Die Poesie der Dinge
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Die Poesie der Dinge

Ziele und Strategien der Wissensvermittlung im lateinischen Lehrgedicht der Frühen Neuzeit

  1. 269 Seiten
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Die Poesie der Dinge

Ziele und Strategien der Wissensvermittlung im lateinischen Lehrgedicht der Frühen Neuzeit

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Die lateinische Lehrdichtung der Frühen Neuzeit ist ein von der modernen Forschung bis heute nur wenig beachtetes Phänomen, dem sich der vorliegende Band auf weiter Ebene widmet: die diskutierten Texte erstrecken sich über einen Raum von Italien bis Brasilien und eine Zeitspanne vom ausgehenden 15. bis zum späten 18. Jahrhundert. Neben grundlegenden Fragen zur Gattung des frühneuzeitlichen Lehrgedichts, das mit seinen vielseitigen Ausprägungen eine Herausforderung für strenge Klassifikationsmodelle darstellt, bieten die Analysen einen Einblick in die Strategien dichterischer Wissensvermittlung, bei der neben wissenschaftlichen Themen nicht zuletzt gesellschaftliche und politische Zusammenhänge im Fokus stehen. Die Publikation richtet sich an ein fachkundiges Publikum, gibt jedoch durch Übersetzungen und ausführliche Paraphrasen der Originaltexte auch Interessierten ohne Lateinkenntnisse die Möglichkeit, dieses in der Frühen Neuzeit beliebte Genre in seiner ganzen kulturellen Bandbreite sowie seinem enormen Einfluss auf volkssprachige Dichtung kennenzulernen und zu erkunden, wie wissenschaftliche Dichtung zu einer Zeit funktionieren konnte, in der Literatur und Wissenschaft noch keine getrennten Bereiche darstellten.

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Information

Thy gift, Pomona! John Philipsʼ Cider zwischen vergilianischem Nationalgedicht und agrarökonomischer Fachliteratur

