Supervision in Gruppen
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Supervision in Gruppen

Gemeinsam lernen und erkennen

  1. 159 Seiten
  2. German
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Supervision in Gruppen

Gemeinsam lernen und erkennen

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Supervision in und mit Gruppen öffnet den Blick für vielfältige unterschiedliche Perspektiven auf die eigene Arbeit, das Team oder die Institution, in der Supervision stattfindet. Arbeitsstörungen, Verstrickungen und interpersonelle Konflikte können verstanden und bewältigt werden.In diesem Buch werden aktuelle und klassische Konzepte und Formen von Supervision vor dem Hintergrund gruppenanalytischer Theorien dargestellt. Die Autoren diskutieren über inhaltliche Schwerpunkte auch kontrovers, um zu zeigen, wie das Nutzen von Gruppenprozessen Supervision vertiefen und verbessern kann.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783170334854

1 Die wichtigsten Konzepte

1.1 Historische Aufzählung der wichtigsten Konzepte

»Supervision is a drama of direct encounter«
John Schlapoborsky (2010, S. 40)
Cohen spricht in ihrem Artikel über Supervision in der Gruppe von »Drachen und Helden«, denen man dort begegne und fängt damit mögliche Bedrohungen und Verletzungen wie auch Entwicklungsschritte und Herausforderungen für Teilnehmer einer Gruppensupervision mit plastischen Worten ein (Cohen, 2012). Was vielleicht dramatisch klingt, nehmen Bernard & Spitz (2006) in ihrer Stellungnahme dazu noch einmal auf:
«There is a skill set in becoming a good group psychotherapy supervisor, which is distinct from the skills necessary to be a good group psychotherapist. Supervision is a delicate undertaking in the best of circumstances… the stakes are quite high, both for the professional’s and his/her patients’ growth and development. A good supervisory experience can make an important contribution to the development of a professional, resulting in an abiding commitment to offering group psychotherapy for the duration of his/her career. An unfortunate supervisory experience can turn that same individual away from running groups forever.« (Bernard & Spitz, 2006, S. 4)
Supervision will – im Einzel- wie im Gruppensetting – einen Lern- und Veränderungsprozess eröffnen, der sich für die Supervidierten in einem veränderten therapeutischen Umgang mit Patienten in einer einzel- oder gruppentherapeutischen Behandlung niederschlägt. Dieser Lern- und Veränderungsprozess findet nur zum Teil bewusst und auf kognitiver Ebene statt. Hauptsächlich ist er in einen vertrauensvollen, flexiblen und fließenden Interaktionsprozess zwischen Supervisorin und Supervisandin oder eben zwischen den Supervisanden in der Gruppe und der Supervisorin als Gruppenleiterin eingebettet. Es gibt zahlreiche und ausführliche Literatur zu fördernden und störenden Bedingungen von Supervison (Nagell, Steinmetzer, Fissabre & Spilski 2014; Kutter 2017, Mertens & Hamburger 2016 u. 2017). Cohen spricht von »Drachen« und »Helden«, die sich in der Supervisionssituation entwickeln und denen sowohl Supervisorin als auch Supervisanden begegnen. Ihrer Ansicht nach symbolisieren die Feuer speienden Drachen im Supervisionsprozess den unbewussten Widerstand gegen jegliche emotionale Verbindung zwischen Therapeutin/Patientin auf der einen und Supervisorin/Supervisandin auf der anderen Seite. Es geht also um die wechselseitigen Übertragungen und Gegenübertragungen von Supervisorin und Supervisanden. Sie können die therapeutische Arbeit »behindern« und auch intensivieren, denn es gibt neben den »Drachen« auch die »Helden«. Für Cohen versinnbildlichen die Helden Supervisoren und Supervisanden, die in der Supervision etwas riskieren, d. h. sich emotional einlassen, indem sie sich zeigen und öffnen. Das »Lernen aus Erfahrung« (Bion) geht mit einer Veränderung ihrer psychischen Innenwelt (Objektbeziehungserfahrungen) einher und ermöglicht ihnen, eine neue Perspektive einzunehmen. Die Gruppe wird zum Agenten der Veränderung.
»… there is no clear line of demarcation between these two extremes; the dragons we wrestle with and the heroes that emerge. They will overlap, intermingle, tangle, and ultimately, if all goes well-enough, the supervision group becomes the instrument of change.« (Cohen, 2012, S. 640)
Wie konzeptualisieren die unterschiedlichen gruppentherapeutischen Schulen diese Interaktionsprozesse in einer Supervisionsgruppe? Welche Elemente der Interaktion rücken Michael Balint (Balintgruppe), S.H. Foulkes (Gruppenanalyse) und W. Bion (Group-Relations-Theory) damit in den Vordergrund?

