Teil IV
Die 7 Wegelagerer
Als Anführer Ihres Lebens haben Sie Ihren Horizont fest im Blick. Sie wissen: Nur Sie selbst können für Hoffnung, Zuversicht und Lebensfreude sorgen. Und so brechen Sie selbstbestimmt auf. Doch Ihre Euphorie wird schon bald verfliegen. Denn jede Lebensreise führt durch ein Tal der Tränen. Hier warten Wegelagerer nur darauf, Ihr Vorhaben zu zerstören. Stellen Sie sich darauf ein, dass solche Täler nicht nur einmal auftauchen. Sondern immer wieder. Hier wird es schwer. Anstrengend. Sie zweifeln. Wollen aufgeben. Doch lassen Sie sich nicht entmutigen. Kämpfen Sie!
1. Kritiker und Nörgler
Stellen Sie sich vor, ein Lehrer haut Ihnen eins mit dem Stock auf die Finger, wenn Sie widersprechen. Oder ein machthungriger Patriarch in Ihrem Unternehmen führt sich wie ein Hannibal Lecter im Konferenzraum auf und brüllt Sie an, nur weil Ihnen etwas nicht gefällt und Sie das sagen. Ein Graus!
Die Zeiten, als Kritik am Verhalten eines anderen noch in Form von Zucht und Ordnung ausgeteilt und ungewünschtes oder fehlerhaftes Verhalten konsequent bestraft wurde, sind vorbei. Und das ist auch gut so. Als moderne Zivilisation haben wir es verdient, einen menschlicheren Umgang miteinander zu finden. Besonders dann, wenn es darum geht, Kritik zu äußern.
Dabei sind wir aktuell ins andere Extrem gerutscht. Das neue Credo lautet: Kritik üben ist anmaßend. Denn Kritiker setzen sich auf einen überheblichen Thron, stellen sich über die Dinge und maßen sich an, ihr Gegenüber zurechtzuweisen und vorzugeben, wie es richtig zu laufen hat. Niemand darf sich im Wort oder Ton vergreifen. Auch nicht dann, wenn die Nerven blank liegen oder viel auf dem Spiel steht. Kritik ist zum Unwort mutiert und darf aus Sicht einer wachsenden Weichspülerfraktion kaum noch offen angesprochen werden. Stattdessen verbreitet sich ein pseudopolitisch korrektes Kauderwelsch, bei dem sich am Ende alle ratlos die Frage stellen: War die Nachricht nun gut oder schlecht?
In meiner Arbeit als Berater werde ich oft hinzugezogen, wenn es schwierige Situationen zwischen Menschen zu klären gibt. Konflikte sind für mich auch kein Vergnügen, aber wir kommen nur weiter, wenn wir uns ihnen stellen und an einer Lösung arbeiten. Immer wieder frage ich mich: Was stört uns Menschen eigentlich an Kritik?
Tränen
»Als Beraterin hatte ich immer meine drei, vier großen Konzerne, die mir ein Projekt gaben«, erzählt mir die gestandene Frau. »Doch seitdem Corona ausgebrochen ist, habe ich keinen einzigen Euro Umsatz mehr gemacht. Ich habe das Gefühl, ich werde gar nicht mehr gebraucht.« Plötzlich fließen Tränen und sie kann ihren Schmerz nicht mehr zurückhalten.
Das trifft mich und ich warte, bis sie sich wieder beruhigt hat. »Fangen Sie jetzt bloß nicht an, sich unter Wert zu verkaufen. Lassen Sie uns daran arbeiten, wie Sie systematisch an Kunden kommen, die Sie auch wertschätzen.«
Keine Aufträge zu bekommen können Sie als besonders harte Form der Kritik missverstehen. Nur weil ein Kunde »Nein« sagt, heißt das aber noch lange nicht, dass Ihre Arbeit oder gar Sie als Person »schlecht« sind. Aber für diese Beraterin fühlte es sich trotzdem so an. Eine ähnliche Form von Kritik können Sie erleben, wenn Sie sich für einen neuen Job bewerben – und es nur Absagen hagelt. Wer das persönlich nimmt, kann so verletzt werden, dass nicht nur der Selbstwert leidet, sondern vielleicht sogar Depression oder Burn-out drohen.
Kritik bedeutet Ablehnung, ob Sie sie nun beruflich oder privat erleben. Wer will als Mensch schon abgelehnt werden? Klar, wir sollen die Inhalte von der Person, die Beziehungs- von der Sachebene trennen. Das wissen wir alles – und nehmen Kritik trotzdem persönlich. Fühlen uns verletzt. Nachvollziehbar also, dass weder Empfänger noch Überbringer sich dabei wohl in ihrer Haut fühlen.