Bernd Roling

1 Einleitung

Als der Göttinger Dichter und Literaturhistoriker Friedrich Ludewik Bouterwek in den ersten Jahren des neunzehnten Jahrhunderts Band für Band seiner monumentalen Geschichte der Poesie und Beredsamkeit veröffentlichte, die erste globale Literaturgeschichte der Moderne1, läßt er keinen Zweifel daran, welcher Gattung so wenig an Aufmerksamkeit wie möglich gebühren durfte – der Lehrdichtung. Im Regelfall, so das schon lange vor dem Opus magnum proklamierte Verdikt Bouterweks, unterlief den Poeten der Didaxe ein entscheidender Fehler. Sie unterwarfen den eigentlichen Motor der Poesie, das Gefühl, die Leidenschaft, dem toten Gegenstand, sie opferten den natürlichen Enthusiasmus, den wahre Dichtung auszeichnete, dem kalten Verstand2. Lehrdichtung, besonders wenn sie, wie Bouterwek noch hinzufügt, der Nachahmung der lateinischen Klassiker verpflichtet war, mußte sich daher als Sackgasse der Literaturgeschichte begreifen lassen, als ästhetischer Mißgriff. Vollends verfehlte sie sich, wenn sie es wagte, sich auch im achtzehnten Jahrhundert noch der lateinischen Sprache zu bedienen3. In Bouterweks zwölfbändiger Literaturgeschichte entgehen daher nur wenige Dichter, die sich im weitesten Sinne der Lehrdichtung zuordnen lassen, dem ästhetischen Standgericht. Einer dieser Autoren war Giovanni Ruccellai, dessen am vierten Buch der Georgica modellierten Api, die ‚Bienen‘, auch den Mann aus Göttingen trotz der augenfälligen Nähe zu Vergil überzeugen konnten4. Ein weiteres Lehrgedicht, das vor Bouterwek Gnade fand, ja ihn regelrecht begeisterte, entstammte der englischen Literatur; es handelte sich um das zwei Bücher umfassende Gedicht Cider des englischen Poeten John Philips aus dem Jahre 1708. Hier waren Schönheit und sprachliche Eleganz, wie Bouterwek hervorhebt, nicht der trockenen Wissenschaft zum Opfer gefallen, im Gegenteil, sein Gegenstand, die Herstellung von Apfelwein, war, wie es heißt, im „sanft verschönernden Lichte der Phantasie“ dargeboten worden, die „Naturszenen und ländlichen Beschäftigungen“ waren mit „poetischem Gefühle, ohne Prunk und triviale Umständlichkeiten gemalt worden“. Unter den Werken „von zweitem Range“, so das gutmütige Urteil des Göttinger Professors, verdiente es eine der ersten Stellen5.
Schon die zeitgenössische Kritik in England hatte die Auffassung Bouterweks geteilt. Samuel Johnson hatte Philips Cider zu den Klassikern seines Genres gezählt und ihn für seine Bildkraft gepriesen6. Andere waren noch weiter gegangen. Joseph Warton, der seine neue Übersetzung der Georgica auch theoretisch hatte grundieren wollen, hatte ihr im Jahre 1753 einen langen Essay On didactic poetry an die Seite gestellt, die wohl erste Geschichte der Lehrdichtung in England. Warton bespricht nicht nur die antiken Vorlagen, die den Mantuaner orchestrieren konnten, sondern auch Fracastoro oder Polignac. Unter den Engländern ragte unter der ersten Generation nur ein Dichter heraus, wie Warton betont, Philips, der eine vollkommene Adaptation Vergils vorgelegt hatte, geschmälert nur durch gelegentliche Ausflüge in den Humor, die den erhabenen Ton durchbrochen hatten. Kein anderer englischer Dichter war ihm gleichgekommen7. Auch die ältere Sekundärliteratur, genannt sei nur Cornelis de Haas in seinem Nature and the Country in English Poetry, hatte sich für Cider begeistert. Philips, so formuliert es de Haas schon 1928, habe in seinen Blankversen wie kaum ein anderer pittoreske Beschreibungen, Fachwissen von wirklichem Wert und eine ehrliche Liebe zur ländlichen Schönheit miteinander vereinigt8. Zudem habe Philips, wie ihm Lancelot Wilkinson beipflichtet, auch some sense of humour ausgezeichnet, im Unterschied zu fast allen seinen Nachfolgern9. Der zeitgenössische Erfolg des Lehrgedichtes scheint diese Bewertungen zu unterfüttern. Neben den wiederholten Neuauflagen der gesammelten Dichtung Philipsʼ, die bereits große Verbreitung gesichert hatte10, sollte das Apfelweingedicht auch für sich genommen sicher ein halbes Dutzend Mal neu gedruckt werden11. Im Jahre 1791 erschien es sogar mit einem eigenen antiquarischen Kommentar, der heute vor allem das Verständnis der technischen Fragen zur Apfelweinherstellung erheblich erleichtert12.
Warum war Philips Cider im Unterschied zu vielen anderen Lehrgedichten so begeistert aufgenommen worden? Tatsächlich hatte der Mann aus Bampton in Oxfordshire, der nur 33 Jahre alt wurde, auf nahezu kongeniale Art und Weise ein zutiefst vergilianisches Lehrgedicht vorgelegt, das ebenso patriotisches Eulogium sein wollte, wie Unterrichtswerk, ebenso schön wie nützlich. Es strotzte vor altem Bildungsgut, vor Anleihen bei der Antike und war doch der Innovation verpflichtet. Philips zelebrierte den Apfelwein als in Fässer gefüllten englischen Nationalstolz und lieferte eine mit Obst markierte Kartographie der Great Nation, die das Nationalgebräu zum Treibstoff des Empire deklarieren konnte. Auf die gleiche Weise hatte Plinius in seiner Historia naturalis einst eine Karte Italiens auf der Grundlage seines Weins gezeichnet, wie Philips wußte13, und 1500 Jahre später Olaus Magnus unter Zuhilfenahme des Biers in Venedig seiner alten Heimat Schweden gehuldigt14. Will man eine Geschichte der Lehrdichtung schreiben, so lohnt es sich also, Philips’ Cider genauer unter die Lupe zu nehmen. Im folgenden sollen hier zwei Dinge geleistet werden. Zunächst möchte ich Philips in den weiteren Horizont der lateinischen wie volkssprachlichen Agrardichtung einordnen und dabei vor allem auf die Rolle der Georgica Wert legen. Von Bedeutung ist mir hier die Interaktion von Latinität und Volkssprache, die gerade diese Subgattung der didaktischen Dichtung besonders ausgezeichnet hat, und die von Poesie und Anwendungswissen, wie sie vielleicht ebenfalls in der Agrardichtung besonders hatte zum Tragen kommen können. Ein Blick in die Fachliteratur der Zeit vor allem in England wird diesen Eindruck bestätigen. Der zweite Teil meiner Untersuchung gebührt dem Cider-Gedicht selbst, das ich zum Abschluß dann auch in seinem paradigmatischen Charakter würdigen möchte.

