Im Gegenlicht: Heinz Sauer
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Im Gegenlicht: Heinz Sauer

Ein literarisches Portrait

  1. 140 Seiten
  2. German
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Im Gegenlicht: Heinz Sauer

Ein literarisches Portrait

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Heinz Sauer bleibt seit vielen Jahrzehnten mit seinem expressiven Ton, mit seiner Schärfe und schroffen Phrasierungskunst auf dem Tenorsaxofon unverwechselbar. Tourneen mit Albert Mangelsdorff führten ihn um die ganze Welt. Im letzten Jahrzehnt waren es vor allem Duo-Konzerte mit Michael Wollny, die den beiden zahlreiche Preise einbrachten und demonstrierten, dass Sauer ein gewichtiger Teil unserer musikalischen Gegenwart ist.Dieses Buch, an dessen Entstehung Heinz Sauer selbst mitwirkte, ist auch das Ergebnis langsam gewachsenen gegenseitigen Vertrauens. Es erzählt vom Jazz Sauers und von den Lebensbedingungen, unter denen sich dieser entwickelte. Es lässt sich auch als ein Stück Kulturgeschichte lesen.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783947373611
II

Deutsches Benzin

»Wie Siggi Loch in Merseburg aufgewachsen, sagtest Du?«
»Ja, aber Sauer ist acht Jahre älter, und dort auch geboren, im Dezember 1932, wenn Du es genau wissen willst, unweit der Buna- und der Leunawerke, bei denen Sauers Vater einer der Direktoren war.«
»Nicht schlecht.«
»Ja, das sagt sich so. – Die Leunawerke gehörten zur I.G. Farben. Bereits im November 1932 trafen sich die I.G. Farben-Direktoren Bütefisch1 und Gattineau mit Hitler, um ihn über die Bedeutung synthetischen Benzins, das aus Braunkohle gewonnen wurde, aufzuklären. Das Leuna-Benzin nannte man es später oder auch: das deutsche Benzin. Die Technik, es zu produzieren, besaßen die Leunawerke. 1933 sicherte sich der Konzern vertraglich die komplette Treibstoffversorgung der Wehrmacht und wurde zu einem entscheidenden Wegbereiter des Zweiten Weltkriegs.
Die Direktoren der Leunawerke wohnten Haus an Haus, bescheiden, gemessen an heutigen Maßstäben. Freilich ließ man sich von einem Chauffeur im noblen Horch von zu Hause abholen; darüber hinaus aber protzte man nicht, sondern betrieb eher ein leises Understatement.«
»Man könnte also sagen: Heinz Sauer wuchs in geordneten – nationalsozialistischen – Verhältnissen auf ?«
Bei uns nebenan wohnte Bütefisch. Der hat später noch ein Bundesverdienstkreuz gekriegt. Ich hab mal gesehen, wie der einen russischen Kriegsgefangenen mit der Schaufel geschlagen hat. Das prägt sich ein.
»Seine Mutter beschreibt Sauer als eine katholisch geprägte, liebevolle, sehr ausgleichende Frau. Sie wird auf diesem Gebiet einiges zu tun gehabt haben, denn ihr Mann war schon von Berufs wegen gewohnt, dass seine Anweisungen befolgt werden. Eine Schwester und zwei Brüder, von denen einer in jenem Krieg umkam, den der Vater befeuerte, vervollständigten die Familie. Der Vater selbst wurde nicht eingezogen, sondern traf sich in immer enger werdendem Zeittakt mit Nazigrößen in der Reichshauptstadt, möglicherweise auch in Auschwitz, wo die Bunawerke, die in der Nachbarschaft Leunas lagen, Personal rekrutierten.
Es war die Mutter, von der der damals sechsjährige Heinz Sauer erfuhr, dass Krieg sei. Es schien sich um keine gute Nachricht zu handeln, wenn das Kind die Züge der Mutter richtig deutete. In der Schule aber zeigten sich die Lehrer begeistert, der Vater schließlich wurde ganz und gar feierlich, als er davon sprach, und schon ein Jahr später sahen die Kinder, wie recht der Vater hatte. Auf weit ausgebreiteten Landkarten zeigte er ihnen, wo ›wir‹ stehen: Von Nordafrika bis Norwegen – alles unter deutscher Kontrolle. Und der Siebenjährige war stolz auf seinen strengen, in der Welt herumreisenden Papa, der immer etwas mitbrachte, wenn er nach Hause kam, und der alles so gut richtete, und schaute zuversichtlich in eine Zukunft, in der auch er einmal eine bedeutende Rolle spielen würde.«
»Ja«, sagte Danski, »1940 hätte Hitler unbesorgt freie Wahlen abhalten können, mit SPD, KPD, freier Presse und allem: 90 % der Stimmen wären ihm sicher gewesen! Das war etwas anderes als die Weimarer Republik! Am deutschen Wesen soll die Welt genesen – das meinten die ernst.«