1.1.1 Balint-Gruppen

Michael Balint und seine Frau Enid, beide Psychoanalytiker, begannen nach dem zweiten Weltkrieg in London mit praktischen Ärzten zu arbeiten. Ihr Ziel war es, die Ärzte in ihren Patientenbehandlungen weiter zu qualifizieren, und zwar nicht, indem sie auf naturwissenschaftliche Untersuchungsmethoden fokussierten, sondern indem sie die Qualität der Arzt-Patient-Beziehung erforschten und dazu benutzten, das Befinden der Patienten zu beeinflussen und zu verbessern (Balint, 2019/1957). Die Arbeit an der Beziehung zwischen Arzt und Patient war zur damaligen Zeit das grundsätzlich Neue und erwies sich in den darauffolgenden Jahren so erfolgreich und wirkungsvoll, dass sich Balintgruppen über die ganze Welt verbreiteten.
Die klassische Balintgruppe bestand aus praktischen Ärzten, die sich gegenseitig nicht kannten und damit eine »stranger group« bildeten. Es ging um eine Sensibilisierung der Teilnehmer für Phänomene von Übertragung und Gegenübertragung – zwei psychoanalytische Konzepte, durch die man sich einen Zugang zu unbewussten Aspekten der Arzt-Patient-Beziehung erhoffte. In das Gruppensetting wurden damit Elemente der psychoanalytischen Ausbildung quasi eingepflanzt, um sich selbst und die Psychodynamik der Arzt-Patient-Beziehung besser verstehen zu können. Diskutiert wurde am vorgestellten Fall (Fallarbeit), auf den sich alle Einfälle der Gruppe beziehen sollten (Technik der freien Assoziation). Eine individuelle Selbsterfahrung stand nicht zur Debatte, vollzog sich aber unmerklich im Hintergrund des gemeinsamen Arbeitsprozesses, ohne ausdrücklich benannt und gedeutet zu werden. Das Hauptaugenmerk von Balint war auf die Qualifizierung und Professionalisierung der Ärzte gerichtet. Trotz seiner ausschließlichen Konzentration auf die Fallarbeit bzw. auf die Arzt-Patient-Beziehung wurde Balint wegen seiner kreativen Nutzung des Gruppensettings zu einem Pionier der Gruppentherapie, der durchaus die Wirkfaktoren (Yalom, 2019/1989) und die Besonderheiten des Gruppensettings (Foulkes, 1974) wahrnahm und nutzen konnte, auch wenn er dies nicht gesondert herausarbeitete.
Rappe-Giesecke (1994) beschreibt anschaulich, wie es Michael Balint durch spezifische Modifikationen des Gruppensettings gelang, neben den manifest bewussten Elementen auch Aspekte der latent unbewussten Interaktion innerhalb der Arzt-Patient-Beziehung sichtbar zu machen. Eine Modifikation ist die bereits erwähnte Konzentration auf die Fallarbeit bzw. auf die Rückführung aller Einfälle der Gruppenmitglieder auf das Material des Klienten/Patienten. Dadurch bleiben Selbsterfahrungsanteile des Vortragenden nicht benannt, was dessen Integrität und gleichzeitig die Gruppenkohäsion stützt und stabilisiert. Das zweite Element ist die spontane Erzählung des Fallberichts durch den Vortragenden. Der Arzt schildert möglichst unzensiert seine Beziehung zu einem schwierigen Patienten, mit dem er offensichtlich nicht befriedigend arbeiten kann. Gleichzeitig interessierte sich Michael Balint auch für den normalen klinischen Alltag, wenn er vorschlug: »Erzählen Sie von dem letzten Patienten, den Sie gesehen haben«. Damit zeigt er sein Interesse für jegliche psychotherapeutische Interaktion, nicht nur für die problematische.
Indem der Arzt keinen Bericht vorliest, sondern frei über seinen Patienten erzählt, gehen in seine Schilderung unmerklich subjektive Aspekte der psychischen Innenwelt des Patienten mittels Projektion und projektiver Identifizierung ebenso mit ein wie auch Aspekte seiner eigenen Übertragung auf den Patienten. Dadurch wird die Balintgruppe im Hier und Jetzt zum Schauplatz des früheren Zusammentreffens zwischen Arzt und Patient im »Dort und Dann«. Aspekte der emotionalen Begegnung zwischen Arzt und Patient werden in den Einfällen der Gruppenteilnehmer lebendig, und biografische konflikthafte Erfahrungen des Patienten können auf diese Art und Weise erlebt und verstanden werden.