Kritiklosigkeit führt ins Chaos
In manchen Unternehmen – und erst recht in Familien zu Hause – wird deswegen heutzutage spärlich mit Kritik umgegangen. Die Werkzeuge der Kritik, Autorität, Konflikte, heikle Botschaften: alles unangenehm. Also lautet die Marschrichtung, positiv zu formulieren. Anstatt »Sie haben Mist gebaut« sprechen wir von »Es gibt noch einige Potenziale, die Sie für sich erschließen können«.
Und auch in der Erziehung unserer Kinder werden wir vorsichtiger. Eine Förderschullehrerin erzählte mir, wenn lernbehinderte Schüler aus Migrantenfamilien die Hausaufgaben nicht machten oder gar dem Unterricht fernblieben, gebe es keine Sanktionen oder schlechte Noten. Im Gegenteil: Das Schwänzen werde oft einfach toleriert und die fehlenden Hausaufgaben im Zeugnis wohlwollend als Lob formuliert: »Schüler XY hat die Arbeitsblätter für die Hausaufgaben erhalten«. Niemand traut sich, die Wahrheit zu sagen: »Schüler XY war noch nicht in der Lage, die Hausaufgaben eigenständig zu erledigen.« Integration kann nur gelingen, wenn die Schüler liebevoll gefördert und gleichzeitig streng gefordert werden.
Doch Kritik, Sanktionen und Autorität haben für viele in der Erziehung von Kindern nichts zu suchen. Die Folge? Wir haben zunehmend mehr Störenfriede in den Schulen. In der Schweiz wurde eine Umfrage bei 450 Mitarbeitern an Schulen durchgeführt.15 Bewertet wurde das Verhalten von 4300 Schülern. Demnach gilt jedes fünfte Kind als verhaltensauffällig.
Was harmlos klingt, muss man in Wirklichkeit erst einmal aushalten können. Viele Lehrer können das nicht mehr und überschreiten ihre persönlichen Belastungsgrenzen. Auch zu Hause liegen die Nerven mancher Laisser-faire-Eltern blank, wenn die Tochter, statt zu essen, eine Vase auf dem Boden zertrümmert oder der Sohn brüllend anfängt, um sich zu schlagen, statt sich einfach ins Auto zu setzen.
Wer Kritik, und damit auch eine Form von Autorität, ablehnt, wird ohnmächtig. Denn wenn Sie alles hinnehmen, was andere Menschen mit Ihnen machen, ordnen Sie sich devot unter. Wenn Sie hoffen, dass Sie Dominanz, Macht und die dazugehörigen sozialen Spielchen abschaffen können, indem Sie sie ignorieren, ist das bestenfalls naiv.
Glauben Sie im Ernst daran, dass die Menschheit zukünftig in einer Welt von Liebe, Luft und Frieden miteinander leben wird?
Wer gibt, dem wird genommen
»Ich weiß nicht, wie ich die ganze Arbeit bewältigen soll«, beklagt sich die junge Managerin eines großen internationalen Konzerns.
»Mein Chef hat immer wieder neue Themen und Projekte, um die ich mich kümmern muss.«
»Das verstehe ich. Aber weder ist Ihr Chef für Ihre ›ganze Arbeit‹ verantwortlich, noch ›müssen‹ Sie sich darum kümmern«, nähere ich mich dem heiklen Schmerzpunkt. Sie senkt den Blick. Atmet tief ein und aus und murmelt: »Da haben Sie recht!« »Hey!«, unterbreche ich sie. »Haben Sie gemerkt, dass Sie mich nicht mehr anschauen? Wenn Sie mit dominanten Typen zu tun haben, dürfen Sie nicht zurückweichen. Setzen Sie eine Grenze. Halten Sie Blickkontakt und sagen Sie ›Nein‹. Oder stellen Sie Bedingungen, unter denen Sie die zusätzliche Arbeit bereit sind zu erledigen.«
Wenn Sie Konflikte vermeiden, werden Sie beeinflusst, dominiert und durch die Gegend geschoben. Stehen Sie für sich und Ihre Werte ein! Mag sein, dass es sich für Sie nicht gut anfühlt, Autorität anzuwenden und andere in ihre Schranken zu verweisen. Aber unter Autorität zu leiden, ist mindestens genauso schlimm.