»Wenn es im August 1940 zwei leichtere Luftangriffe der Briten gab, bewiesen die doch nur, dass die Engländer Leuna nicht ernsthaft gefährden konnten. Sicherheitshalber aber baute man eine Scheinfabrik, die bombardiert werden durfte, während die tatsächliche Produktion durch eine Vernebelungsanlage geschützt wurde. Wenn es Luftalarm gab, wurden die Deckel von den Metallfässern am Wegrand entfernt, aus denen sogleich große, stinkende Nebelschwaden stiegen, die die Leunawerke dem Blickfeld feindlicher Bomber entzogen.
In die siebte Klasse versetzt, schickte ihn der Vater auf die Napola Schulpforta bei Naumburg.«
»Napola Schulpforta – klingt lustig.«
»War aber eine ›nationalsozialistische Erziehungsanstalt‹, eine Eliteschule. Hitler wollte – Originalzitat – ›eine grausame Jugend‹ heranwachsen sehen, und die Lehrer in Schulpforta taten ihr Bestes. Die Kinder und Jugendlichen wurden aufeinandergehetzt. Der Stärkere wurde privilegiert.«
»Wie kann man sich das vorstellen?«
»Wenn ein Schüler etwa im Sportunterricht besondere Leistungen erzielt hatte, durfte er die anderen Schüler seines Jahrgangs ›erziehen‹, wovon üblicherweise großzügig Gebrauch gemacht wurde.«
»Denke ich mir.«
»Die Schüler trugen Uniformen und würden einmal in den eroberten Gebieten das Kommando übernehmen. Dachte man.«
»Es kam anders«, sagte Danski. »Sauer hatte Glück, dass er erst 12 war. Die Jahrgänge 26 und 27 wurden von der Schule weg in einen längst verlorenen Krieg geschickt, verheizt, wie man so sagt.«
»Es war nicht nur die Gnade der späten Geburt: Sauer hatte sein Schicksal zum ersten Mal selbst in die Hand genommen und war aus der Napola getürmt! Das geschah nicht ohne Risiko – Sauer wagte es. Als einziger. Als es Abend wurde, setzte er sich – was nicht einfach war – unbemerkt von der Gruppe ab. Es war schon fast dunkel, als er am Bahnhof angekommen in einen fensterscheibenlosen Zug stieg, der ihn nach Merseburg brachte.
Ich bin ja so froh, dass ich es geschafft habe, da abzuhauen. Da habe ich zum ersten Mal gedacht: Ich will diese Gesellschaft nicht und ich breche da aus. Es hätte auch schief gehen können.
Sein Vater schickte ihn nicht mehr zurück. Für eine nationalsozialistische Elite bestand auf der ganzen Welt kein Bedarf mehr.«
»Was war der Grund für Sauers Flucht – die Misshandlungen?«
»Seine Dresche wird er dort sicherlich bekommen haben und nicht nur einmal. Schlimmer waren wohl die Deprivatisierung in solchen Anstalten und das Heimweh, das nicht gezeigt werden durfte. Sauer meint, er sei ein Individualist. Er und große Gruppen: Das funktioniere einfach nicht.«
»Es war also kein moralisch inspirierter Akt des Ungehorsams?«
»Nein. Heinz Sauer wäre – wie die anderen Jungen auch – stolz gewesen, sein junges Leben Adolf Hitler zu opfern. Er hatte ja nie etwas anderes gehört als diesen Scheißdreck. Zu Hause nicht, in der Schule nicht, nicht in der Nachbarschaft und schon gar nicht in Schulpforta.«
»Und wie ging es in Merseburg weiter?«
»Vom 12. Mai 1944 bis zum 4. April 1945 fielen etwa 83 000 Bomben auf den Großraum Leuna/Merseburg/Lützkendorf/Schkopau, davon trafen etwa 10 Prozent das Leunawerk selber. Mit dem darauffolgenden Ausfall von 90 Prozent der deutschen Benzinproduktion war der Krieg laut Reichsminister Albert Speer für das Deutsche Reich auch ›produktionstechnisch verloren‹.«
»Und Heinz Sauer?«
»Ist jetzt 12½ Jahre alt und zermürbt von über 200 Bombenangriffen.«
»Bombenangriffe, die auch der fünfjährige Siggi Loch überstehen musste«, sagte Danski. »Vielleicht saßen sie sogar im selben Bunker! – Wie stellt sich Sauer in diesen Tagen die Zukunft vor?«
»Er setzt seine ganze Hoffnung auf die Vergeltungswaffe, von der Goebbels ständig spricht, und die diesem Krieg wohl die entscheidende Wende geben wird. Selbst als die Amerikaner in Merseburg einmarschieren, glaubt Sauer in den ersten Stunden noch nicht an die endgültige Niederlage des Deutschen Reiches.«
Ein Zwölf-, Dreizehn-, Vierzehnjähriger dieser Zeit – das ist nicht wie Zwölfjährige heute. Das war viel primitiver. Auf der einen Seite waren wir Schlimmes gewohnt. Auf der anderen Seite waren wir sehr, sehr naiv gehalten. Wir sollten gute Soldaten sein.
1BÜTEFISCH, Heinrich. Seit 1930 Leiter der Leunawerke. Wehrwirtschaftsführer. Ab 1941 zuständig für I.G. Auschwitz. 1948 im I.G.-Prozess wegen Versklavung von Zwangsarbeitern zu 6 Jahren Haft verurteilt. 1951 vorzeitig freigelassen. Im Aufsichtsrat unter anderem von Deutsche Gasolin AG, Feldmühle, Papier- und Zellstoffwerke, Ruhrchemie AG. – 1964 Großes Bundesverdienstkreuz; später wieder aberkannt. Trat im Frankfurter Auschwitz-Prozess als Zeuge auf.