Balint führt in diesem Gruppenstadium die psychoanalytische Methode der freien Assoziation ein. Die Gruppenteilnehmer hören dem Vortragenden mit ihrer frei schwebenden Aufmerksamkeit – einem Element der psychoanalytischen Haltung – intensiv zu und öffnen sich damit für unbewusstes Material. In ihren Einfällen zum Inhalt der Erzählung stoßen sie auf eigene Emotionen und Befindlichkeiten, die via wechselseitiger Projektionen und projektiver Identifizierungen mit dem Vorgetragenen in Verbindung stehen. Diese individuellen Gegenübertragungen können für das Verständnis der Arzt-Patient-Beziehung genutzt werden. Darüber hinaus inszenieren sich in der Gruppe auch abgespaltene Elemente der Arzt-Patient Beziehung – sie werden in der Gruppe unbewusst widergespiegelt. Der deutsch-englische Gruppenanalytiker S.H. Foulkes beobachtete und benannte dies als Erster:
»Man kann leichter die Probleme des anderen als die eigenen erkennen. Die Verdrängung und das Verdrängte zum Beispiel kann erkannt werden, wenn es bei anderen aufgezeigt wird. Das wirkt aber gleichzeitig als analytische Kraft in einem selbst. Wir schlagen die Bezeichnung »Spiegelreaktion« (mirror-reaction) vor.« (Foulkes, 1974, S. 59)
Diese »Spiegelphänomene« (Kutter, 2017) sind das eigentliche Erkenntnisinstrument der Balintgruppe. Um sie wahrzunehmen und zu deuten, bedarf es der Erfahrung und Schulung (Loch, 1995). Verdrängte und verleugnete Impulse des Patienten, die aus der bewussten Arzt-Patient-Beziehung herausfallen, tauchen in den Einfällen der Gruppenteilnehmer und auch in Interaktionen und Kommunikationsblockaden des Gruppenprozesses von Balintgruppen wieder auf. Im günstigen Fall kann dies mit Unterstützung der Gruppensupervisorin in der Gruppensitzung erkannt, verstanden und für den Behandlungsprozess produktiv verwandt werden.
Mattke (2001) sagt, »dass Probleme aus der Therapeut-Patient-Beziehung, die noch nicht sprachlich-begrifflich präsentiert werden können, in den Interaktionen in der Teamgruppe ›inszeniert‹ werden« (S. 49). Er fügt an, dass sich nicht nur Elemente der problematischen Arzt-Patient-Beziehung in der Gruppe abbilden, sondern auch Elemente der Beziehung des Arztes zu seinen Kollegen oder zu der Institution, in der er arbeitet. In einer klassischen Balintgruppe interessieren diese Aspekte nicht, da sie ausschließlich auf die Arzt-Patient-Beziehung fokussiert und damit auch künstlich einengt. Kutter (2017) folgt dieser Betrachtungsweise und unterscheidet zwischen direkten und indirekten Spiegelphänomenen. Im direkten Spiegelphänomen spiegelt sich die Psychodynamik des Patienten in seiner Beziehung zum Arzt – im indirekten Spiegelphänomen widerspiegelt sich die Psychodynamik des Patienten in der Supervisionsgruppe. Der Supervisor erlangt durch seine Wahrnehmung und sein Verständnis der Gruppendynamik der Supervisionsgruppe Zugang zu den unbewussten Dimensionen der Arzt-Patient-Beziehung, die sich im Hier und Jetzt der Supervisionsgruppe als dem eigentlichen Arbeitsfeld der Supervision widerspiegeln. Für Kutter gilt: »ohne Spiegelung der entscheidenden affektiven Beziehung in der Supervision keine erfolgreiche Supervision« (Kutter 2017, S. 84).
Heigl-Evers & Hering (1970) berichten über Spiegelungen einer Patientengruppe in einer Therapeuten-Kontrollgruppe, die das Tonband einer Gruppensitzung abhörten. Erstaunlicherweise wiederholten sich dabei die Gruppenprozesse der Patienten in der Gruppe der Therapeuten. Es passierte, dass »das Geschehen in der Patientengruppe … zur auslösenden Situation für das latente konflikthafte Erleben der Seminargruppen-Teilnehmer wurde« (Heigl-Evers & Hering, 1970, S. 188).
Es wäre sicherlich zu einfach, jegliche Gegenübertragungsreaktionen von Gruppenteilnehmern einschließlich der Balintgruppenleiterin auf die Psychodynamik des Klienten zurückzuführen, die sich darin via Projektion, projektive Identifizierung und Identifikation äußere. Kutter spricht von unterschiedlichen Störungsquellen für die »reine« Spiegelung, die Freud anstrebte und an der Kutter, – »bei aller Wertschätzungen der Weiterentwicklung der Konzeption des Spiegelphänomens für Psychoanalyse und Supervision – in Form von projektiver Identifikation (Klein), Containing (Bion), Empathie und Responsivität (Kohut)« (Kutter, 2017, S. 92) – als Ideal festhalten möchte, um schwierige Verwicklungen zu vermeiden. Die Widerspiegelung abgespaltener Selbstanteile des Klienten kann durch Vielerlei getrübt werden: kontextabhängige Aspekte (Institution) und vor allem auch Aspekte der Übertragung des Arztes auf den Patienten. Natürlich steigert sich die Anzahl von »Störungsquellen« mit der höheren Komplexität von Setting und Interaktionen, was