Die Diktatur der Algorithmen
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Die Diktatur der Algorithmen

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Die Diktatur der Algorithmen

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Algorithmen schleichen sich immer tiefer und intensiver in unser Leben, in die Zellen und die Gehirne ein. Die Digitalisierung stellt eine mögliche Technologiefalle dar. Der Mensch kann bei der Interaktion mit Computern gezwungen werden, neue Identitäten anzunehmen. Mit Zellen wird dies schon praktiziert. Erst wird die Zelle gezwungen neue Identitäten anzunehmen, dann der ganze Mensch. Die Reparatur von Zellen gilt jetzt als einklagbar, ein entsprechender Nichteingriff als Straftatbestand: Dies ist die Diktatur des »Rechts«. In einem totalitären Staat könnte die Ausrichtung der Bürger zu einem standardisierten Personentyp erlaubt oder sogar angeordnet werden. Dieses Essay versucht darzulegen, womit Sie angesichts fortschreitender Digitalisierung rechnen müssen.

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Information

Das Begehren

Es handelt sich um vagabundierende erotische Energie auf dem Wege zum Ziel, auf der Jagd nach einer kompatiblen Seele. Frauen setzen bei der Wahl eines Partners ein Mindestmaß an Intelligenz voraus, was evolutionsbiologisch und anthropologisch ja schon einmal schön an sich ist.
Bei der Suche nach einer neuen erotischen Realität erscheint das weibliche Geschlecht zunächst im Vorteil. Die Frau braucht nur Ja zu sagen. Sie braucht nur begehrenswert zu sein. Verweigert sie sich jedoch einem werbenden Mann, genügte das im Mittelalter, sich dem Vorwurf auszusetzen, eine Hexe zu sein. Bizarre Geständnisse erpressten die Folterknechte der Kleriker aus den Mündern der Gemarterten, beispielsweise, dass sie mit dem Teufel Unzucht getrieben hätten.
Bamberg war im 17. Jahrhundert ein Zentrum der Hexenverbrennungen, sozusagen ein Holocaust-Zentrum im Mittelalter: Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurden dort binnen 20 Jahren 1000 Menschen, vorwiegend Frauen hingerichtet, jeder 13. Bamberger starb. Das Vermögen der Denunzierten und Ermordeten fiel an die Kirche, die es ebenso wenig restituiert hat wie der moderne Staat die zerstörte Existenzgrundlage der zahlreichen Justizopfer auch nur annähernd adäquat restituiert. Proteste der Fachwelt – hier der Mitglieder der Rechtspflege – sind nicht in nennenswertem Umfang bekannt, weder damals noch heute.
Ein nicht unerheblicher Nebeneffekt des kirchlichen Holocausts an der Weiblichkeit des Mittelalters war die Hinrichtung der mit der Geburtenverhütung vertrauten Hebammen, der weisen Frauen. Verhütet werden sollte auf gar keinen Fall, der Souverän benötigte Untertanen zur Verfolgung seiner territorialen Ansprüche. Die darauf folgende Bevölkerungsexplosion der Neuzeit, nach dem Verlust des mittelalterlichen Wissens der Geburtenverhütung durch die Taten der kirchlichen Ideologen, werden bis heute unterschätzt. Nicht umsonst hält der Vatikan seine Hexenakten teilweise bis heute unter Verschluss.
Die Hexenverfolgungen waren die Entdeckung der Biopolitik am Rande des Mittelalters: Kriegszüge, Raubzüge, Pestzüge hatten den Fürsten das Menschenmaterial zerstört. Menschen waren plötzlich wertvoll und an sich kein Wegwerfartikel mehr. – Den Mächtigen gingen die Menschen aus. Die Schönsten und Fähigsten unter ihnen wurden als Hexen verfolgt: die Hebammen. Sie wussten um die Geheimnisse der Geburtenverhütung und die Feinsteuerung der Fortpflanzung. Sie kannten schon lange vor dem 19. Jahrhundert das Speculum. Was taten die Kleriker also? Geburtenkontrolle wurde zur Unzucht mit dem Teufel erklärt. Die Gynäkologie wurde den Frauen entrissen, die Fachfrauen exorziert oder zu Tode gefoltert. Die Folgen: Die Gynäkologie sank auf ein erbärmliches Niveau, wovon sie sich bis heute nicht erholt hat, zumindest in einigen Ländern nicht.