Amerikanische Schokolade

Am 16. April waren die Amerikaner bei uns. Vater und die anderen Direktoren waren plötzlich ganz klein. Von einem auf den anderen Tag waren die unten – und das war für mich ganz schwer.
»Es waren drei, vier Tage, in denen das festgefügte Weltbild des Jungen zerbrach. Mit seinem Bruder die Straße entlanglaufend, kommt ihnen ein gefürchteter Lehrer der Oberschule entgegen. Der Bruder hebt sofort den Arm zum Hitlergruß; der Lehrer aber duckt sich leicht und schaut weg, als er sieht, dass amerikanische Soldaten die Szene beobachten. Ein Jeep fährt vorbei. Ob die Soldaten absichtlich in die Pfütze fahren, sodass die Hose des Lehrers völlig versaut wird? Ein kurzes, jähes Hochfahren des Mannes – aber kein Protest.«
Vor unserem Haus in Leuna war eine amerikanische Wache postiert worden, ein Schwarzer – der erste dunkelhäutige Mensch, den ich in meinem Leben sah! Mein Bruder und ich sind also mit solchen Augen angekommen; da zieht der einen olivgrünen Riegel aus der Tasche, zeigt ihn uns, teilt ihn: Das war Schokolade! Wir haben ja damals jahrelang keine Schokolade mehr gekriegt. Da war dann für mich dieses »Rassenproblem« – das muss man in Anführungszeichen schreiben – schon erledigt.
»So«, sagte Danski: »Jetzt erzähle ich mal eine Geschichte und du hörst zu. Dass die Leunawerke aus der Luft angegriffen werden konnten, hatte damit zu tun, dass die Amerikaner in der Normandie gelandet waren, womit Leuna in die Reichweite amerikanischer Bomberpiloten geriet. Meine Erzählung zielt aber auf etwas anderes.«
Schieß los, hätte ich beinahe gesagt, aber Danski hatte schon begonnen: »Jon Hendricks hat sie mir erzählt, ein amerikanischer Jazzsänger dunkler Hautfarbe: Wie es nämlich dazu kam, dass dieser Soldat den Brüdern Sauer Schokolade anbot.
Die US-Army hatte eigentlich Order, mit der deutschen Bevölkerung nicht zu fraternisieren. Sogar Schulungsfilme waren zu diesem Thema erstellt worden: ›They’re not sorry, they caused the war – they’re sorry, they lost it!‹
Jon Hendricks hatte sich zum Krieg gemeldet, weil ihn die Wochenschauen über die rassistischen Massenmorde in Nazideutschland alarmiert h...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Titel
  4. Inhalt
  5. TEIL I
  6. TEIL II
  7. TEIL III
  8. TEIL IV
  9. Quellennachweise
  10. Bildnachweise
  11. Weitere E-books von Dittrich Verlag