die Auflösung von Verstrickungen erschwert oder verunmöglicht. Hier nähern wir uns den weiter oben zitierten »Drachen« und »Helden« (Cohen) in der Supervisionsgruppe an – Begriffe, die uns Angst, Wut und Einsamkeit neben anderen unerträglichen Gefühlen, die sich in der Supervisionsgruppe ausbreiten können, nahe bringen. Je nach theoretischer Betrachtungsweise eröffnen sich durch Konzepte wie »Kontext«, »Lokalisierung/Personifikation«, »Container-contained«, »Empathie/Responsivität« Wege, auf denen sogenannte Störungen als wesentliche Informationsquellen für die Psychodynamik der Patientin wahrgenommen und genutzt werden können. Dabei ist für ein Gelingen dieser Aufgabe auf Seiten des Balintgruppenleiters genügend Reflexions- und Empathiefähigkeit, eigene Gruppenselbsterfahrung und Leitungserfahrung sowie auf Seiten der Balintgruppenteilnehmer Introspektionsfähigkeit und Erfahrung mit dieser Arbeit entscheidend.
Sowohl Kutter wie auch Giernalczyk (2017) weisen auf die Notwendigkeit hin, zeitlich begrenzte Phasen der Selbsterfahrung in die Supervisionsgruppe mithineinzunehmen, besonders um die Übertragung der Ärztin auf ihren Patienten in den Blick bekommen zu können. Beide meinen, dass dies nur gehe, wenn von Anfang an zwischen Teilnehmern und Leiter der Balintgruppe Übereinstimmung darüber bestehe, bei einer möglichen Verstrickung innerhalb der Arzt-Patient-Beziehung oder in der Gruppe einen »Wechsel der Perspektive« (Giesecke & Rappe-Giesecke, 1997, S. 350ff.) von Supervisionsarbeit zur Selbsterfahrung vorzunehmen. Damit intensiviert sich der Lernprozess für die Mitglieder der Balintgruppe, indem die Spiegelung eigener Probleme des Therapeuten bzw. seine Übertragung auf den Patienten wahrgenommen und bearbeitet wird. Bleibt dies auf den Fall bezogen, bietet die klassische Balintgruppe auch hierfür Raum.
Einige Charakteristika der Balintgruppen möchten wir abschließend noch einmal herausstellen und damit auch von Elementen einer gruppenanalytischen Supervisionsgruppe abgrenzen, die im nachfolgenden Abschnitt skizziert werden soll:
In einer Balintgruppe wird Klarifikation und Verständnis für die Arzt-Patient-Beziehung durch die Fokussierung auf die Dynamik von Übertragung und Gegenübertragung erreicht. Dabei werden institutionelle und auf die Gruppe bezogene Bedingungen vernachlässigt und die Komplexität des Gesamtzusammenhangs von Institution/Beziehung/Gruppe reduziert. Auch bei zeitlich notwendigen Abweichungen von diesem Format bleibt die eigentliche Grundperspektive erhalten.
1. Die Funktionsfähigkeit einer Balintgruppe hängt, wie bereits beschrieben, stark von Autorität und Erfahrung des Balintgruppenleiters ab. Dieser übernimmt vielerlei Aufgaben wie Selbstwahrnehmung und Wahrnehmung der Gruppeninteraktion, Reflexion der Übertragungs- und Gegenübertragungsprozesse bei sich selbst und bei den Gruppenteilnehmerinnen, unterschiedliche Interventionstechniken und Containerfunktionen, um nur einige davon zu nennen. Er steuert und kontrolliert auch die Prozesse der Selbstöffnung der Teilnehmerinnen. Damit wird dem Gruppenleiter eine aktive Rolle zugeschrieben (Riordan, 2008). Wie der Balintgruppenleiter diese Aufgabenfülle in der Praxis umsetzt, ist vermutlich persönlichkeitsspezifisch. Loch (1995) fordert für die Leitungsaufgabe Bescheidenheit und die Fähigkeit, anderen zuzuhören.
2. »Der Entwicklungsprozess der Mitglieder basiert auf dem Erleben und dem erkennenden Verstehen der Vorgänge im Arzt-Patienten- und im Referenten-Gruppen-Verhältnis. Eine Funktion des Leiters hierbei ist es, diese Prozesse zu »spiegeln«, d. h. in »die Dimension der Rede«, des »Diskurses« zu heben. Aber es stellt sich auch die Frage, ob der Leiter dies immer tun sollte bzw. wann er es tun muss. Nie sollte der Leiter übrigens übersehen, dass er von der Gruppe zu lernen hat, und er sollte sich stets überlegen, ob die Gruppe ihm das ermöglicht oder nicht.« (Loch, 1995, 130)
Insgesamt leisteten Michael und Enid Balint mit ihrer Idee, Ärzte in Gruppen für Schwierigkeiten in ihrer Beziehung zu ihren Patienten und damit für deren Psychodynamik zu sensibilisieren, Pionierarbeit, sowohl für die psychoanalytische Technik wie auch für die psychoanalytische Gruppentherapie. Sie legten damit den Grundstein für eine psychoanalytische Gruppensupervision.