Es fand daraufhin eine Bevölkerungsexplosion statt, die auch noch in die Kolonien exportiert wurde und zum damaligen Turbo-Kapitalismus führte. Wir haben heute acht Milliarden Menschen auf der Erde und die Lage droht außer Kontrolle zu geraten.11
Die Folgen der Degradierung der Frauen zu Hexen – sozusagen der Holocaust der Sexualität – für die Stabilität Europas und der Welt können nicht überschätzt werden. Sie prägen die Welt bis heute.
Der Hexenwahn war und ist eine religiös motivierte Vergewaltigung der Frau. Die monotheistischen Religionen geben dabei das weibliche Prinzip auf und manipulieren den Eros zur Erlangung universeller männlicher Macht. Es geht darum, sich die feminine Urmacht untertan zu machen, ja, sich anzueignen. Diese weibliche Urmacht widerspricht dem patriarchalischen und phallokratischen Konzept der Transzendenz. Deswegen kommt es zu Hexenjagden und rituellen Vergewaltigungen, letzten Endes der gewaltsame Versuchs, sich von der weiblichen Urmacht unabhängig zu machen. Der Vater verweigert der Mutter ihre Macht, Leben zu gebären, weil er der alleinige Schöpfer sein will. Es geht den Christen wie den Buddhisten um eine durch den Vater ermöglichte Wiedergeburt und damit um die Überwindung der eigenen Sterblichkeit, die in der phänomenalen Welt der Frau implizit gegenwärtig ist.
Die Historiker scheinen nach ihrer Sozialisierung, Politisierung und sonstigen Ausbildung unfähig zu sein, eine Weltgeschichte der Vergangenheit oder der erweiterten Gegenwart zu schreiben, unter Einbeziehung der Wissenschaften von der Verhaltensweise des Menschen, sei es aus Furcht gegenüber anderen Fachgebieten oder aus Mangel an gegenwartsdiagnostischem Urteilsvermögen.
Diese noch zu schreibende Geschichtsanalyse hätte im Kern mit Globalisierung zu tun, dem Umgang des Menschen mit der Macht und mit sich selbst und mit dem Überlebenskampf immer größer werdender Menschenmassen und dem damit verbundenen Klimawandel.
Man werfe nur mal einen Blick auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie war eine Zeit ansteigender Mobilität der Menschen. Diese erhielt zusätzliche Schubkraft durch ein ungewöhnliches Bevölkerungswachstum, das bis heute in vielen Teilen der Welt anhält und das Klima zunehmend mit beeinflusst. Die Natur lässt sich die stattgefundene monströse Geburtenexplosion und den damit verbundenen Klimawandel nicht länger gefallen. Sie schlägt massiv zurück durch Klimakatastrophen nie da gewesenen Ausmasses und erreicht damit nun wieder eine Reduktion des Menschenmaterials, verbunden mit einer zunehmenden Unfruchtbarkeit sowohl der Männer als auch der Frauen. In den sogenannten zivilisierten Ländern verläuft inzwischen jede zweite Geburt ungewöhnlich dramatisch und nicht mehr natürlich. Eine Vergewaltigung der Zelle ist hier nicht die Lösung. Sie zerstört letzten Endes jedes Leben. Es kommt die Digitalisierung fast aller Lebensbereiche hinzu, die inzwischen eine Penetrationskraft, Akzeptanz und Unverschämtheit erreicht hat, welche die Welt keineswegs immer offener und freizügiger sein lässt.