2 Agrardichtung und Fachliteratur im Dialog

Daß die Georgica als durchgehender Subtext, als Junkturenreservoir und kompositorische Blaupause von Agrardichtung dienen mußten, ist für sich genommen eigentlich keiner gesonderten Erwähnung wert. Schon Giovanni Pontano hatte in seinen Gärten der Hesperiden die Einführung in den Anbau von Zitrusfrüchten mit ihrer Hilfe in Szene zu setzen gewußt, von der Wahl des rechten Bodens, der Aussaat, dem Beschneiden der Gehölze bis zur angemessenen Zubereitung der Früchte15. Pontano hatte sicher einen Klassiker des Genres geschrieben16. Daß später auch eine italienische Fassung kursierte, war somit sicher zu erwarten17. Auch der Rusticus des Angelo Poliziano, der direkt auf Vergil Bezug nahm18, oder die Rusticorum libri decem des Tullio Berò19, die in Distichen das italienische Landleben feierten, wären ohne Vergil undenkbar gewesen. Der gewöhnliche Tages- und Jahresablauf hatte in diesen Büchern den Stoff gegliedert. Nachfolgewerke hatten sich in Italien rasch eingestellt, genannt seien nur Natale Contis De anno libri quattuor20, Tommaso Niccolò d’Aquinos Deliciae Tarentinae21, Lazaro Buonamicis Carmen de vita rustica22, Tommaso Ravasini mit seinen Georgica, die Ackerbau und Feigenbäume behandelt hatten23, und weitaus weniger bekannt, schon in italienischer Sprache und inzwischen sehr gut aufgearbeitet, Vinzenzo Imperialis Lo stato rustico24, und Luigi Alamannis La coltivazione, das bis ins neunzehnte Jahrhundert gedruckt wurde25 und zu dem auch eigene fachwissenschaftliche Sachkommentare erscheinen konnten26. Auffällig war auch, wie früh schon in der Agrardichtung die Latinität auf die Volkssprache übergreifen konnte. Das wohl bekannteste landwirtschaftliche Gedicht des frühen achtzehnten Jahrhunderts in lateinischer Sprache, Jacques Vanières Praedium rusticum27, das auch Philips geläufig war, konnte nicht nur wiederholt neu aufgelegt werden28, es kursierte als Vollständiger Meyerhof in einer deutschen Fassung und unter dem Titel Œconomie rurale auch in einer französischen Variante29. Einzelne Werkteile wie die ‚Bienen‘ waren auch in englischer Sprache erhältlich30. Die ebenfalls stark vergilian...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Einleitung
  5. Ludovico Lazzarellis Lehrgedicht De gentilium deorum imaginibus
  6. Mythopoeia und Wissenschaft in De hortis Hesperidum von Giovanni Gioviano Pontano
  7. Die Chrysopoeia des Giovanni Augurelli
  8. Literarische Kunst und Friedensengagement in der Bombarda des Bartholomaeus Latomus
  9. Raphael Thorius’ Hymnus Tabaci: literarisches Spiel, medizinischer Traktat oder politisches Manifest?
  10. Bilgepumpe, Zuckerrohrmühle, Hebewerk: Technische Geräte und Maschinen in der neulateinischen Jesuiten-Lehrdichtung
  11. Thy gift, Pomona! John Philipsʼ Cider zwischen vergilianischem Nationalgedicht und agrarökonomischer Fachliteratur
  12. Framing Newton’s Principia: The Three Versions of Edmond Halley’s Lucretian Ode and Newton’s Reception of Lucretius’ De Rerum Natura
  13. Claude Griffets Cerebrum (1727), ein poetischer Führer durch das Gehirn
  14. Tertius motus: Die Erklärung der Präzession im Anti-Lucretius des Melchior de Polignac
  15. Das Gedicht De Solis ac Lunae defectibus des Roger Boscovich (1711–1787): wissensvermittelnde Poesie in antiker und nachantiker Tradition
  16. Latin Scientific Poetry under the Shadow of the Jesuit Suppression
  17. Personenregister