Respekt heißt: Grenzen aufzeigen
Auf Ihrem Lebensweg werden Ihnen immer wieder Autorität, Ablehnung und Auseinandersetzung begegnen. Natürlich ist es gut, wenn Sie andere dennoch respektvoll behandeln. Doch bevor Sie nur an andere denken, denken Sie erst mal an sich. Denn Respekt bedeutet nicht, dass Sie alles hinnehmen müssen, was andere sagen oder tun. Ihr Respekt braucht Grenzen. Das hat uns Kant bereits aufgezeigt: »Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt.«
Eine Lehrerin muss es also nicht hinnehmen, wenn ein Schüler sie beleidigt. Ein Vater muss es nicht hinnehmen, dass die Tochter zu ihm sagt: »Ey, chill mal ab, Alter!«
Und Sie? Sie müssen ganz viel – nicht. Vor allem müssen Sie es nicht hinnehmen, wenn andere Menschen versuchen, Sie durch Kritik von Ihrem selbstbestimmten Leben abzubringen.
Wenn Sie selbstbestimmt sind, werden Sie automatisch anecken und Ablehnung erfahren. Es ist sogar noch krasser: Je klarer Sie in Ihren Aussagen sind, desto mehr Menschen werden Sie ablehnen. Probieren Sie es aus. Suchen Sie sich ein heikles Thema: Geschlechterkampf, der nicht mehr nur der Chancengleichheit dient, sondern ein politischer Kreuzzug der Macht ist – Umgang mit jenen Flüchtlingen, die sich nicht in unsere Gesellschaft integrieren wollen – oder Corona und ob die Haltung »Jedes Menschenleben zählt, koste es, was es wolle« die richtige ist. Und dann formulieren Sie Ihre Meinung zu diesem Thema. Aber nicht nach dem Motto »Es kommt darauf an …«
Je klarer Sie in Ihren Aussagen sind, desto mehr Menschen werden Sie und Ihre Botschaft ablehnen. Trotzdem: Bekennen Sie Farbe!
Bekennen Sie Farbe. Vertreten Sie einen klaren Standpunkt. Schwarz oder weiß. Links oder rechts. Keine Grautöne. Keine Mitte. Und Sie werden sehen: Menschen werden Ihre Klarheit eher ablehnen als Ihre politisch korrekte Wischiwaschi-Meinung. Kritiker greifen nicht nur Ihre Meinung an, sondern attackieren alles in Ihrem Leben. Wie kann man bei diesem Film nur anfangen zu weinen? Wie kann man einen Menschen nur so sehr lieben, dass man ihm eine Niere spendet – oder gar selbst sterben will, wenn der andere gegangen ist? Wie können Sie nur Ihren sicheren Job bei einem bekannten Konzern kündigen und bei einer kleinen Klitsche anfangen, die keiner kennt? Wie können Sie nur zur Miete wohnen und sich kein Haus kaufen? Wie können Sie nur so ein teures Auto fahren? Wie können Sie nur mit dem Flugzeug in den Urlaub reisen? Egal, was Sie tun, Ihre Kritiker werden immer den passenden Kommentar haben.
Wenn Sie sich also für ein selbstbestimmtes Leben entscheiden, werden andere Sie genau deswegen ablehnen. Wenn Sie einen neuen Weg einschlagen, werden Menschen Sie belächeln. Beleidigen. Vielleicht sogar versuchen, Sie aufzuhalten. Denn Ihr Mut ist nichts anderes als ein Spiegel, der Ihren Kritikern zeigt: Ihr seid mutlose Loser, die ihr Leben nicht auf die Kette kriegen.
Soziale Hygiene
Was also tun, wenn Menschen Sie kritisieren und Ihnen Ablehnung widerfährt? 2009 habe ich meine neue Karriere gestartet und fing an, im Internet zu publizieren. Videos auf YouTube, Artikel in meinem Blog, eine Kolumne auf Focus Online. Und natürlich zerrissen sich irgendwelche Typen ihr digitales Maul, indem sie in einem aggressiv-verletzenden Ton harsche Kritik äußerten. Anfangs habe ich diese Kommentare gelesen. Das tat weh. Eine PR-Beraterin hatte einen guten Rat für mich: »Lesen Sie die Kommentare in den Medien nicht. Und zwar keinen einzigen!« Und damit hatte sie recht. Eine einfache Lösung, die sofort für ein besseres Gefühl sorgte. Bis heute.
Heißt für Sie: Schmeißen Sie die falschen Menschen aus Ihrem Leben. Wir sprachen über die richtigen und falschen Verbündeten bereits in Teil III. Ihre Lebenszeit ist zu kostbar, um sie mit den falschen Menschen zu verschwenden. »Falsch« ist hier gar nicht despektierlich oder überheblich gemeint. Im Gegenteil. Sie wollen ja auch die Zeit Ihrer Nörgler nicht verschwenden. Sollen die sich doch l...