Der menschliche Körper wird zunehmend digitalisiert, teilweise werden schon vorgeburtliche DNA-Analysen durchgeführt, um Chancen zu verteilen. Wir benötigen also neben einer Ethik der Information auch eine Ethik der Sorge um den anderen und eine Ethik der Überwachung. Schwierig ist, dass fast alle Produktions- und Migrationsabläufe heute digitalisiert und überwacht werden. Schon ruft man nach einer Überwachung der Mittelmeeranrainer und ihrer Flüchtlinge durch Drohnen. Somit gerät der Nationalstaat ebenso wie das Individuum, das in ihm lebt oder zwischen Nationalstaaten migriert, in eine tiefe Existenzkrise. Obwohl der Mensch zunehmend von Produktionsprozessen und damit von einer geregelten Einnahme ausgeschlossen wird, ist er wegen der Auflösung der Nationalstaaten und der Frivolitäten und Senilitäten der letzten Imperien zunehmend gezwungen, individuelle Lösungen oder Pseudolösungen für gesellschaftlich, technologisch und klimatisch verursachte Probleme zu schaffen.
Man darf hier ohne Übertreibung sagen, dass die Krise der Organe und Institutionen, die die menschlichen Belange vertreten sollten, das augenfälligste Problem des 21. Jahrhunderts ist. Vielleicht schätzen auch deswegen so viele Menschen die Digitalisierung sozialer Netzwerke, weil dies die einzige soziale Welt ist, die sie haben, die sie kennen und in der sie sich ein wenig heimisch fühlen dürfen.
Den Technologen und Technokraten darf man ins Stammbuch schreiben, was der Historiker – also auch auf diese kann man nicht ganz verzichten – Tony Judt gesagt hat: Und wenn wir sonst nichts aus dem 20. Jahrhundert gelernt haben, sollten wir zumindest begreifen, dass die angeblich perfekten Lösungen die furchtbarsten Konsequenzen hervorbringen. Die schrittweise Verbesserung unbefriedigender Zustände ist das Beste, was wir uns erhoffen können und anstreben sollten. Mit anderen Worten: Die Geschichte lehrt uns Demut und rät uns zur Mäßigung und zum Verzicht auf Selbstermächtigung. Und er sagte kurz vor seinem Tode noch etwas zu der Frage, ob er ein Abgleiten in den Totalitarismus befürchte. Seine Antwort war, das tue er nicht, aber er beobachte aktuell einen Verlust der Überzeugung, ein Schwinden des Glaubens an die offene demokratische Gesellschaft, ein Gefühl der Resignation. Er glaube allerdings auch, dass wir in den nächsten 15 Jahren eine Rückkehr des politischen Engagements erleben werden, dass sich junge Leute organisieren und ihrer Empörung über die politische Stagnation der vergangenen 25 Jahre Ausdruck verleihen werden. Also sei er gegenwärtig pessimistisch, auf mittlere Sicht jedoch optimistisch.
Im Grunde geht es um die Modalitäten des Erkennens, Begehrens und Zusammenkommens. Die Unverbindlichste und dennoch intimste Form ist der One-Night-Stand: Der Begriff kommt ursprünglich aus der Theaterbranche und bedeutet einmaliges Gastspiel. Heutzutage ist damit eine sexuelle Kurzbeziehung gemeint, die nur eine Nacht oder sogar noch kürzer andauert, oft zwischen einander nicht näher bekannten Personen und ohne die Absicht, eine längere emotionale Beziehung einzugehen. Doch ist zweifelhaft, ob der One-Night-Stand den Interessen der Frauen und der Männer nützt, denn worum geht es? Um die Suche, Bestätigung und Vermeidung des Alleinseins. Oft können das die Partner längerer Beziehungen nicht mehr leisten: Monogamie als Gefängnis der Lust und als Grab der Sehnsüchte. Heute wird dagegen die Polyamorie eingesetzt (mit wechselndem Erfolg), denn die Sehnsucht nach Abhängigkeit, das Bedürfnis gebettet und beschützt zu werden, sind stark.