1.1.2 Gruppenanalytische Supervision: jenseits von Balint

Gruppenanalytische Supervisoren gehen in ihrer Arbeit mit Supervisionsgruppen über Balint hinaus. Wie soll man sich das vorstellen? Das eigentlich Bahnbrechende der Balintschen Pionierarbeit war ihre Fokussierung auf die Arzt-Patient-Beziehung, um das psychophysische Befinden des Patienten zu verbessern, und auf das Medium Gruppe, die Balint einführte, um bewusste und unbewusste Anteile der Arzt-Patient-Beziehung vom »Dort und Dann« im »Hier und Jetzt« der Gruppe für alle Teilnehmer erlebbar und nachvollziehbar zu machen (Spiegelung, Parallelprozess). Das war das eigentlich Neue und darauf baut gruppenanalytische Supervision auf. Die Veränderungen in einer gruppenanalytischen Supervision gegenüber der Balintgruppe ergeben sich durch das Primat der Gruppe. Der Supervisor ist einer unter Gleichen, d. h. er steht mit allen anderen in einer wechselseitigen, gleichberechtigten Beziehung, ein »primus inter pares«, und er kann somit auch nicht ohne seine Supervisionsgruppe gedacht werden. In Anlehnung an ein klassisches Zitat von Foulkes (1974), nämlich: »Gruppenanalyse ist eine Form von Psychotherapie der Gruppe durch die Gruppe, einschließlich ihres Leiters«, formuliert Scanlon (2000): »It is as if a major task of group-analytic supervision becomes a reflective analysis of the training group(s) – including the supervisee(s), by the supervision group – including the supervisor« (Scanlon, 2000, S. 202).
Durch das Primat der Gruppe in einer gruppenanalytischen Supervision rücken die wechselseitigen Beziehungen und damit auch die Intersubjektivität...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Vorwort der Reihenherausgeber
  5. Inhalt
  6. Prolog
  7. Einführung
  8. 1 Die wichtigsten Konzepte
  9. 2 Zentrale Themen der aktuellen Diskussion
  10. 3 Forschung zur Supervision in Gruppen
  11. 4 Gruppenanalytische Aus- und Weiterbildungsmodelle in Deutschland
  12. 5 Schlussbemerkung
  13. Empfohlene Literatur
  14. Literatur
  15. Sachregister