sittlichen Faktoren
  9. V. Das Richtfest
  10. VI. Geh’ nicht fort!
  11. VII. Ultima ratio
  12. Das weitere Verlagsprogramm