Es geht auch um die Befriedigung der Grundbedürfnisse: Sex, Nahrung, Schlaf, Geborgenheit, Glück. Dazu bedarf es einer geeigneten Dosis von dopaminergen Neurotransmitter-Impulsen im Bereich des Nucleus praeopticus medialis des Hypothalamus. Mit dem AMEFI-Prinzip ist das kaum vereinbar: Alles mit einem für Immer.
Sobald sich beide Kommunikationspartner über das Ziel der sexuellen Kommunikation verbal oder non-verbal einig sind, bedarf es noch einer Örtlichkeit, um eine intime Situation zu schaffen, in der sich die Beteiligten begegnen können, um vordergründig ihre Libido abzuleiten.
Unabhängig davon, ob die Betroffenen die gesamte Nacht miteinander verbringen oder vorher auseinandergehen, gestaltet sich die weitere Kommunikation eher minimalistisch oder ist abwesend.
Der One-Night-Stand kann eine Begegnung mit dem Orgasmus sein, ein Schöpfungsakt, der eine erotische Realität schafft, die es erlaubt, aus sich selbst herauszutreten und die Realität des Alltages und gegebenenfalls eines anderen Partners vorübergehend zu verlassen, um angesichts des Orgasmus Augenblicke der Unsterblichkeit zu erleben ohne die Verpflichtung zur Liebe.
Der Morgen oder die Zeit danach, wenn der Sexus als Auslöser der Vereinigung abklingt und die erotische Realität der sonstigen weicht, entscheidet sich die weitere Entwicklung der Kurzbeziehung. Ist das erotische Ich danach frei und leicht oder empfindet es gar Ekel und Scham? Denn der Orgasmus verdeckt keine seelische Niederlage. Will das erotische Ich in den Alltag des Gegenübers eintauchen oder auf Distanz bleiben? Hierdurch entscheidet sich, ob es eine Fortsetzung der Beziehung gibt oder nicht. Dabei entscheidet das Ich nicht in erster Linie über den anderen, sondern zuerst über sich selbst: ob es sich in dem, was zuvor geschah, wiedererkennt oder nicht, das Engagement zurückgenommen wird oder sogar die Flucht angetreten wird.
Neben der Theorie der Triebe sollte man nicht vergessen, dass der Mensch auf der Suche nach Vollkommenheit ist. Manchmal endet die Suche nach Vollkommenheit in Beklommenheit.
Im Moment der Vereinigung mit dem Partner kann er sich im Zentrum der Welt fühlen, aus sich heraustreten und in dessen gestaltbildendes Feld eintauchen, den Hauch des morphischen Feldes im unendlichen Nichts spüren.
Wer verliebt ist, wird verführt: Da Wahrheit und Schönheit schon vor ihrer Erkennung existieren, muss nur daran erinnert werden.
Erkennt ein Mensch die Schönheit und verschmilzt er mit dieser, ist er glücklich. Wird eine Verschmelzung nachträglich als falsche Verschenkung empfunden, löst dies Scham aus; denn der andere, dem man seinen Körper hingab, besaß ihn für mehrere Stunden. So wie ich dem anderen erscheine, bin ich dann – er besitzt nun das Geheimnis dessen, was ich bin. Durch die sofortige Beendigung der Beziehung soll die nochmalige Wahrnehmung in den Augen des anderen beendet werden, da weitere Wechselwirkungen von der Seele nicht mehr gewünscht werden.
Der Verliebte dagegen schafft wie ein Gott den Gegenstand seiner Liebe (Platon, 7).
Der Verliebte ist ein sich selbst überlassener Gott. Die Lösung kommt nicht von außen. Erlösung bietet nur etwas, was auch Quelle des Leides ist. Letzter Grund des Leides ist in der Mythologie die Frau.
Der Verliebte lebt in der Umklammerung gegensätzlicher Kräfte, er genießt, dass die Person des anderen Wesens ihn vor dem Abgrund bewahrt und die Beschränkungen des eigenen Lebens auflöst, aber er hat auch Angst, denn hinter den Augenblicken der Unsterblichkeit lauert wieder die Endlichkeit.
Und so sind wir gefangene Ergänzer auf der Jagd nach der Vollkommenheit und Lust. Es gibt kein Wesen, das so verletzbar ist wie der Mensch und so häufig den anderen verletzt.
Die meisten Menschen wollen nicht verführt werden, sie ziehen es vor, geliebt zu werden. Als Liebesbeweis verlangen sie Gefühl, Lust oder Domestikation. Vielleicht muss man die Liebe aus Angst vor der Verführung erzwingen, zweifellos aber muss man lieben, um nicht mehr verführen zu müssen.
Aber es gibt etwas in der Frau und in der Zelle, das man nicht besitzen kann oder besitzen darf. Was uns bei der Liebe am stärksten beschäftigt, ist das Rätsel des anderen Geschlechts. Alle körperlichen Vereinigungen sind darauf ausgerichtet, sich der Fremdheit und dem Rätsel des anderen Geschlechts anzunähern und es zu vereinnahmen, ein unerfüllbarer Traum.
Die bisherige Analyse leidet darunter, dass sich die Sozial- und Geisteswissenschaften aus der Analyse erotischer Phänomene heraushalten. Im sexuellen Akt verlässt der Mensch den Alltag und taucht in eine neue erotische Realität ein. Das weibliche Verlangen ist dabei genauso lustgesteuert, wie das des Mannes. Frauen gelten nur kulturell bedingt als Verbündete der Monogamie, doch stellt sich in monogamen Beziehungen bei nicht wenigen Frauen oder Männern nach einiger Zeit Unlust auf den vertrauten Partner ein. Das niedere Reich der Hormone spielt dabei eine untergeordnete Rolle.
Das eigentliche Lustzentrum sind die neuronalen Zellen des Gehirns, die mit dem Dopamin, dem Molekül des Verlangens, korrespondieren. Damit sich die Erregung durch das Dopamin auf ein Objekt richtet und nicht zu einem Sturz in lediglich gesteigerte Wahrnehmung führt, muss es in Balance zu anderen Neurotransmittern, insbesondere dem Serotonin treten. Dieses erlaubt die Planung und Selbstkontrolle in Hinblick auf das Objekt der Begierde. Hinzu kommt die Freisetzung von Opioiden: Sie dämpfen die Motivation, bereiten das Gehirn aber auch darauf vor, erneut angeregt zu werden. Sexuelle Höhepunkte dämpfen das Gehirn, konditionieren es aber auch darauf, nach weiteren neuen Höhepunkten zu streben und Unlust zu vermeiden.
Die individuelle Seele ist auf den Körper zentriert. Sie gibt ihm seine Form und ist sein Aktionszentrum. Sie breitet sich um ihn herum aus, aber hat auch einen Brennpunkt. Seelen sind wie Körper individualisiert – im Gegensatz zu Klonen. Typisch für Körper ist, dass keine zwei Körper zur selben Zeit den gleichen Raum einnehmen können.
Das gilt aber nicht für Felder. Verschiedene Felder können denselben Raum zur selben Zeit einnehmen, sie können einander durchdringen; im Orgasmus verschmelzen sie für kurze Zeit: Er ist das Schmelzmittel, danach kehren die Seelen und ihre Körper wieder in die Realität und den Raum der Dialektik zurück, den Raum der individuellen Verantwortung und der Geschichte:
Beim One-Night-Stand ist die Liebe trotz gegenseitiger Verführung abwesend. Dies bedeutet für das Weibliche eine Falle: Statt eines dialektischen Verhältnisses des Austausches von Sex und Liebe, haben wir heute ein Produktionsverhältnis, das zum Exzess übergeht.
Die ausgleichende Dialektik ist verschwunden, Schönheit und Zärtlichkeit haben sich verabschiedet, das Phantasma der Produktivität breitet sich aus und zerstört alle Illusionen und Beziehungen. Nun haben sich diese Kräfte auch noch die Produktion der Kinder und des Lebens vorgenommen.
Dabei gibt es eine Komplizenschaft mit dem Feminismus und dem Genderismus. Dieser imitiert die Phallokratie. Es wird eine Logistik des Genusses aufgebaut: Es geht um Produktion, nicht mehr um Sublimation. Tatsächlich kommen Genuss und Liebe abhanden.
Hypersexualisierung ist Deindividualisierung und zerstört den Sexus ebenso wie die Liebe, denn die Frau ist der Traum des Mannes. Erst durch die Begegnung mit der Liebe erwacht sie aus dem Traum. Die Frau ist von Natur aus mit aller Verführung begabt. Sobald sich die Frau ohne Liebe nur dem Sex hingegeben hat, ist es zu Ende, ist der Traum tot. Eine einzige Nacht und alles ist vorbei. Körperlich mag es gut gewesen sein: multiple Orgasmen, eine neue erotische Realität; der Verführer fühlt sich bestätigt, bei der Verführten überwiegt das Gefühl benutzt worden zu sein; nach dem puren Sex kommt der Ekel, eine Niederlage für die Seele. Es bleibt dann nur der Narzissmus und am Ende findet Fortpflanzung durch Insemination und Klonierung statt. Was folgt, ist die Reproduktion des immer Gleichen, was der Anfang vom Ende ist: menschliche Stammzellen als Stecklinge und simulierte Unsterblichkeit als Exorzismus des Sexus und der Liebe. Sex und Seele als remedium humanum verschwinden. Im Ergebnis können die Sinnlosigkeit und Einsamkeit des Lebens nicht mehr überwunden werden und das ewig Weibliche zieht uns nicht mehr hinan (Goethe).
Wenn am Beginn des Lebens nicht mehr der Sexus und die Liebe stehen, werden der paternale und der maternale Apparat der Zelle ve...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Algorithmus als höherer Bewusstseinszustand?
  7. Die Zerstörung des Bewusstseins durch Algorithmen
  8. Abhören, Speichern und Steuern: Das Ende der Privatsphäre
  9. Wir Mitschöpfer
  10. Die Dämonen des Anthropozän
  11. Es entsteht Zellkontrolle …
  12. … und Körperkontrolle
  13. Transhumane Parallelschöpfungen
  14. Künstliche Intelligenzen entstehen
  15. Hat der Computer ein Bewusstsein?
  16. Wissen ohne Wissen schafft Dummheit
  17. Die Enteignung der Daten und was sie verraten
  18. Die Metamorphose – Von der Stammesgesellschaft zur Weltgesellschaft
  19. Das Ende der Schöpfung – Gott war weiblich
  20. Das Ende des Humanen
  21. Die postsäkulare Wende
  22. Selbstverbrennung durch Algorithmen
  23. Die Unterwerfung des Raumes und der anderen mithilfe von Propaganda und Kriegen
  24. Liebe als Versuch der Wiederherstellung einer verlorenen Einheit
  25. Das Ovum – Das Prinzip Ei
  26. Das Begehren
  27. Von der Hegemonie zur digitalen Anarchie
  28. Kann und sollte Biotechnologie kontrolliert werden?
  29. Die eigentliche Bedrohung des Menschen kommt aus dem Nicht-Wesentlichen
  30. Der Ablauf des Unvermeidlichen
  31. Fußnoten